Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerfreiheit von Betreuungsleistungen; Abstandsgebot; unmittelbare Berufung auf Richtlinie 77/388/EWG
Leitsatz (NV)
1. Umsätze aus einer Betreuungstätigkeit in den Jahren 1994 - 1998 waren nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG 1993/1999 steuerfrei. Das sog. Abstandsgebot zwischen dem zu beanspruchenden Entgelt eines Berufsbetreuers und demjenigen eines Vereinsbetreuers war erfüllt, weil ein Vereinsbetreuer im Gegensatz zu einem Berufsbetreuer keinen Anspruch auf Ersatz der allgemeinen Verwaltungskosten als Bestandteil des zu beanspruchenden Aufwendungsersatzanspruchs hatte.
2. Umsätze aus einer Betreuungstätigkeit im Jahr 1999 waren nicht nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG steuerfrei, soweit die Leistungsempfänger mittellos waren. Diese Umsätze waren nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.
3. Das in § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG 1993/1999 geregelte Abstandsgebot ist insofern gemeinschaftswidrig, als es auch für behördlich genehmigte Preise i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG gilt.
4. Ein zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege gehörender und gemeinnützigen Zwecken dienender Verein kann sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für Betreuungsleistungen gegenüber mittellosen Leistungsempfängern unmittelbar auf die günstigere Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 18 S. 1 Buchst. c; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Nach seiner Satzung bezweckt er den Schutz und die Hilfe für Jungen und Männer, die sich in geistiger, sittlicher oder wirtschaftlicher Not befinden, unter Berücksichtigung der häuslichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwelt. Seine Tätigkeit umfasst u.a. die Betreuung von Volljährigen (i.S. von §§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können. Der Kläger ist dem …-Verband angeschlossen. Er wurde u.a. durch Freistellungsbescheid vom September 1999 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt.
Nach den Feststellungen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung betreffend die Jahre 1995 bis 2000 führten bestellte Mitarbeiter des Klägers (Vereinsbetreuer) die Betreuungsleistungen aus. Diese Vereinsbetreuer zeichneten ihre täglichen Leistungen auf und erstellten einmal im Jahr eine Auflistung, die der Kläger dem zuständigen Amtsgericht zur Abrechnung vorlegte. Der Kläger erhielt pro Stunde eine Vergütung von 60 DM. Da er annahm, die ausgeführten Betreuungsleistungen seien steuerfrei gemäß § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG), hatte er keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben.
Der Umsatzsteuer-Sonderprüfer kam zu dem Ergebnis, dass für die gegenüber mittellosen Personen erbrachten Leistungen eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG nicht in Betracht komme, weil nach dem Gesetz über die Vergütung von Berufsvormündern --BVormVG-- (BGBl I 1998, 1580) die Vergütungen für Berufs- und Vereinsbetreuer einheitlich festgelegt seien und es deshalb an dem Tatbestandsmerkmal der Entgeltsbeschränkung i.S. von § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG fehle. Eine Steuerbefreiung für Leistungen, die nicht mittellosen Personen gegenüber erbracht würden, könne auch nicht gewährt werden, weil die abgerechneten Vergütungen ebenfalls nicht hinter den gegenüber mittellosen Personen abgerechneten Vergütungen zurückblieben. Auf die Betreuungsleistungen der Vereinsbetreuer komme nur die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG in Betracht.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schloss sich der Auffassung des Prüfers an (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 21. September 2000 IV D 1 -S 7175- 1/00, BStBl I 2000, 1251). Er unterwarf die in den Streitjahren 1994 bis 1999 erzielten Einnahmen des Klägers aus der Betreuungstätigkeit unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes der Umsatzsteuer und erließ entsprechende Umsatzsteuerbescheide.
Auf den hiergegen eingelegten Einspruch erkannte das FA die Steuerfreiheit der gegenüber nicht mittellosen betreuten Personen erbrachten Betreuungsleistungen an. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Zur Begründung der Revision beruft sich das FA auf die Verletzung materiellen Rechts.
§ 4 Nr. 18 UStG und insbesondere auch das Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG seien nach der im Schrifttum nahezu einhellig geteilten Verwaltungsauffassung von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 4. Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) gedeckt.
Nach dieser Bestimmung dürften Mitgliedstaaten die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung von Bedingungen abhängig machen, damit die Befreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führe. Um eine solche Regelung handele es sich bei dem Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG. Die Einschränkung der Steuerbefreiung ziele insbesondere darauf ab, nur solche Unternehmer in den Genuss der Steuerbefreiung kommen zu lassen, deren Entgelte hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von den gewerblichen Unternehmen verlangten Entgelten zurückblieben und die insoweit mangels marktorientierter Preise nicht in einer echten Wettbewerbssituation zu gewerblichen Unternehmen stünden.
