Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbindungsleitungen eines Gasversorgungsrohrnetzes als unselbständige Teile der Haupt- und Nebenleitungen
Leitsatz (NV)
Die Verbindungsleitungen (sog. Hausanschlüsse), die ein Gasversorgungsunternehmen von seinen Haupt- und Nebenleitungen zu den Abnehmern legt, sind keine selbständigen Wirtschaftsgüter i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967, wenn sie mit den Haupt- und Nebenleitungen fest verbunden sind, nicht durch zwischengeschaltete selbständige Anlagen davon getrennt sind und dem Drucknetz der Haupt- und Nebenleitungen angehören.
Normenkette
UStG 1967 § 30 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin ist ein überregionales Gasversorgungsunternehmen. Sie unterhält ein Rohrnetz zur Versorgung kommunaler und regionaler Gasversorgungsunternehmen sowie zur Versorgung von Großabnehmern. Die Anschlußleitungen von den Haupt- oder Nebenleitungen der Klägerin zu den Versorgungsunternehmen oder zu den Großabnehmern (sog. Hausanschlüsse) haben eine Länge zwischen 6,0 m und 13,254 km. Sie sind von den Haupt- oder Nebenleitungen nicht durch zwischengeschaltete selbständige Vorrichtungen (z. B. Pumpenstationen, Kontrollstellen usw.) getrennt, sondern mit diesen fest verbunden. An den Anschlußstellen befinden sich lediglich zum Absperren Schieber der Art, wie sie auch im übrigen Rohrnetz in regelmäßigen Abständen aus Sicherheitsgründen und zur Regulierung (z. B. Streckenschieber) vorhanden sind. Haupt-, Neben- und Verbindungsleitungen (Hausanschlüsse) gehören jeweils dem gleichen Hoch- oder Mitteldrucknetz an. Niederdruckleitungen sind nicht vorhanden. Die Klägerin hat die sog. Hausanschlüsse in der Buchhaltung als Einzelanlagen gesondert ausgewiesen und mit Herstellungskosten zwischen 630,18 DM und 2 274 670,98 DM bilanziert.
Das Finanzamt hat in den berichtigten Umsatzsteuerbescheiden 1968 und 1969 die Zuführung der Anschlußleitungen zum Anlagevermögen als Selbstverbrauch gemäß § 30 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 der Umsatzsteuer unterworfen.
Nach erfolglosem Einspruch der Klägerin hat das Finanzgericht die Umsatzsteuerfestsetzung für 1968 und 1969 herabgesetzt. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. August 1971 V R 18/71 (BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75) hat es die Errichtung der Hausanschlüsse als nichtselbstverbrauchsteuerbare Erweiterung der vorhandenen Haupt- und Nebenleitungen der Klägerin beurteilt; die Hausanschlüsse seien mit den Haupt- oder Nebenleitungen technisch und organisch derart eng verbunden, daß sie in der Gesamtheit mit diesen ein Wirtschaftsgut bildeten.
Mit der Revision macht das Finanzamt Verletzung des § 30 Abs. 1 und Abs. 2 UStG 1967 geltend. Es sieht die Anschlußleitungen als selbständig bewertungsfähige Wirtschaftsgüter an: Die Darstellung des Finanzgerichts, es handle sich um unselbstände Bestandteile der sog. Speiseleitungen, weil sie notwendig an diese angeschlossen seien, führe zu dem Ergebnis, das gesamte Leitungsnetz der Klägerin sei ein einheitliches Wirtschaftsgut. Davon dürfte selbst das Finanzgericht nicht ausgegangen sein. Nach Ansicht des Finanzamts habe die Abgrenzung, ob ein Wirtschaftsgut selbständig oder nichtselbständig bewertungsfähig sei, auf die Verkehrsanschauung abzustellen. Zur vorliegenden Frage sei die Verkehrsanschauung im Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 10. Juni 1974 IV A 1 - S 7471 - 11/74; IV B 2 - S 2172 - 10/74, Umsatzsteuer-Kartei S 7471, Karte 12, niedergelegt; dieser sei in Abstimmung mit den beteiligten Wirtschaftskreisen ergangen. Nach der Systematik dieses Erlasses und der BFHE 103, 282 seien Leitungssysteme (Wasser-, Strom- oder Gasleitungen) in die selbständigen Ortsnetze und die als selbständig anzusehenden Einrichtungen, die diese Ortsnetze versorgen, zu zerlegen. Demzufolge seien die Anschlußleitungen, die Orts- oder Regionalnetze und Haupt- oder Nebenleitungen verbänden, selbständige Wirtschaftsgüter. So habe die Klägerin selbst bilanziert. Bei Stromversorgung sei nur die Ortsnetzleitung im Niederspannungsbereich ein selbständiges Wirtschaftsgut. Dem entspreche bei Gas- und Wärmeversorgung die Niederdruckzone. Die Anschlußleitungen der Klägerin seien jedoch Mittel- und Hochdruckleitungen.
Das Finanzamt rügt ferner Verletzung des § 76 FGO, weil das Finanzgericht keine Ermittlungen darüber angestellt habe, welche Verkehrsanschauung hinsichtlich der Selbständigkeit der Anschlußleitungen in den Streitjahren bestanden habe.
Das Finanzamt beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Umsatzsteuer 1968 auf . . . DM und die Umsatzsteuer 1969 auf . . . DM festzusetzen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Finanzamts ist unbegründet.
Selbstverbrauch liegt nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt.
