Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Verlängerung einer Revisionsbegründungsfrist

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1; EStG §§ 26c, 26, 26b, 46, 32 Abs. 3 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) heirateten am 5.Dezember 1975. Der Ehemann erzielte im Streitjahr 1975 aus mehreren Arbeitsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Ehefrau war als Redakteurin beschäftigt. Sie hat aus einer früheren geschiedenen Ehe ein Kind und versteuerte im Streitjahr ihren Arbeitslohn nach der Steuerklasse II/1. Nachdem die Kläger einen gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 beantragt hatten, führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) eine Einkommensteuerzusammenveranlagung durch, aus der sich eine Einkommensteuernachforderung von 378 DM ergab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte unter anderem aus:

Der Kläger und seine Ehefrau seien im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26 Abs.1, § 26b des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) zur Einkommensteuer heranzuziehen. Aufgrund dieser Zusammenveranlagung könne der Klägerin der Haushaltsfreibetrag von 3 000 DM, der ihr als Alleinstehender mit mindestens einem Kind zugestanden habe, nicht mehr gewährt werden. Dem stehe nicht entgegen, daß der Haushaltsfreibetrag während des Lohnsteuerabzugsverfahrens berücksichtigt worden sei. Denn das Lohnsteuerabzugsverfahren sei bei Steuerpflichtigen, die zur Einkommensteuer zu veranlagen seien, nur ein vorläufiges Verfahren.

Art.6 des Grundgesetzes (GG) werde nicht dadurch verletzt, daß der Haushaltsfreibetrag für Alleinstehende im Hinblick auf die Eheschließung weggefallen sei.

Es habe zwar vor dem Streitjahr 1975 die Möglichkeit bestanden, nach dem inzwischen gestrichenen § 26c EStG eine besondere Veranlagung für den Veranlagungszeitraum der Eheschließung durchzuführen und den Haushaltsfreibetrag anzusetzen, wenn der zu veranlagende Ehegatte bei Beginn des Veranlagungszeitraums mit mindestens einem Kind alleinstehend gewesen sei. Auf den Fortbestand dieser Vergünstigung oder einer entsprechenden Gesetzesanwendung hätten die Kläger jedoch keinen Anspruch, da die Schaffung und Beibehaltung einer Steuervergünstigung im gesetzgeberischen Gestaltungsermessen liege.

In der Nichtanwendung des § 32 Abs.3 Nr.2 EStG liege auch kein Verstoß gegen Art.3 GG. Zwar sei der Klägerin aufgrund ihrer Wiederheirat die Möglichkeit genommen worden, für das Jahr 1975 noch den Haushaltsfreibetrag für alleinstehende Steuerpflichtige mit Kind in Anspruch zu nehmen, der ihr zugestanden hätte, wenn sie mit ihrer Eheschließung bis 1976 gewartet hätte. Hierin liege jedoch keine willkürliche Ungleichbehandlung. Der sachliche Grund für die Differenzierung ergebe sich vielmehr aus dem Sinn und Zweck des § 32 Abs.3 EStG, die steuerliche Belastung für eine "Teilfamilie" zu verringern. Dieser Grund für die Begünstigung des Alleinstehenden mit Kind sei bei der Klägerin entfallen, da sich ihre Lebensumstände durch die Heirat verändert hätten.

Die Kläger legten gegen diese, ihnen am 16.Januar 1981 zugegangene Entscheidung mit Schriftsatz vom 13.Februar 1981 Revision ein. Mit einem am 16.März 1980 aufgegebenen und an den Bundesfinanzhof (BFH) in München adressierten, beim Deutschen Patentamt am selben Tag eingegangenem Telexschreiben baten sie darum, die Revisionsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 16.April 1981 zu verlängern. Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 18.März 1981, daß dem Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nicht entsprochen werden könne, da der Antrag erst am 17.März 1981 den BFH erreicht habe, brachten die Kläger vor, eine Mitarbeiterin im Büro des Prozeßbevollmächtigten, Frau A, habe sich am 16.März 1981 telefonisch beim BFH nach dessen Telex-Nummer erkundigt. Dabei sei ihr die anschließend auch tatsächlich benutzte Telex-Nummer 523534 bpbm mit dem Hinweis genannt worden, daß der BFH diesen Telexanschluß zusammen mit dem Deutschen Patentamt unterhalte.

Sollte diese Auskunft unrichtig gewesen sein, so begehrten sie, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und dem Antrag vom 16.März 1981 auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 16.April 1981 zu entsprechen. Zur Begründung verwiesen sie auf eine eidesstattliche Erklärung von Frau A, in der sie das Vorbringen der Kläger bestätigte.

