Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Fordert der Staat von einer Gemeinde die Rückzahlung von Grundsteuerbeihilfebeträgen, so ist für einen solchen Rechtsstreit der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten gegeben.

GrStG § 29; Verordnung über die Förderung von Arbeiterwohnstätten vom 1. April 1937 §§ 8, 10 und

 

Normenkette

GrStG § 29; VwGO § 41 Abs. 3, § 180

 

Tatbestand

Das Finanzamt gewährte mit Bescheid vom 27. August 1941 für ein Grundstück eine Grundsteuerbeihilfe nach § 29 GrStG in Höhe der Grundsteuer für die Zeit vom 1. April 1940 bis zum 31. März 1960. In diesem Bescheid wurde dem Grundstückseigentümer mitgeteilt, der Oberfinanzpräsident habe die beiden Wohnungen auf dem Grundstück als Arbeiterwohnstätten anerkannt und diese Anerkennung von der Einhaltung der folgenden besonderen Bedingung abhängig gemacht:

"Der Eigentümer muß eine der beiden Wohnungen selbst bewohnen und die andere an eine selbständige Arbeiterfamilie vermieten und darf für diese Wohnung nicht mehr als 30 RM Miete monatlich erheben."

Der Bescheid enthält den folgenden Zusatz: "Entfällt eine der Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfe (z. B. bei baulichen Veränderungen, die den Charakter als Arbeiterwohnstätte aufheben, bei Erhöhung der Mieten oder Lasten, bei änderungen in der Benutzungsart oder bei nicht nur vorübergehendem Leerstehen einer Arbeiterwohnstätte), fällt die Beihilfe mit Schluß des Kalendermonats weg, in dem dieser Fall eintritt. Sie haben dem Finanzamt den Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung der Beihilfe innerhalb eines Monats anzuzeigen."

Die Grundsteuerbeihilfe betrug für das Rechnungsjahr 1955 63,90 DM und für die folgenden Rechnungsjahre bis einschließlich 1959 je 76,68 DM. Anläßlich einer überprüfung der Grundsteuerbeihilfe im Jahr 1959 stellte die Oberfinanzdirektion fest, daß die auf 30 RM/DM festgesetzte Miete für die Einliegerwohnung zwischenzeitlich vom Eigentümer auf 36,60 DM erhöht worden war. Hierzu machte der Grundstückseigentümer geltend, wegen des Einbaus eines Propangasherdes sei die Miete um 5 DM angehoben worden. Die weitere Mietsteigerung auf 36,60 DM sei nach § 32 des Bundesmietengesetzes zulässig gewesen. Daraufhin teilte das Finanzamt der Gemeinde (Bgin.) mit, wegen der vorgenommenen Mieterhöhungen seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsteuerbeihilfe ab 1. April 1955 weggefallen. Die Grundsteuerbeihilfe müsse deshalb gemäß Abschnitt X Ziff. 2 des Gemeinsamen Rundschreibens des Bundesministers für Wohnungsbau und des Bundesministers der Finanzen vom 22. Februar 1954 (BStBl 1954 I S. 46) von der Gemeinde zurückgefordert werden. In der Rechtsmittelbelehrung war angegeben, gegen den Bescheid sei das Berufungsverfahren zulässig.

Die mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts eingelegte Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, die Gewährung einer Grundsteuerbeihilfe sei eine begünstigende Verfügung im Sinne von § 96 AO und könne gemäß § 96 Abs. 2 AO mit rückwirkender Kraft nur dann zurückgenommen werden, wenn der Grundstückseigentümer die Verfügung durch unlautere Mittel, Zwang oder Bestechung veranlaßt habe. Das liege aber nicht vor; vielmehr habe der Grundstückseigentümer dem Finanzamt die zum Widerruf führenden Tatsachen mitgeteilt. Damit entfalle sowohl die Möglichkeit eines rückwirkenden Widerrufs der Grundsteuerbeihilfe wie auch die Verpflichtung der Gemeinde zur Rückzahlung der geleisteten Beihilfen an das Finanzamt.

