Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage von "Vergleichen" zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren.
Einigt sich das Finanzamt mit einem Steuerpflichtigen hinsichtlich einer einmaligen Zahlung des Steuerpflichtigen an seine unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau auf eine bestimmte Sachbehandlung im Rahmen des § 33 EStG für einen Zeitraum von fünf Jahren und nimmt der Steuerpflichtige daraufhin seine eingelegten Rechtsmittel zurück und verfährt das Finanzamt für drei Jahre nach der getroffenen Regelung, so kann es auch für die restlichen zwei Jahre an die "Vereinbarung" mit dem Steuerpflichtigen nach Treu und Glauben gebunden sein, auch wenn für die beiden letzten Jahre an sich die Neuregelung nach § 33 a EStG gilt.
Beantragt das Finanzamt wegen einer erst während des Berufungsverfahrens bekanntgewordenen Tatsache eine Erhöhung der festgesetzten Steuer, so liegt es nicht nach § 243 Abs. 3 AO im Ermessen des Finanzgerichts, ob es die Besteuerung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändert. Es ist vielmehr verpflichtet, einem sachlich berechtigten Antrag auf Erhöhung der Steuer zu entsprechen.
Normenkette
EStG §§ 33, 33a/1; AO § 243 Abs. 3, § 248/1
Tatbestand
In der Rb. sind noch streitig die steuerliche Behandlung der Unterhaltszahlungen des Steuerpflichtigen an seine geschiedene Ehefrau und die Besteuerung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Sachverhalt
Die frühere Ehe des Steuerpflichtigen, aus der fünf Kinder hervorgegangen sind, wurde am 30. Juni 1952 geschieden. Durch notariellen Vertrag vom 21. Mai 1952 hat sich der Steuerpflichtige verpflichtet, seiner früheren Ehefrau für die ersten fünf Jahre nach der Scheidung monatlich 400 DM zu zahlen, und zwar 160 DM für sie selbst und je 80 DM für die drei ältesten bei ihr verbleibenden Kinder; für die Folgezeit sollten die Unterhaltszahlungen 40 v. H. seines Nettoarbeitseinkommens betragen. Als zusätzliche Zahlung für die ersten fünf Jahre nach der Scheidung verpflichtete sich der Steuerpflichtige außerdem, seiner früheren Ehefrau für die Beschaffung einer angemessenen Wohnung 26.000 DM zu zahlen. Bis zur Beschaffung der neuen Wohnung bezahlte der Steuerpflichtige die Miete für die bisherige Wohnung, die von seiner geschiedenen Ehefrau benutzt wurde, weiter. In der Einkommensteuererklärung für 1952 beantragte er, die in diesem Jahr bezahlte Miete und die 26.000 DM als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, den letzteren Betrag jedoch bei der Anwendung des § 33 EStG auf fünf Jahre zu verteilen. Das Finanzamt erkannte für 1952 zunächst nur 3.360 DM als berücksichtigungsfähige außergewöhnliche Belastung an, und zwar entsprechend Abschnitt 210 Ziff. 2 EStR 1952 für die frühere Ehefrau monatlich 100 DM und für jedes Kind monatlich 60 DM. Auf den Einspruch des Steuerpflichtigen berücksichtigte das Finanzamt neben den Kosten der Ehescheidung Unterhaltszuwendungen von 5.040 DM, nämlich für die Ehefrau 150 DM und für die Kinder je 90 DM monatlich. Hiergegen legte der Steuerpflichtige erneut Einspruch ein und verlangte zusätzlich die Berücksichtigung der Vorauszahlung von 26.000 DM als außergewöhnliche Belastung. Zuvor hatte er in der Einkommensteuererklärung für 1953 1/5 dieser Zahlung als außergewöhnliche Belastung für 1953 geltend gemacht. Als das Finanzamt bei der Veranlagung für 1953 gleichfalls nur die laufenden Unterhaltszahlungen mit 4.800 DM als außergewöhnliche Belastung behandelte, legte er auch dagegen Einspruch ein. Nach einer beim Finanzamt aufgenommenen Niederschrift über eine am 27. Mai 1955 stattgefundene Verhandlung erklärte der Steuerpflichtige, daß er beide Einsprüche zurückziehe und auf weitere Rechtsmittel verzichte, wenn seinem Antrag auf Erhöhung der Unterhaltskosten um 1.800 DM entsprochen werde, und daß er mit einer Berücksichtigung der Unterhaltskosten für seine geschiedene Ehefrau in einer Gesamthöhe von 6.840 DM bis zum Jahre 1956 einverstanden sei. Unter Bezugnahme auf diese Verhandlung bestätigte er deren Inhalt durch Schreiben vom 1. Juni 1955 wie folgt:
