Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungen in einem Heim für schwerbehinderte Kinder und Jugendliche nicht von der Grundsteuer befreit
Leitsatz (NV)
Erfüllt die Zusammenfassung einer in einem Heim befindlichen Mehrheit von Räumen, in denen schwerbehinderte Kinder und Jugendliche untergebracht sind, die Anforderungen an eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinn, ist das Heim insoweit auch dann nicht von der Grundsteuer befeit, wenn der Heimträger ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient.
Normenkette
GrStG § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Buchst. b, § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein gemeinnütziger eingetragener Verein, ist Eigentümer eines Grundstücks, das mit mehreren, als Heim mit diversen Therapieeinrichtungen für behinderte Menschen dienenden Gebäuden bebaut ist und das er einer Tochtergesellschaft, einer ebenfalls als gemeinnützig anerkannten, im Bereich der Jugend- und Behindertenhilfe tätigen GmbH, zur Nutzung überlassen hat.
Das Haus Nr. 4 des Gebäudekomplexes enthält drei je 300 qm große Wohneinheiten, in denen jeweils eine Gruppe von rd. acht ständig von Therapeuten betreuten Personen untergebracht ist, deren Aufenthalt zumindest auf eine gewisse Dauer ausgerichtet ist. Jede Wohneinheit verfügt über mehrere Wohnräume (Einzel- und Zweibettzimmer), einen Aufenthaltsraum, ein Mitarbeiterzimmer, eine kleine Küche, mehrere behindertengerechte Toiletten, Bäder und Duschen sowie einen eigenen Zugang vom Hauseingang bzw. Treppenhaus her über die von außen mit dem Schlüssel und von innen mit der Klinke zu öffnende Eingangstür.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte diese Einheiten als Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 des Grundsteuergesetzes (GrStG) und bewertete den entsprechenden Teil des Grundstücks auf den 1. Januar 2000 unter Aufhebung der bisherigen Grundsteuerbefreiung als Mietwohngrundstück mit einem Einheitswert von 343 900 DM. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage brachte der Kläger vor, die auf dem Grundstück befindlichen Gebäude würden als Heim für geistig sowie schwerst- und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche betrieben. Die Einrichtung biete Wohn- und Therapiemöglichkeiten für 90 Bewohner, die in familienähnlich strukturierten Gruppen heilpädagogisch betreut würden. Zusätzlich stünden in den Gebäuden gruppenübergreifende therapeutische Förderangebote zur Verfügung. Bei den Wohneinheiten im Haus Nr. 4 handle es sich daher nicht um Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Raumeinheiten erfüllten die bewertungsrechtlichen Merkmale einer Wohnung und seien daher als Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG zu beurteilen. Sie seien durch Türen gegenüber den anderen Räumlichkeiten des Gebäudes baulich abgegrenzt und in sich abgeschlossen und verfügten über die zur Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen, wenn auch die Küchen klein und nur dafür eingerichtet seien, in ihnen Speisen warm zu machen und Getränke zuzubereiten. Auch die Größe der Raumeinheiten stehe deren Bewertung als Wohnungen nicht entgegen. Der Umstand, dass der Aufenthalt der Bewohner vielleicht vorübergehender Natur sei, spreche ebenfalls nicht gegen ein "Wohnen"; die Insassen seien jedenfalls während einer auf eine unbestimmte Dauer ausgerichteten Therapiezeit untergebracht. Unerheblich sei auch, dass die Überlassung der Räume zu Wohnzwecken Teil der pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption sei und diese Leistungen gerade der Verwirklichung der vom Kläger verfolgten mildtätigen bzw. gemeinnützigen Zielsetzung dienten. Die vom Kläger angeführten bauaufsichtlichen Auflagen beträfen die Nutzung der Räume als Heim und nicht die Frage, ob nach bewertungsrechtlichen Kriterien eine Wohnung vorliege.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG. Die Wohnbereiche unterschieden sich aufgrund der zeitgemäßen, heimtypischen Ausgestaltung von Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG. Sie seien nach den an der Würde sowie den Interessen und Bedürfnissen der Heimbewohner orientierten Vorgaben der Senatsverwaltung für Jugend eingerichtet worden. Ein Heim dürfe nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1, 5 und 6 des Heimgesetzes nur betrieben werden, wenn der Träger den Bewohnern eine nach Art und Umfang ihrer Betreuungsbedürftigkeit angemessene Qualität des Wohnens erbringe. Aufgrund der Entwicklung in der Jugend- und Behindertenhilfe könne nicht ausschließlich der bewertungsrechtliche Begriff der Wohnung für die Anwendung des § 5 Abs. 2 GrStG maßgebend sein. Die behinderten Bewohner hätten nicht die tatsächliche und rechtliche Sachherrschaft über die Räume und seien zur Führung eines selbständigen Haushalts nicht in der Lage. Sie würden durch eine Zentralküche versorgt. Die in den einzelnen Raumeinheiten vorhandenen Teeküchen seien für die Versorgung nicht geeignet. Die Anwendung des § 5 Abs. 2 GrStG entspreche auch nicht dem Willen des historischen Gesetzgebers.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Einheitswertbescheid vom 2. Oktober 2001 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bejaht.
