Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrechtliche Komplikationen bei jeweils gesonderter Anfechtung eines einen GrESt-Bescheid ändernden Änderungsbescheides sowie eines später ergehenden Teilabhilfebescheides
Leitsatz (NV)
1. Wird ein GrESt-Bescheid gemäß § 174 Abs. 3 AO 1977 geändert und der Änderungsbescheid gerichtlich angefochten und ergeht später (im Verlaufe des diesbezüglichen Revisionsverfahrens) ein auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gestützter Teilabhilfebescheid, so kann die auf selbständige Klage hin erfolgende Aufhebung des Teilabhilfebescheides durch das FG dahin zu verstehen sein, daß der Teilabhilfebescheid hinsichtlich seiner Aufnahme des Regelungsinhalts des Änderungsbescheides in sich gemeint sei, so daß als aufgehoben der durch den Teilabhilfebescheid eingeschränkte Änderungsbescheid anzusehen sein kann.
2. Nach Rechtskraft des FG-Urteils (s. Nr. 1) ist eine abweichende Entscheidung über den Änderungsbescheid nicht mehr möglich.
3. Für eine übereinstimmende Entscheidung kann es am Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
4. Bei einseitiger Erledigungserklärung durch den Kl. darf das beklagte FA an seinem Klageabweisungsantrag nur dann festhalten, wenn es ein berücksichtigenswertes Interesse an der Feststellung hat, daß die Klage vor der Erledigung der Hauptsache unbegründet war.
5. Ein rechtskräftiges Urteil ist auch im Falle seiner Fehlerhaftigkeit zu beachten.
6. Die Erklärung des revisionsbeklagten Stpfl., die Hauptsache werde für erledigt erklärt, sofern der BFH annehme, daß keine Sachentscheidung mehr ergehen könne, kann dahin auszulegen sein, daß die Hauptsache für erledigt erklärt und nur hilfsweise am Klageantrag festgehalten werde.
Normenkette
AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 174 Abs. 3; FGO § 66 Abs. 2, § 110; GrEStG 1940 § 12 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Eltern des ursprünglichen Kl. vermieteten 1961 ein Grundstück an eine Mineralölgesellschaft, die auf dem Grundstück eine Tankstelle errichtete. Der während des Revisionsverfahrens verstorbene ursprüngliche Kl., der die Tankstelle 1970 zusammen mit seiner Ehefrau (seiner Alleinerbin) gepachtet hatte, erwarb das Grundstück 1972 im Erbwege.
Zum 31. März 1975 wurde der Betrieb der Tankstelle aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Gemäß einer Vereinbarung vom 2. Dezember 1975 wurden der Grundstücksmietvertrag und der Tankstellenpachtvertrag rückwirkend zum 31. März 1975 im gegenseitigen Einvernehmen gelöst. Nach dem Wortlaut dieser Vereinbarung, an der der ursprüngliche Kl. und seine Ehefrau beteiligt und dort als ,,Partner" bezeichnet waren, wurde das Eigentum an Baulichkeiten und Betriebseinrichtungen unentgeltlich ,,auf Partner" übertragen.
Das beklagte FA sah hierin den Erwerb von Baulichkeiten auf fremdem Grund und Boden durch den ursprünglichen Kl. und seine Ehefrau je zur Hälfte und setzte durch zwei Steuerbescheide vom 19. Februar 1976 gegen den Kl. und seine Ehefrau GrESt fest, wobei es als Steuermaßstab jeweils von dem 1,4fachen des hälftigen Einheitswerts für das Gebäude auf fremden Grund und Boden ausging.