Demgegenüber könne die vom FG gegen die Verwaltungsauffassung vorgebrachte --im Schrifttum wohl erstmals von Hüttemann (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2006, 441, 451 f.) formulierte-- Argumentation, das Abstandsgebot könne aus Gründen der systematischen Auslegung des Richtlinienrechts nicht aus Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 4. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG abgeleitet werden, nicht überzeugen.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich der Kläger für die Steuerfreiheit der von ihm ausgeführten Betreuungsleistungen unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, sofern diese Leistungen nicht bereits in den Anwendungsbereich der in § 4 Nr. 18 UStG vorgesehenen Steuerbefreiung fallen.
1. Die Betreuungsleistungen des Klägers waren in den Streitjahren 1994 bis 1998 insgesamt nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG steuerfrei.
Umsatzsteuerfrei sind nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG in der seit dem 1. Januar 1968 (BGBl I 1967, 545, BStBl I 1967, 224) geltenden Fassung
"die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn
a) diese Unternehmer ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen,
b) die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugute kommen und
c) die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben".
a) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist der Kläger einem nach § 23 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993/1999 in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStDV) amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege angeschlossen, so dass er in den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt. Ferner hat das FG festgestellt, dass der Kläger als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt ist und seine Leistungen unmittelbar dem nach der Vereinssatzung begünstigten Personenkreis zugutekommen. Somit liegen die Voraussetzungen von § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. a und Buchst. b UStG vor.
b) Das sog. Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG ist erfüllt, wenn die vom Betreuungsverein nach § 1908e BGB geltend gemachte und bewilligte Vergütung tatsächlich hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Berufsbetreuern geltend gemachten und bewilligten Vergütungen ggf. zuzüglich entsprechendem Aufwendungsersatz zurückbleibt (vgl. auch BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1251, unter Tz. 3. Buchst. a). Dies ist im Streitfall für die Streitjahre 1994 bis 1998 zu bejahen.
Denn nach § 1908e Abs. 1 Satz 2 BGB in seiner für die Streitjahre 1994 bis 1998 geltenden Fassung wurden dem Vereinsbetreuer allgemeine Verwaltungskosten nicht ersetzt. Dagegen enthielt der für Berufsbetreuer geltende § 1908i BGB in seinen in den Streitjahren geltenden Fassungen eine derartige Einschränkung nicht.
Vor diesem Hintergrund hat das FG im Streitfall zutreffend angenommen, dass das von dem Kläger zu beanspruchende Entgelt für den Vereinsbetreuer schon insofern niedriger war als das Entgelt eines Berufsbetreuers, als ein Vereinsbetreuer keinen Anspruch auf Ersatz der allgemeinen Verwaltungskosten, z.B. für Büropersonal, Miete, Heizung, Fachliteratur, Fortbildung etc. als Bestandteil des zu beanspruchenden Aufwendungsersatzes hatte (§ 1908e Abs. 1 Satz 2 BGB).
Auch die Kosten für eine Versicherung gegen Schäden, die der Betreuer dem Betreuten zufügt, konnten von dem Kläger für einen Vereinsbetreuer nicht geltend gemacht werden (§ 1908e i.V.m. § 1835 Abs. 2, Abs. 5 Satz 2 und § 1836 Abs. 2 BGB). Dagegen hatte ein Berufsbetreuer nach § 1908i Abs. 1 i.V.m. § 1835 Abs. 1 BGB im Rahmen des Aufwendungsersatzanspruchs auch einen Anspruch auf Erstattung seiner Verwaltungskosten einschließlich der Versicherungskosten nach § 1835 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu im Einzelnen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2000 XII ZB 58/97, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 3712).
Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG sind diese Ansprüche von den Berufsbetreuern auch tatsächlich regelmäßig geltend gemacht worden.
Dem FG ist auch dahingehend zu folgen, dass dem Gesetz im Zusammenhang mit der erforderlichen Entgeltsbeschränkung eine bestimmte Mindesthöhe der Differenz bei den Entgelten nicht entnommen werden kann, so dass es darauf nicht entscheidend ankommt.
