Normenkette
FGO § 65 Abs. 1, § 96 Abs. 1; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, c
Verfahrensgang
Tatbestand
Anläßlich einer 1974 bei der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, durchgeführten Betriebsprüfung stellte der Prüfer u. a. fest, daß in den Bilanzen der Klägerin Darlehensverbindlichkeiten gegenüber ihrer einzigen Kommanditistin ausgewiesen werden, ohne daß dieser Kommanditistin Zinsen gutgeschrieben wurden. Der Prüfer sah hierin freiwillige Leistungen der Kommanditistin an die Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972. Die freiwilligen Leistungen seien jeweils für das abgelaufene Kalenderjahr im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bewirkt worden (20. September 1972 bzw. 9. August 1973). Der Prüfer ging von einer den Verhältnissen angemessenen Verzinsung von 7 v. H. aus und errechnete auf der Grundlage des Mittels der Darlehensverbindlichkeiten am Anfang und am Ende eines jeden Kalenderjahres die Gesellschaftsteuer.
Das beklagte Finanzamt (FA) folgte dieser Auffassung und setzte durch Steuerbescheid vom 16. Oktober 1974 Gesellschaftsteuer fest.
Nach erfolglosem Einspruch hat die Klägerin Klage erhoben und die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Gesellschaftsteuerbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung beantragt. Sie hat vorgetragen:
Die Kommanditistin habe einen vertraglichen Anspruch auf Verzinsung gehabt. Die Verzinsung sei im Rahmen der Verteilung des Bilanzergebnisses erfolgt. Bei der Berechnung der den Geschäftsführern zustehenden Tantiemen seien stets die um die Darlehenszinsen verminderten Handelsbilanzgewinne zugrunde gelegt worden. Ein Verzicht auf Zinsen liege somit nicht vor. Das FA hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß die Darlehenszinsen nicht als Aufwand verbucht worden seien. Ein Abfluß des entsprechend erhöhten Gewinnes hebe die Steuerbarkeit der in der Nichtverzinsung liegenden Leistung nicht auf.
Das Finanzgericht (FG) hat dem Klageantrag stattgegeben. Es sieht es als erwiesen an, daß die Klägerin und ihre Kommanditistin eine Verzinsung der Gesellschafterdarlehen in Höhe von 6 v. H. vereinbart hätten. Eine steuerbare Kapitalzuführung hätte unter diesen Umständen allenfalls in einem mit Genehmigung der jeweiligen Bilanz bewirkten Verzicht auf die entstandenen Zinsen gesehen werden können. Einen solchen Lebenssachverhalt aber habe das FA nicht besteuert. Dem Gericht sei es deshalb verwehrt, die Besteuerung auf einen Zinsverzicht zu erstrecken. Es könne deshalb diese Frage nicht überprüfen.
Das FA hat Revision eingelegt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Abweisung der Klage beantragt. Es wendet sich vor allem gegen die Annahme des FG, daß es wegen fehlender Nämlichkeit des Sachverhalts die Frage eines etwaigen Verzichts auf entstandene Zinsen nicht prüfen dürfe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der erkennende Senat vermag dem FG nicht darin zu folgen, daß es den Gerichten im vorliegenden Fall mangels Nämlichkeit des Lebenssachverhalts verwehrt sei, die Frage der Verwirklichung des Tatbestandes des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 (Verzicht auf Zinsen) zu prüfen. Das FG wäre vielmehr verpflichtet gewesen, auch dieser Frage nachzugehen.
Die Finanzgerichte haben über die Klage im Rahmen des Streitgegenstandes zu entscheiden (vgl. § 65 Abs. 1, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Streitgegenstand ist bei der Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl III 1967, 344). Prüfungsgegenstand ist danach der angefochtene Steuerbescheid. Das FG ist berechtigt, im Rahmen dieser Prüfung weitere Tatsachen zu berücksichtigen und eine andere rechtliche Begründung für den angefochtenen Steuerbescheid zu geben, soweit der angefochtene Steuerbescheid dadurch nicht in seinem Wesen verändert wird (vgl. die BFH-Urteile vom 2. Juni 1976 VII R 48/73, BFHE 119, 525, 528, und vom 7. Juni 1978 II R 97/77, BFHE 125, 397, BStBl II 1978, 568; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Anm. 9; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9343).
