Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelbesteuerungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Die Erstattung von Kapitalertragsteuer nach Art. 6 Abs. 3 DBACH, die von Ausschüttungen auf Genußscheine einbehalten und abgeführt wurde, setzt voraus, daß die Genußscheine in Wertpapierform ausgegeben worden sind. Die Ausstellung der Genußscheine auf den Namen einer bestimmten Person sowie ihre Vinkulierung beeinträchtigen ihre Wertpapiereigenschaft nicht.
Normenkette
DBA CHE Art. 6; KStG § 2/1/1, § 2/1/2, § 8b Abs. 7 S. 1; EStG § 20/1/1, § 43/1/1, § 49/1/5; KVStG § 6 Abs. 1 Nr. 2; KapStDV § 1/1; DBA CHE Art. 3 Abs. 4, 1
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte, eine schweizerische Kapitalgesellschaft, ist Rechtsnachfolgerin der A-AG in der Schweiz und die alleinige Gesellschafterin einer inländischen GmbH, der M-GmbH. Diese hatte im Jahre 1938 an die A-AG als Entgelt für die Ermäßigung der Lizenzgebührensätze zwölf auf den Namen lautende, jedoch nicht stimmberechtigte Genußscheine im Nennbetrag von je 1 Million RM ausgegeben, die seinerzeit als Gesellschaftsrechte im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 KVStG mit ihrem Kapitalwert der Gesellschaftsteuer unterworfen worden waren. Der "Meßbetrag" der Genußscheine beläuft sich seit dem 1. Januar 1940 auf je 2 750 000 RM/DM. Das Genußscheinkapital wird in der Bilanz der Gesellschaft neben deren Stammkapital nicht ausgewiesen.
Auf dieses Genußscheinkapital hat die M-GmbH in der Zeit vom 26. März 1957 bis 21. Juni 1959 an die Revisionsbeklagte insgesamt 23 760 000 DM (Bruttoerträge) ausgekehrt, von denen 5 940 000 DM Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurden. Mit Antrag vom 9. November 1959 begehrt die Revisionsbeklagte unter Bezug auf Art. 6 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und Erbschaftsteuern (DBACH) vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 (BStBl I 1959, 1006) in Verbindung mit den Erläuterungen zu dieser Vorschrift (Abs. 2) im Schlußprotokoll (BStBl I 1959, 1009) vom Revisionskläger (FA) Erstattung dieser Steuern in Höhe von 10 v. H. der ausgekehrten Bruttoerträge. Das FA lehnte die Erstattung mit Bescheid vom 6. Dezember 1960 ab. Die in Rede stehenden Genußscheine seien in Ansehung der 100 v. H. betragenden Beteiligung der Revisionsbeklagten an der M-GmbH keine Genußscheine im Sinne dieser Vorschrift. Sie stellten vielmehr - im Unterschied zur reinen Kapitalbeteiligung - eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der GmbH in einer Form dar, wie sie ein GmbH-Anteil darstelle, und seien deshalb gemäß Art. 3 Abs. 4 DBACH wie ein gewerblicher Betrieb zu behandeln. Trotz des Hinweises der Revisionsbeklagten auf ihre Wertpapiereigenschaft seien sie angesichts der über die Gesellschaftsanteile gegebenen Einflußmöglichkeit der Revisionsbeklagten auf die Geschäftsführung der GmbH reine Beweisurkunden über ordentliche Geschäftsanteile.
Die von der Revisionsbeklagten gegen diesen Bescheid erhobene Sprungberufung alten Rechts führte zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch das FG und zur Anweisung der Erstattung von 2 376 000 DM Kapitalertragsteuer.
Entscheidungsgründe
Die als Revision zu behandelnde Rb. des FA ist nicht begründet.
