Leitsatz (amtlich)
Die Möglichkeit einer Fortführung des Betriebs anläßlich der Vermietung oder Verpachtung der wesentlichen Betriebsgrundlagen durch einen Gewerbetreibenden (BFH-Urteil vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) entfällt, wenn der Vermieter (Verpächter) im Interesse des Mieters (Pächters) diese wesentlichen Betriebsgrundlagen erheblich umgestaltet.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Ehemann (Kläger) ist Metzgermeister. Er unterhielt bis 1969 eine Metzgerei auf eigenem Grundstück, das einschließlich der Gebäude als Betriebsvermögen ausgewiesen war. An Baulichkeiten waren vorhanden: ein Schlachthaus, eine Wurstküche, ein Ladenlokal (88,48 qm), außerdem mehrere vermietete Wohnungen und eine vom Kläger selbst bewohnte Wohnung.
Nachdem der Kläger die Einrichtungsgegenstände und Maschinen veräußert hatte, schloß er am 12. Juni 1969 einen Mietvertrag mit einem Supermarkt-Unternehmen ab. Er verpflichtete sich, nach den Wünschen des Mieters umfangreiche Um- und Anbauarbeiten durchzuführen. Die Aufwendungen hierfür betrugen ca. 140 000 DM. Das Schlachthaus und die Wurstküche wurden abgerissen, das Ladenlokal auf 288,53 qm vergrößert. Die Mietdauer betrug 15 Jahre; eine zweimalige Verlängerung um je fünf Jahre war vorgesehen. Das Mietverhältnis sollte nach Beendigung der Bauarbeiten, spätestens am 15. August 1969, beginnen. Der Mieter durfte untervermieten. Der Kläger verpflichtete sich, im Umkreis von 600m kein Konkurrenzunternehmen zu errichten.
Der Kläger ging davon aus, daß er auch nach Beginn der Vermietung gewerbliche Einkünfte erzielt habe. Er bilanzierte das Grundstück in einer zum 31. Dezember 1969 erstellten Bilanz weiterhin und wies die Mieteinnahmen als Betriebseinnahmen aus. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) setzte hingegen nach einer Betriebsprüfung in der endgültigen Einkommensteuerveranlagung 1969 einen Aufgabegewinn gemäß § 16 Abs. 3, § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG, von 510 513 DM an (= stille Reserven in dem Grundstück und den Gebäuden zu Beginn der Vermietung). Der Einspruch wurde zurückgewiesen.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG hat in seinem in den EFG 1972, 428 veröffentlichten Urteil ausgeführt: Es liege die Verpachtung eines Betriebs im ganzen vor, die nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven nötige. Wesentliche Betriebsgrundlagen des Klägers im Zeitpunkt der Verpachtung seien das Grundstück und - damit zusammenhängend - der Kundenstamm gewesen. Beide seien dem Mieter überlassen worden. Gegenstand des Mietvertrags seien zwar nur die Geschäftsräume. Tatsächlich sei "aber der Kundenstamm mit überlassen worden, weil dieser in erster Linie an die Lage des Geschäfts und seine Branche geknüpft sei". Ohne Bedeutung sei, daß in den vermieteten Räumen nunmehr an Stelle einer Metzgerei ein Supermarkt betrieben werde. Eine Metzgerei gehöre im weiteren Sinne zur Lebensmittelbranche. Viele Metzgereien hätten sich im Lauf der letzten Zeit auf Supermärkte umgestellt. Der Mieter verkaufe ebenfalls Fleischwaren.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts: Die Feststellung des FG, der Kundenstamm sei mitüberlassen worden, widerspreche dem Inhalt der Akten; der Mietvertrag spreche lediglich von einer Vermietung der Räumlichkeiten. Das FG habe den Begriff der Betriebsaufgabe verkannt (§ 16 Abs. 3 EStG). Der Metzgereibetrieb habe infolge der Umbauten zu bestehen aufgehört und könne auf dem Grundstück nicht wieder aufgenommen werden.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie erwidern: Es sei nicht zweifelhaft, daß der Kundenstamm übergegangen sei. Der Betrieb befinde sich in einer Kleinstadt. Der Mieter biete weiterhin Wurstwaren an. Im übrigen habe eine heutzutage übliche Umstrukturierung stattgefunden. Das Ladengeschäft für Fleisch- und Wurstwaren sei - wenn auch verkleinert um die Schlachtung und vergrößert um das sonstige Sortiment eines Supermarkts - bestehengeblieben. Der Kläger sei zwar nicht in der Lage, nach Beendigung der Vermietung die alte handwerklich orientierte Metzgerei wiederaufzunehmen. Er könne jedoch den jetzt auf seine Kosten aus- und umgebauten Betrieb weiterführen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Nach dem Urteil des Großen Senats des BFH vom 13. November 1963 GrS 1/63 S (BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) kann der Verpächter eines Gewerbebetriebs wählen, ob er den Vorgang der Verpachtung als Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 EStG) behandeln oder ob er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen will mit der Folge, daß die im verpachteten Betrieb vorhandenen stillen Reserven vorerst nicht aufgedeckt werden. Die Aufgabe der werbenden Tätigkeit und eine daran anschließende Verpachtung (Vermietung) berechtigen nicht in jedem Fall zu einer Fortführung des Betriebsvermögens. Diese Rechtswohltat soll nur demjenigen Gewerbetreibenden zugute kommen, der die "wesentlichen Betriebsgegenstände mitverpachtet".
