Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung aufgrund nachträglichen Ereignisses (Gerichtsurteil)
Leitsatz (NV)
Entscheidet das FG, daß ein Aufwand (hier: Teilwertabschreibung) in einem früheren Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, so kann das Urteil nicht rückwirkendes Ereignis i.S. des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 für spätere Veranlagungszeiträume sein.
Normenkette
AO 1977 § 175
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Hintergrund des Rechtsstreits ist die Verrechenbarkeit von Verlusten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus den Jahren 1972 bis 1974 und 1976 mit Gewinnen der jeweiligen fünf Folgejahre.
Die Klägerin ist eine inländische GmbH, die in den Jahren 1976 bis 1983 sowohl an der K-GmbH als auch an der F-GmbH beteiligt war. Da die K-GmbH und die F-GmbH Verluste erzielt hatten, hatte die Klägerin ihnen zum Ausgleich der Verluste Darlehen gewährt und gegenüber der K-GmbH zum 31. Dezember 1981 auf einen Darlehensforderungsteilbetrag in Höhe von 8 363 150 DM verzichtet. Die Klägerin nahm Teilwertabschreibungen auf ihre Darlehensforderungen, und zwar für das Wirtschaftsjahr 1977 eine solche in Höhe von insgesamt 18 711 000 DM (K-GmbH: 16 900 000 DM; F-GmbH: 1 811 000 DM), die in der Bilanz zum 31. Dezember 1978 mit dem gleichen Betrag und in der Bilanz zum 31. Dezember 1979 mit einem Betrag von insgesamt 17 534 000 DM (K-GmbH: 15 780 000 DM; F-GmbH: 1 754 000 DM) fortgeführt wurden. Da die K-GmbH und die F-GmbH ab 1979 wieder Gewinne erzielten, löste die Klägerin die Teilwertabschreibungen in den Jahren 1979 bis 1983 in Teilbeträgen wieder auf.
Auf der Grundlage der von der Klägerin erstellten Bilanzen ergaben sich folgende Entwicklungen der beiden Darlehenskonten:
Darlehen K-GmbH Darlehen F-GmbH
DM DM
Stand zum 31. Dezember 1979
vor Teilwertabschreibung 24 407 136 1 829 163
Teilwertabschreibung 31. Dezember 1979 16 900 000 1 811 000
Auflösung Teilwertabschreibung + 1 120 000 + 57 000
Stand 31. Dezember 1979 8 627 136 75 163
Tilgung 1980 334 688
Auflösung Teilwertabschreibung + 4 232 000 + 24 000
Stand 31. Dezember 1980 2 524 448 99 163
Tilgung 1981 1 371 748
Forderungserlaß 8 363 150
Auflösung Teilwertabschreibung + 3 184 850
Stand 31. Dezember 1981 5 974 400 99 163
Tilgung 1982 337 550 99 163
Gestundete Ausschüttung + 1 090 396
Auflösung Teilwertabschreibung + 1 090 396
Stand 31. Dezember 1982 7 817 642 0
Tilgung 1983 1 090 396
Auflösung Teilwertabschreibung + 2 519 587
Stand 31. Dezember 1983 9 246 833 0
Daraus ergaben sich für die Jahre 1979 bis 1983 folgende Gewinnauswirkungen:
K-GmbH F-GmbH Gesamt
1979 + 1 120 000 + 57 000 + 1 177 000
1980 + 4 232 000 + 24 000 + 4 256 000
1981 + 3 184 850 + 3 184 850
1982 + 1 090 396 + 1 090 396
1983 + 2 519 587 + 2 519 587
Bei der Klägerin wurden Betriebsprüfungen für die Wirtschaftsjahre 1971 bis 1976, 1977 bis 1979 und 1980 bis 1983 (kurz: erste, zweite und dritte Betriebsprüfung) durchgeführt. Bei der ersten Betriebsprüfung wurden die von der Klägerin wegen der Verlustsituation der beiden Tochtergesellschaften gebildeten Rückstellungen -- die für das Wirtschaftsjahr 1978 auf das Konto "Wertberichtigungen Darlehen" erfolgswirksam umgebucht worden waren -- als Teilwertabschreibungen anerkannt, jedoch für 1976 betreffend die K-GmbH der Höhe nach gemindert. In der zweiten Betriebsprüfung wurden die Darlehen als verdeckte Einlagen (= Anschaffungskosten auf die Beteiligungen an der K-GmbH bzw. der F-GmbH) beurteilt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) stornierte insoweit sowohl die Teilwertabschreibungen (1977 und 1978) als auch ihre Auflösungen (1979). In der dritten Betriebsprüfung wurden die Auflösungen (1980 bis 1983) ebenfalls storniert und der Darlehensverzicht als ein erfolgsneutraler Vorgang