Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Nachweis ingenieurähnlicher Kenntnisse anhand praktischer Arbeiten
Leitsatz (NV)
1. Erstellt ein Kfz-Sachverständiger, der keine den Ingenieurgesetzen entsprechende Berufsausbildung besitzt, außer sog. Schadensgutachten auch Gutachten über Schadensursachen, so muß die hiermit zusammenhängende Beschäftigung überwiegen, um die Gesamttätigkeit als ingenieurähnlich erscheinen zu lassen.
2. Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer ingenieurähnlichen Tätigkeit trägt der Steuerpflichtige die Beweislast.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 96
Verfahrensgang
Tatbestand
In den Jahren 1946 bis 1949 erlernte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) den Beruf eines Kraftfahrzeugschlossers und legte 1952 die Meisterprüfung ab. Seine unternehmerische Tätigkeit als Kraftfahrzeugsachverständiger begann er im Jahre 1971. Zur Ausbildung des Klägers hat das Finanzgericht (FG) in den drei angefochtenen Urteilen ausgeführt, daß der Kläger nach seinen Angaben in den Jahren 1951 bis 1953 an Fernkursen und Abendkursen teilgenommen und sich als Berufsschullehrer für den Kfz-Bereich ausgebildet habe. Im Jahre 1958 habe er danach die Fahrlehrerprüfung abgelegt und in den Jahren 1961 bis 1963 an einem Fernlehrgang für Maschinenbau (Grundlehrgang) und bis Mai 1964 an dem Fachlehrgang Maschinenbauingenieur teilgenommen. Die praktische Ausbildung als Kraftfahrzeugsachverständiger habe er sich in einem Ingenieurbüro in den Jahren 1967 bis 1969 verschafft. Von 1968 an habe er ständig an Lehrgängen, Tagungen, Seminaren und Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen, die den Bereich des Sachverständigenwesens zum Gegenstand gehabt hätten und deren Inhalt auf wissenschaftlicher Grundlage beruht habe.
Anläßlich einer im Jahre 1978 durchgeführten Betriebsprüfung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA -) die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit nicht als freiberufliche, sondern als gewerbliche Tätigkeit, weil der Kläger weder die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" geführt noch eine ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeübt habe. Das FA erließ für die Streitjahre 1972 bis 1977 entsprechende Einkommen-, Gewerbesteuermeß- und Umsatzsteuerbescheide. Die Einsprüche des Klägers hatten keinen Erfolg.
Im Klageverfahren trug der Kläger vor, schon aufgrund seiner Gutachtertätigkeit insbesondere für die gerichtliche Praxis müsse er unabhängig von seiner Vorbildung als Freiberufler i.S. des § 18 EStG beurteilt werden. Er legte u.a. ein seine Fähigkeiten betreffendes Gutachten des Instituts an der Universität zu . . . vom 23. Mai 1984 vor. Diesem Gutachen lagen drei Sachverständigengutachten des Klägers vom 9. Mai 1974, vom 20. Juni 1978 und vom 12. September 1978 zugrunde; das Gutachten kam zu dem Ergebnis, daß diese vom Kläger gefertigten Arbeiten mit dem Kenntnisstand nur eines Meisters des Kfz-Handwerks nicht zu fertigen gewesen wären und sie einen Wissensstand des Klägers zeigten, der den Wissensstand eines Ingenieurs aufgrund der in den Ingenieurgesetzen vorgesehene Ausbildung voraussetze.
Das FG wies die Klagen im wesentlichen mit der Begründung ab, das FA habe die Umsätze und Einkünfte des Klägers aus seiner unternehmerischen Tätigkeit als Kraftfahrzeugsachverständiger zutreffend als solche aus Gewerbebetrieb behandelt. Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 EStG liege nicht vor. Der Kläger sei in den Streitjahren weder Ingenieur, noch sei seine Berufstätigkeit der eines Ingenieurs ähnlich, noch sei seine Berufstätigkeit eine wissenschaftliche Tätigkeit gewesen.
Mit den - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revisionen rügt der Kläger Verletzung von Bundesrecht (§ 18 Abs. 1 Nr.1 EStG). Außerdem macht er geltend, die angefochtenen Urteile beruhten auf einem Verfahrensmangel, weil das FG nicht nach seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung geurteilt habe (§ 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des Kläger wegen Einkommensteuer 1972 bis 1977 (IV R 65/89), wegen Gewerbesteuermeßbetrag 1972 bis 1977 (IV R 66/89) und wegen Umsatzsteuer 1972 bis 1977 (IV R 67/89) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 FGO).
Die Revisionen sind unbegründet.
1. Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit (1) der Ausbildung und (2) der beruflichen Tätigkeit (Senats-Urteil vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87, BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64). Ein Kraftfahrzeugsachverständiger, der eine Berufsausbildung, wie sie in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschrieben ist, nicht besitzt, kann nachweisen, daß er vergleichbare Fachkenntnisse im Wege des Selbststudiums erworben hat. Er kann diesen Nachweis, insbesondere anhand eigener praktischer Arbeiten erbringen (Senats-Urteil vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198). Diese Arbeiten müssen einen der Ingenieurtätigkeit vergleichbaren Schwierigkeitsgrad aufweisen. Außerdem müssen sie den Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen bilden (Senats-Urteil vom 5. Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73), d.h. die qualifizierte Arbeit muß dem ähnlichen Beruf das Gepräge im Sinne des Katalogberufs geben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. September 1989 IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359).
Es kann dahinstehen, ob der Kläger in den Streitjahren Kenntnisse besaß, die den in einer Ingenieurausbildung erworbenen vergleichbar sind. Jedenfalls ist die zweite der eingangs genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, nämlich die Vergleichbarkeit der Tätigkeit. Allerdings hat der Senat im Urteil in BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64 (unter 2, Abs. 4) klargestellt, daß eine Tätigkeit auch dann mit der eines Ingenieurs oder Architekten vergleichbar sein kann, wenn sie nicht die strengen Anforderungen erfüllt, die an Arbeiten gestellt werden, mit der die erforderlichen theoretischen Kenntnisse nachgewiesen werden sollen. Insbesondere kann eine ingenieurähnliche Tätigkeit auch dann vorliegen, wenn sich der Steuerpflichtige auf einen Teilbereich der Ingenieurtätigkeit spezialisiert hat. Die Erstellung von sog. Schadensgutachten stellt jedoch keine - auch keine spezialisierte - Ingenieurtätigkeit dar. Sie erfordert vielmehr die Kenntnisse und Erfahrungen eines Kfz-Handwerkers. Erstellt der Steuerpflichtige daneben Gutachten über Schadensursachen, so muß die hiermit zusammenhängende Beschäftigung, um die Gesamttätigkeit zu prägen und sie als ingenieurähnlich erscheinen zu lassen, überwiegen (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. Oktober 1990 2 BvR 146/90, Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1991, 47 = Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz 1975, § 18 Abs. 1, Rechtsspruch 59).
2. Diesen Anforderungen der Rechtsprechung wird das angefochtene Urteil gerecht. Das FG hat festgestellt, daß die Tätigkeit des Klägers, soweit sie überwiegend in der Anwendung mathematisch-technischer Kenntnisse bestand, nicht den Schwerpunkt seiner Berufstätigkeit gebildet hat, insbesondere diese qualifizierte Arbeit nicht überwog und der vom Kläger ausgeübten Berufstätigkeit nicht das Gepräge im Sinne eines dem Katalogberuf ähnlichen Berufes gab.
Der BFH ist an diese im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht wären (§ 118 Abs. 2 FGO; BFH-Urteil vom 25. Oktober 1988 VIII R 262/80, BFHE 154, 536, BStBl II 1989, 291). Soweit es auf Tatsachenfeststellungen und -würdigungen ankommt, kann der erkennende Senat als Revisionsgericht nur überprüfen, ob sie gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen; er kann deshalb nicht seine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der Würdigung des FG setzen, wenn diese zwar nicht zwingend, aber immerhin möglich ist (BFH-Urteile vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522, und vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188). Die Tatsachenfeststellung und -würdigung des FG ist möglich. Das FG ist davon ausgegangen, daß die vom Kläger selbst vorgelegten 55 Gutachten wegen der darin enthaltenen 7 Gutachten zu Schadensursachen zwar die Feststellung naturwissenschaftlich-mathamatischer Kenntnisse des Klägers zuließen, aber nicht die Feststellung, daß in der Erstattung solcher qualifizierter Gutachten der Schwerpunkt der Berufstätigkeit des Klägers bestanden habe und diese präge. Die Würdigung mag aus der Sicht des Klägers nicht zwingend sein, sie verstößt aber nicht gegen die Denkgesetze. Zwar hatte der Kläger vor dem FG ausgeführt, seine Tätigkeit im Bereich der Kfz-Schadenspraxis habe - in der Vergangenheit - keineswegs den Schwerpunkt seiner Arbeit dargestellt, vielmehr habe die forensische Tätigkeit überwogen. Dieser Sachvortrag ließ aber offen, ob auch die gesamte forensische Tätigkeit dem Bereich der qualifizierten Tätigkeit zugeordnet werden konnte. Selbst wenn die vorgelegten Gutachten zu den Unfallursachen, zur technischen Kriminalistik und die Spezialgutachten keine Einzelfälle waren, sondern der Kläger ständig auf diesem Gebiet tätig gewesen sein sollte (Klagebegründung vom 8. September 1981), so widerspricht das nicht der Annahme des FG, die derart qualifizierte Tätigkeit habe nicht überwogen. Das FG mußte das auch nicht aus der vom Kläger für die den Streitjahren nachfolgenden Jahre 1981 und 1983 eingereichten Aufstellung der mündlich vor Gericht, schriftlich im Auftrag von Gerichten und Staatsanwaltschaften erstellten technischen Analysen und Gutachten für private Auftraggeber sowie der sog. Schadensgutachten schließen. Denn der Kläger hatte und hat nicht in Abrede gestellt, daß zu den sog. forensischen Gutachten auch solche zu Unfallschäden und zur Schadenshöhe gehörten.