"Es wurde folgendes verhandelt und abschließend vereinbart: Meinem Einspruch vom 25. 11. vorigen Jahres gegen den berichtigten Einkommensteuerbescheid für 1952 wurde stattgegeben in der Weise, daß ein weiterer Betrag in Höhe von 1.800 DM zu den bereits berücksichtigten 5.040 DM für laufende Unterhaltszahlung und Vorauszahlung auf Unterhalt in Höhe von 26.000 DM gewährt wurde. Somit wurde also anerkannt, daß die Vorauszahlung auf Unterhalt in Höhe von 26.000 DM auf eine Zeit von fünf Jahren umgelegt werden kann. Es wurde weiterhin anerkannt, daß die nunmehr für 1952 mit insgesamt 6.840 DM für laufenden Unterhalt und einmalige Vorauszahlung auf Unterhalt in Höhe von 26.000 DM als abzugsfähig anerkannte außergewöhnliche Belastung für die Dauer von fünf Jahren, also bis einschließlich 1956 gelten soll.
Für den Fall, daß sich der Personenstand der Unterhaltsberechtigten im Verlaufe dieser Zeit ändert, erkläre ich mich mit einer der Veränderung angemessenen Berücksichtigung bei dieser Regelung einverstanden".
Es ergingen daraufhin entsprechende Einkommensteuerbescheide für 1952 und 1953. In der Einkommensteuererklärung für 1954 beantragte der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG für vorausgezahlte und laufende Unterhaltsleistungen in Höhe von 10.000 DM mit dem Zusatz "laut der getroffenen Vereinbarung wird für die Dauer von fünf Jahren, das ist bis einschließlich 1956, ein Betrag in Höhe von 6.840 DM hierfür anerkannt". Das Finanzamt entsprach diesem Antrag bei der Veranlagung. Für 1955 machte der Steuerpflichtige wiederum wegen Unterhaltsleistungen an seine geschiedene Ehefrau 6.840 DM geltend, mit dem Hinweis "Rentenzahlung laut früherer Vereinbarung mit dem Finanzamt".
Das Finanzamt gewährte jedoch für das Streitjahr 1955 nur einen Freibetrag von 720 DM gemäß § 33 a EStG 1955. Der Einspruch hiergegen wurde zurückgewiesen mit der Begründung, der Steuerpflichtige könne aus der Behandlung in früheren Jahren keinen Anspruch auf eine entsprechende Besteuerung im Jahre 1955 herleiten, zumal nach der seit 1955 geltenden Regelung in § 33 a EStG 1955 für jede unterhaltene Person höchstens 720 DM abgezogen werden könnten.
Das Finanzgericht erkannte neben dem vom Finanzamt bereits zugebilligten Pauschbetrag von 720 DM gemäß § 33 a EStG 1955 für die laufenden Unterhaltszahlungen weitere 3.557 DM als berücksichtigungsfähig an. Dieser Betrag sei der Anteil an den Unterhaltsleistungen von 6.840 DM, der nach der Regelung vom 27. Mai 1955 für eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung in Betracht komme. Daß es sich dabei um einen bereits im Jahr 1952 an die geschiedene Ehefrau als Vorauszahlung geleistete Unterhaltszuwendung handle, stehe der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung im Jahr 1955 nicht entgegen. Das Einkommensteuerrecht sei zwar auf dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung aufgebaut. Das Finanzamt habe jedoch die Verteilung des 1952 gezahlten Betrags auf fünf Jahre verbindlich zugesagt. Der Bf. habe die Anerkennung von 10.000 DM jährlich als außergewöhnliche Belastung verlangt; das Finanzamt habe aber nur 6.840 DM für die im Jahr 1952 geleistete Vorauszahlung und die laufenden Unterhaltszahlungen zugesichert. Hiervon entfielen 3.557 DM auf die Vorauszahlung.