Die von der Klägerin errichteten Verbindungsleitungen (Hausanschlüsse) sind keine selbständigen Wirtschaftsgüter im Sinne dieser Vorschrift. Bei diesen Investitionen handelt es sich vielmehr um die (unselbständige) Erweiterung bestehender einheitlicher Wirtschaftsgüter (Haupt- und Nebenleitungen). Erweiterungen bereits vorhandener Wirtschaftsgüter sind selbst dann kein Selbstverbrauch, wenn aktivierungspflichtiger Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand anfällt (vgl. BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75).
Der Begriff des Wirtschaftsguts im Sinne des § 30 Abs. 2 UStG 1967 ist nach einkommensteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu bestimmen (vgl. Urteile vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344, und vom 15. Dezember 1977 V R 59/77, BFHE 124, 250, BStBl II 1978, 246). Einkommensteuerrechtlich werden als Wirtschaftsgüter alle Güter angesehen, die dem Betrieb dienen oder zu dienen bestimmt sind und selbständig bewertungs- und bilanzierungsfähig sind. Die selbständige Bewertungsfähigkeit, welche die Einzelbewertung ermöglicht, ist ein dem Begriff des Wirtschaftsguts innewohnendes Merkmal (vgl. Urteil vom 28. Februar 1961 I 13/61 U, BFHE 73, 318, BStBl III 1961, 383). Am selbständigen wirtschaftlichen Wert eines Gegenstands fehlt es, wenn er mit einem anderen Wirtschaftsgut derart verbunden ist, daß er nur in der Gesamtheit mit dem anderen Wirtschaftsgut bewertungsfähig ist, als dessen Teil er sich darstellt (BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344).
Ob ein selbständiges Wirtschaftsgut vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob nach außen ein einheitliches Ganzes in Erscheinung tritt; bedeutsam dafür ist die betrieblich bedingte Art und Dauer der Verbindung sowie die Abstimmung der verbundenen Gegenstände aufeinander und die betriebliche Zweckbestimmung, insbesondere ein etwaiger Funktions- und Nutzungszusammenhang mit anderen Gegenständen (vgl. Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132; Urteil vom 26. Februar 1975 I R 32/73, BFHE 115, 238, BStBl II 1975, 443).
Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht darauf einzugehen, ob die Gasversorgungsleitungen der Klägerin als sog. geschlossene Anlage und als solche - wie zum Teil im Schrifttum vertreten wird - als einheitliches Wirtschaftsgut anzusehen sind (vgl. Gail, Betriebs-Berater 1968, S. 702; May, Das Wirtschaftsgut, 1970, S. 39 f.). Auch nach der differenzierenden Auffassung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75) ist das Leitungsnetz von Strom-, Wasser- und Gasversorgungsanlagen jedenfalls ein einheitliches Wirtschaftsgut, das gegenüber anderen Wirtschaftsgütern solcher Anlagen (z. B. Pumpwerke, Hochbehälter, Quellen- und Brunnenanlagen) selbständig ist. In der vorgenannten Entscheidung hat der Bundesfinanzhof unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 13. August 1957 I 91/56 U (BFHE 65, 533, BStBl III 1957, 440) ausgeführt, ein Leitungsnetz solcher Anlagen sei regelmäßig eine nicht mehr teilbare Einheit. Diese Beurteilung hat das Finanzgericht zutreffend auch hinsichtlich des Leitungsnetzes der Klägerin vorgenommen; denn nach seinen Feststellungen sind die Hausanschlußleitungen mit den Haupt- und Nebenleitungen fest verbunden und nicht durch zwischengeschaltete selbständige Anlagen getrennt. Sie sind insbesondere nicht für den Niederdruckbereich geschaffen und damit unter Umständen im Vergleich zu den Hoch- und Mitteldrucknetzen als selbständige Leitungseinheit anzusehen. Vielmehr gehören sie dem gleichen Hoch- oder Mitteldrucknetz an. Damit besteht eine betriebliche und technische Verbindung und Abstimmung der Anschlüsse mit den Haupt- und Nebensträngen, aufgrund der sie nur in Gesamtheit mit diesen Leitungen, als deren Teil sie sich darstellen, bewertungsfähig sind.
Der Senat sieht sich in dieser Beurteilung der vorliegenden Fallgestaltung nicht im Widerspruch zu der Nummer 1 des Erlasses vom 10. Juni 1974 (Umsatzsteuer-Kartei S 7471 Karte 12), auf den sich der Beklagte beruft. Der Erlaß sieht bei Elektrizitätsversorgung das Ortsnetz im Niederspannungsbereich als ein Wirtschaftsgut an. Mehrere selbständige Ortsnetze könnten vorhanden sein, wenn Ortsteile, Stadtbezirke, Satelliten- oder Trabantenstädte für ihren Niederspannungsbereich durch selbständige Hoch- und/oder Mittelspannungsleitungen versorgt würden. Der Niederspannungszone sei die Niederdruckzone in den Bereichen der Gas- und Wärmeversorgung vergleichbar. Als selbständige Wirtschaftsgüter können bei vergleichbarer Verteilerfunktion aber auch - wie hier - die jeweiligen regionalen Hoch- und Mitteldruckleitungssysteme angesehen werden. Daß die bilanzrechtliche Behandlung der jeweiligen Leitungsnetzerweiterungen als selbständige Wirtschaftsgüter für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung als unmaßgeblich erachtet wird, ergibt sich unmittelbar aus Nummer 2 des genannten Erlasses.
Auf die Frage der Verkehrsauffassung, wie sie vom Finanzamt angeschnitten worden ist, braucht nach diesen Beurteilungsgesichtspunkten nicht eingegangen zu werden. Die diesbezügliche Verfahrensrüge kann keine andere Entscheidung rechtfertigen. Das Urteil kann nicht auf dem gerügten Mangel beruhen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Fundstellen