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BFH Urteil vom 12.06.1997 - I R 72/96

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung vom inländischen Lohnsteuerabzug nach dem DBA-Frankreich: Unzulässigkeit einer vom französischen Arbeitgeber erhobenen Feststellungsklage, beschränkte Steuerpflicht der französischen Arbeitnehmer, Freistellungsverfahren, besonderes Erstattungsverfahren - revisionsrechtliche Überprüfbarkeit der Auslegung eines Verwaltungsakts durch das FG - Nachholung der Entscheidung über eine vom FG zu Unrecht in eine Anfechtungsklage umgedeutete Feststellungsklage im Revisionsverfahren - Auslegung eines Schreibens des FA als Verwaltungsakt oder als "Informationsschreiben"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Auslegung eines Verwaltungsaktes durch das FG ist revisionsrechtlich überprüfbar.

2. Die Erhebung einer Klage auf Feststellung der Steuerfreiheit von Lohneinkünften nach dem DBA-Frankreich durch den Arbeitgeber ist unzulässig, wenn dieser das Verfahren nach § 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.6 EStG einleiten kann.

3. Die Steuerpflicht im Inland tätiger "französischer Arbeitnehmer" beurteilt sich primär nach § 49 Abs.1 Nr.4 EStG.

4. Über eine Steuerbefreiung der Löhne im Inland nach Art.13 DBA-Frankreich kann wegen Art.25b Abs.1 Satz 1 DBA-Frankreich nur im Verfahren gemäß § 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.6 EStG oder in einem besonderen Erstattungsverfahren entschieden werden.

5. Das besondere Erstattungsverfahren kann nur von dem einzelnen Arbeitnehmer eingeleitet werden. Einen Antrag nach § 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.6 EStG kann auch der Arbeitgeber stellen.

 

Orientierungssatz

1. Im Streitfall: Auslegung eines Schreibens des FA, in dem zur künftig pünktlichen Abgabe von Lohnsteueranmeldungen aufgefordert und von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags für eine zurückliegende Steueranmeldung abgesehen wird, als "informierendes Schreiben" mit Verwaltungsaktcharakter lediglich in bezug auf den Verzicht auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlags.

2. Wegen der fehlerhaften Auslegung eines Schreibens des FA vom FG zu Unrecht vorgenommene Umdeutung einer tatsächlich erhobenen Feststellungsklage (wegen des Nichtbestehens der Verpflichtung zur Anmeldung und Einbehaltung der Lohnsteuer) in eine Anfechtungsklage: Nachholung der Entscheidung über die Feststellungsklage im Revisionsverfahren durch den BFH.

 

Normenkette

AO 1977 § 118; BGB § 133; DBA FRA Art. 25b; EStG § 39b Abs. 6, § 39d Abs. 3 S. 4, § 49 Abs. 1 Nr. 4; FGO § 40 Abs. 1, § 41

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Gerichtsbescheid vom 16.08.1996; Aktenzeichen 3 K 42/92)

 

Tatbestand

I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) richtete am 3. Juli 1991 an die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Kapitalgesellschaft französischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankreich, folgendes Schreiben, das mit keiner Rechtsbehelfsbelehrung versehen war:

"Betreff: Lohnsteuer-Anmeldung für den Monat Januar 1991

Sehr geehrte Steuerzahlerin,

die Lohnsteuer-Anmeldung ist binnen zehn Tagen nach Ablauf des Anmeldezeitraums beim Finanzamt einzureichen (§ 41a Abs. 1 EStG). Das Finanzamt kann bei einem verspäteten Eingang der Lohnsteuer-Anmeldung einen Verspätungszuschlag erheben. Er kann bis zu 10 v.H. der angemeldeten oder festgesetzten Steuer betragen.