Der Bf. erhielt im Streitjahr Geschäftsanteile im Nennbetrag von 10.000 DM von der GmbH, deren Geschäftsführer er seit Jahren ist. Sein Antrag, auf diese Zuwendung § 34 Abs. 3 EStG 1955 anzuwenden und die Besteuerung auf drei Jahre zu verteilen, wurde vom Finanzamt abgelehnt. In der Berufungsinstanz wurde dieser Antrag zurückgenommen. Das Finanzamt machte aber nunmehr geltend, der tatsächliche Wert der Anteile habe über dem Nennwert von 10.000 DM gelegen und 19.100 DM betragen. Dieser Wert, der erst nach Einlegung der Berufung bekanntgeworden sei, sei der Besteuerung zugrunde zu legen.
Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, daß die vom Finanzamt vorgenommene Bewertung der Anteile zutreffe. Bei Zugrundelegung eines Wertes von 19.100 DM ergäbe sich aber eine Erhöhung der Einkommensteuer gegenüber dem Steuerbescheid. Da eine Verböserung der Steuerfestsetzung im Rechtsmittelverfahren nicht zwingend vorgeschrieben sei, sondern im pflichtmäßigen Ermessen der Rechtsmittelbehörde liege, sehe es davon ab, die Steuer zu erhöhen; denn eine Erhöhung sei nach den Umständen des Falles unbillig. Die überlassung der Anteile sei dem Steuerpflichtigen zu einer Zeit zugesagt worden, als ihr objektiver Wert noch unter dem Nennwert gelegen habe. Daß die übertragung auf ihn bis 1955 hinausgezögert worden sei, habe nicht an ihm gelegen. Wenn der Steuerpflichtige die Anteile früher erhalten hätte, würde die spätere Wertsteigerung ohne Auswirkungen bei der Einkommensteuer geblieben sein. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß der Steuerpflichtige infolge der besonderen Verfahrenslage nicht die Möglichkeit gehabt habe, der Verböserung seiner Besteuerung durch Zurücknahme der Berufung zu entgehen; denn die Zurücknahme hätte das Finanzamt nicht gehindert, die erst nach dem Erlaß des Steuerbescheids bekanntgewordene tatsächliche Höhe des Wertes der Anteile im Wege einer Berichtigung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO auszuwerten.
Gegen das Urteil des Finanzgerichts haben sowohl der Steuerpflichtige als auch der Vorsteher des Finanzamts Rb. eingelegt.
Begründung der Rbn.
Der Steuerpflichtige wendet sich gegen die vom Finanzgericht vorgenommene höhere Bewertung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Am 17. August 1948 sei ihm von den Gesellschaftern der GmbH wegen seiner Verdienste um den Wiederaufbau der Firma eine Sondervergütung von 10.000 DM zugesagt worden, die zum Erwerb von Anteilen an der GmbH hätte verwendet werden sollen. Aus gesellschaftsinternen und außerhalb seines Einflußbereichs liegenden Gründen seien die 10.000 DM aber erst im Jahre 1955 ausgezahlt und zum Erwerb von GmbH-Anteilen im Nennwert von 10.000 DM verwendet worden. Das Finanzamt habe den Wert der Anteile, der 1948 unter dem Nennwert gelegen hatte, für 1955 zwar auf 191 v. H. des Nennwerts festgestellt. Auf den Wert im Jahr 1955 komme es aber nicht an; denn der Erwerb liege bereits im Jahre 1948. Für die steuerliche Erfassung von Vorgängen sei nach § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG ihr wirtschaftlicher Gehalt maßgebend. Danach sei entscheidend, daß ihm 1948 von der GmbH eine Sondervergütung zuerkannt worden sei und er dafür Anteile der Gesellschaft im gleichen Nennwert habe erwerben sollen.