behandelt. Für die Streitjahre 1980 und 1981 ergingen auf der Grundlage der dritten Betriebsprüfung geänderte, endgültige Körperschaftsteuerbescheide, gegen die die Klägerin zwar Einsprüche einlegte, die sie jedoch später wieder zurücknahm. Die Klägerin hatte auch gegen die auf der Grundlage der zweiten Betriebsprüfung ergangenen Körperschaftsteuerbescheide 1978 und 1979 zunächst Einspruch eingelegt und später vor dem Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag erhoben, das zu versteuernde Einkommen unter Berücksichtigung der Teilwertabschreibungen und ihren Auflösungen zu ermitteln und festzustellen. Die Klage hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Das FG ermittelte in seinem Urteil vom 15. Dezember 1988 das zu versteuernde Einkommen und die Tarifbelastung jeweils mit 0 DM. Es folgte zwar der Klägerin in deren Rechtsauffassung, daß die Darlehen keine verdeckten Einlagen seien. Auch anerkannte es Teilwertabschreibungen in Höhe von 14 126 405 DM; das ist der Überschuldungsbetrag der Darlehensnehmer per 31. Dezember 1977 (K-GmbH: 12 537 937 DM; F-GmbH: 1 588 468 DM). Die Teilwertabschreibungen auf die Darlehensforderungen seien jedoch schon für 1977 durchzuführen und könnten sich deshalb auf das Ergebnis der Wirtschaftsjahre 1978 und 1979 nicht mehr auswirken. Für das Wirtschaftsjahr 1977 hatte die Klägerin wegen Verlustvorträgen ohnehin ein Einkommen von 0 DM. Rückführungen der für 1977 vorzunehmenden Teilwertabschreibungen schieden zum 31. Dezember 1978 und zum 31. Dezember 1979 aus. Die Klägerin habe ihr Wahlrecht, einen höheren Teilwert anzusetzen (§6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --), nicht entsprechend ausgeübt. Aus dem Klageantrag für 1979 folge schon deshalb nichts anderes, weil der angesetzte Abschlag noch unter dem für 1979 beantragten (17 534 000 DM) liege. Der Abschlag führe zu keiner Änderung des Einkommens lt. zweiter Betriebsprüfung, weil sowohl die Schluß- als auch die Anfangsbilanzen 1978/79 richtigzustellen seien (§4 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Auf der Grundlage des FG-Urteils vom 15. Dezember 1988 ergibt sich folgende Entwicklung der Darlehenskonten:
Darlehen K-GmbH Darlehen F-GmbH
DM DM
Stand zum 31. Dezember 1979
vor Teilwertabschreibung 24 407 136 1 829 163
Teilwertabschreibung 31. Dezember 1979 12 537 937 1 588 468
Stand 31. Dezember 1979 11 869 199 240 695
Tilgung 1980 334 688
Auflösung Teilwertabschreibung + 4 232 000 + 24 000
Stand 31. Dezember 1980 15 766 511 264 695
Tilgung 1981 1 371 748
Forderungserlaß 8 363 150
Auflösung Teilwertabschreibung + 3 184 850
Stand 31. Dezember 1981 9 216 463 264 695
Tilgung 1982 337 550 99 163
Gestundete Ausschüttung + 1 090 396
Auflösung Teilwertabschreibung + 1 090 396
Stand 31. Dezember 1982 11 059 705 165 532
Tilgung 1983 1 090 396
Auflösung Teilwertabschreibung + 2 519 587
Stand 31. Dezember 1983 12 488 896 165 532
Auf Grund dieses (im Jahre 1989 zugestellten und rechtskräftigen) Urteils erließ das FA am 18. Mai 1990 geänderte und auf §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Körperschaftsteuerbescheide 1980 und 1981. Es erhöhte die zu versteuernden Einkommen für 1980 um 4 256 000 DM und für 1981 um 8 305 937 DM. Der Erhöhungsbetrag für 1981 entspricht dem Stand der Wertberichtigungen auf die Darlehensforderung gegenüber der K-GmbH per 31. Dezember 1980, wie er sich auf der Grundlage des FG-Urteils vom 15. Dezember 1988 ergibt.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer vom Bundesfinanzhof auf eine entsprechende Beschwerde hin zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des FG vom 13. September 1994 und die geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1980 und 1981 vom 18. Mai 1990 ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1980 und 1981 vom 18. Mai 1990.
