Entscheidungsstichwort (Thema)
Buchführungsmängel - Zuschätzungen zum Umsatz und Gewinn unter Berücksichtigung der Richtsätze
Leitsatz (NV)
Ist die Buchführung der Besteuerung nicht nach § 158 AO 1977 zugrunde zu legen und fehlen die für eine Nachkalkulation benötigten Unterlagen, kommt eine ergänzende Schätzung unter Berücksichtigung der Richtsätze in Betracht.
Normenkette
AO 1977 § 146 Abs. 1 S. 2, § 147 Abs. 1 Nr. 5, §§ 158, 162 Abs. 1-2, § 182 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Jahren 1975 bis 1979 (Streitjahre) zwei Gaststätten in R. und seit August 1978 auch eine Gaststätte in W. 1979/1980 fand bei ihm eine Steuerfahndungsprüfung statt. Der Prüfer stellte fest, daß der Kläger, der seinen Gewinn durch Vermögensvergleich ermittelte, unter anderem in den Streitjahren nicht alle Betriebseinnahmen und -ausgaben verbucht hatte und seine Buchführungsunterlagen unvollständig waren.
Der Kläger hatte bar gezahlten Lohn zum Teil nicht verbucht. Als Kasseneinnahmen waren nur die Differenzen zwischen den Summen der Bareinnahmen und der Kundenschecks und den Summen der Barausgaben erfaßt worden. Der Kläger hatte - getrennt nach Gaststätten - lediglich die Summen des ihm bei den Tagesabrechnungen von seinen Angestellten übergebenen Bargelds und die ihm übergebenen Kundenschecks in Kalendern eingetragen. Die Kontrollstreifen der Registrierkassen wurden nicht aufbewahrt. In das Kassenbuch waren lediglich die Monatsbeträge dieser um die Barausgaben gekürzten Kasseneinnahmen und entsprechend den Belegen die Barausgaben eingetragen worden. Die Kassenfehlbeträge betrugen 1975 bis zu . . . DM, 1976 bis zu . . . DM und 1977 bis zu . . . DM. Die Originalunterlagen der Warenbestandsaufnahmen konnte der Kläger dem Prüfer nicht vorlegen.
Wegen der Buchführungsmängel schätzte der Prüfer die Umsätze und Gewinne. Dabei ging er von den verbuchten Aufwendungen aus, kürzte diese um private Aufwendungen und erhöhte sie um nicht verbuchte Arbeitslöhne, Lohnnebenkosten und Rückstellungen für Rechtsanwaltskosten und Gewerbesteuer. Den so für jedes der Streitjahre errechneten Betrag zuzüglich des Reingewinns sah der Prüfer als Summe der Nettoerlöse an. Den Reingewinn schätzte er für die Jahre 1975 bis 1977 auf jeweils 15 v. H., für 1978 auf 14 v. H. und für 1979 auf 13 v. H. der Nettoerlöse. Die steuerpflichtigen Umsätze entsprachen nach Schätzung des Prüfers der Summe der Nettoerlöse, des Eigenverbrauchs und des Hilfsumsatzes.
Außerdem ermittelte der Prüfer, daß der Kläger über steuerlich zuvor nicht erfaßtes Kapitalvermögen in Höhe von rd. . . . DM verfügte.
Zur überschlägigen Kontrolle der Schätzungen ermittelte der Prüfer den Gesamtvermögenszuwachs des Klägers in der Zeit vom 1. Januar 1970 bis 31. Dezember 1977.
Den Angaben im Bericht über die Fahndungsprüfung folgend änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1975 bis 1977; außerdem setzte er entsprechend den Angaben im Fahndungsbericht erstmals für die Jahre 1978 und 1979 Einkommensteuer, Umsatzsteuer und einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge fest.
Während des anschließenden Einspruchsverfahrens änderte das FA gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die Einkommensteuerbescheide 1977 und 1978 zum Nachteil des Klägers. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1977 ist für den Rechtsstreit ohne Bedeutung; die des Einkommensteuerbescheids 1978 beruht auf einem Feststellungsbescheid des Finanzamts W., durch den der Gewinn des Klägers aus der Gaststätte in W. gesondert mit . . . DM festgestellt wurde (Schätzungsbescheid).
Die Einsprüche des Klägers wies es als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und 162 Abs. 1 und 2 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, soweit sie nicht die Einkommensteuer 1978 betrifft, unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Soweit sie die Einkommensteuer 1978 betrifft, ist sie begründet und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß es die vom Kläger in den Streitjahren erzielten Umsätze und Gewinne schätzen mußte.
Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz FGO i. V. m. § 162 Abs. 2 AO 1977 muß das Gericht die Besteuerungsgrundlagen unter anderem dann schätzen, wenn die Buchführung des Steuerpflichtigen nicht nach § 158 AO 1977 der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Dies ist der Fall, wenn die Buchführung nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht und Anlaß besteht, die sachliche Richtigkeit der Buchführung zu beanstanden (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430).
