Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und Währungsausgleichsbeträgen ist für Waren ausgeschlossen, die aus dem Bundesgebiet über dritte Länder in die DDR verbracht worden sind, ohne sich zuvor nach Verlassen des Bundesgebietes in einem Drittland im freien Verkehr befunden zu haben.
Normenkette
EWGV Art. 239, Protokoll über den innerdeutschen Handel vom 25. März 1957; Interzonenhandelsverordnung § 1 Abs. 1 Nr. 2; 5. Interzonenhandels-DVO § 1 Abs. 1; IZHV-DV 1979 § 16
Tatbestand
Im Sommer 1973 trat eine in Berlin (Ost) ansässige Firma an die Firma A in Wien mit der Anfrage heran, oh diese gefrorene Hähnchen beschaffen könne. Am 17. Juli und 3. August 1973 schloß die Firma A im Auftrag der Firma B in Vaduz (Liechtenstein) mit der Firma C in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) Verträge über den Kauf von insgesamt 1 000 t Brathähnchen. Bestandteil der Kaufverträge war die Klausel: „Die Ware ist für ein Drittland im Sinne der EWG-Gesetze bestimmt.” Die bestellten Brathähnchen lieferten vier in der Bundesrepublik ansässige Firmen, darunter die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin).
Mit dem Transport der Waren wurde eine österreichische Speditionsfirma beauftragt. Diese holte durch Unterspediteure am 28. und 30. August 1973 103 003 kg der Waren in fünf Sendungen bei der Klägerin ab. Die Sendungen wurden am 29. und 30. August 1973 bei einem deutschen Zollamt (ZA) an der österreichischen Grenze jeweils mit Kontrollexemplaren zur Ausfuhr abgefertigt. Anschließend wurden sie im Begleitscheinverfahren (d. h. ohne Abfertigung zum freien Verkehr) durch Österreich und die Tschechoslowakei durchbefördert und anschließend an Abnehmer in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geliefert. Die Waren wurden im Auftrag der Firma B an die Klägerin bezahlt.
Die Klägerin beantragte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HA –) für diese Lieferungen Ausfuhrerstattung. Das HZA setzte mit Bescheiden vom 2. Oktober 1973 und vom 4. Oktober 1973 die beantragten Erstattungen und Ausgleichsbeträge fest und zahlte sie an die Klägerin aus.
Mit Bescheid vom 24. Juli 1975 forderte das HZA die Ausfuhrerstattung und die Währungsausgleichsbeträge im Gesamtbetrag von 43 386,83 DM mit der Begründung zurück, die Waren seien in die DDR gelangt, die nicht Drittland i. S. der Agrarmarktordnungen sei.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Hamburg begründete sein Urteil vom 8. März 1977 IV 46/75 H (Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 331 – EFG 1977, 331 –) im wesentlichen wie folgt:
- Die Lieferung der Ware über Österreich in die DDR begründe keinen Anspruch auf die Zahlung einer Ausfuhrerstattung und von Währungsausgleichsbeträgen. Nach den maßgebenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts sei Voraussetzung der Erstattung, daß die Waren in einem Drittland zum freien Verkehr abgefertigt würden. Die streitbefangene Ware sei in Österreich und in der Tschechoslowakei nicht zum freien Verkehr abgefertigt worden. Für das Verbringen von Waren aus dem freien Verkehr des Geltungsbereichs des Grundgesetzes (GG) in das Gebiet der DDR würden aber Ausfuhrerstattungen und Währungsausgleichsbeträge nicht gewährt. Diese Rechtslage ergebe sich aus dem „Protokoll über den innerdeutschen Handel und die damit zusammenhängenden Fragen vom 25. März 1957”, das Bestandteil des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) sei (Art. 239), und aus den nationalen Bestimmungen des Grundgesetzes in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – (Urteil vom 31. Juli 1973 2 BvF 1/73, BVerfGE 36, 1).
- Das HZA habe die Ausfuhrerstattungen und die Ausgleichsbeträge zu Recht zurückgefordert (vgl. das zum gleichen Sachverhalt ergangene Urteil des FG Hamburg vom 8. März 1977 IV 48/75 H (EFG 1977, 333).