Die Kläger tragen zur Begründung der Revision vor, es verstoße gegen die Art.6, 3, 14 GG, daß sie steuerliche Nachteile im erheblichen Umfang deshalb in Kauf nehmen müßten, weil sie drei Wochen vor Jahresende geheiratet hätten. Art.6 GG enthalte entgegen der Ansicht des FG nicht nur ein "subjektives Abwehrrecht", sondern die Verpflichtung des Staates, Ehe und Familie zu fördern. Deshalb dürfe die Eheschließung auch in Ausnahmefällen zu keiner steuerlichen Benachteiligung ―und erst recht nicht zu einer rückwirkenden Schlechterstellung― führen. Eine solche sei bei ihnen aber durch die Eheschließung kurz vor Jahresende eingetreten. Hiermit hätten sie im Hinblick auf Art.6 GG nicht zu rechnen brauchen. Folge man der Ansicht des FG, so hätten sie selbst dann diese Steuernachteile hinnehmen müssen, wenn sie am 31.Dezember 1975 geheiratet hätten. Der Haushaltsfreibetrag wäre ihnen jedoch in vollem Umfang erhalten geblieben, wenn sie nur wenige Stunden später, nämlich Anfang des Jahres 1976, die Ehe geschlossen hätten. Eine solche steuergesetzliche Ungleichbehandlung sei willkürlich; sie verstoße daher gegen Art.3 GG.

Art.14 GG sei verletzt, weil der Klägerin die in einem Zeitraum von 11 Monaten des Jahres 1975 erworbene Anwartschaft auf Gewährung von Steuervorteilen nicht rückwirkend habe entzogen werden dürfen.

Die Kläger beantragen,

der Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung stattzugeben.

Das FA beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, sowie hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Die Revision ist nach § 120 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Frist für die Revisionsbegründung kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden.

Die Kläger haben diese Frist versäumt. Da dem Kläger (zugleich in seiner Eigenschaft als Prozeßbevollmächtigter seiner Ehefrau) die Vorentscheidung lt. Empfangsbekenntnis am 16.Januar 1980 zuging, hätte die Revision bis zum 16.März 1981 begründet werden müssen. Der Kläger hat zwar (zugleich als Prozeßbevollmächtigter seiner Ehefrau) am 16.März 1981 einen Antrag auf Fristverlängerung per Telex gestellt. Dieser Antrag ging jedoch am selben Tage nicht beim BFH, sondern beim Bundespatentamt in München ein. Der BFH selbst hat keinen Telex-Anschluß. Ein solcher besteht auch nicht zusammen mit dem Bundespatentamt. Das Telex-Schreiben ging beim BFH erst am 17.März 1981 ein, weil es erst an diesem Tage vom Deutschen Patentamt durch einen Boten des BFH abgeholt worden war.

Den Klägern war jedoch auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren, da sie ohne Verschulden verhindert waren, rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beim BFH zu stellen. Die Sachbearbeiterin im Rechtsanwaltsbüro des Klägers hat durch ihre eidesstattliche Versicherung vom 25.März 1981 glaubhaft gemacht, daß ihr bei einer telefonischen Anfrage beim BFH nach dessen Telex- Nummer von einem Bediensteten dieses Gerichts die sachlich unzutreffende Auskunft gegeben worden sei, die Telex-Nummer sei 523534 bpbm, und es werde dieser Telexanschluß vom BFH zusammen mit dem Deutschen Patentamt unterhalten.

2. Die Revision ist jedoch unbegründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das FA die Kläger ohne Rechtsverstoß nach § 26 Abs.1 EStG zusammen zur Einkommensteuer 1975 veranlagt hat, weil sie unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren, im Lauf des Veranlagungszeitraums 1975 geheiratet und seitdem nicht dauernd getrennt gelebt haben. Bei der Einkommensteuerzusammenveranlagung hat das FA einen Haushaltsfreibetrag nach § 32 Abs.3 Nr.2 EStG zugunsten der Klägerin zu Recht nicht berücksichtigt. Denn dies war vom Gesetzgeber durch den Hinweis in § 32 Abs.3 EStG auf die Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 32a Abs.5 EStG ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Das EStG in den Fassungen der Jahre 1969 bis 1974 kannte allerdings in § 26c die Möglichkeit einer besonderen Veranlagung für Eheleute, die im Veranlagungszeitraum die Ehe geschlossen haben. Die Eheleute wurden, wenn sie diese Art der Veranlagung nach § 26 Abs.1 EStG wählten, damals so behandelt, als wären sie unverheiratet gewesen. Die Möglichkeit einer solchen besonderen Veranlagung ist jedoch nach den zutreffenden Ausführungen des FG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1975 durch das Einkommensteuerreformgesetz (EStRG) vom 5.August 1974 ersatzlos gestrichen worden. Nach dem Urteil des Senats vom 23.Januar 1981 VI R 214/77 (BFHE 132, 293, BStBl II 1981, 316), auf das im einzelnen verwiesen wird, ist diese Gesetzesänderung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Davon ist auch das FG ausgegangen.