Ihre Lohnsteuer-Anmeldung für den Monat Januar 1991 ist erst am 24.6.1991 eingegangen. Ein Verspätungszuschlag wird diesmal nicht festgesetzt. Bitte sorgen Sie dafür, daß die Lohnsteuer-Anmeldungen künftig rechtzeitig abgegeben werden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Finanzamt"

Gegen dieses Schreiben legte die Klägerin am 22. August 1991 Beschwerde ein, die die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) am 3. Februar 1992 als unbegründet zurückwies. In den Entscheidungsgründen deutete die OFD Zweifel an, ob das Schreiben nicht als "reines Informationsschreiben" mit der Folge zu verstehen sei, daß die Beschwerde unzulässig sei. Die Klägerin erhob am 5. März 1992 Klage wegen Feststellung des Nichtbestehens der Verpflichtung zur Anmeldung und Einbehaltung der Lohnsteuer für die in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) kurzfristig eingesetzten französischen Leiharbeitnehmer. Ihr liegt die materielle Rechtsfrage zugrunde, ob die Klägerin als ausländischer Verleiher i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einbehaltung von Lohnsteuer für ihre im Ausland ansässigen und im Inland eingesetzten Arbeitnehmer verpflichtet ist. Diese Klage deutete das Finanzgericht (FG) in eine Anfechtungsklage gegen den "Bescheid" vom 3. Juli 1991 um. Es wies sie als unbegründet ab.

Mit ihrer vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Vorschriften des EStG und des Doppelbesteuerungsabkommens Frankreich (DBA-Frankreich).

Sie beantragt, unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des FG Baden-Württemberg vom 16. August 1996 3 K 42/92 die Aufforderung des FA zur Abgabe von Lohnsteueranmeldungen vom 3. Juli 1991 in der Form der Beschwerdeentscheidung vom 3. Februar 1992 insoweit aufzuheben, als nicht bei Einsatzbeginn des jeweiligen Arbeitnehmers absehbar sei, daß dieser länger als 183 Tage in der Bundesrepublik beschäftigt sein werde.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war mit der Maßgabe zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - -FGO--), daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

1. Das FG hat zu Unrecht die tatsächlich erhobene Feststellungsklage in eine Anfechtungsklage umgedeutet. Zwar durfte das FG den tatsächlich gestellten Klageantrag auslegen. Es durfte jedoch nicht die eindeutig auf Feststellung des Nichtbestehens eines Steuerrechtsverhältnisses gerichtete Klage in eine Anfechtungsklage umdeuten. Dies entsprach nicht dem von der Klägerin verfolgten Klageziel. Soweit das FG der Auffassung des 12. Senats des FG Baden-Württemberg in dessen Urteil vom 5. Juni 1991 12 K 118/90 folgen wollte, hätte es die Klage als unzulässig abweisen müssen.

2. Es ist nicht der Auffassung des FG zu folgen, daß das Schreiben des FA vom 3. Juli 1991 die Verpflichtung der Klägerin zur Abgabe von Lohnsteuer-Anmeldungen regelte. Der Senat kann insoweit die Auslegung des Schreibens durch das FG revisionsrechtlich überprüfen. Sie ist keine Tat-, sondern eine Rechtsfrage (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 18). Das Schreiben enthält nur insoweit eine Regelung i.S. des § 118 der Abgabenordnung (AO 1977), als in ihm auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlages zur Lohnsteuer-Anmeldung Januar 1991 verzichtet wird. Durch diese Regelung wurde jedoch die Klägerin in ihren Rechten nicht verletzt, weshalb sie das Schreiben nicht mit Aussicht auf Erfolg anfechten konnte. Im übrigen hat das Schreiben nur informierenden Charakter. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, daß jeder Zeitbezug zu einem Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum nach Januar 1991 fehlt und daß nicht einmal andeutungsweise der Versuch unternommen wurde, die von der Klägerin zu verwirklichenden tatsächlichen Verhältnisse (z.B. Beschäftigung unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer während einer bestimmten Zeit im Inland) unter eine Vorschrift zu subsumieren, die die Verpflichtung der Klägerin zur Anmeldung von Lohnsteuer regelt. Zusätzlich deuten die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung und die maschinell gefaßte Anrede des Schreibens indiziell gegen seine Eigenschaft, Verwaltungsakt zu sein.