Der Vorsteher des Finanzamts rügt hinsichtlich des § 33 EStG, das Finanzgericht habe den Grundsatz von Treu und Glauben unrichtig angewendet. Aus einer unrichtigen Sachbehandlung des Finanzamts in einem früheren Jahr lasse sich keine Bindung für die Folgezeit herleiten. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung werde dadurch verletzt, daß der Steuerpflichtige vom Finanzgericht günstiger gestellt worden sei als andere Steuerpflichtige. Daß der Bf. unterlassen habe, seine Rechtsmittel gegen die Einkommensteuerveranlagungen früherer Jahre weiter zu verfolgen, rechtfertige nicht die vom Finanzgericht vorgenommene Berücksichtigung eines Teils des im Jahr 1952 gezahlten Betrags bei der Einkommensteuerveranlagung für 1955. Das Finanzgericht habe auch nicht beachtet, daß die Ablösung von Unterhaltsleistungen in der Regel keine außergewöhnliche Belastung sei und daß außer dem Pauschbetrag für Unterhaltsleistungen nach § 33 a EStG 1955 dafür keine weiteren Aufwendungen berücksichtigt werden dürften.
Das Finanzgericht habe die Einkommensteuer des Steuerpflichtigen auch zu Unrecht nicht über den im Einkommensteuerbescheid für 1955 angeforderten Betrag erhöht. Wenn eine Verböserung auch dem pflichtgemäßen Ermessen der Rechtsmittelbehörden überlassen sei, so bestehe doch eine Pflicht zur Verböserung, wenn es um einen Steuerbetrag von einiger Bedeutung gehe. Diese Voraussetzung sei bei einer Erhöhung des Einkommens um 9.100 DM erfüllt. Die Begründung, eine Verböserung sei unbillig, weil der Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit gehabt habe, seine Berufung zurückzunehmen, überzeuge nicht. Ebenso sei es unbeachtlich, daß der Steuerpflichtige die Werterhöhung der Anteile nicht habe zu versteuern brauchen, wenn er sie früher erhalten hätte. Das Finanzamt sei verpflichtet gewesen, die während der Anhängigkeit der Berufung bekanntgewordene höhere Bewertung der GmbH-Anteile dem Finanzgericht mitzuteilen, da es andernfalls später die Veranlagung nach § 222 AO nicht mehr hätte berichtigen können. Bei der Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung habe das Finanzgericht schließlich das Einkommen zu Unrecht um den Freibetrag nach § 33 a EStG gekürzt.
Entscheidungsgründe
Rechtliche Würdigung
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Unterhaltszahlungen eines Steuerpflichtigen an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte geschiedene frühere Ehefrau werden seit 1955 nach § 33 a EStG 1955 bei der Einkommensteuer berücksichtigt (Urteile des Senats VI 168/59 U vom 29. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 103, Slg. Bd. 70 S. 277; VI 148/59 U vom 2. Dezember 1960, BStBl 1961 III S. 76, Slg. Bd. 72 S. 200; VI 203/60 vom 18. November 1960, "Der Betrieb" 1961 S. 154). Danach können die Zahlungen des Steuerpflichtigen für das Streitjahr 1955 höchstens mit 720 DM vom Einkommen abgezogen werden. Dieser Abzug wurde vom Finanzamt für die laufenden Unterhaltszahlungen bei der Veranlagung richtig vorgenommen. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß auf Grund des Verhaltens des Finanzamts bei der Besteuerung der früheren Jahre, insbesondere nach dem Ergebnis der Verhandlung des Steuerpflichtigen mit dem Finanzamt am 27. Mai 1955, trotz der ab 1955 geltenden Neuregelung ein höherer Betrag als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden müsse. Es hat dabei nicht verkannt, daß das deutsche Einkommensteuerrecht auf dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung aufgebaut ist und daß deshalb bei der Steuerfestsetzung für einen Veranlagungszeitraum grundsätzlich nur die Ausgaben berücksichtigt werden können, die in diesem Zeitraum geleistet wurden (ß 11 EStG). Ausnahmsweise ist jedoch nach Treu und Glauben eine Durchbrechung dieses Grundsatzes geboten, wenn es die Umstände des Einzelfalls erfordern (siehe Hartz, "Der Betrieb" 1962 S. 248 und die dort aufgeführte Rechtsprechung).