Entgegen der Ansicht der Kläger werden Art.3, 6 und 14 GG nicht dadurch verletzt, daß der Klägerin der ihr bis zu ihrer Verheiratung am 5.Dezember 1975 zustehende Haushaltsfreibetrag (vgl. § 32 Abs.3 Nr.2 EStG i.V.m. § 38 Nr.1 Buchst.b EStG) unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse II/1 bei der anschließenden Einkommensteuerveranlagung wegfiel. Dies beruhte auf dem Stichtagsprinzip des § 26 Abs.1 EStG, der bei der Einkommensteuerveranlagung allein darauf abstellt, ob die Steuerpflichtigen während des Veranlagungszeitraums geheiratet haben, auch wenn dies am letzten Tag des Jahres geschehen sein sollte. Hierin liegt, wie der Senat im vorgenannten Urteil in BFHE 132, 293, BStBl II 1981, 316 betont hat, ebenfalls kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG.

Im Hinblick auf dieses Stichtagsprinzip ging der Klägerin der bis zu ihrer Verheiratung gewährte Haushaltsfreibetrag verloren. Hierin liegt jedoch keine verfassungswidrige Rückwirkung bei der Anwendung von Steuergesetzen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Der Verlust des Haushaltsfreibetrages beruht nicht auf einem rückwirkend in Kraft getretenen Steuergesetz, sondern auf der Eigenart des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Wie das FG zutreffend hervorgehoben hat, ist die Lohnsteuer bei zu veranlagenden Steuerpflichtigen nur eine vorläufige Erhebungsform der Einkommensteuer. Denn nur dann, wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 46 Abs.1 und Abs.2 EStG nicht in Betracht kommt, gilt die Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfällt, nach § 46 Abs.4 EStG für den Steuerpflichtigen durch den Lohnsteuerabzug grundsätzlich als abgegolten. Ist eine Einkommensteuerveranlagung hingegen ―wie hier― nach § 46 Abs.1 oder Abs.2 EStG durchzuführen, so sind FA und Steuerpflichtiger in diesem Verfahren wegen der Vorläufigkeit des Lohnsteuerabzugsverfahrens an die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte ―wie hier die nach § 39 Abs.3 EStG einzutragende Lohnsteuerklasse― selbst dann nicht gebunden, wenn sie, wie im Streitfall, für die ersten 11 Monate des Streitjahres richtig war (vgl. zur Vorläufigkeit des Lohnsteuerabzugsverfahrens insbesondere: Gerard im Einkommensteuerkommentar von Lademann/Söffing/Brockhoff, § 46 Anm.4; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11.Aufl., § 46 Anm.6a, sowie Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19.Aufl., § 46 EStG, Anm.25 und die dort zitierte Rechtsprechung des BFH). Die Klägerin konnte daher nicht darauf vertrauen, daß ihr der Haushaltsfreibetrag auch nach der Verheiratung am 5.Dezember 1975 für die vorangegangenen 11 Monate des Jahres 1975 erhalten blieb.

Die gleichen Erwägungen lagen auch dem vorstehend erwähnten Urteil des Senats in BFHE 132, 293, BStBl II 1981, 316 zugrunde. Dort handelte es sich insoweit um den gleichen Sachverhalt, als auch in jenem Falle die Kläger Ende 1975 geheiratet und beide Ehegatten im Streitjahr 1975 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt hatten, wobei die Lohneinkünfte beim Kläger nach der Steuerklasse I und bei der Klägerin nach der Lohnsteuerklasse II/1 lohnversteuert worden waren. Der Senat hat dort ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die zu veranlagenden Steuerpflichtigen insoweit nicht schlechter gestellt werden als andere Lohnsteuerpflichtige. Denn die Gleichbehandlung beider Gruppen wird, wie der Senat betont hat, durch § 46 Abs.2 Nr.5 EStG sichergestellt, wonach beim Lohnsteuerabzugsverfahren im Jahr der Eheschließung zu Unrecht gewährte Vorteile im Wege der Veranlagung wieder rückgängigzumachen sind.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1421936

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