Leitsatz (amtlich)
1. Zur Erstattung der gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 6 i. V. mit § 45 EStG einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer an den Gläubiger nach Art. 6 DBA-Schweiz ist dasjenige FA zuständig, an das die die Kapitalerträge auszahlende Stelle (hier ein Kreditinstitut) die Kapitalertragsteuer abgeführt hat.
2. Art. IV des in Übereinstimmung mit dem BdF und den übrigen Bundesländern ergangenen Erlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 12. Juli 1965 (BStBl II 1965, 123, 105) ist insoweit mit dem Gesetz nicht vereinbar, als er anordnet, daß die Erstattung der Kuponsteuer aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen - unabhängig davon, an welches FA die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde - von einem FA des Landes vorzunehmen sei, in dem der Schuldner der Teilschuldverschreibung oder der Schuldbuchforderung Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz hat.
Normenkette
AO § 78; DBA CHE Art. 6; EStG §§ 43, 45; FGO §§ 62, 122; GG Art. 108; KapStDV §§ 8, 13
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (FA) für die Entscheidung über einen Antrag der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) auf Erstattung der Kapitalertragsteuer 1966 zuständig ist.
Die Klägerin ist eine nach Schweizer Recht von den Eheleuten J. und einer schweizerischen juristischen Person gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nach ihrer Gründung übernahm die Klägerin Wertpapiere der Eheleute J., u. a. festverzinsliche Schuldverschreibungen der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank über 200 000 DM. Die Wertpapiere waren im Streitjahr bei einer Frankfurter Bank deponiert. Diese behielt als auszahlende Stelle nach § 45 Abs. 3 Nr. 1a EStG 25 v. H. der Erträge in Höhe von 12 000 DM (= 3 000 DM) als Kapitalertragsteuer ein und führte diesen Betrag an das FA Frankfurt (Main), Hamburger Allee, ab.
Die Klägerin begehrt Erstattung auf Grund Art. 6 Abs. 3 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 (DBA-Schweiz) i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 (BStBl II 1959, 1006). Die Finanzverwaltung vertritt die Ansicht, daß auf Grund eines - koordinierten - Erlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 12. Juli 1965 (BStBl II 1965, 123, 105) das beklagte FA Hannover-Nord für die Entscheidung über den Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer zuständig sei. Art. IV dieses Erlasses hat folgenden Wortlaut:
"Die Erstattung der Kuponsteuer auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen wird von einem Finanzamt des Landes vorgenommen, in dem der Schuldner der Teilschuldverschreibung oder der Schuldbuchforderung Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz hat…"
Das beklagte FA Hannover-Nord lehnte den rechtzeitig gestellten Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung mit der Begründung ab, die Übertragung der Wertpapiere auf die Klägerin sei im Hinblick auf § 11 StAnpG steuerlich nicht wirksam. Die Wertpapiere seien vielmehr für Zwecke der Besteuerung den in Frankfurt ansässigen Hauptgesellschaftern zuzurechnen.
Nach erfolglosem Einspruch hob das FG die Verwaltungsentscheidung auf. Es führte zur Begründung seines in den EFG, 1972, 199, veröffentlichten Urteils u. a. aus:
Grundsätzlich sei Kapitalertragsteuer an das FA abzuführen, das für die Besteuerung des Schuldners der Kapitalerträge nach dem Einkommen zuständig sei. Die Ertragshoheit für diese Steuern stehe gem. Art. 106 GG dem Bund und dem Land zu, in dem der Schuldner der Kapitalerträge nach dem Einkommen besteuert werde. Dieses Land habe auch die Kapitalertragsteuer zu erstatten. In Art. 107 GG sei sichergestellt, daß der Länderanteil am Aufkommen der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer den einzelnen Ländern insoweit zustehe, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt würden. Das Recht der Länder an diesem örtlichen Aufkommen sei verfassungsmäßig originär. Darüber hinaus habe die Verwaltung des örtlichen Aufkommens an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer im Streitjahr den einzelnen Ländern zugestanden (Art. 108 Abs. 2 GG i. d. F. vor dessen Änderung durch das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969, BGBl I 359). Die Behörden eines Landes hätten im Streitjahr keine Kompetenz für die Verwaltung einer Landessteuer besessen, die einem anderen Land zugestanden habe. Der Landesfinanzminister habe daher die örtliche Zuständigkeit nicht kraft seiner Organisationsgewalt ändern können. Diese Organisationsgewalt sei auf die Landesgrenzen beschränkt. Über diese Grenzen hinausgreifende Regelungen könnten die sachliche Zuständigkeit eines FA nicht begründen. Damit könne sich die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit nicht stellen. Die Vorschrift des § 78 AO sei unanwendbar; denn sie lasse nur eine Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit zu.
Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Rechtsanwendung. Es hält die Zuständigkeitsregelung im Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 12. Juli 1965 (a. a. O.) für rechtswirksam. Das FA beruft sich auf das Urteil des BFH vom 29. Oktober 1970 IV R 247/69 (BFHE 101, 91, BStBl II 1971, 151) und auf die Ausführungen von v. Wallis in DStZ A 1971, 33.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BFH erschien für das FA ein Beamter des Bundesamtes für Finanzen. Er legte eine Vollmacht sowohl des Bundesamtes für Finanzen als auch des beklagten FA Hannover-Nord vor, führte aber aus, in erster Linie für das Bundesamt für Finanzen auftreten zu wollen. Seiner Auffassung nach sei dieses nunmehr Prozeßbevollmächtigter des beklagten FA. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragte, den Beamten in beiden Eigenschaften als Bevollmächtigten zurückzuweisen, da das Bundesamt für Finanzen als Behörde nicht Prozeßbevollmächtigte des FA sein könne, der Beamte selbst aber unter dem Gesichtspunkt verbotener Hilfeleistung in Steuersachen persönlich nicht für das FA auftreten dürfe. Der erkennende Senat lehnte durch einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß den Antrag, das Bundesamt für Finanzen als Prozeßbevollmächtigten des FA zurückzuweisen, ab.
Das beklagte FA beantragte, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Entscheidung des FG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
I.
1. Beklagte Behörde ist im Streitfall das FA Hannover-Nord.
Nach § 122 Abs. 1 FGO ist beteiligt am Verfahren über die Revision, wer am Verfahren über die Klage beteiligt war. Diese Regelung findet zwar insoweit keine Anwendung, als dem ursprünglich beklagten FA während des Revisionsverfahrens durch Gesetz die Eigenschaft eines Pflichtsubjekts des öffentlichen Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit entzogen und einer anderen Behörde übertragen wird (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1971 I R 5/69, BFHE 104, 524, BStBl II 1972, 438). So liegen die Dinge im Streitfall indessen nicht. Die Zuständigkeit für die Entlastung von deutschen Abzugsteuern (Erstattungen und Freistellungen) auf Grund von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist erst mit Wirkung vom 1. Januar 1972 auf das neu errichtete Bundesamt für Finanzen übergegangen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes i. d. F. des Art. 5 des Finanzanpassungsgesetzes vom 30. August 1971, BStBl I 1971, 390). Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auf sein Urteil vom 13. September 1972 I R 130/70 (BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57).
2. Das beklagte FA war in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß vertreten (§ 62 FGO).
Der Große Senat des BFH hat mit Beschluß vom 10. März 1969 GrS 4/68 (BFHE 95, 366, BStBl II 1969, 435) entschieden, daß ein FA nicht gehindert sei, die ihm übergeordnete OFD für das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH zu bevollmächtigen. Der Senat folgert aus den in diesem Beschluß ausgesprochenen Grundsätzen, daß das FA in gleicher Weise auch das Bundesamt für Finanzen mit der Vertretung im Revisionsverfahren betrauen kann. Auf die von der Klägerin beantragte Zurückweisung des Vertreters des Bundesamtes für Finanzen als unmittelbaren Bevollmächtigten des FA brauchte der erkennende Senat bei dieser Rechtsauffassung nicht mehr einzugehen.
II.
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die von der Klägerin als Gläubigerin der Kapitalerträge beantragte Erstattung der Kapitalertragsteuer wurde gem. § 43 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 45 EStG von einem Kreditinstitut mit Sitz und Geschäftsleitung in Frankfurt (Main) als auszahlende Stelle (§ 45 Abs. 3 Nr. 1 a EStG) an das für seine Besteuerung nach dem Einkommen zuständige FA abgeführt (§ 45 Abs. 5 Satz 2 EStG). Die Klägerin stützt ihren Erstattungsanspruch auf Art. 6 Abs. 3 DBA-Schweiz. Weder das DBA-Schweiz noch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften sagen unmittelbar etwas darüber aus, welches FA für die Erstattung der Kapitalertragsteuer zuständig ist. Die Bestimmung des § 13 Abs. 2 der Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung (KapStDV) bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur auf die Erstattung von Kapitalertragsteuer, die auf die in § 43 Abs. 1 Nr. 3--5 EStG bezeichneten Kapitalerträge entfällt.
