Leitsatz (amtlich)
Liegen zwischen dem Tag der mündlichen Verhandlung und einem späteren Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung mehr als neun Wochen, so liegt keine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, sondern die Bestimmung eines neuen Termins vor. In diesem Falle ist die vom Präsidium des FG gemäß § 27 FGO aufgestellte Liste über die Reihenfolge in der Heranziehung der ehrenamtlichen Finanzrichter zu beachten. Eine dieser Liste nicht entsprechende neue Verhandlung in der Besetzung eines früheren Termins ist ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 119 FGO, wenn nicht für die Besetzung ein gesetzlich zugelassener Grund besteht.
Normenkette
FGO § 27
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist Rechtsnachfolgerin einer im Jahre 1959 auf sie als Hauptaktionärin umgewandelten AG. Zum Vermögen der AG gehörte zu Beginn des streitigen Veranlagungszeitraums 1953 ein Grundstück mit durch Kriegseinwirkung stark beschädigten Fabrikgebäuden. Sein Buchwert betrug am 1. Januar 1953 316 291 DM. Das Grundstück wurde mit Vertrag vom 27. Juni 1953 zum Preise von 370 000 DM an den Ehemann der Steuerpflichtigen, der gleichfalls Aktionär der AG war, verkauft. Die Steuerpflichtige und ihr Ehemann besaßen damals zusammen etwa 95 v. H. des Aktienkapitals der AG.
Das FA ist demgegenüber der Auffassung, daß der Verkehrswert des Grundstücks 1 600 000 DM betragen habe. Das FA folgerte dies insbesondere aus Verhandlungen, die der Ehemann der Steuerpflichtigen im Frühjahr 1953 mit Beamten der Stadt über einen Verkauf des Grundstücks geführt und bei denen er für das Grundstück 1 600 000 DM verlangt hatte.
Gegen den auf der Auffassung des FA beruhenden Steuerbescheid legte die Steuerpflichtige erfolglos Einspruch und Berufung ein. Der erkennende Senat hob durch Urteil I 302/61 S vom 16. November 1965 (BFH 84, 268, BStBl III 1966, 97) die Entscheidung des FG auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das FG zurück. Er bestätigte zwar, daß in der Zahlung eines erheblich unter dem Verkehrswert des Grundstücks gelegenen Kaufpreises durch den Ehemann der Steuerpflichtigen eine verdeckte Gewinnausschüttung zu erblicken sei. Für die Frage, in welcher Höhe eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen sei, komme es auf den im Jahre 1953 erzielbaren Wert, d. h. auf das vorliegende Preisangebot der Stadt an, gleichgültig, welche Umstände dieses beeinflußt hätten. Es stehe nicht fest, daß die AG zur Zeit des Verkaufs an den Ehemann der Steuerpflichtigen 1 600 000 DM für das Grundstück hätte erzielen können. Das FG habe dem Beweisantrag der Steuerpflichtigen zu entsprechen und zu ermitteln, welchen Preis die Stadt im Jahre 1953 zu zahlen bereit gewesen wäre.
Das FG hat daraufhin zunächst am 14. März 1967 mehrere Zeugen gehört.
Am Schluß dieser Verhandlung wurde vom FA der Antrag gestellt, auch noch den damaligen Stadtkämmerer M. als Zeugen zu vernehmen. Die Beteiligten erklärten übereinstimmend, daß sie für den Fall, daß der frühere Stadtkämmerer M. als Zeuge gehört werden soll, damit einverstanden seien, daß nach der Beweisaufnahme das Gericht in der Besetzung vom 14. März 1967 entscheide.
Im Anschluß an die Vernehmung des früheren Stadtkämmerers entschied das FG am 18. Mai 1967 in der Besetzung der ersten Verhandlung, in der die übrigen Zeugen gehört worden waren. Das FG kam zu der Überzeugung, daß der erzielbare Kaufpreis 1 100 000 DM betrug.
Gegen dieses Urteil hat die Steuerpflichtige Revision eingelegt. Sie rügt die nicht ordnungsgemäße Besetzung des FG, da die Angehörigen des FG besoldungsrechtlich nicht als Angehörige eines oberen Landesgerichtes eingestuft seien. Das Urteil sei von Richtern gesprochen worden, die für die Entscheidung nicht zuständig gewesen seien. Nach § 27 FGO hätte das FG in der Sitzung am 18. Mai 1967 nicht in der gleichen Besetzung entscheiden dürfen wie am 14. März 1967; denn die ehrenamtlichen Richter hätten in der vorher listenmäßig festgelegten Reihenfolge wechseln müssen. Das Verfahren leide darum an einem unverzichtbaren Mangel.