Die Buchführung des Klägers entsprach in den Streitjahren nicht den gesetzlichen Vorschriften. Nach § 162 Abs. 7 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 sind die Kasseneinnahmen und -ausgaben täglich aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, daß es jederzeit möglich ist, den Kassen-Sollbestand laut Aufzeichnungen mit dem Kassen-Istbestand zu vergleichen (s. BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430 m. w. N.). Nach den Feststellungen des FG war dies anhand der Aufzeichnungen des Klägers nicht möglich. Zudem bewahrte der Kläger nach den Feststellungen des FG auch die Registrierkassenstreifen und die Originalunterlagen für die Warenbestandsaufnahmen nicht auf und verstieß somit gegen die Buchführungsvorschriften der §§ 162 Abs. 8 AO, 147 Abs. 1 Nr. 5 AO 1977.
Die Buchführung war auch sachlich nicht richtig, da der Kläger - wie das FG festgestellt hat - nicht alle Barausgaben und Bareinnahmen aufzeichnete.
Diese tatsächlichen Feststellungen des FG sind gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Der Kläger hat gegen sie keine zulässigen und begründeten Revisonsgründe vorgebracht.
2. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz FGO i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 muß das FG bei einer Schätzung alle Umstände berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Die Rüge, das FG habe dies nicht beachtet, ist unbegründet.
Das FG hat berücksichtigt, daß eine Schätzung aufgrund einer Nachkalkulation nicht möglich ist, weil die für eine Nachkalkulation erforderlichen Unterlagen für die Streitjahre nicht vorhanden sind. Es hat außerdem die Vermögenszuwachsrechnung des Fahndungsprüfers nicht berücksichtigt, weil aufgrund der Einwendungen des Klägers gegen diese Kontrollrechnung des Prüfers zweifelhaft ist, ob die Vermögenszuwachsrechnung richtig ist.
Als Schätzungsmethode kam folglich nur eine ergänzende Schätzung unter Berücksichtigung der Richtsätze in Betracht. Dabei ist das FG von den gebuchten betrieblichen Aufwendungen des Klägers ausgegangen. Die Kürzung der gebuchten Betriebsausgaben um geschätzte Privatausgaben und die Erhöhung um nicht verbuchte Lohnaufwendungen und Lohnnebenkosten und die zu bildenden Rückstellungen hat der Kläger nicht beanstandet. Bei der Schätzung der Reingewinnsätze hat das FG den Mittelsatz der Richtsatzsammlungen für 1975 bis 1977 um 3/14 und den Mittelsatz der Richtsatzsammlungen für 1978 und 1979 sogar um 7/17 unterschritten, weil es die unterschiedliche Preisgestaltung in den Gaststätten des Klägers in R. und die Anlaufschwierigkeiten der Gaststätte des Klägers in W. berücksichtigte. Auch wenn unterstellt wird, daß sich aus den - dem erkennenden Senat nicht vorliegenden - Bilanzen für die Jahre 1979 bis 1981 noch niedrigere Reingewinnsätze ergeben, war das FG nicht verpflichtet, diese bei der Schätzung zu berücksichtigen. Denn den Bilanzen für 1979 und 1980 liegt keine ordnungsmäßige und sachlich richtige Buchführung zugrunde. Der sich aus der Bilanz 1981 etwa ergebende niedrigere Reingewinnsatz läßt nicht den Schluß zu, daß auch in den Streitjahren die vom FG geschätzten Reingewinne nicht erzielt wurden.
Auch die Behauptung des Klägers, in der vom Fahndungsprüfer aufgestellten Bilanz auf den 31. Dezember 1979 seien seine Lieferantenverbindlichkeiten um rd. . . . DM zu niedrig und sonstige Verbindlichkeiten in Höhe von rd. . . . DM überhaupt nicht angesetzt worden, führt - ihre Richtigkeit unterstellt - nicht dazu, daß die Schätzungen des FG zugunsten des Klägers zu korrigieren sind. Vielmehr würden höhere bisher nicht berücksichtigte betriebliche Aufwendungen eine höhere Schätzung rechtfertigen.
3. Gegen die Schätzungen des Eigenverbrauchs und die Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen durch das FG hat der Kläger keine Einwendungen erhoben.
4. Das FG hat jedoch - ebenso wie die Verfahrensbeteiligten - übersehen, daß der vom Kläger durch die Gaststätte in W. im Jahr 1978 erzielte Gewinn vom Finanzamt W. gesondert festgestellt worden ist. Diese Feststellung ist für die Festsetzung der Einkommensteuer 1978 bindend, solange der betreffende Gewinnfeststellungsbescheid nicht aufgehoben oder geändert worden ist (§ 182 Abs. 1 AO 1977). Sie führte zu der im angefochtenen Urteil erwähnten Änderung des Einkommensteuerbescheids 1978 durch den Bescheid vom 11. Februar 1981. Daß der Gewinnfeststellungsbescheid aufgehoben oder geändert wurde, hat das FG nicht festgestellt. Die - nach Aktenlage noch bestehende - Bindung an den Gewinnfeststellungsbescheid hat zur Folge, daß bei der Festsetzung der Einkommensteuer 1978 der durch die Gaststätte in W. erzielte Gewinn mit . . . DM anzusetzen ist. Das FG hätte somit bei der Schätzung des Gewinns - soweit dieser Besteuerungsgrundlage für die Festsetzung der Einkommensteuer ist - die der Gaststätte in W. zuzuordnenden Einnahmen, Ausgaben, Aktiva und Passiva weder zugunsten noch zuungunsten des Klägers berücksichtigen dürfen.
Wie sich die Berücksichtigung der Gaststätte in W. auf die Gewinnschätzung auswirkte, läßt sich den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entnehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 63053 |
BFH/NV 1991, 573 |