Leitsatz (amtlich)
Lebt ein Steuerpflichtiger während der Sommermonate nicht in seiner Stadtwohnung, sondern in einem massiven mit dem notwendigen Komfort ausgestatteten Holzhaus auf einem Laubengrundstück und fährt er während dieser Zeit von dort aus täglich zu seinem Arbeitsplatz, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß das Haus auf dem Laubengrundstück in dieser Zeit den örtlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bildet. Die Aufwendungen für die Fahrten zwischen dem weiter als die Stadtwohnung entfernt liegenden Laubengrundstück und der Arbeitsstätte sind dann Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
Normenkette
EStG 1974 § 9 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Der ledige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) arbeitete im Streitjahr 1974 in Berlin. Er besaß dort eine Wohnung in der Stadt und ein massives Holzhaus auf zementiertem Fußboden auf einem gepachteten Laubengrundstück, das mit fließendem Wasser, Warmwasserboiler, WC, Küche und Kühlschrank ausgestattet war. Vom 1. Mai bis 1. Oktober 1974 wohnte er auf dem Laubengrundstück. Gelegentlich suchte er die Stadtwohnung auf, um nach dem Rechten zu sehen und die Post abzuholen. Nach dem Pachtvertrag war es ihm nicht gestattet, das Laubengrundstück zu Wohnzwecken zu benutzen. Polizeilich war er nur in der Stadtwohnung gemeldet.
Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1974 machte der Kläger an Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowohl die Kosten für die Fahrten von dem Laubengrundstück (112 Tage x 17 km x 0,36 DM) als auch von der Stadtwohnung aus (120 Tage x 8 km x 0,36 DM) als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - Fa -) berücksichtigte die Fahrten von der Stadtwohnung zur Arbeitsstätte in der beantragten Höhe. Die Aufwendungen für die Fahrten von dem Laubengrundstück aus erkannte das FA nur für eine Entfernung von 8 km an. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 13 (EFG 1977, 13) veröffentlicht ist, gab der Klage statt. Es führte aus: In den Sommermonaten des Streitjahres 1974 sei das Holzhaus auf dem Laubengelände die Wohnung des Klägers gewesen. Unter einer Wohnung i. S. des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien Räumlichkeiten zu verstehen, die zum Wohnen geeignet seien und dem Steuerpflichtigen für die Zeit, in der er sie bewohne, ein Heim böten, d. h. den örtlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstellten. Unstreitig habe der Kläger in der Zeit vom 1. Mai bis 1. Oktober 1974 auf seinem Laubengrundstück gewohnt und von dort aus seine Arbeitsstelle aufgesucht. Auf dem Laubengrundstück habe sich zu dieser Zeit der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befunden. Unerheblich sei, daß der Kläger noch über eine Stadtwohnung verfügt habe und daß es ihm privatrechtlich verboten gewesen sei, das Laubengelände zu Wohnzwecken zu nutzen. Denn im Steuerrecht sei auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Dem Kläger sei daher für die Tage, an denen er von dem Laubengrundstück aus zur Arbeit gefahren sei, der Pauschbetrag des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für eine Entfernung von 17 km anzuerkennen.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG geltend. Es führt aus, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verbinde sich mit dem Begriff "Wohnung" die Vorstellung von etwas Dauerhaftem, Boden- und Ortsgebundenem. Von dieser Vorstellung sei der Gesetzgeber insbesondere in § 21 Nr. 2 EStG ausgegangen. Es bestehe keine Veranlassung, den Begriff Wohnung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG weiter zu fassen als in § 21 Abs. 2 EStG. Der Streitfall entspreche dem vom Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 15. November 1974 VI R 195/72 (BFHE 114, 340 BStBl II 1975, 278) entschiedenen Sachverhalt, der einen auf einem Campingplatz aufgestellten Wohnwagen betraf. Dieser Wagen stehe wie eine "Laube" auf einem auf Zeit gepachteten Grundstück und sei hinsichtlich seiner Ausstattung mit einer "Laube" vergleichbar.
Die Tatsache, daß der Kläger gelegentlich seine Stadtwohnung aufgesucht habe, um von dort Vorräte zu ergänzen oder die Kleidung zu wechseln, lasse erkennen, daß das Wohnen auf dem Sommersitz nur vorübergehend sei und der Kläger seinen Lebensmittelpunkt nicht ganz in die Laube verlegt habe.
Der Kläger sei hinsichtlich seiner Mehraufwendungen wie ein Arbeitnehmer zu behandeln, der am neuen Beschäftigungsort einen Familienwohnsitz begründe und seinen früheren Hausstand an einem anderen Ort beibehalte. Zusätzliche Aufwendungen, die aufgrund der freien Willensbildung entstünden und nicht auf beruflich bedingter Notwendigkeit basierten, stellten nichtabsetzbare Kosten der Lebenshaltung i. S. von § 12 Nr. 1 EStG dar.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Besitzt ein alleinstehender Arbeitnehmer mehrere Wohnungen und fährt er teilweise von der einen und teilweise von der anderen Wohnung aus zur Arbeitsstätte, so sind nach der Entscheidung des Senats vom 10. November 1978 VI R 240/74 (BStBl II 1979, 224) auch die Aufwendungen für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wenn die weiter entfernt liegende Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet. Der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen eines alleinstehenden Arbeitnehmers befindet sich nach dieser Entscheidung im allgemeinen am Ort der Wohnung, von der aus er sich überwiegend zur Arbeitsstätte begibt.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das FG die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen Laubengrundstück und Arbeitsstätte zutreffend in der beantragten Höhe als Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anerkannt. Die Räumlichkeiten des Holzhauses waren zum Wohnen geeignet und stellten für den Kläger, solange er sich dort aufhielt, ein Heim dar. Da er - nach den Feststellungen des FG-Urteils, an die der Senat im Revisionsverfahren gebunden ist - fünf Monate des Streitjahres auf dem Laubengrundstück wohnte, konnte die Vorinstanz ohne Rechtsirrtum davon ausgehen, daß die "Laube" der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers war. Während dieser fünf Monate fuhr er ausschließlich von dort aus zur Arbeitsstätte. Daß er gelegentlich die Stadtwohnung aufsuchte, ist unerheblich. Denn nach der Entscheidung VI R 240/74 bestimmt sich der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen grundsätzlich danach, von wo aus sich der alleinstehende Arbeitnehmer überwiegend zur Arbeitsstätte begibt.
Darauf, daß es dem Kläger privatrechtlich untersagt war, das gepachtete Laubengrundstück zu Wohnzwecken zu benutzen, kommt es für die steuerrechtliche Beurteilung nicht an. Ob die Voraussetzungen für eine Wohnung gegeben sind, richtet sich entsprechend der Rechtsprechung zu § 13 des Steueranpassungsgesetzes ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1969 III R 95/68, BFHE 97, 425, BStBl II 1970, 153). Unerheblich ist auch, ob der Kläger dort polizeilich gemeldet war (BFH-Urteil III R 95/68).
Der Sachverhalt der Entscheidung VI R 195/72, in der der Senat einen Wohnwagen auf einem Campingplatz nicht als Wohnung i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anerkannt hatte, ist mit dem Streitfall nicht vergleichbar.
Fundstellen
BStBl II 1979, 335 |
BFHE 1979, 6 |