Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang der Sachaufklärungspflicht des FG
Leitsatz (NV)
1. Die Aufklärungspflicht des FG ist nicht unbegrenzt. Zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen hängen insbesondere auch vom Vorbringen der Beteiligten ab. Ein Verfahrensverstoß liegt deshalb nur vor, wenn das Gericht die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen nicht vollständig ermittelt, obwohl sich ihm die Notwendigkeit weiterer Aufklärung hätte aufdrängen müssen.
2. Eine unterbliebene Zeugenvernehmung begründet zusätzlich keine Verletzung der Aufklärungspflicht, wenn der anwaltlich vertretene Kläger keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur in Betracht, wenn sich dem Gericht eine derartige Beweiserhebung nach den Umständen des Falles aufdrängen mußte.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 118 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren mehrere Sanatorien und Kurheime. Das betriebliche Grundvermögen und die Betriebseinrichtungen pachtete er zum Teil von Kapitalgesellschaften, deren Allein- oder Hauptgesellschafter er war. Zu diesen Gesellschaften gehörte auch die O-GmbH in N (OSG); zwischen der OSG und dem klägerischen Einzelunternehmen bestand seit 1966 ein körperschaftsteuerrechtliches Organschaftsverhältnis.
Im Jahre 1974 führte die Steuerfahndung beim Kläger eine Betriebsprüfung für die Streitjahre durch. Die Prüfer verwarfen die Buchführung des Klägers wegen verschiedener Mängel als nicht ordnungsgemäß und versagten die davon abhängigen Steuervergünstigungen. Sie erkannten ferner für das Streitjahr 1968 das Organschaftsverhältnis zwischen der OSG und dem Kläger nicht mehr an und ließen die Übernahme des Verlustes der OSG durch den Kläger nicht zu. Schließlich nahmen die Prüfer wegen verschiedener Vorgänge zwischen dem Kläger und der von ihm beherrschten Kapitalgesellschaften verdeckte Gewinnausschüttungen an, die sie dem Kläger als Einkünfte aus Kapitalvermögen zurechneten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre mit Bescheiden vom 1. Oktober 1975 endgültig fest.
Die Einsprüche blieben in den wesentlichen Punkten ohne Erfolg.
Mit seinen am 5. Juni 1976 erhobenen Klagen begehrte der Kläger die Anerkennung des Ergebnisabführungsvertrages mit der OSG und der Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung sowie die Verminderung seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen um die vom FA angenommenen verdeckten Gewinnausschüttungen.
Nach einem Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 19. März 1981 nahm der Kläger seine Klagen zurück, soweit sie sich gegen die Verwerfung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung richteten, während das FA seine Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Ergebnisabführungsvertrages nicht mehr aufrechterhielt. Wegen der noch streitigen Frage der verdeckten Gewinnausschüttungen regten die Verfahrensbeteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluß des von der OSG wegen der Körperschaftsteuerveranlagungen 1968 bis 1970 betriebenen Klageverfahrens an.
In diesem Rechtsstreit hatte der Kläger mit Schreiben vom 13. Oktober 1980 als Geschäftsführer der OSG u. a. ausgeführt, daß,
,,1. für die Jahre 1967 bis 1971 keine Gewinne erzielt wurden und somit auch keine Körperschaftsteuer zu zahlen ist. Dies ergibt sich daraus, daß für die genannten Jahre die Umsätze um mehr als 4 Millionen überhöht angegeben wurden. Außerdem sind die in den Bilanzen ausgewiesenen Debitorenforderungen z. B. für
1967 von 765 718,32 DM 1968 von 821 746,83 DM 1969 von 883 406,95 DM
völlig falsch, da in dieser Höhe keine Forderungen bestanden haben können.
2. Zu diesen Feststellungen sind wir gekommen, nachdem wir die Bilanzen für die Jahre 1972 bis 1976 durch den ehemaligen Leiter der Betriebsprüfungsstelle des FA Z, Herrn Y, haben überprüfen lassen und sich herausgestellt hat, daß weder die Umsätze noch die Debitorenforderungen richtig sind und wesentlich zu hohe Zahlen angegeben wurden. Allein die Debitorenforderung am 31. Dezember 1976 differierte um 2 317 010 DM. Daraufhin sind die vorangegangenen Jahre überprüft worden, und auch hier hat Herr Y die gleichen Differenzen festgestellt. Den Nachweis für unsere Feststellungen können wir erbringen, da sich sämtliche Unterlagen in unseren Händen befinden und die Erträge namentlich festgehalten sind."
Das Finanzgericht (FG) zog die Akten dieser Streitsache zu den vorliegenden Verfahren bei, in denen der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 1984, in der er anwaltlich vertreten war, einen Wegfall oder eine Verminderung von Forderungen geltend machte und beantragte, bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 1968 den Wegfall von Debitoren in Höhe von 821 746,83 DM (für 1969 in Höhe von 883 406 DM) zu berücksichtigen. Anträge zur Beweiserhebung stellte er ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht.
Das FG wies die Klagen insoweit mangels ausreichenden Nachweises eines fehlerhaften Ansatzes der Forderungen in der Bilanz des Streitjahres ab.
Mit seinen Revisionen rügt der Kläger Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Er trägt hierzu vor, daß das FG den Steuerberater Y als sachverständigen Zeugen darüber hätte vernehmen müssen, daß der Stand der Debitorenforderungen wesentlich überhöht gewesen sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben, soweit sie den Bestand an Debitoren betreffen und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung unter Berücksichtigung des Wegfalls der Debitoren für 1968 in Höhe von 821 746,83 DM und für 1969 in Höhe von 883 406 DM vermindert um die Umsatzsteuererhöhung 1968 von 21 888,30 DM und 1969 von 17 271,60 DM zu ändern.
Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unbegründet.
1. Die Rüge des Klägers, das FG habe seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts verletzt, greift nicht durch. Hierbei kann der Senat offenlassen, ob die Verfahrensrüge überhaupt ordnungsgemäß erhoben worden ist (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489, 493); denn sie ist jedenfalls unbegründet.
Die auf § 76 Abs. 1 FGO beruhende richterliche Sachaufklärungspflicht für das finanzgerichtliche Verfahren bedeutet nach der Rechtsprechung des BFH, daß die Tatsacheninstanz gehalten ist, unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel den Sachverhalt so vollständig wie möglich aufzuklären (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 76 Rdnr. 10 mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Aufklärungspflicht des FG ist jedoch nicht unbegrenzt. Zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen stehen notwendig im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten. Eine entsprechende Verfahrensrüge ist deshalb nur begründet, wenn das Gericht die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen nicht vollständig ermittelt, obwohl sich ihm die Notwendigkeit weiterer Aufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 3. November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159).
a) Der vom Kläger im Klageverfahren der OSG eingereichte Schriftsatz vom 13. Oktober 1980 bot für das FG keine Veranlassung, Ermittlungen zur Höhe der in der Bilanz der Streitjahre ausgewiesenen Forderungen anzustellen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das FG im Hinblick auf die Beiziehung der Gerichtsakten dieser Streitsache den Schriftsatz auch im vorliegenden Verfahren berücksichtigen mußte. Denn insoweit reichte es aus, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf sein dortiges Vorbringen Bezug genommen hat. Aus der Amtsermittlungspflicht des FG folgt auch, daß es alles, was ihm bis zur Urteilsfällung zur Kenntnis gelangt, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat (BFH-Urteil vom 5. März 1970 IV R 235/68, BFHE 98, 528, BStBl II 1970, 496). Zutreffend weist die Revision in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Zurückweisung verspäteten Vorbringens in der FGO nicht vorgesehen ist; das FG muß daher auf Angriffs- und Verteidigungsmittel eingehen, selbst wenn sie aus grober Nachlässigkeit verzögert vorgebracht werden und die mündliche Verhandlung notfalls vertagen (vgl. Urteil in BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489).
Indes hat das FG nicht deshalb von weiteren Ermittlungen abgesehen, weil sich hierdurch die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte, sondern weil die behauptete Unrichtigkeit des Bilanzansatzes nach seiner Auffassung im Hinblick auf die festgestellten Buchführungsmängel nicht nachgewiesen hätte werden können. Es kann dahinstehen, ob in dieser Beurteilung eine vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises enthalten ist. Denn die weitgehend unsubstantiierten Behauptungen im Schreiben vom 13. Oktober 1980 mußten dem FG keinen Anlaß geben, weitere Ermittlungen anzustellen. Der Kläger hat noch nicht einmal behauptet, daß auch die Debitoren des Streitjahres auf ihre Richtigkeit überprüft worden sind. Der bloße Hinweis auf angeblich fehlerhafte Bilanzansätze in späteren Veranlagungszeiträumen läßt aber keinen Rückschluß auf die Verhältnisse in den Streitjahren zu, zumal auch jede konkrete Angabe über die Ursachen und Gründe der behaupteten Falschbuchungen fehlt.
b) Der Kläger hat sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung weder konkretisiert noch Beweismittel benannt, die das FG hätte erheben können. Das Gericht hat auch nicht dadurch gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, daß es den Steuerberater Y nicht von Amts wegen als Zeugen vernommen hat. Einen entsprechenden Beweisantrag hat der anwaltlich vertretene Kläger nicht gestellt. In einem solchen Fall kann er sich regelmäßig nicht auf die Verletzung der Aufklärungspflicht berufen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, BStBl II 1978, 274 unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, z. B. Beschluß vom 13. September 1973 II B 45.73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1974, 308). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur in Betracht, wenn sich dem FG nach den Umständen des Falles eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen aufdrängen mußte. Daß dies im Streitfall eindeutig zu verneinen ist, wird insbesondere auch durch den Hinweis der Revision bestätigt, daß sinnvolle Beweisanträge, die die Rüge des Klägers genauer substantiiert hätten, nur aufgrund einer Besprechung mit dem Zeugen möglich gewesen wären.
2. Eine sachliche Nachprüfung der Vorentscheidungen ist dem Senat verwehrt.
Soweit der Kläger im Hinblick auf die vermeintliche Unzulässigkeit einer auf Verfahrensfehler beschränkten Revision vorsorglich die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, entsprechen die Revisionen nicht der gesetzlichen Form des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, da nicht erkennbar ist, welche Rechtsnorm verletzt sein soll (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 18. Dezember 1970 III R 32/70, BFHE 101, 349, BStBl II 1971, 329).
Eine entsprechende Überprüfung von Amts wegen scheidet im Hinblick auf § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO aus. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO sind offensichtlich nicht erfüllt. Der Rechtssache ist keine grundsätzliche Bedeutung beizumessen. Eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH ist ebenfalls nicht festzustellen.
3. Die Entscheidungen über die Verbindung der Verfahren beruht auf § 121, § 73 Abs. 1 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 415671 |
BFH/NV 1989, 507 |