Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff der Lieferung von Alt- und Abfallmaterial.
Normenkette
BerlinFG § 4 Abs. 1 Nr. 15, § 6 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin, die ihren Sitz in Berlin hat, liefert Futterbrot in Containern an eine westdeutsche Erzeugergemeinschaft als Schweinefutter. Sie gewinnt das Futterbrot aus der Verwertung von Backwaren, die für den menschlichen Genuß nicht mehr geeignet erscheinen, Resten von Süßspeisen und Teigwaren sowie Fegemehl, das in Backbetrieben anfällt. Sie erwirbt diese Gegenstände von Berliner Brotfabriken, Bäckereien und Herstellern von Süß- und Teigwaren, bei denen sie für die Klägerin zum Zweck einer Vorsortierung in Containern unterschiedlicher Größe gesammelt werden. Die erworbenen Gegenstände werden bei der Klägerin auf vier verschiedene Lager verbracht. Den weitaus größten Anteil -- bis zu 70 v. H. -- umfaßt das Lager für altes verpacktes, vornehmlich aus Retouren stammendes Brot. Die kleineren Lager nehmen, jeweils getrennt, altes unverpacktes oder -- wegen Schimmels -- von Hand zu verlesendes Brot, ferner Reste von Süßspeisen und Teigwaren und schließlich das Fegemehl auf.
Schaufellader bringen das Brot des größten Lagers auf eine Schüttgrube. Von dort läuft das Brot über zwei Förderbänder und eine Magnettrommel, welche Eisenteile aussondert, in eine Auspackmaschine. In ihr werden die Brote grob zerkleinert, wobei das Papier vom Brot getrennt und zum Teil abgesaugt wird. Das zerkleinerte Brot läuft nunmehr über ein Förderband auf ein Schüttelsieb, auf dem noch einmal Papierreste abgesaugt werden. Von dort läuft das Brot über ein Verlesesieb, auf dem noch verbliebene Fremdstoffe manuell entfernt werden, in eine Misch-Schüttgosse, wo dem zerkleinerten Brot die nichtverpackten oder von Hand verlesenen Brote, die Reste von Süßspeisen und Teigwaren sowie Fegemehl, das auf einer Siebanlage durch Handverlesen, Magneteinwirkung und Förderband von Fremdstoffen befreit worden ist, aus den anderen Lagern zugefügt werden. Die auf einem Trog-Kettenförderer grob vermischten Gegenstände werden nunmehr über ein Förderband in einen Brecher transportiert. Hier werden die Gegenstände auf Verkaufsgröße zerkleinert oder vermahlen und dabei erneut gemischt. Eine hinter dem Brecher befindliche Magnettrommel entfernt etwa noch vorhandene Metallteile. Eine Propiumdosierschnecke mischt die Bestandteile, die hierbei mit einem Konservierungsmittel besprüht werden, noch einmal. Das so gewonnene Futterbrot wird abschließend über ein Gebläse in die Vertriebscontainer befördert.
Die Klägerin hat bei dem Beklagten unter Vorlage einer Rechnung vom 27. November 1979 über eine Lieferung von Futterbrot an den westdeutschen Abnehmer die Erteilung einer Ursprungsbescheinigung gemäß § 8 Berlinförderungsgesetz beantragt. Der Senator für Wirtschaft und Verkehr (Beklagter) hat den Antrag durch Bescheid vom 31. Januar 1980 mit der Begründung abgelehnt, bei dem Gegenstand der Lieferung handele es sich um zerkleinertes und begrenzt haltbar gemachtes Altbrot, für dessen Lieferungen aufgrund § 4 Abs. 1 Nr. 15 Berlinförderungsgesetz eine Kürzung nicht gewährt werden könne.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe nicht Abfall, sondern ein in einem komplizierten, systematischen, technisierten Produktionsablauf aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen hergestelltes Futterprodukt geliefert. Die Wertschöpfung sei erheblich.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr zu der Rechnung vom 27. November 1979 die Ursprungsbescheinigung zu erteilen.
