Leitsatz (amtlich)
Die Regelung der §§ 57 Abs. 1 EStDV 1954 und 71 EStDV 1955 ist rechtsgültig.
Die in diesen Vorschriften vorgesehene Frist für die Stellung des Antrags auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gilt nicht, wenn das Finanzamt einen Steuerfall von sich aus aufgreift.
Normenkette
EStDV § 57 Abs. 1, § 71
Tatbestand
Strittig ist, ob der Bg., der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, für die Jahre 1954 und 1955 auf seinen Antrag wegen berechtigten Interesses zu veranlagen ist. Das Finanzamt hat den Bg. und seine Ehefrau, weil ihm neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugeflossen sind, erstmals für das Jahr 1956 veranlagt. Hierbei stellte es fest, daß die Einkünfte aus dem Mietwohngrundstück dem Bg. bereits für die Jahre 1954 und 1955 zuzurechnen waren. Es fordert den Bg. zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auf. Als sich daraus ergab, daß der Bg. im Jahre 1954 einen Verlust von 1.478 DM und im Jahre 1955 einen Verlust von 759 DM gehabt hatte, teilte das Finanzamt dem Bg. mit, daß eine Veranlagung nicht durchgeführt werden könne, weil die für eine Veranlagung wegen berechtigten Interesses vorgesehene Antragsfrist verstrichen sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Berufung des Bg. entschied das Finanzgericht durch Zwischenurteil, daß die Anträge des Bg. auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses rechtzeitig gestellt seien. Anträge auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses seien zwar nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1954 wie auch nach § 46 Abs. 1 Ziff. 5 b EStG 1955 bis zum Ablauf der - im Streitfall unzweifelhaft bereits verstrichenen - allgemeinen Steuererklärungsfrist zu stellen. Diese Regelung gehe aber von dem Normalfall aus, daß die Frage der Veranlagung allein vom Steuerpflichtigen aufgegriffen werde. Sei die Frage wie im Streitfall durch das Finanzamt aufgegriffen worden, so setze das Finanzamt durch die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung eine neue Frist, die nunmehr die Steuererklärungsfrist sei, bis zu deren Ablauf der Steuerpflichtige den Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses stellen könne. Für diese Auslegung spreche auch der der Regelung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO zugrunde liegende Gedanke, daß der Steuerpflichtige zwar eine Berichtigungsveranlagung nur deswegen, weil neue Tatsachen zu seinen Gunsten vorlägen, nicht beanspruchen könne, aber einen solchen Anspruch habe, wenn die Tatsachen durch eine Betriebsprüfung aufgedeckt worden seien, das Finanzamt sich also mit der Prüfung seines Falles befaßt habe. Im übrigen würde es auch Treu und Glauben widersprechen, wollte das Finanzamt hier die Veranlagung im Ergebnis nur deswegen ablehnen, weil kein Mehr an Steuern herauskomme.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Wie das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum festgestellt hat, kommt hier für den Bg., der als Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich nicht veranlagt wird, lediglich eine Veranlagung wegen berechtigten Interesses in Betracht, die unter anderem voraussetzt, daß der Bg. innerhalb der Steuererklärungsfrist einen entsprechenden Antrag gestellt hat (ß 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1954 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 EStDV 1954 und § 46 Abs. 1 Ziff. 5 b EStG 1955 in Verbindung mit § 71 EStDV 1955). Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß Steuererklärungsfrist in diesem Sinne grundsätzlich die allgemeine Steuererklärungsfrist ist, die zu der Zeit, als der Bg. seine Anträge auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gestellt hat, bereits abgelaufen gewesen war. Im Gegensatz zum Finanzgericht ist der Senat der Auffassung, daß die Aufforderung an den Bg. zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1954 und 1955 nicht dazu führt, daß dem Bg. eine allgemeine Erklärungsfrist gesetzt worden wäre. Trotzdem kommt er aber mit dem Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß der Antrag des Bg. rechtzeitig gestellt ist.
Was die Gesetzmäßigkeit der fristmäßigen Begrenzung angeht, so wird die Regelung der §§ 57 Abs. 1 EStDV 1954 und 71 EStDV 1955 durch die in den §§ 51 Abs. 1 Ziff. 1 c EStG 1953 und 1955 enthaltenen Ermächtigungen gedeckt (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 637/54 U vom 15. März 1956, BStBl 1956 III S. 157, Slg. Bd. 62 S. 425, und VI 117/55 U vom 8. März 1957, BStBl 1957 III S. 190, Slg. Bd. 64 S. 509). Hiernach ist die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrats Durchführungsverordnungen zum EStG unter anderem "über die Veranlagung" zu erlassen. Unter "Veranlagung" in diesem Sinne muß nicht allein das materielle Recht, sondern auch das Veranlagungsverfahren verstanden werden. Die Ermächtigung ist gegenständlich ausreichend durch den Hinweis begrenzt, daß die Anordnungen der "Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung" dienen müssen. Damit entspricht der § 51 Abs. 1 Ziff. 1 EStG den Erfordernissen des Art. 80 des Grundgesetzes. Es kann sich sonach nur fragen, ob die im § 57 Abs. 1 EStDV 1954 bestimmte Antragsfrist gegen das Gesetz verstößt; denn es gehört zum Wesen einer Durchführungsverordnung, daß sie sich im Rahmen des Gesetzes halten muß. Ein solcher Verstoß ist zu verneinen. Das EStG geht von der Besteuerung in Veranlagungsabschnitten aus. Es dient der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen, wenn sich die Veranlagung zeitlich möglichst nahe an die Ergebnisse eines Veranlagungszeitraumes anschließt. Das muß auch für die Veranlagung wegen berechtigten Interesses gelten. Das Gesetz bietet jedenfalls keinen Anhalt, daß diese Art von Veranlagungen außerhalb der allgemeinen Regeln vorzunehmen ist. Das Gesetz sieht es gleichsam als selbstverständlich an, daß sich das Veranlagungsrecht des Steuerpflichtigen nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1954 grundsätzlich im Rahmen der allgemeinen Veranlagung auswirken soll und muß. Das bedingt zwangsläufig eine Fristbestimmung, und diese mußte auf die allgemeine Steuererklärungsfrist abgestellt werden, weil nur so die Gleichmäßigkeit in der Behandlung aller Steuerpflichtigen sichergestellt werden konnte. Die Fristbestimmung hält sich somit im Rahmen des EStG und ist rechtsgültig.
Anträge von Steuerpflichtigen auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses können demnach zwar grundsätzlich nur innerhalb der allgemeinen Frist zur Abgabe der Steuererklärung gestellt werden. Dies gilt aber nach dem Sinn und Zweck der Fristsetzung, die laufenden Veranlagungsarbeiten der Verwaltung auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken, die Verwaltung also von einem bestimmten Zeitpunkt ab vor weiterem Arbeitsanfall zu schützen, nicht für die Fälle, in denen die Verwaltung selbst - wie im Streitfall - eine Einkommensteuersache von sich aus aufgreift und also, auch ohne daß ein Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gestellt worden ist, eine Nachprüfung erfolgt. In diesen Fällen kann, wie es hier geschehen ist, der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gestellt werden, solange die Prüfung und Bearbeitung noch nicht abgeschlossen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 409938 |
BStBl III 1961, 129 |
BFHE 1961, 345 |
BFHE 72, 345 |