Zur Begründung der Rb. wird vorgetragen: Der Rückforderungsanspruch unterliege nicht den Vorschriften der AO. Der vom Finanzamt geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen die Bgin. sei ein selbständiger Anspruch des Staates. Eine Verbindung dieses Anspruches mit dem Steueranspruch der Gemeinde etwa in der Weise, daß eine Gemeinde die Beihilfe nur insoweit an den Staat zurückzuerstatten brauche, als sie ihrerseits den Anspruch gegen den Grundsteuerschuldner verwirklichen könne, sei den bestehenden Vorschriften nicht zu entnehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

Nach § 29 Abs. 1 GrStG wurden für Arbeiterwohnstätten unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfen in Höhe der Grundsteuer auf die Dauer von 20 Jahren gewährt. Der Beihilfeanspruch ist ein Vergütungsanspruch im Sinne des § 158 AO (vgl. Gürsching-Stenger, Kommentar zum Grundsteuergesetz, 1959, Randnote 32 bei § 29 GrStG; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 16/57 vom 9. März 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Grundsteuergesetz, § 29, Rechtsspruch 3; Urteile des erkennenden Senats III 298/58 U vom 28. August 1959, BStBl 1959 III S 471, Slg. Bd. 69 S. 565, und III 362/57 vom 25. März 1960, StRK, Grundsteuergesetz, § 29, Rechtsspruch 4). Dieser Anspruch steht nur dem Schuldner der Grundsteuer - in der Regel also dem Eigentümer der Arbeiterwohnstätte - zu. Nur dieser kann die Gewährung der Beihilfe beantragen (ß 9 Abs. 1 der Verordnung über die Förderung von Arbeiterwohnstätten vom 1. April 1937, RGBl 1937 I S. 437, RStBl 1937 S. 481), und nur ihm gegenüber ist durch schriftlichen Bescheid des Finanzamts über die Gewährung oder Ablehnung der Beihilfe zu entscheiden (ß 10 Abs. 2 der Verordnung vom 1. April 1937, a. a. O.). Hieran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Bund die Beihilfe aus Vereinfachungsgründen unmittelbar an die hebeberechtigte Gemeinde zahlt und damit den Steuerschuldner von seiner Steuerzahlungspflicht befreit (ß 11 Abs. 2 der Verordnung vom 1. April 1937, a. a. O.). An dieser vom erkennenden Senat bereits in der Entscheidung III 298/58 U vom 28. August 1959 (a. a. O.) vertretenen Rechtsauffassung wird festgehalten.

Fallen die Voraussetzungen für die Gewährung der Grundsteuerbeihilfe weg, so ist dem Schuldner der Grundsteuer über den Wegfall der Beihilfe ein schriftlicher Bescheid zu erteilen (ß 10 Abs. 4 der Verordnung vom 1. April 1937, a. a. O.). Gegen diesen Bescheid hat der Grundsteuerschuldner gemäß § 235 Ziff. 5 AO die Rechtsmittel des § 229 AO. Im Streitfalle fordert nun das Finanzamt die nach seiner Ansicht zu Unrecht gewährte Grundsteuerbeihilfe aber nicht vom Grundsteuerschuldner, sondern von der Gemeinde zurück. Dieser vom Finanzamt geltend gemachte Anspruch ist kein Anspruch im Sinne der AO.

Der Anspruch des Finanzamts ist kein Erstattungsanspruch im Sinne von §§ 150 ff. AO. Steuerschuldner der Grundsteuer war der Grundstückseigentümer, also der aus dem Grundsteuerbeihilfebescheid Begünstigte. Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum steht ein Erstattungsanspruch nur dem Steuerschuldner (hier dem Grundstückseigentümer) zu, nicht aber demjenigen, der für den Steuerschuldner gezahlt hat (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 189/56 U vom 9. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 180, Slg. Bd. 70 S. 480 mit dort zitierten Fundstellen). Eine Abtretung eines Erstattungsanspruches vom Grundstückseigentümer an das Finanzamt im Sinne von § 159 AO ist weder behauptet noch aus den Akten zu entnehmen. Im übrigen hätte das vorausgesetzt, daß die Grundsteuer vom Grundstückseigentümer zu Unrecht gezahlt oder daß die Grundsteuerfestsetzung berichtigt worden ist. Auch hierfür ist nichts vorgetragen.

