Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Sind Ehegatten an verschiedenen Orten berufstätig und ist die Tätigkeit der Ehefrau nicht ortsgebunden, so können die Mehraufwendungen für einen doppelten Hausstand Werbungskosten sein, solange der Ehefrau der Umzug in die gemeinsame Familienwohnung nicht zuzumuten ist. In aller Regel ist der Ehefrau der Umzug an den Wohnort des Ehemannes innerhalb eines Jahres zuzumuten, sofern nicht besondere Umstände eine längere Frist rechtfertigen.
Stehen Arbeitnehmer zur Zeit der Verheiratung in verschiedenen Orten in einem Dienstverhältnis, so können sie Mehraufwendungen für einen doppelten Hausstand erst geltend machen, nachdem sie eine Familienwohnung begründet haben.
Die Mehrkosten für einen doppelten Hausstand jung verheirateter Eheleute sind Werbungskosten, solange der Ehefrau der Umzug in die Familienwohnung nicht zuzumuten ist. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit gelten dieselben Grundsätze wie in Ziffer 1.
Normenkette
EStG § 9/1/5, § 12 Nr. 1, § 19/1/1; LStDV § 20 Abs. 2
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) und seine im Verfahren zugezogene Ehefrau sind seit dem 26. Oktober 1957 verheiratet. Die Eheleute hatten in den Streitjahren 1958 bis 1960 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Stpfl. war höherer Beamter in Berlin; seine Ehefrau war Sachbearbeiterin bei der Deutschen Botschaft in L. Seit dem 1. August 1960 ist sie bei der Berliner Dienststelle eines Landes beschäftigt. Die Eheleute machten für die Zeit der Beschäftigung der Ehefrau in L Kosten wegen doppelten Haushalts als Werbungskosten geltend, und zwar für das Jahr 1958 mit 3.106,50 DM, für das Jahr 1959 mit 3.068,50 DM und für das Jahr 1960 mit 1.881 DM. Das Finanzamt (FA) erkannte diese Beträge nicht als Werbungskosten an, weil den Eheleuten durch das Getrenntleben kein Mehraufwand entstanden sei; sie hätten in Berlin erst im August 1960 einen gemeinsamen Hausstand begründet: bis dahin hätte jeder von ihnen wie vor der Eheschließung seinen eigenen Hausstand fortgeführt.
Demgegenüber behaupten die Stpfl., sie hätten in Berlin im Jahre 1957 einen gemeinsamen Hausstand mit einer Familienwohnung begründet. Der Ehemann habe aus Anlaß der Eheschließung seine bisher bewohnte Dreizimmerwohnung renoviert und neu möbliert; er habe einem Untermieter gekündigt, der dann auch ausgezogen sei. Am 21. Dezember 1957 sei die Ehefrau zugezogen und habe am 4. Februar 1958 die behördliche Zuzugsgenehmigung erhalten. Die Wohnung in L habe die Ehefrau bis August 1960 behalten müssen, weil sie dort beschäftigt gewesen sei. Sie habe sich sofort nach der Eheschließung um eine gleichartige Tätigkeit in Berlin bemüht; sie habe sich auch laufend auf Stellenausschreibungen beworben. Sie habe aber erst im August 1960 eine gleichwertige Stellung gefunden. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Berufung statt und führte aus, Kosten des Haushalts und der Wohnung eines Steuerpflichtigen seien an sich gemäß § 12 Ziff. 1 EStG Kosten der Lebensführung, die das Einkommen nicht mindern dürften. Sie seien aber Werbungskosten, soweit sie durch das Dienstverhältnis veranlaßt würden, besonders wenn infolge des Arbeitsverhältnisses ein doppelter Hausstand geführt werden müsse. Ein doppelter Hausstand setze allerdings voraus, daß eine gemeinsame Familienwohnung der Eheleute vorhanden sei. Das sei hier der Fall gewesen. Die Stpfl. hätten seit Ende 1957 in Berlin gemeinsam eine Dreizimmerwohnung als Familienwohnung gehabt und auch benutzt; der gemeinsame Haushalt sei dort gewesen. Infolge des Dienstverhältnisses in L habe die Ehefrau jedoch einen zweiten Hausstand führen müssen. Den Eheleuten sei dadurch Mehraufwand entstanden. Es sei der Ehefrau nicht zuzumuten gewesen, unverzüglich nach der Eheschließung ihre Stellung in L aufzugeben und zu ihrem Ehemann nach Berlin zu ziehen. Man müsse ihr eine angemessene Zeit für die Umstellung einräumen. Die Zeit von drei Jahren, während der die Eheleute einen doppelten Hausstand geführt hätten, sei nicht über Gebühr ausgedehnt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision, mit der das FA unrichtige Anwendung der §§ 9 und 12 Abs. 1 EStG rügt, ist unbegründet.