1.Nach Art. 3 Abs. 1 DBACH werden Betriebe von Handel, Industrie und Gewerbe sowie die aus ihnen fließenden Einkünfte von dem Staat besteuert, in dessen Gebiet das ausschüttende Unternehmen seine Betriebstätte hat (Quellenstaat). Dasselbe gilt gemäß Art. 3 Abs. 4 DBACH für Beteiligungen an einem gesellschaftlichen Unternehmen und ihre Erträge, ausgenommen Kuxe, Aktien, Anteilscheine und sonstige Wertpapiere, die nach Art. 6 Abs. 1 DBACH als bewegliches Kapitalvermögen einschließlich der aus ihnen fließenden Erträge von dem Staat besteuert werden, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat (Wohnsitzstaat). Eine Ausnahme von der Ausnahme gilt nach Art. 6 Abs. 2 DBACH insoweit, als die Steuer auf die Erträge (Dividenden, Zinsen) im Abzugswege (an der Quelle) erhoben wird. Dabei sind Dividenden in diesem Sinne Einkünfte aus Aktien, Kuxen, Genußscheinen, Gründeranteilen und ähnlichen Gesellschaftsanteilen in Wertpapierform (Abs. 2 der Erläuterungen zu Art. 6 DBACH im Schlußprotokoll). Für diesen Fall ist der 15 v. H. der Dividenden oder Zinsen aus Wandelanleihen oder Obligationen übersteigende Teil der Steuer (hier: 10 v. H.) dem ausländischen Gläubiger auf Antrag zu erstatten (Art. 6 Abs. 3 DBACH).
Zu entscheiden ist im Streitfalle daher allein, ob die Ausschüttungen der M-GmbH auf die Genußscheine Dividenden im Sinne des Art. 6 Abs. 2 DBACH und ob - als Voraussetzung dieser Entscheidung - die Genußscheine solche im Sinne von Abs. 2 der Erläuterungen zu Art. 6 DBACH im Schlußprotokoll oder ähnliche Gesellschaftsanteile in Wertpapierform sind.
2.Der Frage, ob die Genußscheine im Streitfalle angesichts der besonderen Umstände (100 v. H. betragende Beteiligung der Revisionsbeklagten an der M-GmbH) als Beteiligung an einem gesellschaftlichen Unternehmen anzusehen seien, kommt im Streitfall nach Ansicht des Senats keine rechtliche Bedeutung zu. Wie auch das FA nicht verkennt, beruht der Einfluß der Revisionsbeklagten auf die Geschäftsführung der GmbH grundsätzlich nicht auf den stimmrechtlosen Genußscheinen, sondern auf ihrer Beteiligung, und dies solange, als sie sich über die Höhe ihrer Beteiligung diesen Einfluß sichern kann. Das FG hat denn auch seinerseits nicht auf diesen Umstand abgestellt, sondern ausgeführt, daß es für die steuerrechtliche Beurteilung von Genußrechten auf das Fehlen des Stimmrechts sowie darauf, daß sie keine Gesellschaftsrechte, sondern Gläubigerrechte verbrieften, nicht ankomme, daß im übrigen aber die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Aktien, Kuxen, Genußscheinen und ähnlichen Gesellschaftsanteilen auch auf die Auslegung der Vorschriften des DBACH nicht ohne Bedeutung sein könne.
Entscheidend ist vielmehr nach Auffassung des Senats in erster Linie die Frage, ob die in Rede stehenden Genußscheine Wertpapierform haben. Für die Beantwortung dieser Frage ist es ohne Bedeutung, daß den Anteilscheinen über GmbH-Anteile, die keine Anteilsrechte verkörpern, nur die Eigenschaft von Beweisurkunden und nicht die von Wertpapieren zukommt (Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 4. Aufl., Anm. 18 zu § 14). Ein Wertpapier ist eine Urkunde, in der bestimmte Rechte verbrieft sind, die nur von demjenigen geltend gemacht werden können, der sich im Besitz dieser Urkunde befindet. Auch auf den Namen einer bestimmten Person lautende Papiere (Rektapapiere) sind Wertpapiere (Hueck, Recht der Wertpapiere, 7. Aufl., S. 5, 13; Rehfeldt, Wertpapierrecht, 7. Aufl., S. 7; Kommentar der Reichsgerichtsräte zum BGB, 11. Aufl., Vorbemerkung vor § 793).
