Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Werden bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens Rückstellungen wegen drohender Haftpflicht- und Gewährleistungsansprüche als Betriebsschulden abgezogen, so besteht im Gewerbesteuer-Meßbetragsverfahren hinsichtlich der Frage, ob Verbindlichkeiten vorliegen, Bindung an diese Feststellung.

Solche Rückstellungen gehörten in der Regel bei Betrieben, bei denen sich die den Rückstellungen zugrunde liegenden Schulden aus dem laufenden Geschäftsverkehr ergeben, zu den sogenannten laufenden Verbindlichkeiten. Sie können zu Dauerschulden werden, wenn die ihnen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten nicht innerhalb von 12 Monaten nach dem Wegfall der Ungewißheit getilgt werden.

GewStG 1950 § 8 Ziff. 1, § 12 Abs. 1 und 2 Ziff. 1; AO § 212 a Abs. 2, § 213 Abs. 2, § 214 Ziff. 1, §

 

Normenkette

GewStG § 8 Ziff. 1, § 12/1, § 12 Abs. 2 Ziff. 1; AO §§ 212a, 213 Abs. 2, § 214 Nr. 1, § 218 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Rückstellungen wegen drohender Haftpflicht- und Gewährleistungs- (Nachbesserungs-) Verbindlichkeiten, die beim Einheitswert des Betriebsvermögens abgezogen wurden, als Dauerschulden bei der Ermittlung des Gewerbekapitals für die Erhebungszeiträume 1952 und 1954 hinzuzurechnen sind (§ 12 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG).

Die KG stellt Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen her. Auf Grund der Feststellungen einer Betriebsprüfung rechnete das Finanzamt bei der Ermittlung der Gewerbekapitalien für den Erhebungszeitraum 1952 dem zum 1. Januar 1952 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens eine zum Abzug zugelassene Rückstellung in Höhe von 120.000 DM und für den Erhebungszeitraum 1954 den zum 1. Januar 1954 festgestellten Einheitswert des Betriebsvermögens als Rückstellungen abgezogene Beträge von 40.000 DM und 900.000 DM in den nach § 222 und 225 AO berichtigten Gewerbesteuermeßbescheiden hinzu. Die Rückstellungen beruhten auf folgenden Vorgängen.

Erhebungszeitraum 1952: Die KG wurde in den Jahren 1951 bis 1953 für einen im Jahr 1950 entstandenen Brandschaden in Höhe von 200.000 DM verantwortlich gemacht. Da von der Schadenssumme 80.000 DM durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt waren, stellte sie in der Bilanz zum 31. Dezember 1951 120.000 DM zurück. Im Jahre 1953 schloß die KG zur Abgeltung aller Schadenersatzansprüche einen Vergleich über 40.000 DM. Da diese Summe durch die Haftpflichtversicherung gedeckt war, löste sie die Rückstellung zum 31. Dezember 1953 gewinnerhöhend auf.

Erhebungszeitraum 1954: Bei Arbeiten an Heizungsanlagen entstand im Jahre 1953 in den Räumen eines Kunden ein Brand, der erheblichen Schaden verursachte. Die Versicherungsgesellschaft des Kunden machte im Jahre 1954 bei der KG Schadenersatzansprüche geltend, weil ein Monteur der KG den Brand fahrlässig verschuldet habe. Für den Fall einer Erledigung durch Vergleich bezifferte die Versicherungsgesellschaft den Schadenersatzanspruch mit der Hälfte der an ihren Versicherungsnehmer vergüteten Summe von 40.000 DM 20.000 DM. Die KG, die den Anspruch bestritt, stellte in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1953 vorsorglich einen Betrag von 40.000 DM zurück. Diesen Betrag übernahm sie unverändert in ihre Handelsbilanzen 1954, 1955 und 1956. Da der geschädigte Kunde seinen Anspruch nicht weiter verfolgte, löste sie die Rückstellungen in der Bilanz zum 31. Dezember 1957 auf.

In den Jahren 1950 und 1951 erstellte die KG für eine Raffinerie eine Salzgewinnungsanlage, die mit ca. 900.000 DM abgerechnet wurde. Bei der Inbetriebnahme der Anlage stellten sich Mängel heraus, deren vollkommene Beseitigung zunächst aussichtslos erschien. Die Raffinerie setzte der KG im September 1953 zur Beseitigung der Mängel eine Nachfrist bis Ende November 1953. Gleichzeitig wies sie darauf hin, daß ihr durch ausgefallenen Gewinn, Zinsverlust und andere Folgen erhebliche Schäden entstanden seien. Da die KG mindestens mit der Rückzahlung des Rechnungsbetrages rechnete, stellte sie in der Bilanz zum 31. Dezember 1953 diesen Betrag zurück und übernahm ihn unverändert in die Handelsbilanz zum 31. Dezember 1954. In den Jahren 1955 bis 1958 wandte die KG zur Beseitigung der Mängel ca. 400.000 DM auf. In Höhe der jeweils angefallenen Einzelbeträge verminderte sie die Rückstellung erstmals in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1955. Den Restbetrag von 500.000 DM löste sie zum 31. Dezember 1958 auf, nachdem die Firma bestätigt hatte, daß die Anlage zu ihrer Zufriedenheit arbeite.

