Leitsatz (amtlich)
Bei unklaren, aber zur Zeit nicht weiter aufklärbaren tatsächlichen Verhältnissen darf der Steuerpflichtige nicht darauf vertrauen, das FA werde statt eines endgültigen Steuerbescheides einen vorläufigen Steuerbescheid erlassen; aus dem Ergehen eines endgültigen Steuerbescheides ist nicht zu schließen, das FA werde später bekanntwerdende Tatsachen nicht verwerten.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nrn. 1-2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind im Veranlagungszeitraum 1966 als Ehegatten zusammen veranlagt worden. Sie hatten in den Jahren 1961 bis 1963 ein Wohnhaus, das im August 1963 bezugsfertig geworden war, durch eine gemeinnützige Gesellschaft erstellen lassen. Im September 1963 hatten sie dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine Bescheinigung dieser Gesellschaft vorgelegt, die auszugsweise folgenden Inhalt hatte:
"Zur Vorlage bei Ihrem zuständigen Finanzamt bestätigen wir Ihnen, daß das Wohnhaus ... durch uns in Ihrem Auftrage erstellt wurde, das Gebäude ausschließlich Wohnzwecken dient, die Gesamtgestehungskosten vorbehaltlich der Endabrechnung ausschließlich der von Ihnen unmittelbar gezahlten Beträge 75 800 DM, die reinen Herstellungskosten 67 140 DM betragen..."
Das FA hatte die Kläger für die Jahre 1963 bis 1966 endgültig zur Einkommensteuer veranlagt und dabei die beantragte Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) von Herstellungskosten in Höhe von 67 140 DM berechnet. Sämtliche Veranlagungen sind bestandskräftig geworden. 1968 halten die Kläger eine endgültige "Aufstellung der Gesamtkosten" der Gesellschaft vorgelegt, aus der hervorging, daß die Herstellungskosten i. S. des § 7 b EStG 53 896 DM betragen hatten. Das FA hat daraufhin die Veranlagung des Jahres 1966 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigt und dabei den AfA-Ansatz nach § 7 b EStG von 4 828 DM auf 1 782 DM herabgesetzt, wodurch sich die Einkommensteuer der Kläger, die zuvor null DM betragen hatte, auf 444 DM erhöht hatte. Im Einspruchsverfahren hatte das FA weitere Herstellungskosten in Höhe von 2 278 DM anerkannt; dadurch hatten sich die Herstellungskosten i. S. des § 7 b EStG auf 56 775 DM erhöht, die AfA gemäß § 7 b EStG war auf 2 444 DM errechnet und die Einkommensteuer auf 318 DM festgesetzt worden.
Das Finanzgericht (FG) hat den berichtigten Einkommensteuerbescheid 1966 in der Form der angefochtenen Einspruchsentscheidung aufgehoben. Nach Treu und Glauben sei das FA nicht befugt gewesen, eine Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung zuungunsten der Kläger vorzunehmen. Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Mit der Revision begehrt das FA die Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Hat bei Steuern, bei denen die Verjährungsfrist mehr als ein Jahr beträgt, das FA nach Prüfung des Sachverhalts einen besonderen im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid erteilt, so findet, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, eine Änderung des Bescheids nur statt, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekanntwerden, die eine höhere Veranlagung rechtfertigen, und die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 222 Abs. 1 Nr. 1 AO). Diese Voraussetzungen für eine Berichtigungsveranlagung sind im vorliegenden Fall sämtlich erfüllt.
Zu Unrecht hat die Vorinstanz bezweifelt, das Bekanntwerden der von der ursprünglichen Bescheinigung abweichenden Höhe der Herstellungskosten sei eine neue Tatsache i. S. des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Die Tatsache der geringeren Herstellungskosten war für das beklagte FA neu, denn dieses kannte die tatsächlichen Herstellungskosten vorher nicht und hätte sie auch nicht kennen müssen.
Der Ermittlungspflicht des FA (vgl. § 204 AO) stehen die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen gegenüber. Die Reichsabgabenordnung ging dabei davon aus, daß Steueransprüche möglichst ohne Inanspruchnahme dritter Personen ermittelt werden sollen, daß die Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen, wenn vertretbar, nicht über die Einholung von Auskünften hinausgehen soll (vgl. § 207 Abs. 1 AO). Den Angaben des Steuerpflichtigen kommt danach ein besonderes Gewicht zu. Ein FA, das den Angaben eines Steuerpflichtigen folgt, verletzt deshalb nicht seine Ermittlungspflicht. Das FA muß den Angaben eines Steuerpflichtigen Glauben schenken können, wenn nicht greifbare Umstände vorliegen, die darauf hindeuten, daß die Angaben falsch oder unvollständig sind. Aus den Angaben der Kläger geht zwar hervor, daß sie möglicherweise noch zu berichtigen sein könnten. Das FA durfte aber davon ausgehen, daß im Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärungen weitere Erkenntnisse nicht zu erlangen waren. Weder mußte sich das FA gegenüber den später bekanntwerdenden Tatsachen entgegenhalten lassen, sie seien nicht neu, noch gab das FA durch die Veranlagung zu erkennen, die Kläger hätten bei Bekanntwerden neuer Tatsachen Nachforderungen nicht mehr zu erwarten.
Ein Steuerpflichtiger darf zwar darauf vertrauen, daß das FA seinen Ermittlungspflichten nachkommt. Verletzt das FA diese Ermittlungspflichten, führt dies unter bestimmten Voraussetzungen aus Gründen des Vertrauensschutzes dazu, daß neue Tatsachen so behandelt werden, wie wenn sie dem FA bekannt gewesen wären. Ein Steuerpflichtiger darf aber nicht darauf vertrauen, das FA werde bei möglicherweise noch unklaren, aber z. Zt. nicht weiter aufklärbaren tatsächlichen Verhältnissen statt eines endgültigen Steuerbescheides einen vorläufigen Steuerbescheid erlassen; aus dem Ergehen eines endgültigen Bescheides ist nicht zu schließen, das FA werde später bekanntwerdende Tatsachen nicht verwerten.
Zu Unrecht hat daher die Vorinstanz ausgesprochen, die Grundsätze von Treu und Glauben würden eine Berichtigung der Steuerfestsetzung zuungunsten der Kläger verbieten. Die Auffassung des FG hat in keiner gesetzlichen Vorschrift eine Grundlage.
Fundstellen
Haufe-Index 72961 |
BStBl II 1979, 57 |
BFHE 1979, 488 |