Leitsatz (amtlich)
Es kommt für die den Rechtsschutz nach § 242 Abs. 2 Satz 2 AO und nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ausschließende Freiwilligkeit einer Steuerzahlung darauf an, ob sich die Behörde mit dem im Steuerbescheid enthaltenen Leistungsgebot begnügt oder ob sie noch zusätzlich auf den Steuerpflichtigen eingewirkt hatte. Eine solche Einwirkung kann in jedem zusätzlichen Verhalten der Behörde liegen, das den Steuerpflichtigen veranlassen soll, das Leistungsgebot zu erfüllen.
Normenkette
AO § 242 Abs. 2 S. 2; FGO § 69 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Waffenhandlung. Sie ließ im August 1969 500 Karabiner zum freien Verkehr abfertigen. Der Beklagte und Revisionskläger (HZA) wies die Ware zunächst als "Kriegswaffen" der Tarifnr. 93.03 des Gemeinsamen Zolltarifs zu, die keinen Zoll vorsah. Durch Bescheid vom 22. September 1969 forderte das HZA jedoch Eingangsabgaben mit der Begründung nach, die Waren gehörten als "andere Feuerwaffen" zur Tarifnr. 93.04. Die Klägerin erhob hiergegen Einspruch und beantragte, die Vollziehung des Nachforderungsbescheides auszusetzen. Das HZA erteilte der Klägerin am 14. Oktober 1969 einen Bescheid, in dem es erklärte, es könne dem Aussetzungsantrag nicht entsprechen und bitte daher, den angeforderten Betrag einzuzahlen. Daraufhin entrichtete die Klägerin den nachgeforderten Abgabenbetrag. Ihre Beschwerde gegen die Versagung der Aussetzung der Vollziehung blieb erfolglos. Das FG gab jedoch der Klage statt und führte aus:
Die Klage sei zulässig. Es könne dahinstehen, ob freiwillige Zahlungen auf Grund eines steuerrechtlichen Leistungsgebotes im Umfange der Leistung den Rechtsschutz nach § 242 Abs. 2 AO ausschlössen. Denn die Klägerin habe nicht freiwillig gezahlt. Sie sei vom HZA durch den Bescheid vom 14. Oktober 1969 zum zweiten Male zur Zahlung aufgefordert worden. Das sei geeignet gewesen, bei ihr den Eindruck zu erwecken, die Behörde werde ihre Forderung, wenn sie nicht beglichen werde, nunmehr im Wege des Verwaltungszwanges realisieren. Das FG setze sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des I. Senats des BFH. Dieser Senat stelle lediglich fest, daß derjenige, der ein gegen ihn ergangenes und von ihm für rechtswidrig gehaltenes Leistungsgebot ohne jede besondere Einwirkung der Finanzbehörde erfülle, des Rechtsschutzes aus § 242 AO nicht bedürfe. Wenn der I. Senat des BFH (im Beschluß vom 17. Januar 1968 I B 67/67, BFHE 91, 301, BStBl II 1968, 311) als besondere Einwirkung die Mahnung, die Postnachnahme und Beitreibungsmaßnahmen erwähne, so sei das, wie das Wort "wie" zeige, lediglich eine beispielhafte Aufzählung, die andere Maßnahmen nicht ausschließe.
Die Klage sei auch begründet. Das ergebe sich aus dem Urteil des FG vom gleichen Tage in der Sache FG III 165/70.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das HZA geltend:
Der I. Senat des BFH habe zwar nur Beispiele dafür angeführt, wann eine die Freiwilligkeit der Zahlung ausschließende besondere Einwirkung auf den Steuerpflichtigen vorliege. Die dabei erwähnte Mahnung stelle jedoch die unterste Grenze für eine besondere Einwirkung dar. Da die Mahnung im Steuerrecht ganz besondere Anforderungen erfüllen müsse, könne ihr die im Bescheid vom 14. Oktober 1969 enthaltene Bitte, den angeforderten Betrag einzuzahlen, nicht gleichgestellt werden. Diese Bitte könne auch deshalb nicht eine besondere Einwirkung auf die Klägerin gewesen sein, weil die Rechtslage der Klägerin in bezug auf ihre Zahlungsverpflichtung bis dahin unverändert geblieben sei. Das HZA habe in dem Bescheid in erster Linie den Aussetzungsantrag abgelehnt. Es habe bei dieser Gelegenheit nur den Stand des gesamten Besteuerungsverfahrens zusammengefaßt und dabei auch die unverändert bestehende Zahlungsverpflichtung erwähnt. Darin könne keine Beeinträchtigung des Zahlungswillens gesehen werden. Im übrigen bestünden gegen die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides keine ernstlichen Bedenken. Insofern nehme das HZA auf die Begründung seiner unter dem Aktenzeichen VII R 102/71 anhängigen Revision Bezug.