Die KG hält die Behandlung der bezeichneten Rückstellungen als Dauerschulden für unrichtig. Die Rückstellungen hätten sich aus dem laufenden Geschäftsverkehr ergeben. Schadensersatzverbindlichkeiten und Nachbesserungsverpflichtungen seien bei Berücksichtigung der Rechtsprechung zu den Steuerschulden erst dann Dauerschulden, wenn sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht erfüllt würden. Dieser Zeitraum könne erst beginnen, wenn durch rechtskräftiges Urteil oder durch Rechtsgeschäft die Verbindlichkeiten hinreichend konkretisiert und ihre Erfüllungen möglich geworden seien. Für den Begriff der Dauerschuld sei weiterhin erforderlich, daß eine Schuld im bürgerlich-rechtlichen Sinn vorliege. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben, da die Geschädigten nur Ansprüche behauptet hätten.

Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1962 S. 502 Nr. 542 veröffentlicht ist, begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Rückstellungen zu den laufenden Verbindlichkeiten gehörten, die erst durch Zeitablauf nach nicht fristgerechter Erfüllung Dauerschulden werden könnten. Denn Voraussetzung für die Behandlung einer Rückstellung als Dauerschuld sei in jedem Fall, daß eine tatsächliche Schuld vorliege, die nach ihrer Fälligkeit nicht erfüllt werde. In den Brandfällen fehle es an einer solchen erfüllbaren Verbindlichkeit. Die KG habe lediglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Inanspruchnahme erwarten müssen. Im Fall der Salzgewinnungsanlage sei sie unstreitig nicht in Anspruch genommen worden. Dem Betriebskapital sei somit nichts verblieben, was zu seiner Verstärkung geführt habe. Die Tatsache, daß die Rückstellungen bei der Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens abgezogen worden seien, rechtfertige nicht zwangsläufig die Hinzurechnung beim Gewerbekapital. Wenn auch der Bundesfinanzhof im Urteil I 230/56 U vom 26. November 1957 (BStBl 1958 III S. 39, Slg. Bd. 66 S. 97) ausgeführt habe, daß Rückstellungen für Verbindlichkeiten, deren Entstehung und Höhe bei der Vermögensaufstellung ungewiß sei, Dauerschulden sein könnten, so sei diese Rechtsprechung durch das grundsätzliche Urteil des Bundesfinanzhofs I 197/57 S vom 11. August 1959 (BStBl 1959 III S. 428, Slg. Bd. 69 S. 447) überholt, weil es der Bundesfinanzhof nunmehr ausdrücklich auf die Begründung einer Zahlungsverpflichtung abgestellt habe. Diese setze eine bestehende Schuld voraus.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Es ist dem Finanzgericht darin zuzustimmen, daß die Rückstellungen zur Ermittlung der Gewerbekapitalien für die Erhebungszeiträume 1952 und 1954 nicht als Dauerschulden (§§ 8 Ziff. 1, 12 Abs. 2 Ziff. 1 GewStG) zuzurechnen sind. Der Senat kann allerdings der Auffassung der Vorinstanz, im Zeitpunkt der Vermögensaufstellungen vom 1. Januar 1952 und 1. Januar 1954 hätten keine echten Verbindlichkeiten vorgelegen, nicht folgen. Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt und auch unstreitig feststeht, wurden die Rückstellungen bei Feststellung der jeweiligen Einheitswerte als Betriebsschulden abgezogen. Im Gewerbesteuermeßbetragsverfahren besteht bei der Entscheidung, ob zu Dauerschulden geeignete Verbindlichkeiten vorlagen, eine Bindung an die Feststellungen im Verfahren betreffend den Einheitswert des Betriebsvermögens (§§ 212 a Abs. 2, 213 Abs. 2, 214 Ziff. 1, und 218 Abs. 2 AO), und zwar auch dann, wenn sie unrichtig sind. Denn über den Wert und den Umfang der wirtschaftlichen Einheiten, für die ein Einheitswert festzustellen ist, wird in dem Verfahren über die Feststellung des Einheitswerts abschließend entschieden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 406/58 S vom 17. Mai 1963, BStBl 1963 III S. 530). Nur darüber, ob die als Betriebsschulden abgezogenen und damit als Verbindlichkeiten behandelten Rückstellungen der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, mithin Dauerschulden sind, ist im Gewerbesteuermeßbetragsverfahren zu entscheiden.

