Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Prozeßerklärungen; Person des Rechtsmittelklägers
Leitsatz (NV)
1. Wer Beteiligter (§ 57 FGO) im finanzgerichtlichen Verfahren war, ergibt sich in erster Linie aus dem Rubrum. Nur bei aus den Gründen offensichtlicher Nichterwähnung eines Beteiligten kann das Rubrum berichtigt werden.
2. Eine dem Wortlaut der Revisionsschrift widersprechende Auslegung aus anderen, dem Erklärenden und dem Erklärungsempfänger bekannten Umständen ist nur dann zulässig, wenn jede andere Auslegung offensichtlich unzutreffend wäre.
Normenkette
FGO §§ 57, 107, 121-122; BGB § 133
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit notariellem Vertrag vom 31. Mai 1976 erwarb Frau A ein unbebautes Grundstück zum Kaufpreis von . . . DM. Frau A verstarb am 17. Juli 1978. Alleinerbe der Frau A ist nach ihrem Testament vom 23. Dezember 1977 ihr Adoptivsohn, der 1967 geborene Z, dessen leibliche Eltern die Revisionskläger sind. Am 22. Mai 1979 wurde S, der leibliche Vater, zum Vormund des Z bestellt.
Mit Bescheid vom 21. Juli 1980 erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) Grunderwerbsteuer von . . . DM für den Erwerb vom 31. Mai 1976. Den Bescheid richtete er an ,,Herrn und Frau S als gesetzliche Vertreter des Z". Gegen diesen Bescheid legte der Prozeßbevollmächtigte, Steuerberater B, namens und im Auftrag der Eheleute S Einspruch ein. Am 22. Oktober 1980 bestellte das Vormundschaftsgericht für den minderjährigen Z einen Pfleger mit dem Wirkungskreis Vermögenssorge; zum Pfleger wurde am 10. November 1980 C bestellt.
Mit Bescheid vom 20. Februar 1981 wies das FA den Einspruch gegen den Steuerbescheid als unbegründet zurück. Diesen Bescheid richtete das FA, dem die Pflegerbestellung damals nicht bekannt war, wiederum an die Eheleute S als gesetzliche Vertreter des Z.
Gegen den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung richtete sich die durch den Prozeßbevollmächtigten B erhobene Klage. In der Klageschrift war die Person des Klägers wie folgt bezeichnet:
Klage,
a) der Pflegeeltern, Eheleute S, für den minderjährigen Z,
b) hilfsweise Herrn S als gesetzlicher Vertreter für den minderjährigen Z,
c) hilfsweise die Testamentsvollstrecker nach der am 17. Juli 1978 verstorbenen Frau A.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des ,,minderjährigen Z, als dessen Vertreter aufgetreten sind seine leiblichen Eltern . . ." als unzulässig ab. Die Kosten des Verfahrens legte es den Eheleuten S auf.
In der Begründung führte es zur Klarstellung ausdrücklich aus, der Senat sehe in Übereinstimmung mit der materiellen Rechtslage auch formell den minderjährigen Z als Kläger an.
Weder die leiblichen Eltern noch der Vater des Klägers seien, nachdem für den Kläger ein Vermögenspfleger bestellt worden war, berechtigt gewesen, den Kläger in Vermögensangelegenheiten zu vertreten; die von den Eltern des Klägers als dessen Vertreter erhobene Klage sei danach unzulässig.
