Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslohn bei der Teilnahme von Betreuungspersonal an Händler-Incentive-Reisen
Leitsatz (NV)
1. Nehmen an vom Arbeitgeber veranstalteten Incentive-Reisen Arbeitnehmer teil, denen die Aufgabe zugewiesen ist, die zur eigentlichen Zielgruppe der Reise gehörenden Personen zu betreuen, kann die Reise auch für diese Arbeitnehmer belohnenden Charakter haben und damit zu Arbeitslohn führen. Für den Vorteilscharakter spricht unter anderem, wenn die Arbeitnehmer an den touristischen Elementen der Reise wie die eigentliche Zielgruppe teilnehmen können.
2. Soll der Zufluss von Arbeitslohn bei den Arbeitnehmern, denen Betreuungsaufgaben zugewiesen sind, verneint werden, setzt die Annahme eines das Vorliegen von Arbeitslohn insgesamt ausschließenden, ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesses substantiierte Feststellungen zu den dienstlichen Tätigkeiten der mitreisenden Arbeitnehmer und dem zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten voraus.
3. Sofern ein ganz überwiegendes, eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers nicht feststellbar ist, ist zu untersuchen, ob bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zumindest von einer gemischten Veranlassung der Reisen bei den Arbeitnehmern auszugehen ist, denen Betreuungsaufgaben zugewiesen sind.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) vertreibt elektronische Geräte. Sie veranstaltete in den Jahren 1991 bis 1993 im Zusammenwirken mit Reiseveranstaltern sogenannte Händler-Incentive-Reisen. Die Reisen führten nach Venezuela (21. September 1991 bis 29. September 1991), Japan (24. April 1992 bis 4. Mai 1992), Arizona (25. September 1992 bis 4. Oktober 1992) und nach Dubai (26. September 1993 bis 2. Oktober 1993). Neben diesen Reisen führte die Klägerin für besonders verdiente eigene Mitarbeiter auch Mitarbeiter-Incentive-Reisen durch.
Teilnehmer der hier im Streit stehenden Händler-Incentive-Reisen waren neben den jeweils erfolgreichsten Vertragshändlern, ca. 60 bis 70 Händler je Reise, das gesamte, bei der Klägerin angestellte Außendienst-Verkaufspersonal. Die Klägerin hatte festgelegt, dass die Außendienst-Mitarbeiter an den Händler-Incentive-Reisen teilzunehmen hatten, um den Umsatz zu fördern und die Vertragshändler an die Klägerin zu binden. Das Gehalt der Außendienst-Mitarbeiter war zu zwei Dritteln erfolgsabhängig.
Jeder Außendienst-Mitarbeiter war für ein bestimmtes Außendienstgebiet zuständig. Für jedes Außendienstgebiet wurden die jeweils drei bis vier erfolgreichsten Händler ermittelt und mit der Teilnahme an den Händler-Incentive-Reisen belohnt. Jeder Außendienst-Mitarbeiter hatte die an der Reise teilnehmenden Händler seines Vertriebsgebiets zu betreuen. Die Außendienst-Mitarbeiter wurden dabei von Vertriebs-Assistentinnen unterstützt. Die Betreuung bestand darin, den Händlern während des ganzen Tages Gesellschaft zu leisten, und auch in kleinen Handreichungen, etwa darin, ihnen ein Getränk zu bringen.
Die Außendienst-Mitarbeiter waren nach dem Vortrag der Klägerin verpflichtet, an den Händler-Incentive-Reisen teilzunehmen. Es wurde seitens der Klägerin keine Auswahl unter den Außendienst-Mitarbeitern getroffen. Die Außendienst-Mitarbeiter reisten in der Regel ohne ihre Ehepartner. Nur an der Japan-Reise nahmen die Ehefrauen zweier Mitarbeiter teil. Diesen Mitarbeitern war die Reise als Entlohnung zugedacht worden, weil sie an der Mitarbeiter-Incentive-Reise nicht teilnehmen konnten.