Eine solche Ausnahme ist im Streitfall anzunehmen. Als das Finanzamt den Bf. für 1952 und 1953 zur Einkommensteuer veranlagte, und seine Einsprüche gegen diese Veranlagungen bearbeitete, bestand über die Höhe der berücksichtigungsfähigen Unterhaltszahlungen an eine geschiedene Ehefrau und insbesondere über die Behandlung von Abfindungen und Vorauszahlungen im Rahmen des § 33 EStG keine Klarheit. Der Bundesfinanzhof sah die in den EStR und LStR zugelassenen Höchstbeträge nicht als verbindlich an und verlangte, daß den Verhältnissen des Einzelfalles Rechnung getragen werde; es sei daher in jedem Fall zu prüfen, ob und in welcher Höhe Aufwendungen eines unterhaltsverpflichteten geschiedenen Ehemannes notwendig und angemessen seien (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 444/51 U vom 29. Mai 1952, BStBl 1952 III S. 188, Slg. Bd. 56 S. 486; IV 42/51 U vom 10. Juni 1952, BStBl 1952 III S. 253, Slg. Bd. 56 S. 657; IV 9/54 U vom 30. September 1954, BStBl 1954 III S. 349, Slg. Bd. 59 S. 360). Ungeklärt war aber vor allem die Anwendbarkeit des § 33 EStG bei einmaligen, als Ablösung oder Abfindung geleisteten Zahlungen des unterhaltsverpflichteten Ehemannes. Zu diesen Fragen hat der Senat erstmals im Urteil VI 16/57 U vom 18. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 388, Slg. Bd. 67 S. 294) Stellung genommen. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung wäre zwar die Berücksichtigung der im Jahr 1952 vom Bf. an seine geschiedene Ehefrau geleisteten Zahlung von 26.000 DM nach § 33 EStG wahrscheinlich nicht zu billigen gewesen. Bei der damals jedoch zweifelhaften Rechtslage ist es verständlich, daß das Finanzamt und der Steuerpflichtige bestrebt waren, diese Frage für den ganzen Zeitraum zu regeln, für den sie Bedeutung hatte, ohne für jedes der in Betracht kommenden fünf Jahre ein Rechtsmittelverfahren durchführen zu müssen. Für einen fünfjährigen Zeitraum ist eine solche Gesamtregelung vertretbar, wenn es sich um eine klar übersehbare Rechtsfrage handelte. Für die rechtliche Wertung der nach offenbar langen Verhandlungen zustande gekommenen "Vereinbarung" über die Sachbehandlung, die bei der Besprechung vom 27. Mai 1955 festgelegt wurde und über deren Inhalt an sich kein Streit besteht, ist wesentlich, daß sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt Zugeständnisse gemacht haben und im Wege gegenseitigen Nachgebens die Besteuerung eines rechtlich zweifelhaften Sachverhaltes festgelegt wurde. Bei diesem übereinkommen verzichtete der Steuerpflichtige auf die steuerliche Berücksichtigung eines Teils der Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau für 1952 und die folgenden Jahre und außerdem auf die Weiterverfolgung seiner Rechtsmittel für 1952 und 1953. Das Finanzamt gestand seinerseits für einen größeren Teil der streitigen Aufwendungen eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG zu. Es braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden, wieweit Vereinbarungen über die dem öffentlichen Recht angehörenden Steueransprüche zulässig sind. Wenn jedoch der Staatsbürger und das den Fiskus vertretende Finanzamt sich bei einer rechtlich zweifelhaften Frage auf eine für beide Seiten zweckmäßige Sachbehandlung einigen und diese nicht eindeutig gegen das geltende Recht verstößt, ist eine Bindung der Behörde mindestens nach Treu und Glauben durch eine derartige "Vereinbarung" möglich (ß 1 Abs. 2 StAnpG). Sie ist vor allem dann zu bejahen, wenn die "Vereinbarung" von den Beteiligten ganz oder teilweise vollzogen wurde und sie sich darüber einig sind, daß die in der Vergangenheit bereits eingetretenen Auswirkungen bestehen bleiben sollen (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 671/55 U vom 11. Juli 1957, BStBl 1957 III S. 388, Slg. Bd. 65 S. 406). Im Streitfall hat das Finanzamt die für 1952 und 1953 schwebenden Einsprüche des Bf. als erledigt angesehen und die Veranlagung für 1954 so durchgeführt, wie es am 27. Mai 1955 festgelegt wurde. Es hat also seinerseits die "Vereinbarung" vollzogen und steht für die Vergangenheit insoweit auch jetzt noch dazu. Der Steuerpflichtige hält gleichfalls an ihr fest, und zwar nicht nur für die Jahre 1952 bis 1954, sondern auch für die beiden letzten darunter fallenden Veranlagungszeiträume 1955 und 1956. Unter diesen Umständen ist nach Treu und Glauben eine Bindung der Beteiligten an die "Vereinbarung" vom 27. Mai 1955 für den ganzen Zeitraum anzunehmen, für den sie getroffen wurde.