Welches FA für die Entscheidung über den Erstattungsantrag im Streitfall zuständig ist, muß gleichwohl in sinngemäßer Anwendung der §§ 8 und 13 KapStDV entschieden werden. Dabei sind die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich daraus ergeben, daß bei der Abführung der Kapitalertragsteuer nach § 45 EStG die abführende Stelle nicht der Schuldner der Kapitalerträge sein muß, sondern daß die die Kapitalerträge auszahlende Stelle -- wie dies im Streitfall war -- auch ein Kreditinstitut sein kann (§ 45 Abs. 3 Nr. 1 a EStG).
a) Die Kapitalertragsteuer-Durchführungsverordnung regelt im Rahmen ihres sachlichen Anwendungsbereichs lückenlos, an welches FA die Kapitalertragsteuer abzuführen ist und welches FA auf Antrag des Schuldners oder des Gläubigers die Kapitalertragsteuer zu erstatten hat.
Nach § 8 Abs. 2 KapStDV ist die Kapitalertragsteuer an das FA abzuführen, das für die Besteuerung des Schuldners der Kapitalerträge nach dessen Einkommen zuständig ist. Die Vorschrift knüpft damit an eine (vorgegebene) örtliche Zuständigkeit die weitere sachliche Folge, daß an ein in anderer Hinsicht örtlich zuständiges FA auch die Kapitalertragsteuer abzuführen ist. Der Verordnungsgeber geht dabei von der naheliegenden und sachgerechten Vorstellung aus, daß der zur Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer Verpflichtete an das FA verwiesen werden soll, das auch seine eigene Besteuerung nach dem Einkommen vornimmt.
Diese Verknüpfung der Zuständigkeiten setzt sich in § 13 Abs. 1 KapStDV fort. Danach wird die Kapitalertragsteuer von dem FA, an das sie abgeführt worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen an den Schuldner erstattet. Damit wird eine sachliche Zuständigkeit des FA zur Erstattung der Kapitalertragsteuer begründet, die nicht durch eine innerdienstliche Maßnahme der Finanzverwaltung nach § 78 AO aufgelöst werden kann. Ein Eingriff in die sachliche Zuständigkeit bedarf der gesetzlichen Ermächtigung (vgl. z. B. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, vor §§ 71 bis 81 AO Anm. 2). Insbesondere darf demjenigen, der die Kapitalertragsteuer abgeführt hat, im Falle eines von ihm geltend zu machenden Erstattungsanspruchs nicht durch einseitigen Akt der Finanzverwaltung eine andere Behörde gegenübergestellt werden als diejenige, an die die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.
Dieser Grundgedanke erstreckt sich in seinen Wirkungen auch auf einen Erstattungsanspruch des Gläubigers der Kapitalerträge. Denn nach § 13 Abs. 2 KapStDV ist auch für die Entscheidung über einen solchen Erstattungsanspruch das FA zuständig, an das die Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.
b) Wie bereits dargelegt, war im Streitfall die die Kapitalerträge auszahlende Stelle nicht der Schuldner der Kapitalerträge, sondern ein Kreditinstitut (§ 45 Abs. 3 Nr. 1 a EStG). Diese Stelle hatte die Kapitalertragsteuer für den Steuerschuldner einzubehalten; sie hatte die Kapitalertragsteuer an das FA abzuführen, das für ihre (des Kreditinstituts) Besteuerung nach dem Einkommen zuständig war (§ 45 Abs. 5 Satz 2 EStG). Überträgt man die in § 8 Abs. 2 und 13 KapStDV angelegte Regelung sinngemäß auf diesen Fall, so muß dies dazu führen, daß auch für eine Erstattung der Kapitalertragsteuer das FA zuständig sein muß, an das die Kapitalertragsteuer abgeführt worden ist. Dies war, da das Kreditinstitut als die die Kapitalerträge auszahlende Stelle seinen Sitz und seine Geschäftsleitung in Hessen hatte, jedenfalls nicht das beklagte FA Hannover-Nord. Dabei kann es -- ebensowenig wie nach § 13 KapStDV -- einen Unterschied machen, ob ein Erstattungsanspruch des Schuldners oder ein solcher des Gläubigers der Kapitalerträge, der sich aus einem Doppelbesteuerungsabkommen herleitet, geltend gemacht wird. Wollte der Niedersächsische Minister der Finanzen diese sachliche Zuständigkeitsregelung im Benehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und den obersten Finanzbehörden der anderen Länder verändern, so hätte dies einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft. Eine solche ist nicht ersichtlich. Soweit daher der Erlaß in Abschn. IV die Erstattung der Kuponsteuer aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen einem FA des Landes zuweist, in dem der Schuldner einer Teilschuldverschreibung oder einer Schuldbuchforderung Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz hat, ist er mit dem Gesetz nicht vereinbar. Denn er läßt dabei außer acht, daß Schuldner der Kapitalerträge und die die Kapitalerträge auszahlende Stelle auseinanderfallen können.
Auf die Frage, ob die FÄ die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung nach § 78 AO auch über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus verändern können, brauchte der Senat nach alledem nicht mehr einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 71272 |
BStBl II 1975, 292 |
BFHE 1975, 335 |