Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Es genügt für die Haftung nach § 112 AO, wenn wahldeutig festgestellt wird, daß der in Anspruch Genommene Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder Beihilfe zur Steuerhehlerei begangen hat.
Normenkette
AO §§ 112, 398
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat am 20. Januar 1949 von zwei unbekannten Männern 500 kg unverzollten und unversteuerten Rohkaffee erworben. Die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des Hauptzollamts ist als unbegründet zurückgewiesen worden. Das Finanzgericht hat in freier, aus der Verhandlung und der Beweisaufnahme geschöpfter überzeugung (ß 278 der Reichsabgabenordnung - AO -) festgestellt, daß die Bfin. gewußt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet hat, daß sie unverzollten und unversteuerten Kaffee Steuerschiebern abnahm, hinsichtlich dessen diese entweder selbst die Eingangsabgaben hinterzogen oder den sie mit dem Makel der Hinterziehung behaftet aus zweiter oder späterer Hand erworben haben, und daß sie deren Tat durch ihr Verhalten förderte. Auf Grund dieser tatsächlichen Feststellungen hat die Vorinstanz die Auffassung vertreten, daß die Bfin. Beihilfe (ß 49 des Strafgesetzbuches) entweder zur Steuerhinterziehung (ß 396 AO) oder zur Steuerhehlerei (ß 403 AO) der beiden Unbekannten geleistet habe, je nachdem - was nicht festzustellen war -, ob die beiden Unbekannten DP's waren und mit der Verbringung des Kaffees aus dem DP-Lager eine Steuerhinterziehung begangen oder ob sie diesen schon aus zweiter Hand erhalten hatten und daher Steuerhehler waren, und daß sie (Bfin.) zu Recht als Haftungsschuldnerin gemäß § 112 AO in Anspruch genommen worden sei.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) hat die Bfin. eingewendet:
Es stehe nicht fest, ob die vom Finanzgericht als amtsbekannt bezeichnete Tatsache, daß im Jahre 1949 infolge geringer Einfuhr in West-Deutschland eine außerordentliche Knappheit an Rohkaffee geherrscht habe, den an der Entscheidung beteiligten, turnusmäßig wechselnden Laienrichtern aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewesen sei; sie könne demgemäß nicht als Beweis gewertet werden.
Die wahldeutige Feststellung von Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder zur Steuerhehlerei sei nicht zulässig, weil der Wille des Gehilfen auf die Ausführung einer bestimmten Tat gerichtet sein müsse.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Der erkennende Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, weil diese weder gegen die Denkgesetze noch die Lebenserfahrung verstoßen. Sie sind bindend, auch wenn man zu den Schlüssen, für die sich der Tatrichter entschieden hat, nicht unter allen Umständen kommen mußte. Es genügt, daß sie möglich sind (vgl. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. November 1950 2 StR 21/50 II-5/50 in Monatsschrift für Deutsches Recht 1951 S. 117; Urteil des Reichsfinanzhofs VI v A 27/24 vom 29. Oktober 1924, Slg. Bd. 14 S. 350). Die Rechtsausführungen der Vorinstanz, die sie auf die tatsächlichen Feststellungen stützt, sind zutreffend. Die Einwendungen der Rb. greifen aus folgenden Gründen nicht durch:
Auch die Feststellung der Gerichtskundigkeit einer Tatsache ist für den erkennenden Senat gemäß § 288 AO bindend (vgl. Löwe-Rosenberg, Anm. 4 b zu § 261 der Strafprozeßordnung). Nach der Sachlage besteht kein Anhalt dafür, daß die Vorinstanz den Begriff der Gerichtskundigkeit verkannt habe.
Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wahldeutige Feststellung zulässig (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs II z 127/51 S vom 14. Dezember 1951 in Slg. Bd. 56 S. 49 = Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 21 Bundeszollblatt - BZBl. - 1952 S. 114 = Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern - ZfZ - 1952 S. 56, und II z 152/51 U vom 11. Januar 1952 in Slg. Bd. 56 S. 105 BStBl. 1952 III S. 43 = BZBl. 1952 S. 129 = ZfZ 1952 S. 92, und Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. April 1953 4 StR 377/52 in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bd. 4 S. 128, außerdem Ritter in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1951 S. 20, 1954 S. 135).
Die gleichen Gesichtspunkte, die die Zulässigkeit der Wahlfeststellungen zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei rechtfertigen, treffen auch für die wahldeutige Feststellung der Beihilfe zu diesen Steuervergehen zu. Die Tatbestände sind innerlich miteinander verwandt, die möglichen Verhaltensweisen des Täters sind rechtsethisch und psychologisch vergleichbar (vgl. Schönke, 7. Aufl., Anm. II 3 zu § 2 b des Strafgesetzbuches, außerdem Löwe-Rosenberg, Anm. 6 c zu § 267 der Strafprozeßordnung).
Die Bfin. hat nach den Feststellungen der Vorinstanz mit beiden Möglichkeiten gerechnet und diese gewollt. Ein so gearteter Vorsatz reicht für eine Verurteilung und demgemäß für eine Haftung nach § 112 AO aus (vgl. hierzu auch Leipziger Kommentar 7. Aufl., Anm. VI zum früheren § 2b des Strafgesetzbuches).
Im übrigen würde es auch dem Rechtsempfinden widersprechen, den Haupttäter zu bestrafen, den Gehilfen jedoch straffrei zu lassen. Denn es ist nicht einzusehen, warum ein Rechtsgrundsatz, wenn er schon auf die Haupttat angewendet wird, nicht auch auf die leichtere Begehungsform der Beihilfe Anwendung finden sollte.
Die Rb. war deshalb als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 AO.
Fundstellen
BStBl III 1955, 215 |
BFHE 1956, 45 |
BFHE 61, 45 |
StRK, AO:112 R 4 |