Die Annahme einer freiwilligen Leistung durch Verzicht auf eine entstandene Zinsforderung (Buchst. b des § 2 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1972) beinhaltet weder eine wesentliche Veränderung des durch den angefochtenen Steuerbescheid geltend gemachten Anspruches aus Buchst. c des § 2 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1972 (wegen Gewährung eines zinslosen Darlehens) noch eine entscheidende Veränderung des dem Bescheid zugrunde liegenden Sachverhaltes.
Wird statt der Vereinbarung eines zinslosen Darlehens die Vereinbarung einer Verzinsung und der spätere Verzicht auf Zinsen angenommen, so sind beide Ansprüche von der gesetzgeberischen Zielsetzung her gleichartig. Auch der zugrunde liegende Sachverhalt bleibt in seinem Kernbereich unverändert. Zu diesem Kernbereich gehört, daß ein Darlehen gewährt wird und daß für dieses Darlehen keine Zinsen gezahlt worden sind, wie bereits der Prüfer festgestellt hat. Ob die Nichtzahlung der Zinsen auf die Vereinbarung der Zinslosigkeit oder darauf zurückzuführen ist, daß auf entstandene Zinsen später verzichtet wurde, berührt nicht den Kernbereich des Sachverhaltes. Derartige Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht geeignet, den angefochtenen Steuerbescheid in seinem Wesen zu verändern. In beiden Fällen geht es um die Beurteilung der gleichen Darlehensgewährung hinsichtlich der Nichtzahlung von Zinsen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Der Senat hat bereits in seinem Urteil in BFHE 125, 397, BStBl II 1978, 568 ausgeführt, daß es häufig eine Frage der rechtlichen Würdigung sein kann, welche Ausschnitte eines bestimmten Lebenssachverhaltes (ohne Änderung des Gegenstandes der Besteuerung) als Rechtsvorgang zu beurteilen sind, die es jemandem ermöglichen, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten. Das gleiche gilt, wenn aus der Gewährung eines Darlehens gefolgert werden soll, ob Gesellschaftsteuer bereits durch die Gewährung eines zinslosen Darlehens oder erst durch den Verzicht auf entstandene Zinsen entstanden ist. Der Fall ist insoweit dem Fall vergleichbar, in dem der Senat dahin entschieden hat, daß das FG einen Gesellschaftsteuerbescheid mit der Begründung aufrechterhalten könne, die Gesellschaftsteuer sei entweder durch den ersten Erwerb der Gesellschaftsanteile oder durch die zeitlich spätere Leistung der auf die Gesellschaftsanteile zu zahlenden Beträge entstanden (vgl. das Urteil vom 23. April 1975 II R 71/71, BFHE 116, 57, BStBl II 1975, 719).
Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück, das nunmehr zu prüfen haben wird, ob nicht jedenfalls der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 verwirklicht worden ist. In diesem Zusammenhang kann ggf. die Einwendung der Klägerin Bedeutung erlangen, der dem Darlehenskonto gutgeschriebene Gewinnanteil enthalte auch die intern berechneten Zinsen auf die Darlehen. Ggf. wird das FG auch der Einwendung der Klägerin nachzugehen haben, daß ein etwaiger Zinsverzicht nicht geeignet sei, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen, weil auch der dadurch entstandene höhere Gewinn dem Darlehenskonto der Kommanditistin gutgebracht werde (vgl. § 167 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches).
Fundstellen
Haufe-Index 75121 |
BStBl II 1984, 840 |
BFHE 1985, 569 |