Leitsatz (amtlich)
Eine Straße dient dem öffentlichen Verkehr und ist damit von der Grundsteuer befreit, wenn sie tatsächlich ohne Beschränkung auf einen bestimmten, mit dem Verfügungsberechtigten in enger Beziehung stehenden Personenkreis zugänglich ist und auch so benutzt wird. Die öffentlich-rechtliche Widmung ist weder erforderlich noch ausreichend.
Normenkette
GrStG § 4 Nr. 9a
Tatbestand
Das FA (Beklagter) hat bei der Fortschreibung des Einheitswerts für das Bahnhofsgrundstück der Klägerin zum 1. Januar 1962 eine Bodenfläche mitbewertet, die auf sog. Ladestraßen entfällt, und sie als halbgrundsteuerpflichtig behandelt.
Der Einspruch der Klägerin gegen den Feststellungsbescheid und den Grundsteuermeßbescheid mit dem Ziel, den auf die Ladestraße entfallenden Grund und Boden unbewertet zu lassen und damit von der Grundsteuer freizustellen, blieb ohne Erfolg.
Auf die Klage hob das FG die Einspruchsentscheidung auf und änderte den Feststellungsbescheid und den Grundsteuermeßbescheid dahingehend ab, daß die Ladestraße unbewertet blieb und damit von der Grundsteuer freigestellt wurde. Es stellte fest, daß die Ladestraße aus drei Straßenzügen bestehe, die parallel zu einer öffentlichen Straße verliefen und sich noch vor der Grenze des Bahngeländes zu einer einzigen Straße vereinigten. Die Ladestraße habe sowohl Zufahrten als auch Abfahrten zu der öffentlichen Straße. Sie sei zwar als Privatstraße der Bahn gekennzeichnet, deren Benutzung nur für bahnbezogenen Verkehr zulässig sei. Bei der Benutzung seien die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu beachten. Auf der südlichen Ladestraße sei im Einvernehmen mit den Verkehrsbehörden eine Anzahl von Straßenverkehrsschildern aufgestellt. Tatsächlich sei die Straße einem praktisch unübersehbaren Personenkreis zur Benutzung freigegeben und werde auch in diesem Rahmen benutzt. Dies sei darauf zurückzuführen, daß sich entlang der Ladestraße Lagerplätze, Betriebsräume und Büroräume von Gewerbebetrieben, eine Gaststätte und mehrere Wohnhäuser befänden, und zwar zum Teil auf gepachtetem bahneigenem Gelände und zum Teil auf Gelände, das nicht der Bahn gehöre. Dies bedinge einen starken Kundenverkehr zu den einzelnen Firmen, insbesondere mit Lastkraftwagen und Lieferwagen. Hinzu komme, daß die südliche Ladestraße in den Stoßzeiten des Verkehrs zahlreiche mit den örtlichen Verhältnissen vertraute Kraftfahrer benutzten, um schneller vorwärts zu kommen.
Das FG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Entscheidung des FG ist in den EFG 1969 S. 424 abgedruckt.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 4 Nr. 9a GrStG. Es ist der Auffassung, daß nur solche Straßen dem öffentlichen Verkehr im Sinn dieser Vorschrift dienen, die kraft obrigkeitlicher Verfügungsgewalt mit öffentlich-rechtlicher Wirksamkeit für den allgemeinen jedermann offenstehenden Verkehr bestimmt und damit gewidmet sind. Die Grundsteuerbefreiung setze also voraus, daß die Straße tatsächlich dem öffentlichen Verkehr diene und außerdem hierfür gewidmet sei. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergebe sich aus dem Urteil des BFH III 48/60 S vom 6. Oktober 1961 (BFH 74, 132, BStBl III 1962, 51).
Das FA hat beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das GrStG als sachliche Voraussetzung für die Befreiung von Grundbesitz von der Grundsteuer regelmäßig verlangt, der Grundbesitz müsse für einen bestimmten begünstigten Zweck "benutzt" werden (vgl. §§ 4 Nr. 1, 3, 4, 5 b, 6, 8, 10 GrStG). Ausnahmsweise verlangt § 4 GrStG für die Grundsteuerbefreiung, daß der Grundbesitz einem bestimmten Zweck "gewidmet" ist (Nr. 5 a) oder einem bestimmten Zweck "dient" (Nr. 9 a).
Nach § 4 Nr. 9a GrStG sind u. a. die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen von der Grundsteuer befreit.
Im Schrifttum wird zum Teil die Auffassung vertreten, daß hierunter die öffentlichen Straßen im Sinne des Wege- und Straßenrechts zu verstehen seien (so Scholz, Grundsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 4 Anm. 100). Nach anderer Auffassung erfordert die Grundsteuerbefreiung für Straßen nicht, daß es sich um öffentliche Straßen handle, sondern es genüge, daß auf den Straßen tatsächlich ein öffentlicher Verkehr mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Eigentümers stattfinde (so Ringelmann-Freudling, Grundsteuergesetz, § 4 Nr. 9 Erläuterung A, und wohl auch Gürsching-Stenger, Grundsteuergesetz, Kommentar, § 4 Nr. 9 Anm. 4).