Das Finanzgericht hat die Klage, dem Antrag des Beklagten entsprechend, abgewiesen. Die Klägerin habe als Ausgangsmaterial für ihr Futterbrot Alt- bzw. Abfallmaterial verwertet. Auch wenn sie dieses Material in bestimmter Weise durch Sortieren und Zerkleinern aufbereitet und dadurch einen Gegenstand anderer Marktgängigkeit geschaffen habe, sei der Charakter des bearbeiteten Materials als Alt- und Abfallmaterial nicht verlorengegangen. Solches Material werde auf dem Markt auch sortiert und von Fremdstoffen befreit zur Weiterveräußerung angeboten. Auch das Konservieren habe die Eigenschaft als Alt- und Abfallmaterial nicht aufgehoben. Die Höhe der von der Klägerin getätigten Investitionen wäre nur von Bedeutung, wenn es um die hier nicht einschlägige Frage einer mehr als geringfügigen Bearbeitung im Sinn von § 6 Berlinförderungsgesetz ginge, die als solche an sich vorliegen dürfte.
Mit der vom Finanzgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie rügt fehlerhafte Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 15 Berlinförderungsgesetz. Das mit erheblichem Investitionsaufwand ausgestattete Verfahren führe zur Gewinnung eines neuen marktgängigen Produktes, das mit dem Ausgangsmaterial nicht mehr vergleichbar sei.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
1. Der Kürzungsanspruch des Berliner Unternehmers nach § 1 Abs. 1 Berlinförderungsgesetz setzt ebenso wie der Kürzungsanspruch des westdeutschen Abnehmers nach § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes u. a. voraus, daß der gelieferte Gegenstand in Berlin (West) hergestellt worden ist. Eine Herstellung in Berlin (West) liegt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Berlinförderungsgesetz vor, wenn durch eine Bearbeitung oder Verarbeitung in Berlin (West) nach der Verkehrsauffassung ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden ist, es sei denn, daß der Gegenstand in Berlin (West) nur geringfügig behandelt worden ist. Die Kürzungen werden jedoch gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 15 Berlinförderungsgesetz u. a. nicht gewährt für die Lieferungen von Alt- und Abfallmaterial einschließlich Bearbeitungsabfällen.
Werden Altmaterialien und Abfälle vor ihrer Lieferung einer Bearbeitung oder Verarbeitung unterzogen, kommt es darauf an, ob die dadurch entstandenen Gegenstände noch als Altmaterial und Abfälle im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind. Diese Frage ist bereits dann zu verneinen, wenn die durch Bearbeitung oder Verarbeitung solcher Materialien geschaffenen Gegenstände nicht mehr vergleichbar sind mit den Ausgangsstoffen, selbst wenn sie nur aus ihnen bestehen, weil ihnen nicht die Minderwertigkeit anhaftet, die mit den Begriffen Altmaterial und Abfälle verbunden wird. Auch wenn die Vorschrift des § 6 Berlinförderungsgesetz insoweit nicht unmittelbar Anwendung findet, ist doch die Abgrenzung, nach welchen Kriterien die Schaffung eines anderen Gegenstandes anzunehmen ist, an dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift auszurichten. Denn in ihr hat der Gesetzgeber bestimmt, welche Vorgänge als förderungswürdige Herstellung anzusehen sind.
Eine Lieferung von Altmaterial und Abfällen liegt demgemäß nicht vor, wenn entsprechend § 6 Abs. 1 Satz 1 Berlinförderungsgesetz durch eine nicht nur geringfügige Bearbeitung oder Verarbeitung in Berlin (West) ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit entstanden ist und bloße Tätigkeiten der in § 6 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes bezeichneten Art nicht in Betracht kommen.
Diese Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 15 Berlinförderungsgesetz ist nach dessen Wortlaut möglich und nach dem Förderungszweck des Gesetzes sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschrift erforderlich. Das Gesetz will Produktionsvorgänge in Berlin (West) begünstigen, weil eine solche Begünstigung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im allgemeinen zur Stärkung der Berliner Wirtschaft beiträgt.