Der bisherige Prozeßbevollmächtigte legte gegen das Urteil namens der Eheleute S, die als Kläger bezeichnet werden, Revision ein. Die beigelegte Prozeßvollmacht ,,in Sachen des Steuerpflichtigen, Eheleute S", ist von diesen ohne einen etwa ein Vertretungsverhältnis bezeichnenden Zusatz unterschrieben worden. Die Revisionsbegründung ging aufgrund verschiedener Fristverlängerungen lange nach Ablauf der Revisionsfrist zugleich mit einer Prozeßvollmacht des Vermögenspflegers, Herrn C, beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Die Revisionskläger beantragen, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 21. Juli 1980 aufzuheben, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Gemäß § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FG0) steht den Beteiligten die Revision an den BFH zu. Beteiligte sind gemäß § 57 FGO der Kläger, der Beklagte, der Beigeladene und die Behörde, die dem Verfahren beigetreten ist. Berechtigt zur Revisionseinlegung sind danach alle diejenigen, die tatsächlich an dem Verfahren erster Instanz beteiligt waren (§ 122 Abs. 1 FGO). Legt kein Beteiligter, sondern ein nichtbeteiligter Dritter gegen das Urteil des FG Revision ein, so ist das Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen (BFH-Urteil vom 18. September 1974 II R 129/73, BFHE 113, 350, BStBl II 1975, 40).
Wer Beteiligter am finanzgerichtlichen Verfahren war, ergibt sich in erster Linie aus dem Rubrum der vorinstanzlichen Entscheidung. Nach dem Rubrum des angefochtenen Urteils waren Beteiligte des finanzgerichtlichen Verfahrens der minderjährige Z als Kläger und das FA als Beklagter.
Nach dem Urteilstenor sind von der Entscheidung zwar auch die Eheleute S betroffen, denn diesen sind als ohne gesetzliche Legitimation aufgetretene gesetzliche Vertreter die Kosten des Verfahrens auferlegt worden; sie sind dadurch jedoch nicht Beteiligte des Verfahrens i. S. der §§ 122 i.V.m. 57 FGO geworden. Zwar kann auch nach dem Inhalt des Urteils eine im Rubrum nicht erwähnte Person tatsächlich am Verfahren beteiligt gewesen sein. Die Nichterwähnung im Rubrum steht dann weder der Rechtsmitteleinlegung noch der Beteiligung am Revisionsverfahren entgegen; die Richtigstellung des Rubrums gemäß § 107 FGO ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich und zulässig. Dies gilt jedoch nur, soweit es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handelt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 122 FGO Anm. 3; BFH-Urteil vom 23. Januar 1969 IV R 36/68, BFHE 95, 97, BStBl II 1969, 340; Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 12. Mai 1964 3 AZR 412/63, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1964, 1874; Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. Juni 1964 VII ZR 152/62, NJW 1964, 1858; vom 8. März 1956 III ZR 265/54, BGHZ 20, 188; vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Düsseldorf vom 5. Juli 1976 4 W 14/76, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1977, 144; BGH-Beschluß vom 30. September 1981 IVb ZB 805/81, Versicherungsrecht - VersR - 1982, 70; vgl. auch Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., 1987, § 319, D). Das Rubrum der Vorentscheidung ist nicht offenbar unrichtig. Denn auch aus den Urteilsgründen ergibt sich nichts anderes; vielmehr ist ausdrücklich dargestellt, daß die Klage namens des Minderjährigen erhoben und über diese Klage entschieden wurde. Nur ihm als Kläger und dem FA stand danach die Revision zu.
Die von dem bereits im finanzgerichtlichen Verfahren tätigen Prozeßbevollmächtigten eingelegte Revision wurde namens der Eheleute S eingelegt. Beigefügt war der Revision eine Vollmacht der Eheleute S ,,in Sachen der Steuerpflichtigen S".