Auch § 235 Ziff. 5 zweiter Halbsatz AO kann im Streitfalle nicht angewendet werden. Nach dieser Vorschrift gelten die Rechtsmittel des § 229 AO auch für Bescheide, durch die erstattete oder vergütete Beträge zurückgefordert werden. Die Grundsteuerbeihilfe ist aber nur für den Grundsteuerschuldner eine Steuervergütung. Deshalb ist ggf. ein Rückforderungsanspruch im Sinne von § 235 AO auch nur ihm gegenüber möglich und geltend zu machen, denn der Rückforderungsanspruch knüpft wieder an die erhaltene Steuervergütung an (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., 1965, Vorbemerkungen zu den §§ 150 bis 159 AO, Randnote 15 letzter Absatz). Ein solcher Anspruch könnte dem Finanzamt nur gegenüber dem Grundstückseigentümer zustehen.

Der vom Finanzamt gegenüber der Gemeinde geltend gemachte Anspruch ist ein öffentlich-rechtlicher Rückforderungsanspruch, der nicht in die Zuständigkeit der Finanzgerichte fällt.

Das Finanzamt leistet die Zahlungen an die Gemeinde auf Grund von § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 1. April 1937. Diese Leistungen des Finanzamts an die Bgin. wurden somit auf Grund öffentlichen Rechtes bewirkt. Wird aber eine Leistung auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften vorgenommen, so unterliegt auch der Anspruch auf Rückzahlung dieser Leistungen dem öffentlichen Recht (Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts V C 118/55 vom 19. Dezember 1956, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 4 S. 215, sowie III C 42/57 vom 9. Mai 1958, Monatsschrift für Deutsches Recht 1958 S. 710). Zu Recht trägt deshalb das Finanzamt in der Rb. vor, der Anspruch gegen die Bgin. unterliege nicht den Vorschriften der AO. Richtigerweise hat deshalb das Finanzamt auch im Bescheid vom 22. April 1960, der den Rechtsstreit auslöste, keine Erstattung unter Bezugnahme auf die Vorschriften der AO verlangt, sondern erklärt, gemäß Abschnitt X Ziff. 2 des Gemeinsamen Rundschreibens des Bundesministers für Wohnungsbau und des Bundesministers der Finanzen vom 22. Februar 1954 (a. a. O.) müsse es die Grundsteuerbeihilfe "zurückfordern". Die Folge hiervon ist aber, daß ein solcher Anspruch nicht im Rechtsweg vor den Finanzgerichten verfolgt werden kann. Da es sich nicht um einen abgabenrechtlichen bzw. steuerrechtlichen Anspruch handelt und auch das AO-Anwendungsgesetz des in Betracht kommenden Landes im Streitfall keine Anwendung finden kann, ist für den vom Finanzamt behaupteten und geltend gemachten Anspruch der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten gegeben. Die Zuständigkeit des allgemeinen Verwaltungsrechtsweges ist auch dann gegeben, wenn man im Streitfalle eine sog. Parteistreitigkeit annehmen wollte (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1962, § 40 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, Randnoten 6 ff.). Die Rechtsmittelbelehrung im Streitfall durch das Finanzamt war somit unrichtig.

Die Vorinstanz hat die Rechtslage verkannt. Ihre Entscheidung war deshalb aufzuheben. Die Gemeinde (Bgin.) hat die Verweisung des Rechtsstreites an das zuständige Verwaltungsgericht beantragt. Diesem Antrag ist stattzugeben. Die Sache wird gemäß §§ 41 Abs. 3, 180 VwGO an das örtlich zuständige Gericht des ersten Rechtszuges der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit verwiesen.

Sollte das Verwaltungsgericht der Auffassung sein, daß der vom Finanzamt geltend gemachte Anspruch vom Erlaß eines Bescheides nach den §§ 8 und 10 der Verordnung vom 1. April 1937 (a. a. O.) abhängt, so wird darauf hingewiesen, daß für einen Rechtsstreit über einen Bescheid nach den §§ 8 und 10 dieser Verordnung der Rechtsweg vor den Finanzgerichten gegeben ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411854

BStBl III 1966, 21

BFHE 1966, 61

BFHE 84, 61

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