Entscheidungsstichwort (Thema)
Ableitung des gemeinen Werts von Geschäftsanteilen aus Verkäufen
Leitsatz (NV)
1. Nach dem Wortlaut des §11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist eine Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften nur aus solchen Verkäufen zulässig, die vor dem maßgebenden Bewertungsstichtag wirksam zustande gekommen sind. Die auf dem Stichtagsprinzip beruhende Regelung schließt aber nicht aus, den gemeinen Wert der Anteile aus kurz nach dem maßgebenden Stichtag zustande gekommenen Anteilsverkäufen abzuleiten, wenn die Einigung über den Kaufpreis, der dem förmlichen Vertragsabschluß zugrunde liegt, schon am Bewertungsstichtag herbeigeführt war oder sich die Verhandlungen durch Festlegung eines Preisrahmens vor dem Stichtag so weit verdichtet haben, daß der Kaufpreis durch den Kaufvertrag nur noch dokumentiert wird.
2. Die Einigung über den Kaufpreis muß nicht rechtsverbindich sein, um Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts der Anteile sein zu können. Es reicht aus, wenn aufgrund von Verkaufsverhandlungen vor dem Stichtag eine Verständigung über den Kaufpreis herbeigeführt wurde, dieser beim Verkauf der Anteile kurze Zeit nach dem Stichtag übernommen wird und als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ausgehandelt angesehen werden kann.
3. Die Ableitung des gemeinen Werts der Anteile aus einer vor dem Stichtag getroffenen Preisabsprache wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die ursprünglichen Verhandlungspartner aufgrund Erbfalls mit den späteren Vertragsparteien nicht identisch sind.
Normenkette
BewG § 11 Abs. 2 Sätze 2, 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (EFG 1997, 49) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Alleinerbin ihres am 30. August 1983 verstorbenen Ehemanns (Erblasser). Der Erblasser war zusammen mit zwei weiteren Gesellschaftern an der B-GmbH (B) beteiligt gewesen. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 600 000 DM, von dem auf die drei Gesellschafter jeweils 200 000 DM entfielen. In einer privatschriftlichen Vereinbarung vom 10. November 1983 erklärte die Klägerin, daß sie ihre Anteile an der B für einen Kaufpreis von 580 000 DM an die beiden Mitgesellschafter mit Wirkung vom 1. Januar 1984 abtrete. Die notarielle Beurkundung der Anteilsabtretung erfolgte am 16. Dezember 1983; der Kaufpreis wurde hierbei ebenfalls mit 580 000 DM angegeben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin mit Änderungsbescheid vom 3. August 1993 auf ... DM fest. Als steuerpflichtigen Erwerb setzte das FA u. a. die Geschäftsanteile an der B mit einem Wert von 1 850 000 DM an, wobei es von einem gemeinen Wert der Anteile zum Stichtag 30. August 1983 von 925 v. H. je 100 DM des Stammkapitals ausging. Dieser Stichtagswert wurde aus einem vom Betriebs-FA festgestellten gemeinen Wert der Anteile zum 31. Dezember 1982 von 843 v. H. und einem zum 31. Dezember 1983 festgestellten Wert von 972 v. H. je 100 DM des Stammkapitals abgeleitet.
Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin begehrte, den Wert der Geschäftsanteile mit dem Kaufpreis von 580 000 DM anzusetzen, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stützte seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Begründung: Aus §11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) folge, daß der gemeine Wert nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht aus Verkäufen abgeleitet werden könne, die erst nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossen worden seien. Eine Ausnahme sei nach der Rechtsprechung allenfalls dann möglich, wenn eine Einigung über den Kaufpreis bei einem kurz nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossenen Verkauf schon vor dem Bewertungsstichtag zustande gekommen sei. Davon könne im Streitfall aber keine Rede sein, da die privatschriftliche Vereinbarung, die der notariellen Beurkundung der Anteilsabtretung vom 16. Dezember 1983 vorausgegangen sei, erst am 10. November 1983 -- also mehr als zwei Monate nach dem Bewertungsstichtag (30. August 1983) -- zustande gekommen sei.