Grundsätzlich verstärkt jede nicht bezahlte Verbindlichkeit das Betriebskapital und kann damit Dauerschuld sein, wenn die Verstärkung nicht nur vorübergehend ist. Auf die Gründe der Nichtzahlung kommt es in der Regel ebensowenig wie auf den Entstehungsgrund des Schuldverhältnisses, den Inhalt der Schuld und ihre Fälligkeit an. Zu Dauerschulden geeignete Verbindlichkeiten können nicht nur solche sein, die im Zeitpunkt der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens dem Grunde und der Höhe nach feststehen. Auch Rückstellungen für Verbindlichkeiten, die im Feststellungszeitpunkt der Höhe oder dem Entstehungsgrunde nach ungewiß sind, können das Betriebskapital nicht nur vorübergehend verstärken. Es handelt sich insoweit um geschätzte Verbindlichkeiten. Dadurch, daß der Kaufmann bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens in einem von ihm geschätzten Umfange eine Rückstellung als Betriebsschuld abzuziehen beantragt und das Finanzamt diesem Antrag entspricht, bringen beide zum Ausdruck, daß sie wie bei einer feststehenden, konkretisierten Verbindlichkeit mit einer Zahlungsverpflichtung und einer späteren Inanspruchnahme rechnen. Die für eine ungewisse Verbindlichkeit gebildete Rückstellung mindert für die Zeit des Bestehens der Ungewißheit den Einheitswert des Betriebsvermögens ebenso wie eine feststehende Betriebsschuld. Unerheblich ist, ob es später tatsächlich zu einer Inanspruchnahme aus der der Rückstellung zugrunde liegenden Verbindlichkeit kommt und damit eine Konkretisierung der Schuld eintritt. An den Grundsätzen der Urteile des Bundesfinanzhofs I 230/56 U (a. a. O.) und IV 140/56 U vom 27. Juni 1957 (BStBl 1957 III S. 287, Slg. Bd. 65 S. 140) hält deshalb der Senat fest. Diese Urteile stehen nicht im Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs I 197/57 S, in dem sie ausdrücklich genannt sind.

Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs hat nun bei Verbindlichkeiten, die im gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entstehen, eine dauernde Verstärkung des Betriebskapitals in der Regel erst dann angenommen, wenn sie nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem Zeitpunkt erfüllt werden, an dem sie im üblichen und normalen Geschäftsverkehr getilgt werden können und getilgt zu werden pflegen. (Vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 197/57 S und die dort angeführte Rechtsprechung.) Verbindlichkeiten, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einzelnen laufenden, nach Art des Betriebs immer wiederkehrenden, bestimmbaren Geschäftsvorfällen stehen (Erwerb und Veräußerung von Umlaufvermögen, Wareneinkauf und Warenverkauf), gehören im allgemeinen zu den laufenden Geschäftsschulden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 137/58 U vom 18. August 1959, BStBl 1959 III S. 430, Slg. Bd. 69 S. 453). Werden im laufenden Geschäftsverkehr entstandene Verbindlichkeiten der Eigenart des Betriebs entsprechend laufend in diesem Geschäftsverkehr getilgt, so verstärken sie nicht dauernd das Betriebskapital. Diese Grundsätze gelten auch für Rückstellungen, die für Haftpflicht- und Gewährleistungs- (Nachbesserungs-) Verbindlichkeiten gebildet werden.

Da sich die KG in ihrem laufenden Geschäftsbetrieb mit der Errichtung technischer Anlagen befaßt, die mit nicht unbedeutenden Risiken behaftet sind, gehören die anläßlich konkreter Schadensfälle gebildeten Haftpflicht- und Gewährleistungs- (Nachbesserungs-) rückstellungen zu den laufenden Schulden jedenfalls so lange, als die den Rückstellungen zugrunde liegenden Ansprüche sich in der Abwicklung befinden und über die Berechtigung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen im Gange sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob solche Rückstellungen auch dann als im laufenden Geschäftsjahr entstanden anzusehen sind, wenn sie in Betrieben gebildet werden, bei denen die Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs eine Ausnahme darstellt, ein laufendes Betriebsrisiko nicht besteht und daher eine enge Verknüpfung mit dem laufenden Geschäftsverkehr zweifelhaft sein kann. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Die Abwicklung ist in der Regel beendet, wenn die zu den Rückstellungen führenden Ungewißheiten beseitigt sind und Grund und Höhe der Ansprüche auf Grund von Vereinbarungen oder eines rechtskräftigen Urteils feststehen. Wird die Abwicklung vom Steuerpflichtigen ungebührlich verzögert, so kann sie unter Umständen vorher als beendet angesehen werden.

Wenn auch die bezeichneten Rückstellungen im allgemeinen zu den laufenden Verbindlichkeiten und damit nicht zu den Dauerschulden zu rechnen sind, so können sie doch dann zu Dauerschulden werden, wenn die ihnen zugrunde liegenden Verbindlichkeiten nach Beendigung der Abwicklung nicht binnen 12 Monaten getilgt werden. Sie sind dann dem Einheitswert des Betriebsvermögens als Dauerschulden hinzuzurechnen, an dessen Stichtag diese Voraussetzungen erstmals vorliegen.

Im Streitfall ist dem Finanzgericht im Ergebnis darin zuzustimmen, daß im Zeitpunkt der Einheitswertfeststellungen zum 1. Januar 1952 und 1. Januar 1954 die vom Senat aufgestellten Voraussetzungen für die Anerkennung von Rückstellungen als Dauerschulden nicht vorlagen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411189

BStBl III 1964, 344

BFHE 1964, 311

BFHE 79, 311

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