Der Senat stimmt dem FG darin zu, daß unter den Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 9a GrStG nicht nur öffentliche Straßen fallen. Der Begriff "öffentliche Straße" gehört dem Wege- und Straßenrecht an. Bei Sachen, deren Rechtsqualität als öffentliche Sache sich nicht aus der Natur ihrer Beschaffenheit ergibt, wie z. B. bei Straßen, bedarf es einer Widmung, um sie dem öffentlichen Recht zu unterstellen und damit zur öffentlichen Sache zu machen (vgl. § 2 des Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung vom 6. August 1961, BGBl I 1961, 1741; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Erster Band, Allgemeiner Teil, 9. Aufl., S. 354). Eine Straße wird damit erst durch die öffentlich-rechtliche Widmung zur öffentlichen Straße. Das GrStG bedient sich indessen für die Abgrenzung des Regelungsbereichs des Befreiungstatbestands des § 4 Nr. 9a nicht des Begriffs der öffentlichen Straße, sondern es spricht von Straßen, die dem öffentlichen Verkehr dienen. Wenn nur öffentliche Straßen von der Grundsteuer befreit werden sollten, hätte es nahegelegen, daß sich der Gesetzgeber des bei Erlaß des GrStG schon bekannten technischen Begriffs bedient hätte, der für Straßen geprägt wurde, die eine öffentliche Sache sind. Daraus, daß er das nicht getan hat, ergibt sich nach Auffassung des Senats, daß weder die Widmung einer Straße noch das öffentliche Eigentum Voraussetzung für die Anwendung des Befreiungstatbestands des § 4 Nr. 9a GrStG ist. Dieser Auffassung steht das BFH-Urteil III 48/60 S vom 6. Oktober 1961 (a. a. O.) nicht entgegen. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß mit diesem Urteil nicht über die Befreiungsvoraussetzungen für Grundbesitz entschieden wurde, der dem öffentlichen Verkehr dient. Im Entscheidungsfall ging es vielmehr darum, ob eine Grünanlage, die nicht dem öffentlichen Verkehr dient, sondern diesen fernhalten soll, von der Grundsteuer befreit werden könnte. Ailerdings enthält die Begründung dieses Urteils den die Entscheidung nicht tragenden Satz, daß für die Grundsteuerbefreiung von Straßen, Wegen und Plätzen, die Widmung für den öffentlichen Verkehr erforderlich sei. Soweit hieraus hergeleitet wird, daß unter den Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 9a GrStG nur öffentliche Straßen, Wege und Plätze einzuordnen sind, erklärt der Senat, daß er an dieser Auffassung nicht festhalten könnte.
Das FG ist davon ausgegangen, daß die in § 4 GrStG verwendeten Ausdrücke "benutzt", "gewidmet" und "dienen" nicht gleichbedeutend seien. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, was unter "widmen" im Sinn des § 4 Nr. 5a GrStG zu verstehen ist. Entgegen der Auffassung des FG vermag er allerdings einen grundsätzlichen Unterschied zwischen "benutzen" und "dienen" nicht zu erkennen. Dies ergibt sich aus § 6 GrStG, wo die Begriffe "dienen" und "benutzen" offensichtlich gleichbedeutend verwendet werden. Ein tatsächlicher Unterschied dürfte sich nur daraus ergeben, daß die Benutzung regelmäßig durch den Eigentümer des Grundbesitzes oder im Falle der Nrn. 6, 7 und 8 des § 4 GrStG durch eine bestimmte andere qualifizierte natürliche oder juristische Person erfolgen muß, während das "dienen" sich auf einen unbestimmten Personenkreis bezieht und in einem Dulden durch den Eigentümer besteht. Der Senat stimmt jedoch dem FG darin zu, daß eine Straße immer dann dem öffentlichen Verkehr dient, wenn auf der Straße tatsächlich ein öffentlicher Verkehr im Sinne des Straßenverkehrsrechts stattfindet, d. h. wenn die Straße tatsächlich ohne Beschränkung auf bestimmte, mit dem Verfügungsberechtigten in enger Beziehung stehende Personen zugänglich ist und auch tatsächlich so benutzt wird (vgl. Müller, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., Straßenverkehrsgesetz § 1 Anm. 49 und 50; Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., Straßenverkehrsordnung § 1 Anm. 3 a). In dieser Art der Benutzung kommt die vom FG geforderte Zweckbestimmung durch den Eigentümer oder Verfügungsberechtigten jedenfalls stillschweigend zum Ausdruck, wobei zu ergänzen ist, daß es nicht auf die innere Willenseinstellung des Eigentümers ankommen kann, sondern darauf, wie er seinen Willen durch die Zulassung der tatsächlichen Nutzung für den öffentlichen Verkehr in die Tat umsetzt. Die öffentlichrechtliche Widmung einer Straße ist dagegen für die Grundsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 9a GrStG weder erforderlich noch für sich allein ausreichend.
Das FG hat unangefochten und für den Senat verbindlich (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß die Ladestraße der Klägerin einem praktisch unübersehbaren Personenkreis zur Benutzung freigegeben ist und auch tatsächlich benutzt wird. Im übrigen wäre eine zeitlich Einschränkung in der Benutzung und eine Beschränkung auf bahnbezogenen Verkehr unschädlich, weil es sich auch dabei nicht um die Beschränkung in der Benutzung der Straße auf einen mit der Klägerin in enger Beziehung stehenden Personenkreis handelt. Der Kreis der Benutzer steht vielmehr, wie das FG festgestellt hat, in Beziehung zu den Anliegern der Ladestraße der Klägerin. Damit braucht nicht entschieden zu werden, ob, wie das FG angenommen hat, für eine Teilfläche dieser Ladestraße eine stillschweigende öffentlich-rechtliche Widmung durch die zuständigen Behörden angenommen werden könnte, was dem Senat im Hinblick auf die formellen Erfordernisse der Widmung von Straßen auf Grund der neuen Straßengesetze bedenklich erschiene (vgl. Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., S. 382).
Fundstellen
Haufe-Index 69272 |
BStBl II 1971, 32 |
BFHE 1971, 325 |