Auf das Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats vom 9 Januar 1979 VII R 35/77 entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) mit Urteil vom 27. September 1979 Rs. 23/79 wie folgt:
„Der Begriff ‚Ausfuhr’ in den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über die Erstattungen bei der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die einer gemeinsamen Marktorganisation unterliegen, ist dahin auszulegen, daß er Handelsgeschäfte nicht erfaßt, die zum innerdeutschen Handel im Sinne des Protokolls über den innerdeutschen. Handel und die damit zusammenhängenden Fragen vom 25. März 1957 gehören.”
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Zutreffend hat das FG entschieden, daß die Lieferung der Waren über Österreich und die Tschechoslowakei in die DDR keinen Anspruch auf Gewährung von Ausfuhrerstattung und Währungsausgleichsbeträgen begründete.
Die von der Klägerin zurückgeforderten Ausfuhrerstattungen und Währungsausgleichsbeträge sind aufgrund Gemeinschaftsrechts gewährt worden. Dieses machte die Gewährung von der „Ausfuhr” der Waren abhängig. Nach der Vorabentscheidung des EGH findet dieser gemeinschaftsrechtliche Begriff der Ausfuhr auf den innerdeutschen Handel i. S. des Protokolls vom 25. März 1957 keine Anwendung (Abs. 7 der Urteilsgründe). Dafür, daß eine Ware dem innerdeutschen Handel in diesem Sinne zuzurechnen ist, ist es nach Auffassung des EGH „erforderlich, aber auch ausreichend, daß sie in der DDR in den freien Verkehr überführt wird, ohne sich zuvor nach dem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland in einem Drittland im freien Verkehr befunden zu haben; der Transportweg und die näheren Umstände des Handels bleiben außer Betracht” (Abs. 8 der Urteilsgründe).
Der Senat kann unentschieden lassen, ob es Sache des EGH war, den Begriff des innerdeutschen Handels zu definieren, oder ob nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Protokolls die Tragweite dieses Begriffs nur dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik entnommen werden kann dem er angehört. Denn jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung deckt sich die Begriffsbestimmung des EGH mit dem innerstaatlichen Begriff des innerdeutschen Handels.
Zum innerdeutschen Handel gehört u. a. das Verbringen von Waren aus dem Bundesgebiet in die Währungsgebiete der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank – DM-Ost – (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über den Warenverkehr mit den Währungsgebieten der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank [DM-Ost] – Interzonenhandelsverordnung – vom 18. Juli 1951, BGBl I 1951, 463). Das entsprechende Verbringen der Waren aus dem Bundesgebiet in die Währungsgebiete der DM-Ost wird auch als Lieferung bezeichnet (vgl. z. B. § 1 Abs. 2 der Dritten Verordnung zur Durchführung der Interzonenhandelsverordnung vom 16. Dezember 1970, Beilage zum Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 239 vom 23. Dezember 1970). Dabei ist nicht nur das unmittelbare Verbringen (die unmittelbare Lieferung) in die Währungsgebiete der DM-Ost gemeint, sondern auch das Verbringen über ein drittes Land im Rahmen sog. Dreiecksgeschäfte, d. h. von Geschäften zwischen einer Person im Bundesgebiet und einer Person in einem dritten Land (§ 1 Abs. 1 der Fünften Verordnung zur Durchführung der Interzonenhandelsverordnung vom 16. Dezember 1970, Beilage zum BAnz Nr. 239 vom 23 Dezember 1970; vgl. auch die Neufassung dieser Regelung in § 16 der Verordnung zur Durchführung der Interzonenhandelsverordnung vom 1. März 1979 – IZHV-DV 1979 –, Beilage zum BAnz Nr. 47 vom 8. März 1979).
Waren sind dann im Rahmen von Dreiecksgeschäften in die DDR „verbracht” worden, wenn sie in die Wirtschaft der DDR eingegangen sind. Insoweit deckt sich der Begriff „Verbringen” i. S. des innerstaatlichen Rechts mit dem vom EGH verwendeten Begriff der Überführung in den freien Verkehr. Denn der EGH verwendet, wie sich z. B. aus seinem Urteil vom 27. Oktober 1971 Rs. 6/71 (EGHE 1971, 823, 837) ergibt, den letztgenannten Begriff in diesem Sinn.
Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG sind die Waren aus dem Bundesgebiet an Abnehmer in der DDR geliefert worden, ohne vorher in einem dritten Land zum freien Verkehr abgefertigt worden zu sein. Das schließt die Feststellung ein, daß die Waren in die Wirtschaft der DDR eingegangen sind. Sie sind also dorthin „verbracht” worden und damit Gegenstand des innerdeutschen Handels gewesen. Der Begriff „Ausfuhr” der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ist daher nach der Vorabentscheidung nicht anwendbar. Die Ausfuhrerstattungen und Währungsausgleichsbeträge sind somit zu Unrecht gewährt worden.
2. Der Vorentscheidung ist auch darin zu folgen, daß das HZA die Ausfuhrerstattungen und die Währungsausgleichsbeträge zu Recht zurückgefordert hat.
Mit Urteil vom 3. Mai 1977 VII R 16/74 (BFHE 123, 230) hat der erkennende Senat entschieden, daß Bedingung für die Rücknahme eines Erstattungsbescheides nach § 12 der Verordnung Ausfuhrerstattungen EWG vom 24 Januar 1968 – VO AusfErst EWG 1968 – (BAnz Nr. 18 vom 26. Januar 1968, Bundeszollblatt 1968 S. 917 – BZBl 1968, 917 –) allein ist, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Erstattung nicht vorgelegen haben und der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegensteht. Dagegen ist, wie der Senat in dieser Entscheidung ausdrücklich ausgeführt hat, nach dieser Bestimmung nicht Voraussetzung für die Rücknahme eines Erstattungsbescheides, daß die Interessen des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Bescheides und die Interessen der öffentlichen Hand an dessen Beseitigung gegenseitig abgewogen werden. Diese Interessenabwägung hat bereits der Verordnungsgeber vorgenommen und dahin entscheiden, daß das öffentliche Interesse stets überwiegt, wenn die Erstattung zu Unrecht gewährt worden ist. Was der Senat zu der Kann-Bestimmung des § 12 VO AusfErst EWG 1968 entschieden hat, muß erst recht für § 14 der Verordnung Ausfuhrerstattung EWG vom 16. Dezember 1974 – VO AusfErst EWG 1974 – BGBl I 1974, 3555, BZBl 1974, 1182) gelten, in den bei sonst identischen Inhalt das Wort „kann” des § 12 VO AusfErst EWG 1968 durch die Worte „sind … zurückzunehmen oder zu ändern” ersetzt worden ist (vgl. auch BFHE 123, 234, zweitletzter Absatz). § 14 VO AusfErst EWG 1974 ist daher in gleicher Weise auszulegen. Daher kann unentschieden bleiben, welche der beiden Verordnungen im vorliegenden Fall anwendbar ist.
Danach kommt es also nicht darauf an, ob den Ausführungen des FG zu folgen ist, daß die Klägerin ein Verschulden an der Unrichtigkeit der Angaben in den Ausfuhrerklärungen trifft, sie fahrlässig die Möglichkeit der Lieferung in die DDR verkannt hat und Erkundigungen hätte einziehen müssen, sowie objektiv die Voraussetzungen für einen Subventionsbetrug vorlagen. Denn der Rückforderungsbescheid wäre nur unrechtmäßig, wenn ihm der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstünde. Es braucht daher auch auf die entsprechenden Einwendungen der Revision und auf deren Ausführungen nicht eingegangen zu werden, daß die unterbliebene Mitwirkung durch sie nicht kausal für den Rückforderungsbescheid gewesen sei.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senate verstoßt die Inanspruchnahme eines Steuerpflichtigen durch einen Nachforderungsbescheid gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie im Widerspruch steht zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung der Steuerpflichtige wegen dieses bisherigen Verhaltens der Verwaltung auf ein entsprechendes künftiges Verhalten vertraut hat und vertrauen durfte und daher die Nachforderung mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist (Urteil vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, 107, BStBl II 1978, 274). Diese Grundsätze können entsprechend auf die Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattungen und Währungsausgleichsbeträge angewendet werden. Sie sind im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. (Wird ausgeführt.)
Fundstellen
Haufe-Index 510538 |
BFHE 1980, 97 |