2. Die Entgeltsbeschränkung i.S. von § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG ist im Streitjahr 1999 bei den gegenüber mittellosen Leistungsempfängern ausgeführten Betreuungsleistungen nicht erfüllt (vgl. Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 4 Nr. 18 Rz 58). Denn im Jahr 1999 ist das BVormVG in Kraft getreten, welches die Aufwandsentschädigung von Vereins- und Berufsbetreuern bei Betreuungsleistungen gegenüber mittellosen Leistungsempfängern einheitlich regelt (§ 1836a BGB).
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG betrug die zu gewährende Vergütung seinerzeit pro Stunde 35 DM und konnte sich je nach der Vorbildung des Betreuers auf bis zu 60 DM pro Stunde erhöhen. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG wurde eine auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer zusätzlich ersetzt.
Das von einem Berufsbetreuer in Rechnung gestellte Entgelt wird mit Umsatzsteuer belastet (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1251). Dies führt jedoch noch nicht zu einer entscheidungserheblichen Erhöhung der durch die Berufsbetreuer vereinnahmten Entgelte im Zusammenhang mit der Entgeltsbeschränkung. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG gehört die Umsatzsteuer nicht zum Entgelt im umsatzsteuerrechtlichen Sinn. Gemäß einer in der Literatur zitierten früheren Verwaltungsauffassung sollte zwar die Voraussetzung des niedrigeren Entgelts bereits dann erfüllt sein, wenn die Entgelte mindestens um die ersparte Umsatzsteuer hinter den vergleichbaren Entgelten zurückblieben (Weymüller in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 18 Rz 34, m.w.N.). Der Senat kann sich dieser Auffassung aber nicht anschließen. Wird für soziale Einrichtungen die Befreiung von der Umsatzsteuer nur unter der Voraussetzung gewährt, dass ein Unterschied zu den von Erwerbsunternehmen vereinnahmten Entgelten besteht, muss bei diesem Preisvergleich die Umsatzsteuer außer Betracht bleiben, weil andernfalls unterschiedliche Größen miteinander verglichen würden und das, was erst durch den Preisvergleich ermittelt werden soll, vorweggenommen würde.
3. Dem FG ist aber darin zu folgen, dass der Kläger sich für die Steuerfreiheit seiner gegenüber mittellosen Leistungsempfängern erbrachten Betreuungsleistungen im Streitjahr 1999 unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:
"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen;
…"
Das UStG hatte diese Richtlinienbestimmung --wie auch die anderen in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Steuerbefreiungen-- bisher lediglich dadurch "umgesetzt", dass es die bereits bei Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert weitergeführt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. August 2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143).
a) Ein Einzelner kann sich in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen (vgl. ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH--, z.B. Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 --Kügler--, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 51).
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG zählt die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, hinreichend genau und unbedingt auf (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2002, I-6833, Randnr. 53).
b) Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar
- zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und
- zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
Die durch den Kläger über seine Vereinsbetreuer entsprechend seinem Satzungszweck erbrachten Betreuungsleistungen sind Dienstleistungen, die unmittelbar Ausdruck der in dieser Bestimmung genannten Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit sind. Ferner handelt es sich bei dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege i.S. von § 23 Nr. 2 UStDV auch um eine in der Bundesrepublik Deutschland anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter.
4. Zwar könnte die unmittelbare Berufung auf die in der Richtlinie 77/388/EWG gewährte Steuerbefreiung dann ausgeschlossen sein, wenn das in § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG geregelte Abstandsgebot auf eine der Bedingungen gestützt werden könnte, von denen die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG die Steuerbefreiung abhängig machen dürfen. Dies ist aber entgegen der Auffassung des FA nicht der Fall.
Die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung ist nicht durch Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen.
a) Danach können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, g, h, i, l, m und n der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen.
Der 3. Gedankenstrich dieser Bestimmung lautet: "Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden."
Daraus ist erkennbar, dass im Unterschied zu § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG zwischen Tätigkeiten, auf die behördlich genehmigte Preise angewendet werden, und solchen Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, differenziert wird (vgl. Husmann/Hölzer in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 18 Rz 7). Nur für die zuletzt genannte Fallgruppe sieht Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG eine Entgeltsbeschränkung vor. § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG setzt die genannte Richtlinienbestimmung insofern nicht zutreffend um, als das Abstandsgebot dort auch für Tätigkeiten gilt, für die behördlich genehmigte --und insofern festgelegte-- Preise bestehen. Die vom nationalen Gesetzgeber vorgesehene Beschränkung der Umsatzsteuerbefreiung geht somit über die in der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Ermächtigung hinaus. Auch wenn die Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten insofern einen Gestaltungsspielraum eröffnet, als die Steuerbefreiung von einer oder mehreren der in den einzelnen Gedankenstrichen aufgeführten Bedingungen abhängig gemacht werden darf, bedeutet dies nicht, dass die Mitgliedstaaten bei Anwendung einer der Bedingungen diese auch mit inhaltlich überschießender Tendenz umsetzen dürfen, wie dies bei § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG der Fall ist. Dies entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der vorgesehenen Steuerbefreiung (vgl. Hüttemann, UR 2006, 441, 451; in diesem Sinne auch Kossack in Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 Nr. 18 UStG Rz 35).
