Leitsatz (amtlich)
Der Zollbeteiligte ist Schuldner der Währungsausgleichsbeträge, die für aus einem EWG-Mitgliedstaat im Rahmen einer Verbilligungsaktion eingeführtes Butterfett wegen dessen zweckwidriger Verwendung nachzufordern sind.
Normenkette
AbG §§ 1-2; ZG a.F. § 39; EWGV 1259/72; EWGV 974/71 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte am 8. und 22. Oktober 1973 – vertreten durch eine Grenzspedition – bei einem dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –) unterstehenden Zollamt die Abfertigung von insgesamt 36 600 kg Butterfett aus Belgien zum freien Verkehr. Gleichzeitig beantragte die Grenzspedition im Auftrag der Firma X-KG (im folgenden: KG), die zum freien Verkehr abgefertigte Ware zwecks Verarbeitung nach Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 1259/72 (VO Nr. 1259/72) der Kommission über den Absatz von Butter zu herabgesetzten Preisen an bestimmte Verarbeitungsbetriebe in der Gemeinschaft vom 16. Juni 1972 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 139/18 vom 17. Juni 1972, Bundeszollblatt – BZBl – 1972, 832) unter zollamtliche Überwachung zu stellen. Die abfertigende Zollstelle erhob die Währungsausgleichsbeträge (WAB) nach der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 (VO Nr. 974/71) des Rates vom 12. Mai 1971 (ABlEG L 106/1 vom 12. Mai 1971) in der damals geltenden Fassung (BZBl 1973, 646), und zwar zum ermäßigten Satz aufgrund Art. 20 Abs. 1 VO Nr. 1259/72. Mit Schreiben vom 2. Mai 1974 teilte die überwachende Zollstelle der abfertigenden Zollstelle mit, daß die zweck- und fristgerechte Verwendung für insgesamt 17 100 kg Butterfett aus den beiden Einfuhrpartien nicht nachgewiesen worden sei. Daraufhin forderte die abfertigende Zollstelle mit Änderungsbescheid vom 8. Mai 1974 für diese Menge die WAB in Höhe der Differenz zum vollen WAB-Satz nach (insgesamt 10 872,18 DM).
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, den Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Auf Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts (FG) entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom 28. Juni 1979 Rs. 217/78 (EuGHE 1979, 2287), die endgültige Anwendung der in Art. 20 VO Nr. 1259/72 vorgesehenen ermäßigten Ausgleichsbeträge setze voraus, daß die betreffende Ware im Hinblick auf ihren Verwendungszweck den verminderten Wert habe, der ihr aufgrund dieser Verordnung beigemessen werde; soweit der Importeur nicht innerhalb der in Art. 6 VO Nr. 1259/72 festgesetzten Frist den Nachweis erbracht habe, daß die Ware der begünstigten Verwendung zugeführt worden sei, finde die Nachforderung dieser Beträge ihre Rechtsgrundlage in den allgemeinen Regeln, die für das mit der VO Nr. 974/71 errichtete System der WAB maßgebend seien.
Das FG wies die Klage ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach der vom FG im vorliegenden Fall eingeholten, auch für den erkennenden Senat bindenden Vorabentscheidung des EuGH vom 28. Juni 1979 Rs. 217/78 (EuGHE 1979, 2287) ist die Differenz zwischen dem nach Art. 20 VO Nr. 1259/72 ermäßigten und dem normalen WAB-Satz nach den allgemeinen Regeln über die Erhebung von WAB nachzufordern, falls die betreffende Ware nicht nachweisbar der begünstigten Verwendung zugeführt worden ist. Nach den Feststellungen des FG ist im vorliegenden Fall der Nachweis für die zweck- und fristgerechte Verwendung des Butterfetts nicht geführt worden. Das HZA war daher nach Gemeinschaftsrecht grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, den Differenzbetrag in Anwendung des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 974/71 nachzufordern.
2. Zu Recht hat das FG entschieden, daß Schuldnerin der WAB in Höhe des genannten Differenzbetrages die Klägerin ist.
a) Der erkennende Senat folgt zwar der Vorentscheidung nicht darin, daß sich die Schuldnerschaft der Klägerin aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe. Die VO Nr. 974/71 beschränkt sich darauf, die Pflicht zur Erhebung von WAB unter bestimmten Umständen festzulegen. Über die Frage, wer Schuldner dieser Abgabe ist, enthält sie dagegen keine Vorschriften. Die Worte „bei der Einfuhr” in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 974/71 legen im Gegensatz zur Auffassung des FG nicht schon fest, welche Personen als Schuldner der Abgabe in Betracht kommen. Nichts spricht dafür, der Verordnungsgeber habe mit diesen Worten – deren Verwendung wegen des Gegensatzes zu den „bei der Ausfuhr” zu erhebenden oder zu gewährenden WAB (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 974/71) unerläßlich war – die Frage der Schuldnerschaft regeln wollen. Das erscheint ausgeschlossen schon im Hinblick auf die Regelung der VO Nr. 1259/71, die zwangsläufig zu Nacherhebungen in Fällen führen mußte, in denen die Frage, wer Schuldner der nachzufordernden Beträge sei, schwierig zu entscheiden sein würde. Es fehlt also insoweit an einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung. Etwas anderes ist auch der Vorabentscheidung des EuGH nicht zu entnehmen. Der EuGH hat sich ausweislich der Urteilsgründe damit begnügt zu entscheiden, daß die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen WAB nachzufordern haben. Zur Frage, wer im vorliegenden Fall Schuldner ist, hat sich der EuGH nicht geäußert und brauchte das auch nicht, weil das FG ihm diese Frage nicht vorgelegt hatte. Überdies hat der EuGH mit Urteil vom 28. Juni 1977 Rs. 118/76 (EuGHE 1977, 1177, 1188 Abs. 5 der Gründe) ausdrücklich entschieden, daß die Erhebung der WAB einschließlich aller hiermit verbundenen Formalitäten den Mitgliedstaaten obliege.