Die Einsprüche des ursprünglichen Kl. und seiner Ehefrau blieben erfolglos. Das FA vertrat die Auffassung, daß mangels einer Gegenleistung der Einheitswert als Besteuerungsmaßstab anzusetzen sei. Ob der Einheitswert nach der Schließung der Tankstelle herabzusetzen sei, sei für die Besteuerung ohne Bedeutung. Die Klage der Ehefrau des ursprünglichen Kl. hatte Erfolg. Das FG hob den gegen sie ergangenen Steuerbescheid mit der Begründung auf, aus der Vereinbarung vom 2. Dezember 1975 sei zu schließen, daß das Eigentum an dem auf dem Tankstellengrundstück stehenden Gebäude allein auf den Kl. übertragen worden sei. Die Klage des urspünglichen Kl. wurde rechtskräftig abgewiesen. Das FA erließ nunmehr gegen den ursprünglichen Kl. einen auf § 174 Abs. 3 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977, durch den es ihn nunmehr als alleinigen Erwerber des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden behandelte.
Nach erfolglosem Einspruch hat der ursprüngliche Kl. Klage erhoben und die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 30. Juni 1977 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung beantragt. Das FG ist dem Klageantrag gefolgt und hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Das FA hat Revision eingelegt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen Verletzung des § 174 Abs. 3 AO 1977 beantragt. Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gestützten Teilabhilfebescheid vom 27. Oktober 1983 erlassen und die GrESt herabgesetzt. Dabei hat es hinsichtlich des Erwerbs des weiteren Hälfteanteils berücksichtigt, daß sich der Wert des Gründstücks zwischen dem letzten Feststellungszeitpunkt und dem Erwerbszeitpunkt infolge Stillegung der Tankstelle vermindert hatte. Das FA hat dabei den früheren § 12 Abs. 3 GrEStG 1940 berücksichtigt, obwohl diese Vorschrift seinerzeit nicht in das rheinland-pfälzische GrEStG übernommen worden war. Der ursprüngliche Kl. hat den Teilabhilfebescheid gesondert angefochten und nach Zurückweisung seines Einspruchs Klage erhoben. Der erkennende Senat hat deshalb das Revisionsverfahren entsprechend § 74 FGO ausgesetzt.
Über die Klage gegen den Teilabhilfebescheid hat das FG durch rechtskräftiges Urteil vom 8. Juni 1984 dahin entschieden, daß der GrESt-Bescheid vom 27. Oktober 1983 aufgehoben werde. Entgegen der Auffassung des ursprünglichen Kl. hat das FG allerdings einen Teilabhilfebescheid, der dem Antrag des Stpfl. teilweise stattgibt, auch ohne dessen Zustimmung für zulässig gehalten. Gleichwohl hat es den Teilabhilfebescheid aus den folgenden Überlegungen aufgehoben:
Der Teilabhilfebescheid habe den Regelungsinhalt des angefochtenen (auf § 174 Abs. 3 AO 1977 gestützten) Änderungsbescheides vom 30. Juni 1977 insoweit in sich aufgenommen, als das FA dem Klageantrag nicht entsprochen habe. Daraus ergebe sich nach Auffassung des FG, daß der Teilabhilfebescheid mit dem verbliebenen Regelungsinhalt des Änderungsbescheides vom 30. Juni 1977 aufzuheben sei, weil die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO 1977 nicht erfüllt seien. Das FA hat sich dahin geäußert, daß der Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977 nach Aufhebung des Teilabhilfebescheides wieder in Kraft getreten sei und deshalb das ausgesetzte Revisionsverfahren fortgesetzt werden müsse. Es hat beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben, die GrESt auf . . . DM festzusetzen und die Klage im übrigen abzuweisen.
Die Kl. hat erklärt:
Sollte der erkennende Senat aus der Rechtskraft des FG-Urteils vom 8. Juni 1984 folgern, daß im vorliegenden Verfahren keine Sachentscheidung mehr ergehen könne, so werde die Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
Diese Erklärung legt der Senat dahin aus, daß die Klin. die Hauptsache für erledigt erklärt und nur hilfsweise an dem Klageantrag festhält (vgl. hierzu das Urteil des BGH vom 6. Mai 1965 II ZR 19/63, MDR 1965, 641; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 138 FGO, Tz. 41).
1. Der Beschluß über die Aussetzung des Revisionsverfahrens ist aufzuheben, weil das FG in der Zwischenzeit rechtskräftig über die Klage gegen den Teilabhilfebescheid entschieden hat.
