Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert bei Antrag auf Zurückverweisung; zum Vorliegen einer Betriebsaufgabe - Umfang des Aufgabegewinns

 

Leitsatz (NV)

1. Für die Bestimmung des Streitwerts ist entscheidend, was der Rechtsmittelführer mit der Revision für sich anstrebt. Ist ein ziffernmäßiger Antrag nicht gestellt, so ist aus seinem gesamten Vorbringen der Gegenstandswert zu ermitteln.

2. Die - von der Betriebsaufgabe abzugrenzende - bloße Betriebsverlegung hat die Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit zur Voraussetzung.

3. Zum Aufgabegewinn gehören neben den im Rahmen der Betriebsaufgabe erzielten Veräußerungsgewinnen auch die stillen Reserven der zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5; EStG §§ 14, 16

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute.

Die Klägerin betrieb eine Gärtnerei in B-L auf einem 16 504 qm großen Grundstück. Nachdem das Areal als Bauland ausgewiesen worden war, veräußerte sie das Grundstück mit Vertrag vom 23. August 1974 zu einem Quadratmeterpreis von 200 DM für 3 300 800 DM an ein Wohnbauunternehmen mit Lastenwechsel zum 1. Oktober 1974. Mit Vertrag von 13. September 1974 und Lastenwechsel zum 20. September 1974 erwarb die Klägerin ein 11 360 qm großes Gärtnereigrundstück in B-S. Dorthin wurden u.a. die auf dem Grundstück in L befindlichen Gewächshäuser, das Rosenhaus sowie sonstiges noch nutzbares Anlagevermögen verbracht. Zum 1. Oktober 1974 verpachtete die Klägerin die Gärtnerei in S an ihren Sohn für eine Jahrespacht von 12 000 DM.

Anschließend teilte sie dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) mit Schreiben vom 10. Oktober 1974 mit, daß das in L ,,geführte gärtnerische Unternehmen wegen Veräußerung des Betriebsgrundstücks zum 30. September 1974 endgültig eingestellt" worden sei und die Kläger nur noch Einkünfte aus Kapitalvermögen hätten.

Im Anschluß an eine Außenprüfung nahm das FA eine Teilveräußerung mit dem Ziel der Betriebsverlegung an. Dementsprechend unterwarf es bei der Einkommensteuerveranlagung den Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks in L dem vollen Steuersatz und behandelte die Einnahmen aus der Verpachtung des Gärtnereibetriebes in S als landwirtschaftliche Einkünfte.

Mit ihrer - nach erfolglosem Einspruchsverfahren - erhobenen Klage machten die Kläger geltend, der Veräußerungsgewinn in Höhe von 1 068 437 DM sei nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt zu besteuern. Im Verlaufe des Klageverfahrens brachten die Kläger vor, daß sie den ,,Mutterboden und sämtliche Immergrün- und andere Pflanzen" bereits am 14. August 1974 für 274 200 DM veräußert hätten. Im geänderten Einkommensteuerbescheid vom 11. Februar 1983 erhöhte das FA den Gewinn für das Streitjahr um diesen Betrag. Nachdem die Kläger gegen den Änderungsbescheid zunächst Einspruch eingelegt hatten, der vom FA zurückgewiesen war, beantragten sie, den Bescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und einen Aufgabegewinn von 1 342 637 DM zugrunde zu legen.

Die Klage hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hielt den Antrag nach § 68 FGO für zulässig, weil er innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung der Einspruchsentscheidung gestellt worden sei. Zur Begründung führte es weiter aus, die Klägerin habe ihren landwirtschaftlichen Betrieb nach der Veräußerung des Grundstücks in L, dem damit im engen zeitlichen Zusammenhang stehenden Erwerb des Grundstücks in S und der Verpachtung dieses Grundstücks an ihren Sohn zum Betrieb einer Gärtnerei aufgegeben. Daß sie noch brauchbare Teile des Anlagevermögens nach S verbracht habe, begründe nicht die Annahme einer Betriebsverlegung. Der Wille zur Betriebsaufgabe sei hinreichend belegt. Insbesondere gehe aus dem Schreiben der Klägerin vom 10. Oktober 1974 an das FA deutlich hervor, daß die Klägerin künftig keine Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mehr habe erzielen wollen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 14, 16 EStG. Bei Annahme der Aufgabe des Betriebes hätte das FG gemäß § 16 Abs. 3 EStG die stillen Reserven der zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter der Besteuerung unterwerfen müssen. Dadurch erhöhe sich der zu versteuernde Gewinn aus der Aufgabe des Betriebes um mindestens 136 806 DM mit einer steuerlichen Auswirkung von 25 368 DM.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Bei dem nunmehrigen Vortrag des FA handele es sich um unzulässiges neues tatsächliches Vorbringen. Für das FG habe keinerlei Anlaß bestanden, dem Gesichtspunkt denkbarer stiller Reserven nachzuspüren. Aus dem Akteninhalt sei nicht ersichtlich gewesen, daß die überführten Wirtschaftsgüter stille Reserven enthielten. Bei Berücksichtigung der - nach den Feststellungen der Außenprüfung - allenfalls vorhandenen stillen Reserven liege der Streitwert unter 10 000 DM.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Gemäß § 115 Abs. 1 1. Alternative FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der bis zum 16. Juli 1985 geltenden Fassung findet die Revision ohne Zulassung nur statt, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt.