Bedenken gegen diese Bindung könnten sich allerdings aus der ab 1955 geltenden Neuregelung der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern (StNG) vom 16. Dezember 1954 (BGBl I S. 373) ergeben. Nach dem durch dieses Gesetz in das EStG eingefügten § 33 a, der bei der Verhandlung des Bf. mit dem Finanzamt am 27. Mai 1955 bereits bekannt war, sind Unterhaltszahlungen ab 1955 nach der in dieser Vorschrift getroffenen Regelung und nicht mehr nach § 33 EStG zu berücksichtigen. Es braucht hier nicht allgemein zu der Frage Stellung genommen zu werden, wie sich Gesetzesänderungen auf die Verbindlichkeit von Regelungen auswirken, bei denen an sich eine Bindung der Finanzverwaltung anzunehmen ist. Es mag Fälle geben, in denen diese Bindung entfällt, weil z. B. der Gesetzgeber eine grundlegende Umgestaltung des bis dahin geltenden Rechts vornimmt. Das ist bei der Einfügung des § 33 a EStG 1955 aber nicht der Fall gewesen; denn § 33 a EStG 1955 enthält lediglich gegenüber dem vorherigen Rechtszustand eine vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung für die steuerliche Behandlung besonders wichtiger und häufiger Fälle der außergewöhnlichen Belastungen (Urteile des Senats VI 144/55 U vom 9. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 407, Slg. Bd. 67 S. 346; VI 260/57 U vom 13. Februar 1959, BStBl 1959 III S. 170, Slg. Bd. 68 S. 443). Die neue Vorschrift hob daher die bisherige Regelung in § 33 EStG nicht auf, sondern schuf lediglich eine - wenn auch tiefgreifende - änderung bei der Durchführung der Steuerermäßigung. Daß an Stelle der bis dahin möglichen Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse durch eine im pflichtmäßigen Ermessen der Finanzbehörden liegende Anerkennung eines angemessenen außergewöhnlichen Aufwandes nunmehr ein fester Betrag für die steuerliche Berücksichtigung in Betracht kommt, betrifft die Höhe der Steuerermäßigung, nicht aber die steuerliche Berücksichtigung als solche. Diese Gesetzesänderung hat daher nicht die Wirkung, daß die vom Finanzamt mit dem Steuerpflichtigen getroffene Regelung für die Jahre 1953 bis einschließlich 1956 wegen Unvereinbarkeit mit dem ab 1955 geltenden Recht ab 1955 außer Kraft getreten ist. Das das Finanzgericht gleichfalls zu diesem Ergebnis gelangt ist, und auch gegen die zahlenmäßige Durchführung keine Bedenken bestehen, tritt der Senat insoweit der Vorentscheidung bei.
Hinsichtlich der Behandlung der Einkünfte des Bf. aus nichtselbständiger Arbeit ist dagegen dem Finanzgericht nicht zu folgen. Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Steuerpflichtige im Jahr 1955 GmbH-Anteile im Nennwert von 10.000 DM von seinem Arbeitgeber im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses erhalten hat. Bei derartigen Zuwendungen liegt eine Sachentlohnung vor, deren Wert für die Besteuerung nach § 8 Abs. 2 EStG zu ermitteln ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 255/60 U vom 2. März 1962, BStBl 1962 III S. 214, Slg. Bd. 74 S. 577). Maßgebend ist nach § 11 Abs. 1 EStG der Wert im Zeitpunkt des Zuflusses. Das Finanzgericht hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß dem Bf. die GmbH-Anteile im Jahre 1955 zugeflossen sind, da er erst dann in der Lage war, über sie zu verfügen. Daß die Anteile ihm bereits im Jahre 1948 zugesagt wurden, ist ohne Bedeutung; denn damals erlangte der Steuerpflichtige noch keine Verfügungsgewalt über die Anteile. Daß dies ohne sein Zutun erst 1955 geschah, hat keinen Einfluß auf die rechtliche Beurteilung. Gegen die Bewertung der Anteile mit 191 v. H. ihres Nennwertes, die nach der Feststellung des Finanzgerichts an Hand der Vermögensteuerakten erfolgt ist, und gegen die der Steuerpflichtige keine Einwendungen erhebt, bestehen keine Bedenken.