Wer Revisionskläger ist, richtet sich grundsätzlich nach dem Wortlaut der Revisionsschrift (§ 65 FGO, der gemäß § 121 FGO sinngemäß gilt). Allerdings ist die Revisionseinlegung als Prozeßerklärung grundsätzlich der Auslegung zugänglich. Dabei sind die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden (BFH-Urteile vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374; vom 15. Dezember 1981 VIII R 116/79, BFHE 135, 267, BStBl II 1982, 385; Tipke/Kruse, a.a.O., § 65 FGO Anm. 1). In der Revisionsschrift hat der Prozeßbevollmächtigte die Eheleute S als Revisionskläger bezeichnet und in ihrem Namen Revision eingelegt. Jedoch bietet auch der ,,eindeutige" Wortlaut einer Erklärung keine Grenze für die Auslegung, da auch die Frage, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, erst durch Auslegung ermittelt werden kann (Soergel/Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl., § 133 Anm. 24). Danach kann selbst dann, wenn als Partei eine bestimmte existierende Person bezeichnet wird, nach dem objektiven Sinn der Erklärung aber erkennbar eine andere Person betroffen werden soll, diese Person als Partei angesehen werden (BFH-Urteile vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331; vom 22. September 1978 VI R 184/76, Betriebs-Berater - BB - 1979, 362; BGH-Beschluß vom 4. Juni 1981 VII ZR 174/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1982, 242; BGH-Urteile vom 12. Mai 1977 VII ZR 167/76, NJW 1977, 1686; vom 24. November 1980 VII ZR 208/79, HFR 1982, 187; vom 16. Mai 1983 VIII ZR 34/82, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1983, 858). Diese Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor.
Bei der Auslegung einer Willenserklärung kommt es nicht entscheidend darauf an, was sich der Kläger oder der Prozeßbevollmächtigte unter der gewählten Bezeichnung vorgestellt hat, sondern darauf, welcher Sinn dieser Erklärung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizumessen ist (BB 1979, 362; HFR 1982, 187, und NJW 1977, 1686; Tipke/Kruse, a.a.O., § 65 FGO Anm. 1 c; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 12. Aufl., § 44 Anm. II, 1). Dabei sind für die Auslegung einer schriftlichen Erklärung die anderen in dem Schriftstück enthaltenen Erklärungen, soweit sie einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen, sowie auch außerhalb des Falles liegende Umstände zu berücksichtigen, soweit sie der Erklärungsempfänger zum Zeitpunkt des Zugangs in Betracht ziehen konnte (Soergel/Siebert, a.a.O., § 133 Anm. 12, 15 und 23). Erklärungsempfänger der Revision ist - neben dem Beklagten - das Revisionsgericht. Innerhalb der Revisionsfrist lagen dem BFH lediglich die Revisionsschrift vom 24. April 1984 mit der Prozeßvollmacht vom 24. April 1984 sowie die Akten der Vorinstanz vor. Da die Revisionsschrift auf das Urteil des FG Bezug nimmt, nach dessen Rubrum nicht die Eheleute, sondern der minderjährige Z Beteiligter im Vorverfahren war, wäre zwar grundsätzlich eine Auslegung dahingehend nicht ausgeschlossen, daß die Eheleute S die Revision nicht im eigenen Namen, sondern als gesetzliche Vertreter des Minderjährigen erheben wollten. Eine dem Wortlaut der Revisionsschrift widersprechende Auslegung scheidet jedoch dann aus, wenn für den Erklärungsempfänger nicht jede andere Auslegung offensichtlich unzutreffend wäre.
Da die Eheleute S durch die Kostenentscheidung selbst beschwert sind und daher nicht ausgeschlossen werden kann, daß die ausdrücklich als Revisionskläger bezeichneten Eheleute S unter Berufung auf eine eigene Beschwer im eigenen Namen Revision einlegen wollten, ist eine Auslegung gegen den Wortlaut nicht möglich. Dies gilt um so mehr, als angesichts von Unsicherheiten über die Person des Klägers in der Vorinstanz das FG ausdrücklich klargestellt hat, daß Kläger der minderjährige Z ist. Darüber hinaus enthält die mit der Revisionsschrift vorgelegte Prozeßvollmacht keinerlei Hinweis darauf, daß die Klage nicht im eigenen Namen erhoben sein könnte. Die von den Eheleuten S eingelegte Revision war danach als unzulässig zu verwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 414948 |
BFH/NV 1988, 371 |