1. Der Senat muß nicht entscheiden, ob §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 eine geeignete Rechtsgrundlage enthält, um nach einer Bilanzberichtigung für ein Vorjahr auch die Körperschaftsteuerbescheide der Folgejahre zu ändern. Selbst wenn man eine entsprechende Änderungsmöglichkeit zugunsten des FA als gegeben unterstellt, beruhen sowohl die Vorentscheidung als auch die erlassenen Änderungsbescheide auf Denkfehlern. Die Tatbestandsvoraussetzungen des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sind aus anderen Gründen nicht erfüllt. Die angefochtenen Bescheide hätten nicht ergehen dürfen.
2. a) Nach §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Aus dem Wort "soweit" folgt, daß eine Änderung nach §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nur möglich ist, soweit die steuerliche Rückwirkung des Ereignisses reicht.
b) Das FG hat mit seinem Urteil vom 15. Dezember 1988 ein rückwirkendes Ereignis allenfalls insoweit geschaffen, als es eine Teilwertminderung der Darlehensforderungen der Klägerin um 14 126 405 DM annahm, was zu einer entsprechenden Berichtigung der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1977 hätte führen müssen. Eine entsprechende Bilanzberichtigung hätte zwangsläufig eine gleichhohe Minderung des Wertes der Darlehensforderungen zum 1. Januar 1978 (Eröffnungsbilanz) zur Folge gehabt. Das FG (a.a.O.) hat ausdrücklich entschieden, daß die Wertberichtigung aus dem Wirtschaftsjahr 1977 in den Bilanzen zum 31. Dezember 1978 und zum 31. Dezember 1979 fortzuführen sei. Damit erschöpfte sich die Wirkung der (hier unterstellten) Bilanzberichtigung in einer Aufwandsverlagerung von dem Wirtschaftsjahr 1978 in das Wirtschaftsjahr 1977. Weitergehende Folgewirkungen für die Jahre 1979, 1980 und 1981 ergeben sich daraus nicht. Insbesondere ist kein Grund dafür zu erkennen, weshalb die vorgenommenen und vom FG anerkannten Teilwertberichtigungen in 1980 und/oder 1981 von Amts wegen aufzulösen sein sollten. Für den Hinweis in der Vorentscheidung, das gesamte Wertberichtigungskonto sei bis 1981 erfolgswirksam aufzulösen, fehlt jede Rechtsgrundlage (vgl. §6 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 21. Juni 1979, BGBl I 1979, 721, BStBl I 1979, 379).
c) Zwar hätte das FA bei richtiger steuerlicher Behandlung die von der Klägerin für 1980 und 1981 vorgenommenen Zuschreibungen auf die Wertberichtigung in Höhe von 4 232 000 DM (K-GmbH) und 24 000 DM (F-GmbH) für 1980 und in Höhe von 3 184 850 DM (K-GmbH) für 1981, insgesamt also nur in Höhe von 7 440 850 DM, statt wie tatsächlich angesetzt in Höhe von 12 561 937 DM, erfolgswirksam erfassen müssen. Diese Erfassung ist auf Grund der in der zweiten und dritten Betriebsprüfung vom FA vertretenen Rechtsauffassung unterblieben. Die insoweit an sich gebotene steuerliche Behandlung hat jedoch nichts mit der Forderungsbewertung durch das FG in der Bilanz der Klägerin zum 31. Dezember 1977 bzw. zum 31. Dezember 1978 zu tun. Sie kann deshalb nicht als Folgewirkung der "Bilanzberichtigung" durch das FG erklärt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz des Bilanzzusammenhanges. Entsprechend rechtfertigt die vom FG (angeblich) vorgenommene Bilanzberichtigung nicht die vom FA vorgenommene Änderung der bestandskräftigen Bescheide gemäß §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
d) Im Streitfall findet auch §174 Abs. 2 AO 1977 keine Anwendung. Es fehlt bereits an der Voraussetzung, daß ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten der Klägerin berücksichtigt worden wäre. Das FG konnte am 15. Dezember 1988 schon aus prozessualen Gründen den Körperschaftsteuerbescheid 1977 nicht ändern. Es blieb insoweit bei dem ursprünglich vom FA erlassenen Bescheid. Die Klage der Klägerin wegen Körperschaftsteuer 1978 und 1979 wurde dagegen, soweit sie die Höhe des Einkommens vor Verlustabzug betraf, abgewiesen. Auch insoweit wurden die Bescheide des FA nicht geändert.
3. Die Vorentscheidung ist deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, daß das FA die Körperschaftsteuerbescheide 1980 und 1981 gemäß §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ändern und das Einkommen der Klägerin um insgesamt 12 561 937 DM erhöhen durfte. Sie kann deshalb keinen Bestand haben und war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide sind ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 67414 |
BFH/NV 1998, 1315 |