Die Begünstigung auch der Lieferungen von Altmaterial und Abfällen ist durch das Gesetz zur Änderung des Berlinförderungsgesetzes und anderer Gesetze vom 19. Dezember 1975 (BGBl I 1976, 2) beseitigt worden, dem ein entsprechender Gesetzentwurf aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zugrunde lag (BT-Drucks. 7/4194). Abschn. 1 der Begründung zu diesem Gesetzentwurf ging davon aus, daß sich die Präferenzierung der genannten Gegenstände nachteilig für Berliner Weiterverarbeiter ausgewirkt hatte, weil diese gezwungen waren, sie teuer außerhalb Berlins zu kaufen oder in Berlin mit Preisaufschlägen zu erwerben. Da die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 15 Berlinförderungsgesetz somit Weiterverarbeiter von Altmaterial und Abfällen schützen soll, kann sie nicht zu deren Nachteil ausgelegt werden. Dem steht die weitere Begründung des Gesetzentwurfs nicht entgegen, daß die Bearbeitungen von "Altstoffen" in den Unternehmen, die diese Gegenstände erfassen, "kaum nennenswert" sei, weil diese Auslegung sich nur zugunsten der Erfasser auswirkt, die eine nennenswerte Bearbeitung oder Verarbeitung vornehmen. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Frage, ob eine mehr als nur geringfügige Behandlung eines Gegenstandes im Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 1 Berlinförderungsgesetz vorliegt, entscheidend, ob und in welchem Umfang die Behandlung des Gegenstandes in einem Produktionsverfahren nach allgemeinem wirtschaftlichen und technischen Verständnis nennenswert ist und für die Belebung der Berliner Wirtschaft (Schaffung von Arbeitsplätzen, Auslösung von Investitionen u. a. m.) Bedeutung hat (Urteile vom 10. Oktober 1974 V R 160/73, BFHE 114, 146, BStBl II 1975, 130, und vom 10. Februar 1977 V R 24/76, BFHE 121, 567, BStBl II 1977, 519).
II. Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben.
Die Sache ist zur Entscheidung reif. Nach den in Abschn. I dargelegten Grundsätzen hat die Klägerin an ihren westdeutschen Abnehmer nicht Altmaterial und Abfälle geliefert, sondern durch Entfernung von Schadund Fremdstoffen, Vermischung sowie verzehrgerechte Stückelung bzw. Vermahlung und Konservierung aus solchen Gegenständen zubereitetes Viehfutter. Das ist ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit im Sinn des § 6 Abs. 1 Satz 1 Berlinförderungsgesetz. Die Behandlung der erworbenen Gegenstände war in ihrer Gesamtheit, auf die es allein ankommt, nicht lediglich geringfügig. Dies ergibt sich hinreichend aus dem nicht geringe Investitionen erfordernden Einsatz von Schaufellader, Förderbändern, Magnettrommeln, Auspackmaschine, Absaugvorrichtungen, Schüttelsieb, Verlesesieben, Trog-Kettenförderer, Brecher und Propiumdosierschnecke sowie aus dem Arbeitsplätze schaffenden Einsatz von Arbeitnehmern zum manuellen Verlesen der Schad- und Fremdstoffe, zum Bedienen der Maschinen und für den kaufmännischen Bereich des Betriebes. Durch die technische und manuelle Bearbeitung des Ausgangsmaterials hat, wie von der Klägerin unwidersprochen vorgetragen, eine erhebliche Wertschöpfung stattgefunden. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Berlinförderungsgesetz.
Die Klägerin hat demgemäß einen Rechtsanspruch auf die beantragte Ursprungsbescheinigung gemäß § 8 Abs. 1 Berlinförderungsgesetz.
Fundstellen
BStBl II 1983, 704 |
BFHE 1984, 214 |