Die spätere Rechtsprechung hat demgemäß eine Betriebsaufgabe angenommen, wenn nach Veräußerung der übrigen Betriebsgegenstände nur noch das Betriebsgrundstück verpachtet wird (BFH-Urteile vom 12. April 1967 VI R 240/66, BFHE 88, 417, BStBl III 1967, 420; vom 13. Juli 1967 IV R 174/66, BFHE 89, 566, BStBl III 1967,751), ausgenommen den Fall, daß das Betriebsgrundstück die alleinige wesentliche Betriebsgrundlage ist (BFH-Urteil vom 4. November 1965 IV 411/61 U, BFHE 84, 134, BStBl III 1966, 49). Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat die vorweg veräußerten Inventargegenstände als unwesentliche Betriebsgrundlagen, das Grundstück und den Kundenstamm hingegen als wesentliche Betriebsgrundlagen angesehen und angenommen, der Kläger habe dem Mieter auch den Kundenstamm überlassen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Würdigung in allen Punkten zutreffend ist. Die Rechtsprechung des Großen Senats weist indes einen zweiten einschränkenden Gesichtspunkt auf, der einem Wahlrecht des Klägers entgegensteht.
Die verpachteten wesentlichen Betriebsgegenstände müssen die dem bisherigen Betrieb das Gepräge gebenden Gegenstände sein. Werden anläßlich einer Verpachtung (Vermietung) wesentliche Betriebsgrundlagen so umgestaltet, daß sie nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden können, entfällt die Annahme eines ruhenden Betriebs. Der Verpächter stellt die werbende Tätigkeit in diesem Falle endgültig ein. Er hält sich nicht mehr die Möglichkeit offen, seine bisherige Tätigkeit wieder aufzunehmen. Vielmehr treten die Belange des Pächters in den Vordergrund. Entweder richtet schon der Verpächter das Pachtobjekt nach den Wünschen des Pächters ein oder dem Pächter wird eine Umgestaltung nach seinen Bedürfnissen gestattet. Der BFH hat dementsprechend in dem Urteil vom 16. November 1967 IV R 8/67 (BFHE 90, 329, BStBl II 1968, 78) das Wahlrecht davon abhängig gemacht, daß der Pächter "im wesentlichen den vom Verpächter betriebenen Gewerbebetrieb fortsetzt", und ein Wahlrecht verneint, wenn der Pächter mit Einverständnis des Verpächters das Grundstück unter erheblichem Kostenaufwand für Zwecke seines Gewerbebetriebs umgestaltet. Dem steht nicht die Überlegung entgegen, daß eine Umstrukturierung, falls sie sich unabhängig von einer Verpachtung vollzieht, nicht zu einer Aufdeckung der stillen Reserven nötigt. Das durch die Entscheidung GrS 1/63 S eingeräumte Wahlrecht ist eine engumgrenzte Ausnahme von dem Gesetzesbefehl des § 16 Abs. 3 EStG. Eine Ausweitung ist abzulehnen.
Im Streitfall liegt eine Betriebsaufgabe vor. Der Kläger hat anläßlich der Vermietung nach den Wünschen des Mieters umfangreiche Um- und Anbauarbeiten vorgenommen, die den Mieter in die Lage versetzen, in den gemieteten Räumen einen Supermarkt zu betreiben. Die Umgestaltungsmaßnahmen machen es dem Kläger unmöglich, nach Beendigung des Mietverhältnisses wieder die Metzgerei in ihrer bisherigen Form zu betreiben. Schlachthaus und Wurstküche sind entfernt, die Ladenfläche ist mehrfach vergrößert worden. Unerheblich ist nach den vorstehenden Ausführungen, daß der Kläger späterhin in den Räumen einen Supermarkt betreiben könnte.
Ein Anhalt dafür, daß die Vermietung ausnahmsweise gewerblichen Charakter haben könnte (u. a. BFH-Urteile vom 17. Januar 1961 I 53/60 S, BFHE 72, 637, BStBl III 1961, 233; vom 18. Januar 1973 IV R 196/71, BFHE 109, 194, BStBl II 1973, 561), liegt nicht vor.
Die Vorentscheidung, die insoweit von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist aufzuheben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen, die noch festzustellen hat, ob das FA den Aufgabegewinn zutreffend ermittelt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 70772 |
BStBl II 1974, 208 |
BFHE 1974, 98 |