Das Finanzgericht hat aus der höheren Bewertung der GmbH-Anteile in der Vorentscheidung nur teilweise Folgerungen gezogen, nämlich nur soweit sich der Steuerbetrag durch die Zubilligung einer größeren Steuerermäßigung nach § 33 EStG nach seiner Entscheidung an sich geändert hätte. Von einer Erhöhung der vom Finanzamt festgesetzten Steuer hat es dagegen abgesehen. Nach § 243 Abs. 3 AO liegt es zwar im pflichtgemäßen Ermessen der Rechtsmittelbehörden, ob sie eine nach ihrer rechtlichen Beurteilung mögliche Erhöhung der streitigen Steuer vornehmen wollen oder nicht. Dieses Ermessen ist jedoch nicht frei von Bindungen. Für das Ermessen des Finanzgerichts nach § 243 Abs. 3 AO ist nämlich nur Raum, soweit die Prozeßbeteiligten keine Anträge gestellt haben, und das Finanzgericht einen außerhalb des eigentlichen Streitstoffes liegenden Fehler der Besteuerung aufdeckt. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 235/59 U vom 11. Januar 1962 (BStBl 1962 III S. 223, Slg. Bd. 74 S. 603) liegt es nicht im Ermessen der Rechtsmittelbehörden, ob sie eine dem Steuerpflichtigen günstige Entscheidung treffen wollen, sondern sie sind verpflichtet, ihr Urteil nach dem geltenden Recht zu fällen. Zu der Frage, ob die in diesem Urteil daran geknüpfte Folgerung, es stehe auch nicht im beliebigen Ermessen der Rechtsmittelbehörden, die Besteuerung nach § 243 Abs. 3 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu ändern, immer und besonders auch für den Bundesfinanzhof als Rechtsbeschwerdeinstanz gilt, braucht im Streitfall nicht abschließend Stellung genommen zu werden. Die Finanzgerichte sind jedenfalls verpflichtet, begründeten Anträgen der Prozeßbeteiligten zu entsprechen. Für eine Ermessensentscheidung nach § 243 Abs. 3 AO ist daher kein Raum, wenn das Finanzamt während des Rechtsstreits bei dem Finanzgericht eine Erhöhung der veranlagten Steuer begehrt, die gesetzlich begründet und unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auch geboten ist. Im Streitfall war der vom Finanzamt im Berufungsverfahren gestellte Antrag insbesondere deshalb begründet, weil das Finanzamt erst nach der Einspruchsentscheidung von dem wahren Wert der GmbH-Anteile Kenntnis erhalten hatte. Es mußte im Verfahren dem Finanzgericht von der bisher unrichtigen Bewertung der Anteile Kenntnis geben, wenn es eine richtige Besteuerung des Steuerpflichtigen herbeiführen wollte. Hätte es dies unterlassen, so wäre wahrscheinlich keine Möglichkeit mehr gewesen, den Fehler später zu berichtigen. Da der Wert der Anteile ein Streitpunkt war und das Finanzamt als Prozeßbeteiligter eine änderung der Besteuerung zum Nachteil des Steuerpflichtigen beantragte, mußte das Finanzgericht diesem Antrag entsprechen. Für die Anwendung des § 243 Abs. 3 AO war unter diesen Umständen kein Raum.
Es erscheint zweckmäßig, die Sache nach Aufhebung der Vorentscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen, damit es die Einkommensteuer des Bf. für das Streitjahr unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen neu festsetzt und dabei auch noch prüft, ob mit Rücksicht auf die Neuregelung der Ehegattenbesteuerung durch das EStG 1957 eine änderung der Besteuerung veranlaßt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 410723 |
BStBl III 1963, 180 |
BFHE 1963, 489 |
BFHE 76, 489 |