Das Gemeinschaftsrecht weist also hier eine Lücke auf, die auszufüllen das einzelstaatliche Recht berufen ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90). Das belegt auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EWGV, wonach die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen haben, die sich aus dem EWGV oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben (vgl. auch Urteile des EuGH vom 27. März 1980 Rs. 66, 127 u. 128/79, EuGHE 1980, 1237, und vom 21. September 1983 Rs. 205-215/82, EuGHE 1983, 2633).
b) Ohne Rechtsirrtum hat das FG aber in seiner Hilfsbegründung entschieden, im vorliegenden Falle ergebe sich aus §§ 1, 2 AbG i. V. m. § 39 ZG, daß Schuldner der nachgeforderten WAB die Klägerin ist.
aa) Nach § 1 Nr. 1 AbG i. d. F. des Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes vom 3. August 1973 – 15. ZollÄndG – (BGBl I 1973, 940, BZBl 1973, 862, 864) unterliegt „die Einfuhr einer Ware … einer Abgabe (Abschöpfung), wenn die Erhebung einer solchen Abgabe in den Verordnungen vorgeschrieben … ist, die die Organe der EWG erlassen … auf Grund des Art. 42 oder 43 EWGV …”. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 974/71 in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung (vgl. BZBl 1973, 646) schreibt, gestützt u. a. auf Art. 43 EWGV, den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen die Erhebung von „Ausgleichsbeträgen bei der Einfuhr” vor. Diese WAB, deren Höhe nach Art. 6 VO Nr. 974/71 durch Durchführungsverordnungen festgelegt wird, sind als Abgaben i. S. des § 1 AbG anzusehen. Sie sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen allen auferlegt worden sind, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gemeinschaftsrecht die Leistungspflicht knüpft (vgl. auch § 3 der Abgabenordnung – AO 1977 –). Damit sind die WAB nach der Legaldefinition des § 1 AbG „Abschöpfungen”. Es finden also auf sie die Vorschriften für Zölle Anwendung, soweit sich aus dem Gemeinschaftsrecht nichts anderes ergibt (§ 2 Abs. 1 AbG). Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden (Entscheidungen vom 27. Mai 1982 VII R 30/80, BFHE 136, 433, 435, und vom 14. Dezember 1982 VII B 38/82, BFHE 137, 382).
bb) Die Vorschriften für Zölle sind auf Abgaben i. S. des § 1 AbG nur anzuwenden, soweit sich aus den einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nichts anderes ergibt (2 Abs. 1 AbG). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt (wird ausgeführt).
cc) Es sind daher die Vorschriften für Zölle anzuwenden. Zu diesen zählt auch § 39 ZG i. d. F. des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes vom 3. August 1973 – 14. ZollÄndG – (BGBl I 1973, 933, BZBl 1973, 814) – § 39 a. F. –. Nach seinem Satz 1 entsteht, wenn bei der Abfertigung einer Ware zum freien Verkehr eine Zollermäßigung gewährt worden ist, die von einer bestimmten Verwendung der Ware abhängt, eine Zollschuld, wenn die Ware nicht zu dem begünstigten Zweck verwendet worden ist. Daraus ergibt sich – angewendet auf die WAB – nichts anderes, als bereits der EuGH in seiner Vorabentscheidung im vorliegenden Fall erkannt hat. In § 39 Satz 3 ZG a. F. heißt es weiter, daß Schuldner der Zollbeteiligte ist. Zollbeteiligter ist, wer den Zollantrag gestellt hat (§ 10 Abs. 1 und 3 ZG). Nach den Feststellungen des FG ist die Abfertigung der streitbefangenen Waren zum freien Verkehr auf Antrag der Klägerin erfolgt. Diese ist daher auch nach § 2 Abs. 1 AbG i. V. m. § 39 Satz 3 ZG a. F. Schuldnerin der nachzufordernden WAB. Da die Vorschriften für Zölle auf die WAB anzuwenden sind, war für die Nachforderung das HZA bzw. seine Unterstellen sachlich und örtlich zuständig (§§ 1 Abs. 2, 12 Abs. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes – FVG –, § 76 Nr. 8 AO).
Unzutreffend ist der Einwand der Klägerin, auch die KG sei durch ihren Antrag, die Ware unter zollamtliche Überwachung zu stellen, Zollbeteiligte (WAB-Beteiligte) und damit Schuldnerin der WAB geworden. Nur der Antrag auf Abfertigung zum freien Verkehr (unter Zweckbindung) kann als Zollantrag i. S. des § 39 Satz 3 ZG a. F. angesehen werden. Der Antrag der KG ist kein solcher Zollantrag (vgl. § 9 ZG) und beruhte überdies nicht auf Zollvorschriften, sondern auf Abschn. II Nr. 1 der Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 2. Juni 1969 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 100 vom 3. Juni 1969 S. 2). Als Grundlage für die Entstehung des Nachforderungsanspruches kommt also lediglich der Antrag auf Abfertigung zum freien Verkehr in Betracht. Dieser ist allein von der Klägerin gestellt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 510521 |
BFHE 1985, 340 |