Genußscheine sind forderungsrechtliche Wertpapiere (Hueck, a. a. O., S. 12); sie verkörpern nicht Mitgliedschafts-, sondern Gläubigerrechte, auch wenn sie sich in der Hand eines Gesellschafters der sie ausgebenden Gesellschaft befinden, und unterscheiden sich damit von den stimmrechtlosen Vorzugsaktien, die Mitgliedschaftsrechte verkörpern, selbst wenn sie kein Stimmrecht gewähren ( Weipert-Schilling in Gadow-Heinichen, Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., Anm. 11 zu § 174; Scholz, a. a. O., Anm. 20 zu § 14). Der Umstand, daß die Übertragung solcher Wertpapiere gegebenenfalls der Zustimmung der Gesellschaft bedarf (so § 68 Abs. 2 AktG 1965, "vinkulierte Namensaktie"), beeinträchtigt ihre Wertpapiereigenschaft nicht. Dasselbe gilt, entgegen der Auffassung des FA, auch bezüglich der in den in Rede stehenden Genußscheinen verbrieften Rechte (Teilnahme am Gewinn und am Liquidationserlös); die Erstreckung des Rechts auch auf den Liquidationserlös, deutet nicht auf das Bestehen von Gesellschaftsrechten hin, solange ein Stimmrecht nicht gegeben ist.
Zweifelhaft könnte es erscheinen, ob nach Abs. 2 der Erläuterungen zu Art. 6 DBACH im Schlußprotokoll die Genußscheine Wertpapierform haben müssen oder ob sich der Zusatz "in Wertpapierform" nur auf die "ähnlichen Gesellschaftsanteile" bezieht. Mit der Kommentierung von Locher, Das schweizerisch- deutsche Doppelbesteuerungsabkommen, Teil B § 8, II A, 3a (3) muß angenommen werden, daß Genußscheine nur dann unter diese Vorschrift fallen, wenn sie als Wertpapiere ausgestaltet sind, d. h. Wertpapierform haben. Erst in dieser Form können sie als bewegliches Kapitalvermögen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 DBACH angesprochen werden.
Die Form der von der Revisionsbeklagten ausgegebenen, mit Schreiben vom 16. Mai 1960 in Fotokopie vorgelegten Genußscheine (Nr. 8) ist die von Wertpapieren. Nur die Vorlegung des Papiers - gleichgültig ob auf den Namen des Inhabers ausgestellt oder nicht - berechtigt zur Geltendmachung des Anspruchs auf einen bestimmten Anteil am Gewinn und am Liquidationserlös. Die Genußscheine sind - wenn auch nur mit Zustimmung der M-GmbH - veräußerlich; die Zustimmung kann von der Revisionsbeklagten als alleiniger Gesellschafterin der GmbH jederzeit herbeigeführt werden.
Diese Beurteilung erfährt, entgegen der Auffassung des FA, auch dadurch keine Änderung, daß die Revisionsbeklagte gleichzeitig Gesellschafterin und Gläubigerin der M-GmbH ist. Diesem Umstand könnte nur dann Bedeutung beigemessen werden, wenn in wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Rechtsinstitut des Genußscheins in Fällen wie dem vorliegenden als für die steuerrechtliche Beurteilung nicht verbindlich angesehen werden würde. Eine solche Auffassung widerspräche jedoch dem von der Rechtsprechung wiederholt betonten Primat des bürgerlichen Rechts vor dem Steuerrecht (Urteiledes BFH I 96/59 S vom 12. Juli 1960, BFH 71, 368, BStBl III 1960, 387; I 106/60 U vom 5. Dezember 1961, BFH 74,138, BStBl III 1962, 52; II 119/62 U vom 20. Oktober 1965, BFH 83, 545, BStBl III 1965, 697).
Fundstellen
Haufe-Index 412669 |
BStBl III 1967, 781 |
BFHE 1968, 122 |
BFHE 90, 122 |
BB 1967, 485 |
DB 1968, 23 |
DStR 1967, 782 |