2. Die Revision des FA bleibt im Ergebnis erfolglos. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ist auf den Antrag der Klin. festzustellen, daß sich die Hauptsache erledigt hat. Das angefochtene Urteil des FG vom 12. Februar 1979 ist deshalb aufzuheben, weil das FG durch das Urteil vom 8. Juni 1984 rechtskräftig über die Streitfrage entschieden hat. Mit Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils ist der Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides aufgehoben worden. Dies ergibt die Auslegung des Urteils vom 8. Juni 1984 unter Heranziehung der Gründe.
Nach dem Tenor ist zwar nur der Teilabhilfebescheid aufgehoben worden. Die Gründe ergeben aber eindeutig, daß das FG den Teilabhilfebescheid gemeint hat, der den Regelungsinhalt des Abänderungsbescheides vom 30. Juni 1977 in sich aufgenommen hat. Dies bedeutet, daß der durch den Teilabhilfebescheid eingeschränkte Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977 aufgehoben worden ist, und zwar deshalb, weil nach Auffassung des FG die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO 1977 nicht vorlagen.
Wegen der Rechtskraft des FG-Urteils vom 8. Juni 1984 (vgl. § 110 FGO) ist eine abweichende Entscheidung über die Streitfrage nicht mehr möglich. Für eine übereinstimmende Entscheidung fehlt aber das Rechtsschutzbedürfnis. Deshalb ist das nicht rechtskräftige, vom FA angefochtene Urteil des FG vom 12. Februar 1977 aufzuheben. Das Urteil ist nicht bereits durch die Erledigungserklärung der Klin. wirkungsklos geworden.
Ohne Bedeutung ist es, ob das FG angesichts des anhängigen Revisionsverfahrens überhaupt berechtigt war, durch das Urteil vom 8. Juni 1984 den Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides aufzuheben (vgl. § 66 Abs. 2 FGO). Auch ein rechtskräftiges Fehlurteil ist zu beachten (vgl. die Urteile des BGH vom 15. Dezember 1951 II ZR 158/51, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 21 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen Nr. 2 und vom 6. Oktober 1982 IVb ZR 729/80, NJW 1983, 514, 515, linke Spalte unter a).
3. Daraus, daß das FG den durch den Teilabhilfebescheid eingeschränkten Änderungsbescheid vom 30. Juni 1977 durch sein rechtskräftiges Urteil vom 8. Juni 1984 aufgehoben hat, folgt zugleich, daß sich im vorliegenden Verfahren die Hauptsache erledigt hat. Auf den Antrag der Klin. ist dies festzustellen, da das FA der Erledigung widersprochen hat. Ohne Bedeutung ist, ob die Klage vor Eintritt der Erledigung der Hauptsache begründet war oder nicht. Der Senat folgt der Auffassung des BVerwG, daß der Beklagte bei einseitiger Erledigungserklärung durch den Kläger an dem Abweisungsantrag nur dann festhalten darf, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, daß die Klage vor der Erledigung der Hauptsache unbegründet war (vgl. u. a. die Urteile des BVerwG vom 14. Januar 1965 I C 68.61, BVerwGE 20, 146; vom 27. Februar 1969 VIII C 37 und 38.67, BVerwGE 31, 318; vom 20. März 1974 IV C 48.71, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 42, und vom 28. November 1975 47.73, Buchholz, a.a.O., 310, § 161 VwGO Nr. 44). Ein solches berechtigtes Interesse des FA ist nicht erkennbar.
Eine vorlagepflichtige Abweichung von der Rechtsprechung des BGH (vgl. z. B. das Urteil vom 3. Februar 1976 VI ZR 23/72, HFR 1976, 540) liegt nicht vor (vgl. BVerwGE 20, 146, 151 f.). Unentschieden bleibt, was bei einer unzulässigen Klage gilt (vgl. das Urteil des BFH vom 9. August 1977 VII R 123/74, BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697).
Fundstellen
Haufe-Index 414039 |
BFH/NV 1986, 285 |