Zutreffend rechnet das FG Ausgaben für Verpflegung und Wohnung im allgemeinen zu den Kosten der Lebensführung im Sinn von § 12 Ziff. 1 EStG. Wird aber ein Arbeitnehmer durch seinen Beruf gezwungen, Mehraufwendungen dieser Art zu machen, so sind diese Mehraufwendungen Werbungskosten (Urteile des Senats VI 79/60 S vom 2. März 1962, Sammlung der Entscheidungen des BFH Bd. 74 S. 513 - BFH 74, 513 -, BStBl III 1962, 192; VI 59/64 U vom 18. September 1964, BFH 81, 86, BStBl III 1965, 29). Die Bundesregierung führt in Abschn. 26 LStR im Anschluß an die Rechtsprechung aus, Werbungskosten seien gegeben, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er seinen Hausstand unterhält, beschäftigt ist, und ihm dadurch Mehraufwendungen entstehen, vorausgesetzt, daß ihm der Umzug oder die tägliche Rückkehr an den Ort des eigenen Hausstandes nicht zuzumuten ist.
Zu Recht hat das FG zunächst geprüft, ob die Eheleute einen gemeinsamen Haushalt in Berlin hatten. Wie der Senat zuletzt im Urteil VI 59/64 U (a. a. O.) entschieden hat, kann man von einem doppelten Hausstand nur sprechen, wenn Ehegatten eine gemeinsame Familienwohnung haben. Wenn zwei Arbeitnehmer mit eigenem Hausstand heiraten und jeder von ihnen in seiner bisherigen Wohnung verbleibt, ohne daß die Eheleute eine Familienwohnung begründen, entstehen ihnen durch das Getrenntleben keine Mehrkosten gegenüber der Zeit vor der Eheschließung. Anders ist es, wenn die Eheleute eine gemeinsame Wohnung haben, aber wegen des Dienstverhältnisses eines Ehegatten die Familienwohnung nicht gemeinsam nutzen können. In solchen Fällen können die dadurch veranlaßten Mehraufwendungen Werbungskosten sein.
Im Streitfall hat das FG auf Grund seines Rechts zur freien Tatsachenwürdigung (§ 278 AO a. F.) ohne Verfahrensverstoß festgestellt, daß die Eheleute seit Ende 1957 eine gemeinsame Familienwohnung in Berlin hatten; die Dreizimmerwohnung, die der Ehemann in seiner Junggesellenzeit gehabt habe, sei zur Familienwohnung umgestaltet worden; die Eheleute hätten auch seit der Eheschließung den Mittelpunkt ihrer Lebensführung in Berlin gehabt.
Der Vorsteher des FA meint, die Ehefrau hätte nach der Eheschließung unverzüglich in die gemeinsame eheliche Wohnung nach Berlin ziehen müssen; sie habe den Umzug von L ungebührlich hinausgezögert. Dieser Auffassung ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht zuzustimmen.
Der Senat hat Mehraufwendungen für einen doppelten Hausstand als Werbungskosten anerkannt. Solange der Ehemann nach einer dienstlichen Abordnung oder Versetzung am neuen Dienstort keine geeignete Familienwohnung finden kann (Urteile VI 135/56 U vom 23. August 1957, BFH 65, 339, BStBl III 1957, 361; VI 204/56 U vom 23. August 1957, BFH 65, 342, BStBl III 1957, 362).
Stehen beide Ehegatten an verschiedenen Orten in einem Dienstverhältnis, so kommt es darauf an, ob die Ehefrau an den Wohnort ihres Ehemannes umziehen muß, um dort gemeinsam mit ihm die Familienwohnung zu benutzen. Der Senat hat die Entscheidung davon abhängig gemacht, ob bei vernünftiger Abwägung aller Gesichtspunkte der Ehefrau die Verlegung ihrer Wohnung an den Wohnsitz des Ehemannes zuzumuten ist (Urteile VI 135/56 U, a. a. O.; VI 204/56 U, a. a. O.; VI 33/58 U vom 16. Mai 1958, BFH 67, 81, BStBl III 1958, 303; VI 196/61 vom 10. August 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 9 Sätze 1 und 2, Rechtsspruch 194). Einer berufstätigen Ehefrau ist der Umzug in eine gemeinsame Familienwohnung, etwa bei der Versetzung ihres Ehemannes, im allgemeinen zuzumuten, wie in der Entscheidung VI 60/62 U vom 10. August 1962 (BFH 75, 416, BStBl III 1962, 419) ausgeführt ist. Durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 (BGBl 1957 I S. 609) ist der § 1354 BGB a. F., nach dem der Ehemann Wohnung und Wohnort bestimmen konnte, spätestens zum 1. Juli 1958 außer Kraft getreten; nunmehr entscheiden die Ehegatten gemeinsam über den Wohnsitz unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sie zur ehelichen Lebensgemeinschaft und zum gemeinsamen Familienunterhalt (§§ 1353 Abs. 1, 1360 BGB) verpflichtet sind. Sie haben dabei auch