Die von der Klägerin behauptete Einigung des Erblassers mit den späteren Käufern über den Kaufpreis von 580 000 DM, die wenige Tage vor dem Stichtag stattgefunden habe, könne eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Eine Ausnahme von dem in §11 Abs. 2 BewG normierten Grundsatz setze voraus, daß sich die späteren Vertragsparteien bereits vor dem Stichtag über den Kaufpreis einig gewesen seien. Eine den Erben nicht bindende Einigung mit dem Erblasser, die nicht zu einem Vertragsabschluß zwischen den ursprünglichen Verhandlungspartnern geführt habe, reiche hingegen nicht aus, da der Erbe, selbst wenn er sich zur Übernahme des vom Erblasser ausgehandelten Kaufpreises entschließe, aufgrund eigener Dispositionsbefugnis entscheide. Die Schätzung des Wertes der Anteile zum Stichtag hielt das FG für zutreffend. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 49 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Erbschaftsteuer unter Änderung des Bescheids vom 3. August 1993 und der Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 1995 auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn der Stichtagswert der Anteile an der B mit 580 000 DM angesetzt wird, sowie hilfsweise, die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Auffassung des FG, der Wert der Geschäftsanteile könne nicht aus dem der Klägerin bezahlten Kaufpreis abgeleitet werden, weil zwischen dem Erblasser und den übrigen Gesellschaftern vor dem Bewertungsstichtag keine rechtlich bindende Einigung über den Kaufpreis zustande gekommen sei, verletzt §11 Abs. 2 BewG.
Nach §11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Börsenkurs nicht besteht, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Hinsichtlich der Ermittlung des gemeinen Werts bestimmt Satz 2 dieser Vorschrift, daß dieser in erster Linie aus Verkäufen abzuleiten ist, die weniger als ein Jahr vor dem maßgebenden Bewertungsstichtag liegen. Sind solche Verkäufe nicht vorhanden, soll der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft geschätzt werden.
Es trifft zwar zu, daß nach dem Wortlaut des §11 Abs. 2 Satz 2 BewG eine Ableitung des gemeinen Werts nur aus solchen Verkäufen zulässig ist, die vor dem maßgebenden Bewertungsstichtag wirksam zustande gekommen sind. Dies beruht auf dem Stichtagsprinzip. Das schließt aber nicht aus, den gemeinen Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften aus erst kurz nach dem maßgebenden Stichtag zustande gekommenen Anteilsverkäufen abzuleiten, wenn die Einigung über den Kaufpreis, der dem förmlichen Vertragsabschluß zugrunde liegt, schon am Bewertungsstichtag herbeigeführt war (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Januar 1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280) bzw. sich die Verhandlungen durch Festlegung eines Preisrahmens vor dem Stichtag so weit verdichtet haben, daß der Kaufpreis durch den Kaufvertrag nur noch dokumentiert wird (vgl. BFH-Urteil vom 2. November 1988 II R 52/85, BFHE 155, 121, BStBl II 1989, 80).
Hingegen muß die Einigung über den Kaufpreis -- entgegen der Auffassung des FG -- noch nicht rechtsverbindlich sein, um Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts der Anteile sein zu können (BFH in BFHE 155, 121, BStBl II 1989, 80). Vielmehr reicht es aus, wenn aufgrund von Verkaufsverhandlungen vor dem Stichtag eine Verständigung über den Kaufpreis herbeigeführt wurde, dieser beim Verkauf der Anteile kurze Zeit nach dem Stichtag übernommen wird und als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ausgehandelt angesehen werden kann.
Die Ableitung des gemeinen Werts der Anteile aus der vor dem Stichtag getroffenen Preisabsprache wird in diesen Fällen auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die ursprünglichen Verhandlungspartner aufgrund Erbfalls mit den späteren Vertragsparteien nicht identisch sind. Die Eignung des vom Erblasser ausgehandelten und später vereinbarten Preises für die Ableitung des gemeinen Werts der Anteile wird weder durch die fehlende Personenidentität berührt, noch dadurch in Frage gestellt, daß der förmliche Vertragsabschluß aufgrund einer -- wie sich das FG ausdrückt -- eigenen Entschließung der Klägerin erfolgt ist. Es liegt im übrigen in der Natur der Sache, daß ein zunächst zivilrechtlich noch nicht gebundener Vertragspartner seine Entscheidung zum endgültigen Vertragsabschluß aufgrund eigener Willensentschließung und Rechtsmacht trifft.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen, abschließend zu entscheiden, ob aus dem von der Klägerin am 16. Dezember 1983 und damit kurze Zeit nach dem Bewertungsstichtag abgeschlossenen Kaufvertrag der gemeine Wert der Anteile gemäß §11 Abs. 2 Satz 2 BewG abgeleitet werden kann. Dies erfordert insbesondere Feststellungen zu der Behauptung der Klägerin, der Erblasser habe Verkaufsverhandlungen über die GmbH- Anteile geführt und kurz vor seinem Tod einen Verkaufspreis für die Anteile ausgehandelt, der bei Abschluß des notariell beurkundeten Kaufvertrages übernommen worden sei; ggf. hat das FG zu prüfen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen, ob der Verkaufspreis als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen angesehen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 170954 |
BFH/NV 1999, 908 |
DStRE 1999, 485 |
DStZ 1999, 533 |
HFR 1999, 532 |