Auch die Beweiswürdigung sei mangelhaft, da die Vorentscheidung nur auf der Aussage des als Zeugen gehörten Stadtkämmerers M. beruhe.
Die Steuerpflichtige beantragt, die Vorentscheidung, den Einspruchsbescheid und den Körperschaftsteuerbescheid 1953 ersatzlos aufzuheben.
Das FA hat Anschlußrevision eingelegt und wegen des materiell-rechtlichen Ergebnisses die Verletzung der Denkgesetze und Erfahrungssätze gerügt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Rüge, die ungenügende Besoldung der Finanzrichter führe zu einer vorschriftswidrigen Besetzung, greift nicht durch. Die besoldungsmäßige Einstufung der Richter ist für die Frage der vorschriftsmäßigen Besetzung eines Gerichtes im Sinne des § 119 Nr. 1 FGO ohne Bedeutung (Beschluß des BVerfG 2 BvL 9-11/68 vom 14. Mai 1968, BStBl II 1968, 467, HFR 1968, 322 -; Beschluß des BFH Gr. S. 1/68 vom 27. Mai 1968, BFH 92, 188, BStBl II 1968, 473).
Die Rüge der mangelhaften Besetzung der Richterbank greift dagegen durch. Es lag hier keine Unterbrechung der Sitzung vor, die der Vorsitzende als prozeßleitende Verfügung für kurze Zeit anordnen kann. Es handelte sich vielmehr sachlich um die Bestimmung eines neuen Termins. Die Sitzung vom 14. März 1967 endete mit dem Vorschlag des Gerichts, den Rechtsstreit auf der Grundlage des § 94 AO zu erledigen; diesem Vorschlag ist das FA nicht gefolgt. Der neue Termin fand am 18. Mai 1967 statt. Bei einem so langen zeitlichen Abstand zwischen den Terminen handelt es sich nicht nur um eine Unterbrechung, sondern um die Anberaumung einer neuen mündlichen Verhandlung (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Auflage, § 65 III 3 und IV 2). Dies hat aber eine Änderung in der Besetzung des Gerichts zur Folge (vgl. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 91 FGO, Anm. 4).
Die Heranziehung der ehrenamtlichen Beisitzer aus dem Termin vom 14. März 1967 im Entscheidungstermin vom 18. Mai 1967 hat zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung geführt. Die Bestimmung der Reihenfolge der Heranziehung durch das Präsidium dient dem in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG festgelegten Gebot des gesetzlichen Richters; von dieser Reihenfolge darf darum ohne gesetzlich zulässigen Grund nicht abgewichen werden (vgl. BVerfG-Urteil III C 108/61 vom 14. März 1963, NJW 1963 S. 1219).
Die FGO enthält mit Ausnahme des § 27 Abs. 2 keine ausdrückliche Vorschrift, die ein Abweichen von der Reihenfolge der Liste erlaubt. Ziemer-Birkholz (Finanzgerichtsordnung, § 27 Anm. 6) halten nur dann die Besetzung für fehlerhaft, wenn die in der Liste vorgesehene Reihenfolge "willkürlich, d. h. ohne sachliche Gründe" nicht eingehalten wird. Dieser Rechtsansicht vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen; er ist vielmehr der Meinung, daß nur ein gesetzlich zugelassener Grund ein Abweichen unschädlich macht. Es ist zuzugeben, daß die Fortführung der Verhandlung in der gleichen Besetzung wie am 14. März 1967 zu einer Arbeitsersparnis und zu einer Vereinfachung des Verfahrens geführt hat, da sich ein Verlesen der Ergebnisse des ersten Beweistermins erübrigte (vgl. BFH-Urteil I 40 und 48/65 vom 8. Februar 1966, BFH 85, 229, BStBl III 1966, 293). Arbeitsersparnis und Vereinfachung rechtfertigen aber nicht das Abweichen von der Liste.
War somit das FG nicht vorschriftsmäßig besetzt, so liegt ein absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 119 FGO vor, der zur Aufhebung der Vorentscheidung führt. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß die Beteiligten sich mit der unvorschriftsmäßigen Besetzung einverstanden erklärten. Der Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters ist der Bestimmung durch die Beteiligten entzogen. Die Beteiligten können darum auf die Rüge nicht wirksam verzichten (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Auflage, § 295 Anm. 3 B; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, § 295, Anm. B II a 1).
Die Vorentscheidung muß aufgehoben und an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden, ohne daß sich der Senat mit den materiell-rechtlichen Fragen befassen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 68473 |
BStBl II 1969, 297 |
BFHE 1969, 24 |