Das HZA hat beantragt, das FG-Urteil aufzuheben. Die Klägerin hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das HZA hat die Vorschrift des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, daß die Revisionsbegründung oder die Revision die verletzte Rechtsnorm bezeichnen muß, erfüllt. Diese Vorschrift verlangt nicht, daß die Verletzung der Rechtsnorm ausdrücklich gerügt wird. Die Revisionsbegründungsschrift erwähnt § 242 AO und stellt dar, daß die Rechtsauffassung des FG zu der Frage, ob die Klägerin durch die Zahlung des Abgabenbetrages das Rechtsschutzinteresse aus § 242 AO verloren habe, mit dieser Vorschrift nicht vereinbar sei. Es ist somit eindeutig erkennbar, welche Rechtsnorm das HZA für verletzt hält (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84).
Die Klägerin hatte durch einen den § 242 Abs. 2 Satz 2 AO entsprechenden Antrag, die Vollziehung des Nachforderungsbescheides vom 22. September 1969 auszusetzen, den Erlaß eines Verwaltungsaktes begehrt. Nachdem das HZA durch den Bescheid vom 14. Oktober 1969 den Erlaß eines solchen abgelehnt und die OFD die dagegen erhobene Beschwerde zurückgewiesen hatte, war nach § 40 Abs. 1 und § 44 Abs. 1 FGO die Klägerin befugt, durch Klage die Aufhebung der Bescheide des HZA und der OFD zu begehren. Diesem Begehren entsprach der Klageantrag. Die Zulässigkeit der Klage hing entgegen der Auffassung des FG nicht auch davon ab, ob die von der Klägerin nach Ablehnung ihres Aussetzungsantrages geleistete Zahlung des Abgabenbetrages freiwillig war.
Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH bedarf der Steuerpflichtige, der ein gegen ihn ergangenes und von ihm für rechtswidrig gehaltenes Leistungsgebot ohne jede besondere Einwirkung seitens der Finanzbehörde erfüllt, angesichts seiner freiwilligen Zahlung nicht des Rechtsschutzes, den § 242 AO und § 69 FGO gewähren (vgl. Beschluß I B 67/67). Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat im Beschluß vom 28. November 1967 VII B 13/66 (BFHE 91, 323) im wesentlichen angeschlossen. Hingegen hat der II. Senat sie abgelehnt in seinen Beschlüssen vom 4. März 1969 II B 21/68 (BFHE 94, 571, BStBl II 1969, 264) und vom 29. März 1972 II B 38/71 (BFHE 105, 100, BStBl II 1972, 494). Auch wenn man mit dem FG von der Rechtsprechung des I. Senats ausgeht, kann die Frage der Freiwilligkeit der von der Klägerin nach Ablehnung ihres Aussetzungsantrags und vor der Zurückweisung ihrer Beschwerde durch die OFD geleisteten Zahlung nur die Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung und daher nur die Begründetheit der Klage berühren, die gemäß § 44 Abs. 2 FGO den Ablehnungsbescheid des HZA vom 14. Oktober 1969 in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 18. Februar 1971 zum Gegenstand hatte.
Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß VII B 13/66 im Anschluß an die erwähnte Rechtsprechung des I. Senats ausgeführt, daß freiwillige Leistungen nur solche sind, die - von dem Leistungsgebot abgesehen - ohne besondere Einwirkung der Steuerbehörde auf den Steuerpflichtigen entrichtet werden. Hieran hält der Senat fest. Es kommt demnach für die den Rechtsschutz nach § 242 Abs. 2 Satz 2 AO und nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ausschließende Freiwilligkeit einer Steuerzahlung darauf an, ob sich die Behörde mit dem im Steuerbescheid enthaltenen Leistungsgebot begnügt oder ob sie noch zusätzlich auf den Steuerpflichtigen eingewirkt hatte. Eine solche Einwirkung kann in jedem zusätzlichen Verhalten der Behörde liegen, das den Steuerpflichtigen veranlassen soll, das Leistungsgebot zu erfüllen. Der I. Senat hat bereits in seiner ursprünglichen Entscheidung zu dieser Frage (Beschluß vom 9. August 1966 I B 3/66, BFHE 86, 723, BStBl III 1966, 646) zum Ausdruck gebracht, daß die Freiwilligkeit der Zahlung nicht erst durch bestimmte, besonders gewichtige Einwirkungshandlungen ausgeschlossen wird. Er hat nämlich schon den "Eindruck von Vollziehungsmaßnahmen" genügen lassen und hierfür lediglich Beispiele angeführt. Im Beschluß I B 67/67 hat er dies noch durch die Erklärung verdeutlicht, eine freiwillige Zahlung liege vor, wenn der Steuerpflichtige das Leistungsgebot "ohne jede besondere Einwirkung" erfülle.
Bei der Entscheidung der Frage, wann bereits eine den Rechtsschutz nach § 242 Abs. 2 Satz 2 AO und § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ausschließende freiwillige Zahlung der Abgabenforderung vorliegt, ist besonders zu berücksichtigen, daß diese Vorschriften die Härte ausgleichen sollen, die darin liegt, daß das Abgabenrecht von dem Grundsatz abweicht, daß die Anfechtung eines Verwaltungsaktes aufschiebende Wirkung hat (vgl. § 80 VwGO, § 242 Abs. 1 AO, § 69 Abs. 1 FGO). Der Verlust des Rechtsschutzes aus den Aussetzungsvorschriften des § 242 Abs. 2 Satz 2 AO und des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO muß daher auf den Fall beschränkt bleiben, daß der Steuerpflichtige nur auf Grund des Leistungsgebotes gezahlt hat.
Das war hier nicht der Fall. Die Klägerin hat erst gezahlt, nachdem das HZA sie durch den Bescheid vom 14. Oktober 1969 in Verbindung mit der Ablehnung des Aussetzungsantrags zum zweiten Male zur Zahlung des Betrages aufgefordert hatte.
Die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides setzt nach § 242 Abs. 2 Satz 2 AO voraus, daß an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche Zweifel bestehen. Durch die Verweisung auf sein Urteil in der Sache FG III 165/70 hat das FG zum Ausdruck gebracht, daß solche ernstliche Zweifel hier vorliegen. Ihm gegenüber verweist das HZA auf seine Revisionsbegründung in der beim Senat unter dem Aktenzeichen VII R 102/71 anhängigen Sache. Diese betrifft aber nicht den Rechtsstreit wegen des Bescheides vom 22. September 1969 über Eingangsabgaben für im August 1969 abgefertigte 500 Karabiner, dessen Aussetzung hier im Streit ist, sondern einen Nachforderungsbescheid vom 18. Dezember 1969 über Abgaben für 45 Schweizer Langgewehre. Aus ihr kann daher nicht entnommen werden, weshalb die Auffassung des FG, an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 22. September 1969 bestünden ernstliche Zweifel, rechtsirrig sei. Es mag sein, daß die Angabe des Aktenzeichens VII R 102/71 auf einem Irrtum des HZA beruht. Ein solcher Irrtum kann jedoch nicht berücksichtigt werden, da das HZA nach § 120 Abs. 2 FGO gehalten war, seine Einwände gegen das FG-Urteil in der Revisionsbegründung selbst darzulegen und auf Verweisungen zu verzichten.
Fundstellen
Haufe-Index 70879 |
BStBl II 1974, 418 |
BFHE 1974, 10 |