Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für deren Steuerschulden

 

Leitsatz (NV)

1. Die Pflicht der gesetzlichen Vertreter nach § 103 AO dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden, beginnt nicht erst mit der Fälligkeit der Steuerschuld.

2. Für eine schuldhafte Verkürzung i. S. von § 109 Abs. 1 AO reicht Fahrlässigkeit als Verschuldensgrad aus.

 

Normenkette

AO §§ 103, 109-110

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war von September 1970 bis Mai 1976 geschäftsführender Alleingesellschafter der X-GmbH. Daneben war er an drei anderen Gesellschaften beteiligt, und für zwei dieser Gesellschaften als Geschäftsführer tätig. Die von ihm im Juni 1969 mitgegründete X-GmbH hatte ein Stammkapital von . . . DM. Wegen Steuerschulden dieser Gesellschaft aus dem Veranlagungszeitraum 1972 wird der Kläger vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) als Haftender in Anspruch genommen.

Nachdem der dem ursprünglichen Gründungszweck der X-GmbH entsprechende Versuch, zusammen mit der Stadt M ein Welthandels- und Ausstellungszentrum aufzubauen, gescheitert war, hatte die Wohnbau M-GmbH der X-GmbH den Erwerb mehrerer Grundstücke zum (Gesamt-)Preis von . . . DM ermöglicht (Vertrag vom Dezember 1971). Noch bevor das Eigentum übertragen war, hatte die X-GmbH ihren Eigentumsverschaffungsanspruch am überwiegenden Teil der Grundstücke zum Preis von . . . DM weiterverkauft (Vertrag vom Juli 1972).

Insgesamt erzielte die X-GmbH einen Veräußerungsgewinnn von . . . DM.

Im März 1973 hatte der Kläger im eigenen Namen sowie als Vertreter einer in Gründung befindlichen ausländischen Gesellschaft mit einem Dritten in Jerusalem eine Vereinbarung über den Kauf mehrerer im östlichen Stadtteil von Jerusalem gelegener Grundstücke abgeschlossen. Diese Grundstücke liegen in dem neuen, seit 1967 von Israel besetzten Gebiet Jordaniens. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Bei der Vertragsunterzeichnung waren israelische Pfund ,,im Wert von . . . DM und . . . US-Dollar" zu hinterlegen (§ 3 des Vertrages). In der Folgezeit waren - überwiegend mit den Erlösen der X-GmbH aus dem Grundstücksgeschäft in M - verschiedene Zahlungen geleistet worden, und zwar bis zum 31. Dezember 1973 . . . DM sowie am 30. Juni 1974 . . . DM und am 10. April 1975 . . . DM. Die Grundstücke unterlagen vom 16. Januar 1978 ab einer ,,Warnungsnotiz" zugunsten des Klägers und einer in Gründung befindlichen ausländischen Gesellschaft.

In einem Schreiben vom 22. März 1973 an Rechtsanwalt F in Israel hatte der Kläger darauf hingewiesen, daß ein Zweig der X-GmbH in Tel Aviv registriert werden solle und daß die X-GmbH die Käuferin der Grundstücke sei. In an den Verkäufer gerichteten Schreiben des Klägers bzw. der X-GmbH vom 27. und 28. November 1973 bat der Kläger um Verlängerung der Zahlungstermine und erklärte in dem Schreiben vom 28. November - unter Bezugnahme auf eine Besprechung vom Vortage -, er sei sich klar darüber, daß im Falle der Nichtdurchführung der Endfinanzierung seitens des Käufers alle Anzahlungen ohne Ausgleichspflicht als verloren angesehen werden müßten.Nach den Angaben des Klägers erwies sich das Vorhaben in Jerusalem aufgrund des Jom-Kippur-Krieges im Herbst 1973 und wegen Kreditrestriktionen, die eine Restzahlung nicht mehr zuließen, als undurchführbar; Eigentum wurde nicht übertragen.

Im Februar 1974 reichte der Kläger die am 20. Dezember 1973 unterschriebene Körperschaftsteuererklärung der X-GmbH für 1972 ein. Die beigefügte, von dem Kläger und dessen Steuerbevollmächtigten unterschriebene Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung wies u. a. im Zusammenhang mit dem Grundstücksgeschäft in M. einen Verkaufserlös von . . . DM aus. Restkaufpreisforderungen waren nicht bilanziert worden. Das FA, dem die Grundstücksgeschäfte der X-GmbH nicht bekannt waren, führte die Veranlagung erklärungsgemäß durch und setzte die Körperschaftsteuer mit Bescheid vom 2. Oktober 1974 vorläufig (gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO -) auf . . . DM fest.