Bei allen Händler-Incentive-Reisen besuchten die Teilnehmer touristisch interessante Stätten der jeweiligen Länder und nahmen an landestypischen touristischen Veranstaltungen sowie an sportlichen Aktivitäten teil. Darüber hinaus hielten verschiedene Arbeitnehmer der Klägerin an etwa zwei Stunden pro Tag Fachvorträge zu Produkten der Klägerin und zu Marketing-Fragen.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, die Teilnahme an den Händler-Incentive-Reisen habe bei den mitreisenden Arbeitnehmern der Klägerin zu einem lohnsteuerpflichtigen geldwerten Vorteil geführt. Die Klägerin sagte zu, im Falle einer Nachversteuerung die anfallenden Steuern, über deren Höhe zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, zu übernehmen. Das FA forderte daraufhin von der Klägerin Lohnsteuer und Nebenabgaben wegen der Teilnahme ihrer Arbeitnehmer an den Händler-Incentive-Reisen nach.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 312 veröffentlichten Gründen überwiegend statt. Arbeitslohn sei nur den beiden Mitarbeitern der Klägerin zugewendet worden, denen die Japan-Reise als Entlohnung gewährt worden sei. Im Übrigen sei die Klage begründet. Aus den Begleitumständen der Reisen ergebe sich, dass die betriebliche Zielsetzung der Klägerin, die in der Vertiefung der Geschäftsbeziehungen und in der Steigerung des Absatzes zu sehen sei, ganz im Vordergrund gestanden habe. Wegen der Betreuung der Händler sei der Erlebniswert der Reisen für die Mitarbeiter derart gemindert, dass ihr Interesse an der Erlangung der mit den Reisen zugewandten geldwerten Vorteile gegenüber der betrieblichen Zielsetzung der Klägerin zu vernachlässigen sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Die Reisen hätten vergleichbaren Urlaubsreisen entsprochen. Die Außendienst-Mitarbeiter seien bei den Reisen trotz ihrer Betreuungsfunktion nur unwesentlich daran gehindert gewesen, an den Reisen wie jeder andere teilzunehmen. Unterkunft, Verpflegung sowie Teilnahme am Freizeitprogramm habe sich kaum von derjenigen der Händler unterschieden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit der Klage stattgegeben wurde, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das Urteil hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das FG das Vorliegen von Arbeitslohn verneint hat. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Entscheidung, die Aufwendungen der Klägerin für die Teilnahme ihrer mit der Betreuung der Vertragshändler beauftragten Arbeitnehmer an den Händler-Incentive-Reisen seien nicht als Arbeitslohn zu beurteilen.
Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit mehr darüber, dass die Teilnahme an der Japan-Reise bei den beiden Arbeitnehmern zu Arbeitslohn geführt hat, die dadurch für ihre besonderen Leistungen belohnt werden sollten. Streitig ist allein, ob auch denjenigen Arbeitnehmern Arbeitslohn zugeflossen ist, denen die Betreuung der Vertragshändler auf den Händler-Incentive-Reisen oblag.
1. Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder geldwerte Vorteile) zufließen, die "für" seine Arbeitsleistung gewährt werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Diesem Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn beurteilt zu werden. Demgegenüber sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Ein Vorteil wird dann im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse gewährt, wenn auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls darauf zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund steht. In diesem Fall kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden (ständige Rechtsprechung: z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30; vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367; vom 30. Mai 2001 VI R 177/99, BFHE 195, 373, 375, BStBl II 2001, 671; vom 5. Mai 1994 VI R 55-56/92, BFHE 174, 425, BStBl II 1994, 771, und vom 4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, 79, BStBl II 1993, 687, 689; zu den im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Kriterien vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30, m.w.N.).
2. Für diese Beurteilung reichen die tatsächlichen Feststellungen des FG jedoch nicht aus.
a) Das FG hat zwar ausgeführt, dass die Klägerin an der Teilnahme ihrer Arbeitnehmer an den Händler-Incentive-Reisen ein erhebliches eigenbetriebliches Interesse hatte. Ein solches Interesse hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise in der Vertiefung der Geschäftsbeziehungen zu den Vertragshändlern und in der Steigerung des Absatzes gesehen, die die Klägerin durch die Betreuung der Händler während der Reisen angestrebt hatte. Ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Teilnahme seiner Arbeitnehmer an einer Reise kann sich auch daraus ergeben, dass diesen die Aufgabe zugewiesen ist, die zur eigentlichen Zielgruppe der Reise gehörenden Personen zu betreuen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 2004 X R 36/03, BFH/NV 2005, 682).
b) Die Feststellungen des FG tragen indessen nicht seine Annahme, dass die vorgenannten betrieblichen Zwecke der Klägerin ganz im Vordergrund standen und ein damit einhergehendes Interesse der Arbeitnehmer, die in der kostenlosen Teilnahme an den Reisen liegenden geldwerten Vorteile zu erlangen, vernachlässigt werden kann.
aa) Die Reisen beinhalteten entsprechend ihrem Charakter als für die Vertragshändler organisierte Incentive-Reisen ganz überwiegend Programmpunkte, die verschiedene sportliche, kulturelle oder allgemein touristische Aktivitäten zum Gegenstand hatten. Die Arbeitnehmer der Klägerin nahmen nach den Feststellungen der Vorinstanz an diesen Programmpunkten gemeinsam mit den Vertragshändlern teil. Dies deutet darauf hin, dass die Reisen auch für die Arbeitnehmer der Klägerin in einem nicht unerheblichen Umfang Vorteilscharakter hatten. Denn nach der Rechtsprechung des BFH kann ein erhebliches Eigeninteresse der Arbeitnehmer an einer vom Arbeitgeber angeordneten Reise insbesondere dann vorliegen, wenn die Reise in nicht unerheblichem Umfang auch touristische Elemente enthält (BFH-Urteile vom 16. April 1993 VI R 6/89, BFHE 171, 231, BStBl II 1993, 640, und in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30).