den Ort der Erwerbstätigkeit der Ehefrau zu berücksichtigen, wenn die Ehefrau erwerbstätig bleiben will (Palandt, Kommentar zum BGB, 25. Aufl., Anm. 2 und 3 zu § 1353 BGB). Die Ehefrau hat nach § 1356 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB das Recht, erwerbstätig zu sein. Sie kann dieses Recht aber nur unter angemessener Beachtung der Tatsache ausüben, daß Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verpflichtet sind und die Ehefrau den Haushalt zu führen hat (§ 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Ehefrau muß ihr Recht zur eigenen Erwerbstätigkeit mit ihren Pflichten in Ehe und Familie in Einklang bringen (§ 1356 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB). Nach diesen Grundsätzen ist es einer Ehefrau oft zuzumuten, bei der Versetzung ihres Ehemannes an einen anderen Ort ihre bisherige Erwerbstätigkeit am alten Wohnort aufzugeben, allerdings mit dem Recht, eine gleichartige Tätigkeit am neuen Wohnort des Ehemannes wieder aufzunehmen. Anders kann es aber liegen, wenn die Ehefrau eine ortsgebundene Tätigkeit ausübt, z. B. als Landwirtin, ärztin oder hochbezahlte Kraft in einem Betrieb und sich weigert, diese Tätigkeit aufzugeben, weil sie am neuen Tätigkeitsort des Ehemannes eine gleichartige Tätigkeit nicht ausüben kann (Urteil des Senats VI 60/62 U, a. a. O.).
Wenn Arbeitnehmer, die an verschiedenen Dienstorten beschäftigt sind, sich verheiraten, gelten ähnliche Grundsätze. Der Senat hat ausgesprochen, daß, wenn junge Eheleute, die bisher zusammen auf dem Lande wohnten, eine Arbeit in der Großstadt annehmen und dort ein möbliertes Zimmer beziehen, in der Regel ihr Wohnort nunmehr in der Großstadt ist, weil sie dort ihren Haushalt führen; die Kosten der Wohnung auf dem Lande und die Kosten für die Fahrten zu dieser Wohnung können aber für eine übergangszeit Werbungskosten sein (Urteil VI 138/61 U vom 10. August 1962, BFH 75, 554, BStBl III 1962, 470). Bleiben Arbeitnehmerehegatten nach der Verheiratung jeder in seiner bisherigen Wohnung oder bei den Eltern, so entstehen ihnen durch das Getrenntleben keine Mehraufwendungen (Urteil VI 59/64 U, a. a. O.).
Bezieht eine Frau, die auswärts in einem nicht ortsgebundenen Arbeitsverhältnis steht, bei der Eheschließung nicht sofort die gemeinsame Familienwohnung wegen des Arbeitsverhältnisses, so kann sie Werbungskosten wegen doppelten Hausstands für die Zeit geltend machen, in der ihr nicht zuzumuten ist, in die gemeinsame Familienwohnung an einem anderen Ort umzuziehen und dort eine neue Beschäftigung aufzunehmen. In aller Regel wird man der Ehefrau den Umzug innerhalb eines Jahres zumuten können. Besondere berufliche Verhältnisse, die die Eheleute glaubhaft machen, können indessen eine Erstreckung dieser Frist rechtfertigen.
Das FG hat festgestellt, die Tätigkeit der Ehefrau sei nicht ortsgebunden gewesen; der Umzug von L nach Berlin hätte ihr zugemutet werden können. Es hält aber besondere Umstände für gegeben, die hier eine längere übergangszeit rechtfertigen. Das FG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, die Ehefrau habe nicht von heute auf morgen eine gleichwertige Stellung in Berlin finden können, vor allem nicht, ohne ihre wohlerworbenen Rechte gegen den öffentlichen Dienstherrn - Abfindungsanspruch, Versorgungsanspruch - aufzugeben. Sie hätte nach der Eheschließung in die eheliche Wohnung in Berlin umziehen wollen, um mit ihrem Mann zusammenzuleben. Das Dienstverhältnis in L habe sie aber daran gehindert. Auf Grund dieser tatsächlichen Feststellungen konnte das FG ohne Rechtsverstoß zu der Auffassung kommen, die übergangszeit von etwa drei Jahren sei hier noch vertretbar.
Wenn aber die Eheleute während der Streitjahre zwangsläufig einen doppelten Hausstand geführt haben, sind die dadurch entstandenen Mehraufwendungen Werbungskosten. Die Höhe der Mehraufwendungen hat das FG in Anlehnung an die Richtsätze des Abschn. 26 LStR geschätzt, ein Verfahren, das der Senat im Urteil VI 59/64 U (a. a. O.) gebilligt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 412112 |
BStBl III 1966, 503 |
BFHE 1966, 351 |
BFHE 86, 351 |