1. Die Klage hätte Erfolg, wenn das Grundstück insgesamt von der Grundsteuer befreit und die Feststellung eines Einheitswerts deswegen für keine Steuer von Bedeutung wäre (§ 19 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes). Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine vollständige Befreiung des Grundstücks von der Grundsteuer scheitert daran, dass das darauf befindliche Haus Nr. 4 Wohnungen enthält, die nach § 5 Abs. 2 GrStG stets steuerpflichtig sind.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b GrStG ist Grundbesitz einer inländischen Körperschaft, die nach der Satzung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dient, von der Grundsteuer befreit. Diese Befreiung wird durch § 5 Abs. 1 GrStG für Grundbesitz, der zugleich Wohnzwecken dient, eingeschränkt. Für Wohnungen ordnet § 5 Abs. 2 GrStG einen vollständigen Ausschluss der Steuerbefreiung an. Wohnungen sind danach auch dann von der Steuerbefreiung ausgenommen, wenn ihre Überlassung in Erfüllung mildtätiger oder gemeinnütziger Zwecke erfolgt. Der Gesetzgeber hat damit entschieden, dass bei einer Mehrheit von Räumen, die den Begriff der Wohnung erfüllt, stets das Überwiegen des Wohnzwecks anzunehmen und Grundsteuerpflicht gegeben ist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. April 1999 II R 5/97, BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496). Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Anordnung kommt es auch nicht darauf an, wie das Rechtsverhältnis zwischen dem Grundstückseigentümer und den Personen, denen die Wohnungen überlassen werden, geregelt ist (BFH-Urteil vom 15. März 2001 II R 38/99, BFH/NV 2001, 1449). Gegen diese Auslegung des § 5 Abs. 2 GrStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1984 1 BvR 1139/82 u.a., Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1984, 436).
Entgegen der Ansicht des Klägers entspricht dieses Verständnis des § 5 Abs. 2 GrStG auch dem Willen des historischen Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf des 2. Steuerreformgesetzes (BRDrucks 140/72, auch abgedruckt bei Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 5 Rn. 1) heißt es ausdrücklich, in § 5 Abs. 2 GrStG werde der Grundsatz aufgestellt, dass Grundbesitz, der Wohnzwecken diene, stets steuerpflichtig sei. Dies gelte uneingeschränkt für Wohnungen. Steuerfrei seien lediglich die in § 5 Abs. 1 GrStG aufgezählten Wohnräume.
Ob eine Grundsteuerbefreiung bei Überlassung von Wohnungen in Erfüllung mildtätiger oder gemeinnütziger Zwecke sozial- oder finanzpolitisch wünschenswert wäre, unterliegt nicht der Beurteilung durch den BFH (BFH-Urteile in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, und in BFH/NV 2001, 1449).
b) Der Begriff der Wohnung i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG entspricht dem bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff (BFH-Urteile vom 21. Juli 1993 II R 74/92, BFH/NV 1994, 343; vom 22. September 1993 II R 63/91, BFHE 173, 558, BStBl II 1994, 415; in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, und in BFH/NV 2001, 1449).
Unter einer Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinn ist die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass sie die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, dass die Wohneinheit eine bestimmte Fläche nicht unterschreitet. Darüber hinaus müssen grundsätzlich die für die Führung eines selbständigen Haushalts notwendigen Einrichtungen wie Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit, Bad oder Dusche und Toilette vorhanden sein. Für die Bewertungsstichtage ab 1. Januar 1974 ist es auch erforderlich, dass die als Wohnung in Betracht kommenden Räumlichkeiten eine von anderen Wohnungen oder Räumen baulich getrennte, in sich abgeschlossene Wohneinheit mit eigenem Zugang bilden (BFH-Urteile vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151; in BFH/NV 1994, 343; in BFHE 173, 558, BStBl II 1994, 415; in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, und in BFH/NV 2001, 1449).