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Kläger in der mündlichen Verhandlung, da er für die Erstellung eines Schadensgutachtens ca. 30 bis 35 Minuten, dagegen für ein Gutachten zur Feststellung zurückliegender Sachverhalte ca. 6 bis 7 Stunden benötigt habe, habe er durch die vorgelegten, vom FG anscheinend als repräsentativ erachteten 55 Gutachten das zeitliche Überwiegen der qualifizierten Tätigkeit nachgewiesen. Denn insoweit handelt es sich - abgesehen von der Frage, ob das nach den angegebenen Gebührensätzen und Einnahmen schlüssig wäre - um neuen Tatsachenvortrag, mit dem der Kläger in der Revisionsinstanz nicht gehört werden kann (BFH-Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848). Im übrigen hat der Kläger gegen die Feststellungen des FG keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht. Die allgemein gehaltene Rüge, das FG habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, genügt zur ordnungsgemäßen Bezeichnung eines Verfahrensmangels i.S. von § 120 Abs. 2 Satz 2 nicht (vgl. dazu im einzelnen Urteil in BFHE 154, 536, BStBl II 1989, 291). Der Senat ist daher an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden. Ob die Tätigkeit des Klägers auch für die den Streitjahren folgenden Zeiträume in gleicher Weise zu beurteilen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden.
3. Das FG hat weiter zu Recht darauf abgestellt, daß der vom Kläger behauptete Verlust aller weiteren Gutachten durch einen Brand am 22.März 1982 ausschließlich zu Lasten des Klägers gehe, weil dieser die sog. objektive Beweislast für alle Tatsachen trage, die die Würdigung der Tätigkeit als freiberufliche rechtfertigen könne (Urteil in BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73).
Demgegenüber kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, daß wegen einer schuldhaften Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FA, die für die Beweisnot des Klägers mitursächlich sei, das ihm abzuverlangende Beweismaß reduziert werden müßte. Das FA war während der Betriebsprüfung und des Einspruchsverfahrens nicht verpflichtet, substantiierte Feststellungen zu der Art und Anzahl der Gutachten zu Unfall- und Schadensursachen zu treffen. Denn der Kläger hat sich nicht gegen die Darstellung des Prüfers im Betriebsprüfungsbericht vom 23. Mai 1978 (Tz.9) gewandt, wonach er in erster Linie bei Kraftfahrzeugunfällen Gutachten in Haft- und Schadenssachen, und zwar für Gerichte und Versicherungsunternehmen und daneben auch Gutachten zur Feststellung des Schadenshergangs erstelle.
Selbst in der Klagebegründung hat er gegen diese Darstellung keine substantiierten Einwendungen erhoben, sondern vorgebracht, das FA gehe im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77 (BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118) von einer zwischenzeitlich überholten Rechtslage aus.
Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, daß das FG daran festhielt, daß der Kläger für das Vorliegen der Voraussetzungen einer ingenieurähnlichen Tätigkeit die objektive Beweislast trug (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 1986 VII R 145/85, BFHE 147, 208, BStBl II 1986, 857). Aus welchen Gründen Unterlagen verloren gegangen sind und insbesondere, ob den Steuerpflichtigen daran ein Verschulden traf, ist unerheblich (vgl. BFH-Urteil vom 25. März 1966 VI 313/65, BFHE 86, 301, BStBl III 1966, 48
7). Hinzu kommt, daß der Kläger trotz Fehlens der übrigen Gutachten nicht einmal ansatzweise den Umfang und Anteil der Gutachtertätigkeit betr. die sog. Schadensursachen anhand der Aufstellung der 3576 im streitigen Zeitraum schriftlich erstellten Gutachten (nicht gerechnet die mündlich erstatteten) ermittelt hat.
4. Auch mit dem Vorbringen, das FG habe sich nicht mit den vom Kläger absolvierten Kursen, Seminaren und Lehrgängen sowie mit der Tatsache der durch Selbststudium erzielten Kenntnisse auseinandergesetzt, kann die Revision keinen Erfolg haben. Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensmangel nicht bereits deshalb ausscheidet, weil das FG den Erfolg der behaupteten autodidaktischen Ausbildung für nicht nachprüfbar hielt, ohne daß dies aus seiner Sicht besonderer Ausführungen bedurfte. Jedenfalls ist die Klage im Ergebnis bereits deshalb unbegründet, weil die Tätigkeit des Klägers - wie eingangs dargelegt - nicht der eines Ingenieurs ähnlich war (§ 126 Abs. 4 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 418175 |
BFH/NV 1993, 238 |