Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen / Grundstück mit noch zu errichtendem Fertighaus
Leitsatz (NV)
Treten auf der Veräußererseite mehrere Personen auf, die nicht miteinander wirtschaftlich oder personell verbunden sind, so wird dadurch ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den mehreren Verträgen noch nicht notwendigerweise ausgeschlossen. Die Verflechtung der Verträge kann sich daraus ergeben, daß die auf der Veräußererseite auftretenden Personen auf Grund einer vertraglichen Abrede bei der Veräußerung zusammenarbeiten und durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluß aller Verträge hinzielen.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger - ein Ehepaar - erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom . . . Mai 1983 ein noch zu bildendes (Trenn-)Grundstück in . . . Der Kaufpreis betrug . . . DM. Die Kläger verpflichteten sich zur Übernahme der Hälfte der Teilungs- und Vermessungskosten. Dem Vertrag war als Anlage ein Plan des Grundstücks beigefügt, aus dem sich die (geplante) Aufteilung in zwei Grundstücke und die jeweilige Bebauung mit Fertighäusern bestimmten Typs ergaben. Am . . . 1983 unterschrieb der Kläger einen Antrag auf Abschluß eines Vertrags, mit dem die Firma A verpflichtet werden sollte zur Errichtung eines Fertighauses des betreits in der Anlage zum Grundstückskaufvertrag genannten Typs. Der Preis sollte . . . DM betragen. Der Vertrag wurde von der Firma A am . . . 1983 angenommen. In dem Vertrag wurde dem Kläger ein kostenloses Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt, daß das Grundstück an einen Interessenten für ein A-Haus abgegeben werde.
Die Kläger beauftragten sodann die Firma B-GmbH mit der Erstellung eines Kellers zum Preis von . . . DM. Am . . . 1983 schlossen die Kläger einen Baubetreuungsvertrag mit Herrn C zu einem Entgelt von . . . DM.
Die Grundstücksveräußerer waren bei Vertragsschluß am . . . Mai 1983 vertreten durch D. Dieser ist Ehemann der Inhaberin der Firma X-Immobilien. Die Firma X-Immobilien hatte den Klägern - wenn auch nach deren Angaben ohne Verpflichtung zu einer bestimmten Bebauung - das Grundstück angeboten. Die Erwerber des vorderen Trennstücks beauftragten ebenfalls die Firma A und die Firma B-GmbH.
Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gegen die Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von je . . . DM fest. Die Bescheide waren wegen der Höhe des Kaufpreises für das Grundstück und der Höhe der Teilungs- und Vermessungskosten vorläufig. Das FA sah die Gesamtheit der Verträge als einheitliches Vertragswerk an, dessen Gegenstand das bebaute Grundstück sei. Dementsprechend bezog es die Aufwendungen der Kläger aus allen vier Verträgen in die Bemessungsgrundlage ein.
Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser strebten die Kläger an, daß nur die Aufwendungen aus dem Grundstückskaufvertrag der Grunderwerbsteuer unterworfen werden.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und die Grunderwerbsteuer - weiterhin vorläufig - auf je . . . DM festgesetzt. Gegenstand des Erwerbsvorgangs sei das unbebaute Grundstück. Ein einheitlicher Vertrag habe nicht notwendigerweise zur Folge, daß eine einheitliche Leistung gerichtet auf den Erwerb eines bebauten Grundstücks vorliege. Ein einheitlicher Vertrag liege nicht schon dann vor, wenn mehrere Verträge mit mehreren Vertragspartnern auf der Leistungsseite in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängig seien.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat den grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff des Gegenstands des Erwerbsvorgangs verkannt.
Der notariell beurkundete Vertrag über den Erwerb der Miteigentumsanteile an dem Grundstück ist ein (jeweils) der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG 1983). Als Gegenleistung gelten bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983).
Zur Gegenleistung rechnet jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt gewährt für den Erwerb des Grundstücks in dem Zustand, in dem es Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).
Das GrEStG bestimmt nicht, was unter Gegenleistung begrifflich zu verstehen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß diese Begriffsbestimmung zwar von dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Gegenleistung ausgeht, sich aber darin nicht erschöpft (so z. B. Entscheidung des BFH vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174).