Ist die Führung eines selbständigen Haushalts in einer solchen in sich abgeschlossenen Wohneinheit objektiv möglich, ist die Wohneinheit auch dann als Wohnung zu beurteilen, wenn sie baulich nicht auf die typischen Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten ist oder mehrere Bewohner darin tatsächlich keinen gemeinsamen Haushalt führen oder die Eingangstür aufgrund der konkreten Nutzung nicht abgeschlossen wird, etwa um dem Pflegepersonal den Zutritt zu ermöglichen (BFH-Urteile vom 30. April 1982 III R 33/80, BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671; in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496, und in BFH/NV 2001, 1449). Entscheidend ist, dass fremde Dritte keinen freien Zugang haben (BFH-Urteil in BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671).
2. Das FG hat die im Haus Nr. 4 befindlichen drei Raumeinheiten danach zutreffend als Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG angesehen. Die in sich abgeschlossenen Einheiten sind nach ihrer Größe und Ausstattung mit Wohnräumen, Küche, Bädern, Duschen und Toiletten objektiv zur Führung eines selbständigen Haushalts geeignet und durch abschließbare Türen vom übrigen Gebäude baulich getrennt. Sie haben den Zweck, Wohnbedürfnisse zu befriedigen. In ihnen finden Menschen Unterkunft (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1449). Der Aufenthalt der Bewohner ist zumindest auf eine gewisse Dauer ausgerichtet. Das genügt aus bewertungs- und grundsteuerrechtlicher Sicht für das Vorliegen von Wohnungen (BFH-Urteil in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496).
Unerheblich ist, dass die Überlassung der Räume zu Wohnzwecken Teil der im Rahmen einer pflegerischen und therapeutischen Gesamtkonzeption erbrachten Leistungen ist, die der Verwirklichung der vom Kläger und der Tochtergesellschaft verfolgten mildtätigen bzw. gemeinnützigen Zielsetzung dienen. Das Vorliegen von Wohnungen i.S. des § 5 Abs. 2 GrStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass deren Überlassung nicht Selbstzweck ist, sondern (zugleich) in Erfüllung anderer (steuerbegünstigter) Zwecke erfolgt (BFH-Urteil in BFHE 188, 434, BStBl II 1999, 496).
Ohne Bedeutung ist die zur Verfügung stehende Gemeinschaftsverpflegung (BFH-Urteil in BFHE 136, 293, BStBl II 1982, 671). Wegen der Maßgeblichkeit der baulichen Gestaltung und der Zweckbestimmung für das Wohnen kommt es auch nicht darauf an, ob die in den Wohnungen betreuten Personen daran eine rechtliche und tatsächliche Sachherrschaft haben. Die davon abweichenden ertragsteuerrechtlichen Grundsätze (vgl. zu § 7 Abs. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- 1990 BFH-Urteil vom 30. September 2003 IX R 2/00, BFHE 203, 359, BStBl II 2004, 221) lassen sich nicht auf das Bewertungs- und Grundsteuerrecht übertragen.
Die Raumeinheiten sind anders als das ganze Heim nicht so groß, dass nicht mehr von einer Wohnung gesprochen werden könnte. Sie könnten nach ihrer objektiven baulichen Gestaltung zur selbständigen Haushaltsführung genutzt werden.
3. Eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung ist auch nicht im Interesse der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung geboten. Die vom Kläger angeführten Vorschriften des Heimgesetzes sind nicht einschlägig. Dieses Gesetz betrifft nur Heime für Volljährige. Der Kläger hat selbst keine Vorschrift angeführt, nach der schwerbehinderte Kinder und Jugendliche innerhalb von Heimen in Raumeinheiten untergebracht werden müssen, die alle Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs erfüllen. Eine solche Vorschrift ist auch nicht ersichtlich. Dass eine derartige Unterbringung nicht erforderlich ist, wird im Übrigen daraus deutlich, dass die Mehrzahl der Bewohner des Heims nicht in solchen Raumeinheiten untergebracht ist.
Das Heim kann auch nicht einem Krankenhaus gleichgestellt werden, in dem die Patienten zur Behandlung behandlungsfähiger und behandlungsbedürftiger Krankheiten und nicht zu Wohnzwecken untergebracht werden. Das FG hat nicht festgestellt, dass das Heim oder das Haus Nr. 4 wie ein Krankenhaus baulich gestaltet und ausgestattet sei und dass es nach seiner Betriebsführung einem Krankenhaus entspreche, dass es also insbesondere fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehe und mit Hilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sei, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. § 107 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Der Kläger macht das auch nicht geltend.
4. Die Entscheidung über die Gewährung etwaiger Billigkeitsmaßnahmen bei der Grundsteuer (§§ 163, 227 der Abgabenordnung --AO 1977--) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Fundstellen
Haufe-Index 1552090 |
BFH/NV 2006, 1707 |
DStRE 2006, 1345 |