3. Bei dieser Rechtslage hätte das FG über die erhobene Feststellungsklage entscheiden müssen. Der Senat kann diese Entscheidung nachholen, weil die tatsächlichen und nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des FG eine solche erlauben. Die Feststellungsklage ist unzulässig. Sie war abzuweisen.

a) Die Unzulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich einmal aus ihrer Subsidiarität gegenüber der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Klägerin konnte einerseits einen Antrag nach § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 6 EStG auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Steuerbefreiung des an ihre Arbeitnehmer gezahlten Lohns nach dem DBA-Frankreich stellen und im Ablehnungsfalle eine Verpflichtungsklage gegen das FA erheben. Sie konnte ferner ihre eigenen Lohnsteuer-Anmeldungen mit dem Einspruch bzw. Aufforderungen des FA zur Abgabe von Lohnsteuer-Anmeldungen für einen bestimmten Zeitraum mit der Beschwerde anfechten. Diese Möglichkeiten schließen die Erhebung einer Feststellungsklage aus (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Juni 1991 12 K 118/90).

b) Für die Klage der Klägerin fehlt es darüber hinaus an einem berechtigten Interesse an einer baldigen Feststellung des Nichtbestehens ihrer Verpflichtung zur Abgabe von Lohnsteuer-Anmeldungen für alle Zukunft. Zu bedenken ist, daß sowohl das EStG als auch das DBA-Frankreich zugunsten oder zu Lasten der Klägerin geändert werden können. Schon aus diesem Grunde kann heute nicht beurteilt werden, ob und in welcher Zukunft die Verpflichtung der Klägerin besteht, deren Nichtbestehen die Klägerin festgestellt wissen will.

4. Mit Rücksicht auf den ungewöhnlichen Verfahrensablauf bemerkt der Senat ohne Bindung für die Beteiligten zu den eigentlich streitigen materiellen Rechtsfragen folgendes:

a) Die Steuerpflicht der "französischen Arbeitnehmer" beurteilt sich primär nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die Vorschrift stellt in erster Linie darauf ab, ob die Arbeitnehmer ihre nichtselbständige Arbeit im Inland ausüben und dafür Lohn erhalten. Dies ist auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG der Fall. Folglich sind die Arbeitnehmer beschränkt steuerpflichtig.

b) Über eine Steuerbefreiung der Löhne im Inland nach Art. 13 DBA-Frankreich kann wegen Art. 25b Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich nur im Verfahren gemäß § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 6 EStG oder in einem besonderen Erstattungsverfahren entschieden werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Februar 1996 I R 64/95, BFHE 180, 104, Internationales Steuerrecht 1996, 293). Das besondere Erstattungsverfahren kann nur von dem einzelnen Arbeitnehmer eingeleitet werden. Einen Antrag nach § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 6 EStG konnte auch die Klägerin stellen. Das FA hatte Anlaß, das Begehren der Klägerin im Sinne eines Antrages auf Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG zu verstehen und zu bescheiden. Solange jedoch das FA keine positive Freistellungsbescheinigung erteilt, kann eine materielle Steuerfreiheit nach dem DBA-Frankreich im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht berücksichtigt werden. Das BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 I R 50/85 (BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755) findet im Verhältnis zu Frankreich keine Anwendung.

c) Die Verpflichtung der Klägerin zum Lohnsteuerabzug richtet sich allein nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG i.V.m. § 41a EStG. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG ist die Klägerin ausländischer Verleiher i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und damit zum Einbehalt von Lohnsteuer verpflichtet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66287

BFH/NV 1997, 412

BStBl II 1997, 660

BFHE 183, 30

BFHE 1998, 30

BB 1997, 1990 (Leitsatz)

DB 1997, 2206-2207 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 812-813 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1997, 831-832 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 893-894 (Leitsatz und Gründe)

StE 1997, 594-595 (Leitsatz)

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