bb) Das FG hätte ein ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse der Klägerin folglich nicht schon im Hinblick auf die Betreuungsfunktion der Arbeitnehmer bejahen dürfen. Denn insoweit hat das FG nicht festgestellt, worin diese Betreuung im Einzelnen tatsächlich bestand. Das FG hat hierzu lediglich darauf hingewiesen, die Außendienst-Mitarbeiter hätten den Händlern Gesellschaft geleistet, ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung gestanden und gelegentlich ein Getränk gereicht. Diese Feststellungen zu Art und Umfang der Betreuung der Vertragshändler reichen indessen nicht aus, das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse der Klägerin zu begründen. Mangels näherer Feststellungen zum Inhalt der Betreuung hält auch die Annahme der Vorinstanz, die Betreuung sei ganztägig erfolgt, revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Zudem könnte das bloße Zurverfügungstehen als Ansprechpartner für sich genommen den Vorteilscharakter der Reisen für die Arbeitnehmer gegenüber den von der Klägerin verfolgten betrieblichen Zwecken nicht ganz zurücktreten lassen.
cc) Soweit das FG als weiteres Indiz für ein ganz überwiegendes betriebliches Interesse den Zwang zur Teilnahme an den Reisen für die Außendienst-Mitarbeiter herausgestellt hat, fehlen ebenfalls ausreichende tatsächliche Feststellungen. Die Annahme des FG, die Teilnahme an den Reisen sei für die Arbeitnehmer zwingend gewesen, beruhte ausschließlich auf der entsprechenden, nicht näher erläuterten Behauptung der Klägerin. Dies reicht jedoch nicht aus (s. unter II. 3.).
dd) Die von verschiedenen Arbeitnehmern an etwa zwei Stunden pro Tag durchgeführten Fachvorträge und Produktvorstellungen rechtfertigen nach den bisherigen Feststellungen des FG ein ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an den Reisen der betreffenden Arbeitnehmer ebenfalls nicht. Zwar kann sich eine Reise nahezu ausschließlich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung des Arbeitgebers erweisen, wenn sie z.B. der Vornahme von Geschäftsabschlüssen, Verhandlungen mit Geschäftspartnern, Beratungsleistungen, Lieferungsbetreuung usw. dient (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30). Eine Produktpräsentation oder das Halten eines Vortrags kann eine damit vergleichbare betriebsfunktionale Zielsetzung sein.
Indessen erlauben weder eine zweistündige Produktpräsentation noch ein entsprechender Vortrag während der im Streitfall zu beurteilenden Reisen die Annahme, die vortragenden Arbeitnehmer hätten die Reisen nahezu ausschließlich im betrieblichen Interesse der Klägerin unternommen. Denn angesichts der Dauer der jeweiligen Reisen und des Reiseprogramms würde --ohne das Hinzutreten weiterer dienstlicher Tätigkeiten-- auch für die vortragenden Arbeitnehmer der Vorteilscharakter der Reisen die betriebsfunktionale Zielsetzung der Klägerin überwiegen.
3. Enthält eine Reise --wie im Streitfall-- in nicht unerheblichem Umfang auch touristische Aspekte, muss der Arbeitgeber ein eigenbetriebliches Interesse substantiiert darlegen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 171, 231, BStBl II 1993, 640, und vom 18. Februar 1994 VI R 53/93, BFH/NV 1994, 708). Der bisherige Vortrag der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin wird im zweiten Rechtsgang näher darzulegen haben, worin die Betreuung der Händler im Einzelnen bestand bzw. welche sonstigen, dienstlichen Tätigkeiten ihre Mitarbeiter während der Reisen ausübten und in welchem zeitlichen Umfang sie hierdurch tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Gegebenenfalls wird das FG Beweis durch die Vernehmung der Arbeitnehmer als Zeugen zu erheben haben.
4. Sollte sich im zweiten Rechtsgang ein --das Vorliegen von Arbeitslohn insgesamt ausschließendes-- ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse der Klägerin nicht feststellen lassen, wird das FG ferner zu untersuchen haben, ob bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zumindest von einer gemischten Veranlassung der Reisen auszugehen ist. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich schon aus dem bisherigen Vortrag der Beteiligten. Sofern das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Reisen nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 gemischt veranlasst waren, wird es auch die hiernach erforderliche Aufteilung der Sachzuwendungen in Arbeitslohn und Zuwendungen im betrieblichen Eigeninteresse vorzunehmen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1693406 |
BFH/NV 2007, 708 |
EStB 2007, 135 |