b) Die im Streitfall für das Jahr 1999 festgesetzten Vergütungen für Dienstleistungen, die gegenüber mittellosen Leistungsempfängern erbracht wurden, beruhen auf Preisen, die i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG von der zuständigen Behörde genehmigt worden sind.
Wird die Vergütung des Betreuers durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (vgl. dazu § 56g Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der für das Streitjahr 1999 gültigen Fassung --FGG--; § 15 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen in der für das Streitjahr 1999 geltenden Fassung --ZuSEG--; vgl. Bleutge, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen, Kommentar, 3. Aufl., § 15 Rz 5; MünchKommBGB/Wagenitz, 5. Aufl., Vor § 1835 Rz 15) festgesetzt, dann wird funktional eine Behörde tätig. Wird sie durch gerichtlichen Beschluss (vgl. § 16 Abs. 1 ZuSEG oder § 56g Abs. 1 Satz 1 FGG) festgesetzt, übt das Vormundschaftsgericht eine Funktion aus, die unter Berücksichtigung des Zwecks des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG mit der einer Behörde vergleichbar ist. Nach dem Zweck der Bestimmung sollen staatlich kontrollierte Preise begünstigt behandelt werden. Wenn die Richtlinie 77/388/EWG dafür eine behördliche Genehmigung vorsieht, kann es nicht schädlich sein, wenn die Kontrolltätigkeit sogar durch ein Gericht ausgeübt wird.
Die für die Betreuungsleistungen in den Abrechnungen von den Betreuern geltend gemachten Beträge ("Preise") werden nur in der Höhe festgesetzt, in der sie sich nach einer Prüfung durch den Urkundsbeamten oder das Gericht als gerechtfertigt erweisen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Ausgangspunkt der nach dem BVormVG geschuldeten Vergütungshöhe die Zeit ist, die der Betreuer für die Betreuungsaufgaben tatsächlich aufgewendet hat und die zu dieser Geschäftsbesorgung auch erforderlich war. Der Urkundsbeamte oder das Gericht hat zu entscheiden, welcher der nach § 1 Abs. 1 BVormVG in Betracht kommenden Stundensätze zu gewähren ist und ob der vom Betreuer für seine jeweilige Betreuungstätigkeit geltend gemachte Zeitaufwand auch objektiv erforderlich war (vgl. hierzu z.B. MünchKommBGB/ Wagenitz, a.a.O., § 1836a Rz 15 ff.).
c) Der Inanspruchnahme der Steuerbefreiung steht auch nicht Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 4. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG entgegen.
Die Bestimmung lautet: "Die Befreiungen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen."
Auf diese Bestimmung kann das Abstandsgebot des § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. c UStG nicht gestützt werden. Denn soweit die Mitgliedstaaten in Art. 13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ermächtigt sind, die in Abs. 1 der Bestimmung grundsätzlich vorgesehenen Steuerbefreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von der Erfüllung von Bedingungen abhängig zu machen, stellt Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Preisgestaltung eine Spezialbestimmung dar. Wenn ein Mitgliedstaat die Preisgestaltung als einschränkendes Merkmal für die Steuerfreiheit wählen möchte, muss er davon in der in Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG vorgeschriebenen Weise Gebrauch machen. Diese Bestimmung würde unterlaufen und sich als überflüssig erweisen, wenn es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, sie nur teilweise umzusetzen und dies mit einer der anderen Bedingungen des Art. 13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu begründen, von denen die Mitgliedstaaten die Befreiung abhängig machen dürfen (vgl. auch Hüttemann, UR 2006, 441, 452; Kossak in Offerhaus/Söhn/ Lange, § 4 Nr. 18 UStG Rz 35).
5. Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist nicht erforderlich, weil der Senat keinen vernünftigen Zweifel daran hat, dass der Kläger sich auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.
Fundstellen
BFH/NV 2009, 1464 |
HFR 2009, 1229 |