Am 8. Dezember 1975 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der die steuerliche Vertretung der X-GmbH übernommen hatte, dem FA mit, daß der Grundsatz der periodengerechten Erfolgsermittlung bezüglich des Grundstücksgeschäfts in M nicht richtig angewandt worden sei. In der im Februar 1976 mit der berichtigten Körperschaftsteuererklärung für 1972 vorgelegten Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung waren nunmehr auch die Forderungen aus dem Grundstücksgeschäft in M ausgewiesen. Hierauf setzte das FA die Körperschaftsteuer für 1972 entsprechend der berichtigten Erklärung bestandskräftig mit Bescheid vom 26. Mai 1976 auf . . . DM fest.

Mit Vertrag vom Mai 1976 veräußerte der Kläger seine Geschäftsanteile an der X-GmbH von nominell . . . DM für . . . DM. Von dem Erwerber, der auch die Geschäftsführung übernommen hatte, wurde die X-GmbH im Juli 1976 weiterveräußert. Im Januar 1980 wurde sie schließlich von Amts wegen gelöscht, nachdem sie sich seit 1978 in Liquidation befunden hatte.

Über die festgesetzten Steuern (. . . DM) zuzüglich Ergänzungsabgaben (. . . DM) erließ das FA am 21.(26.) April 1978 einen Haftungsbescheid gegen den Kläger, nachdem Beitreibungsmaßnahmen gegen die X-GmbH wegen dieser Beträge sowie wegen anderer Abgabenrückstände erfolglos geblieben waren. Das nach dem Einspruchsverfahren anhängige gerichtliche Verfahren erledigte sich, nachdem das FA den Haftungsbescheid (unter Vorbehalt des Erlasses eines neuen Bescheides) aufgehoben hatte.

Am 25. März 1980 erließ das FA erneut einen Haftungsbescheid gegen den Kläger.

Die am 23. April 1980 hiergegen mit Zustimmung des FA nach § 45 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhobene Sprungklage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 109 Abs. 1 AO. Die Pflichtverletzung sei nicht ursächlich für das Unvermögen der X-GmbH, die Steuerschulden zu bezahlen. Das Verhalten des Klägers könne auch nicht als schuldhaft i. S. des § 109 AO qualifiziert werden; im übrigen sei die Inanspruchnahme des Klägers angesichts dessen wirtschaftlicher Verhältnisse nicht ermessensgerecht.

. . .

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG ging zu Recht davon aus, daß gemäß Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 - EGAO 1977 - (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) die Frage der Inanspruchnahme des Klägers für die Steuerschulden der X-GmbH nach den §§ 103, 109 und 110 AO zu beurteilen ist. Dabei hat die Vorinstanz aufgrund ihrer tatsächlichen Feststellungen, an die der Bundesfinanzhof (BFH) gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), ohne Rechtsverstoß eine schuldhafte Verletzung der den Kläger als Geschäftsführer treffenden steuerlichen Pflichten angenommen.

Nach § 103 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den Personen, die sie vertreten, obliegen; insbesondere haben sie dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Dabei ist Maßstab für die Pflichten eines Geschäftsführers die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -), unabhängig von der Person des jeweiligen Geschäftsführers (BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776).

Wie die Vorinstanz ohne Rechtsirrtum ausgeführt hat, beginnt die neben der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen und Bilanzen nach § 103 AO bestehende Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden, nicht erst mit der Fälligkeit der Steuerschuld. Vielmehr ist ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten auch schon bei einer zwar entstandenen, aber noch nicht fälligen Steuerschuld geboten (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776) und kann darüber hinaus - je nach den Umständen des Einzelfalles - auch schon vor Entstehen der Steuerschuld erforderlich sein, wenn das Entstehen absehbar war (BFH-Urteile vom 23. April 1974 VII R 141/71, BFHE 112, 539, und vom 16. Januar 1980 I R 7/77, BFHE 130, 230, BStBl II 1980, 526).

Zu einem derartigen pflichtgemäßen Verhalten eines ordentlichen Geschäftsmannes gehört es, über die Mittel der Gesellschaft nur so zu disponieren, daß diese im Zeitpunkt der Fälligkeit von Steuerschulden nach dem normalen und absehbaren Verlauf der Dinge zu deren Tilgung zur Verfügung stehen. Werden die Mittel jedoch in nicht unerheblich risikobehafteter Weise eingesetzt, die eine fristgerechte Zahlung der Steuerschulden nicht als hinreichend gesichert erscheinen läßt, so ist ein solches Verhalten nicht mit den Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Geschäftsführers zu vereinbaren.