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs wird nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1989 II R 85/87, BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181 m. w. N.) zunächst durch das den Steuertatbestand erfüllende (zivilrechtliche) Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ist Gegenstand der kaufvertraglichen Übereignungsverpflichtung das Grundstück in bebautem Zustand, so ist das Grundstück in diesem Zustand auch grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Ergibt sich die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks und zur Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich zwar aus zwei (oder mehreren) an sich selbständigen Verträgen, sind diese Verträge jedoch aufgrund ihres rechtlichen Zusammenhangs zivilrechtlich als einheitlicher Vertrag anzusehen, so ist grunderwerbsteuerrechtlich Gegenstand des Erwerbsvorgangs das Grundstück in bebautem Zustand. Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist das Grundstück in bebautem Zustand schließlich auch dann, wenn die Verträge zwar nicht durch den Willen der Parteien rechtlich verknüpft sind, zwischen den Verträgen jedoch ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, daß der Erwerber bei objektiver Betrachtungsweise als einheitlichen Leistungsgegenstand das bebaute Grundstück erhält. Dies ist der Fall, wenn der Veräußerer aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht ganz konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot als einheitliches annimmt oder nur insgesamt annehmen kann.
Auf der Veräußererseite können auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 1982 II R 155/80, BFHE 136, 427, BStBl II 1982, 741). Es ist dabei nicht ausschlaggebend, daß der Grundstücksübereignungsanspruch und der Anspruch auf Errichtung des Gebäudes sich zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist vielmehr, daß (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Leistungsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (vgl. Entscheidung in BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333).
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist nach den dargelegten Grundsätzen im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände zu bestimmen. Für eine derartige Abwägung aller Umstände des Einzelfalles enthalten die Entscheidungen des Senats in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181, und II R 143/87 (BFHE 158, 477, BStBl II 1990, 183) beispielgebende Hinweise. Im Gegensatz zu den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten erfolgte im Streitfall nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, der Abschluß der zur Errichtung des Gebäudes notwendigen Verträge zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags. Allein dadurch wird ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag jedoch noch nicht ausgeschlossen. Ein solcher kann dann bestehen, wenn die Kläger (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in ihrer Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung nicht mehr frei waren. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder auch aus faktischen Zwängen ergeben. Hierzu enthält die Entscheidung des FG keine ausreichenden Feststellungen.
Im Streitfall treten auf der Veräußererseite mehrere Personen auf, die nicht miteinander wirtschaftlich oder personell verbunden sind. Auch dadurch wird jedoch ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den mehreren Verträgen noch nicht notwendigerweise ausgeschlossen. Die Verflechtung der Verträge kann sich beispielsweise bereits daraus ergeben, daß die auf der Veräußererseite auftretenden Personen aufgrund einer vertraglichen Abrede (z. B. Maklerauftrag) bei der Veräußerung zusammenarbeiten und durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluß der Verträge über das Grundstück und über die Errichtung des Gebäudes hinzielen (vgl. Urteil in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer derartigen Verflechtung enthält die Entscheidung des FG ebenfalls keine ausreichenden Feststellungen. Das FG geht zwar davon aus, daß sich die Vertragspartner der Kläger nicht zusammengetan hätten, um zusammen eine einheitliche Leistung zu erbringen. Mit dieser Feststellung ist jedoch das Vorliegen einer Verflechtung in dem geschilderten Sinne, wie sie der Senat für ausreichend hält, noch nicht ausgeschlossen.
Die Entscheidung des FG geht von anderen Rechtsgrundsätzen aus. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat nicht alle Umstände festgestellt, die im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Die Sache ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FG wird bei der Entscheidung über den Gegenstand des Erwerbsvorgangs zu berücksichtigen haben, daß der objektive enge sachliche Zusammenhang zwischen den Verträgen nicht schon dadurch ausgeschlossen wird, daß sich die Erwerber - wenn auch ggf. unter Hinnahme von Rechtsnachteilen - allein von den Verträgen über das Gebäude wieder hätten lösen können (vgl. Urteil in BFHE 158, 483, BStBl II 1990, 181). Ferner wird das FG zu berücksichtigen haben, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück auch dann sein kann, wenn - wie im Streitfall - der Vertrag über das Grundstück beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, der Vertrag über die Errichtung des Gebäudes aber nur von einem Ehegatten unterschrieben ist (vgl. das BFH-Urteil vom 20. Dezember 1989 II R 8/87, BStBl II 1990, 443).
Der Senat weist darüber hinaus darauf hin, daß ein paralleler Geschehensablauf beim Erwerb der anderen Grundstückshälfte ein starkes Indiz dafür sein kann, daß Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück ist.
Fundstellen
Haufe-Index 417026 |
BFH/NV 1991, 410 |