Nach diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger angesichts der beim Abschluß des Kaufvertrags über die in politisch unsicherem Gebiet belegenen Grundstücke noch weitgehend offenen Frage der Gesamtfinanzierung weder mit einiger Sicherheit mit einem Mittelrückfluß noch mit anderen Mitteln zur rechtzeitigen Zahlung von Steuerschulden bei deren Fälligkeit rechnen konnte. Er hat damit den ihm nach § 103 AO obliegenden Sorgfaltspflichten nicht genügt.

Soweit der Kläger vorträgt, der materielle Inhalt der Sorgfaltspflichten dürfe nicht soweit interpretiert werden, daß besondere Vorkehrungen zugunsten eines Gläubigers getroffen werden, verkennt er, daß es hier nicht darum geht, ob einer von mehreren Gläubigern bevorzugt wird, sondern darum, ob es gegen die nach § 103 AO bestehenden Sorgfaltspflichten verstößt, wenn angesichts von bestehenden (wenn auch noch nicht fälligen) Steuerschulden ohne ausreichende Vorkehrungen neue Verbindlichkeiten begründet werden, die derart mit nicht unerheblichen Risiken verbunden sind, daß bei Verwirklichung eines der Risiken diese Steuern nicht mehr bezahlt werden können. Dies ist unabhängig davon, ob nicht auch gegenüber etwaigen anderen Gläubigern entsprechende Vorkehrungen hätten getroffen werden müssen.

Die Verletzung der Sorgfaltspflichten war auch ursächlich dafür, daß die Steuerschulden der X-GmbH nicht bezahlt werden konnten. Der Kläger sieht den Jom-Kippur-Krieg als eigentliche Ursache der Zahlungsunfähigkeit der X-GmbH an. Dies fällt aber in den Bereich der Risiken, gegen die der Kläger als ordentlicher Geschäftsmann hätte - angesichts der besonderen Lage der Grundstücke in einem Spannungsgebiet - Vorkehrungen zum Erhalt der Möglichkeit der fristgerechten Zahlung bereits entstandener Steuerforderungen treffen müssen.

Durch die Nichtzahlung der Steuern wurden diese verkürzt. Eine Steuerverkürzung i. S. des § 109 AO liegt vor, wenn geschuldete Steuerbeträge nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig an die Finanzkasse abgeführt werden (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1976 I R 116/74, BFHE 121, 5 BStBl II 1977, 257 m. w. N.).

Der Kläger hat diese Verkürzung schuldhaft i. S. von § 109 AO herbeigeführt. Wie das FG ohne Rechtsirrtum annahm, fällt dem Kläger zumindest Fahrlässigkeit zur Last, die im Anwendungsbereich der AO als Verschuldensgrad ausreicht (BFH-Urteil vom 26. November 1980 I R 47/78, BFHE 132, 194, BStBl II 1981, 287). Dem Kläger war, wie die Vorinstanz ausführte, bewußt, daß der beträchtliche Veräußerungsgewinn von 1972 aus den Grundstücksgeschäften in M. zwangsläufig zu erheblichen Steuerschulden der X-GmbH führen mußte. Auch hätte ihm nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten bei der erforderlichen Prüfung der Bilanz, die er nach Feststellung des FG tatsächlich nur oberflächlich vorgenommen hat, deren Fehlerhaftigkeit auffallen müssen. Trotz des Bewußtseins erheblicher Steuerschulden der X-GmbH hat er jedoch - wie oben ausgeführt - keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um eine Tilgung dieser Schulden zu sichern.

Schließlich vermag auch der Vortrag des Klägers, seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner sei ermessensfehlerhaft, der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, hat sich die Nachprüfung des Gerichts nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 102 FGO darauf zu beschränken, ob der Haftungsbescheid rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Hierzu gehört auch, ob das FA bei seiner Entscheidung über die Inanspruchnahme des Klägers gemäß § 118 AO als Haftungsschuldner sämtliche Umstände gewürdigt hat, die für diese Entscheidung bedeutsam sind. Entgegen der Ansicht des Klägers, die auch im Revisionsverfahren nur unsubstantiiert vorgetragen wurde, kann nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz nicht davon ausgegangen werden, daß das FA die finanziellen Verhältnisse des Klägers nicht oder in nicht ausreichender Weise in seine Entscheidung einbezogen hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414249

BFH/NV 1986, 193

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