Die Bestimmung des Streitgegenstandswerts für die Zulässigkeit der Revision richtet sich nach § 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. November 1983 II R 157/81, BFHE 139, 357, BStBl II 1984, 204, m.w.N., und vom 8. März 1977 VII R 3/76, BFHE 122, 8, BStBl II 1977, 614). Entscheidend ist, was der Beteiligte mit der Revision für sich anstrebt (vgl. z. B. Beschlüsse des BFH vom 14. Dezember 1970 IV B 87/70, BFHE 101, 41, BStBl II 1971, 206, und vom 15. Juni 1973 VI B 6/73, BFHE 109, 424, BStBl II 1973, 685). Ist ein ziffernmäßiger Antrag nicht gestellt, so ist aus dem gesamten Vorbringen des Rechtsmittelführers der Gegenstandswert zu ermitteln (BFH-Beschluß vom 6. August 1971 III B 4/71, BFHE 103, 303, BStBl II 1972, 89).

Danach beläuft sich das Interesse des FA an der Revisionsentscheidung auf deutlich über 10 000 DM. Mit seinem Antrag auf Zurückverweisung will es nach den Darlegungen in seiner Revisionsbegründung die Erhöhung des vom FG angesetzten Aufgabegewinns mit einer sich daraus ergebenden steuerlichen Auswirkung von 25 368 DM erreichen.

Dagegen läßt sich nicht unter Hinweis auf den Beschluß des BFH vom 25. Oktober 1974 IV R 4/71 (BFHE 114, 162, BStBl II 1975, 234) einwenden, der Antrag sei willkürlich erweitert. Im Klageverfahren hat das FA mit seinem Antrag auf Klageabweisung an seiner Steuerfestsetzung auf der Grundlage eines laufenden Veräußerungsgewinns uneingeschränkt festgehalten. Demgegenüber bleibt die steuerliche Auswirkung des nunmehrigen Begehrens hinter dem ursprünglich verfolgten Interesse und der sich aus dem der Klage stattgebenden Urteil des FG daraus ergebenden Beschwer (vgl. BFH-Beschluß vom 10. August 1978 IV R 12/78, BFHE 126, 3, BStBl II 1979, 27) weit zurück. Damit hat das FA aber sein Begehren nicht erweitert, sondern es im Gegenteil sogar eingeschränkt.

Die vom Kläger vertretene Auffassung, wonach der Ansatz stiller Reserven in dem vom FA angenommenen Umfang nicht haltbar sei, betrifft die Erfolgsaussichten der Revision und nicht das für die Zulässigkeit allein maßgebliche Revisionsbegehren des FA.

2. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da die Rüge des FA begründet ist.

a) Zutreffend ist das FG allerdings davon ausgegangen, daß der Antrag der Kläger nach § 68 FGO noch gestellt werden konnte (vgl. Urteil des BFH vom 8. Oktober 1985 VIII R 78/82, BFHE 145, 106, BStBl II 1986, 302).

b) Auch die Annahme einer Betriebsaufgabe begegnet keinen Bedenken.

Die bloße Betriebsverlegung, von der das FA ursprünglich ausgegangen ist, hätte die Fortsetzung der bisherigen betrieblichen Tätigkeit zur Voraussetzung (BFH- Urteil vom 3. Oktober 1984 I R 116/81, BFHE 142, 381, BStBl II 1985, 131; vgl. auch BFH-Urteil vom 28. März 1985 IV R 88/81, BFHE 143, 559, BStBl II 1985, 508).

Demgegenüber hat das FG jedoch festgestellt, daß die Klägerin - entsprechend ihrem Schreiben an das FA vom 10. Oktober 1974 - die wesentlichen Betriebsgrundlagen der in L geführten Gärtnerei veräußert oder in das Privatvermögen übernommen hat und daß sie in S nicht erneut eine Gärtnerei eingerichtet hat. Diese Feststellungen sind vom FA nicht mit Revisionsrügen angegriffen worden.

c) Gemäß § 14 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG i.V.m. § 16 Abs. 2 EStG gehören neben den im Rahmen der Betriebsaufgabe durch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens erzielten Veräußerungsgewinnen auch die stillen Reserven der zurückbehaltenen und ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter zum Aufgabegewinn. Das FG hat aber lediglich die Veräußerungsgewinne berücksichtigt. Wie es zu diesem Ergebnis gelangt ist, vermag der erkennende Senat als Revisionsgericht aufgrund der Feststellungen des FG nicht nachzuvollziehen. Denn an keiner Stelle seines Urteils ist erwähnt, aus welchen Gründen das FG hinsichtlich der nicht veräußerten Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, deren Vorhandensein es ausdrücklich festgestellt hat, keine stillen Reserven angenommen hat. Insoweit ist die Entscheidung des FG durch keine tatsächlichen Feststellungen gedeckt. Darin liegt eine fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts, die zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen muß (BFH-Urteil vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, BStBl II 1987, 616, m.w.N.).

Mit ihren Einwendungen gegen die Revision unterstellen die Kläger eine tatsächliche Würdigung des FG, für die sich indes im Urteil keinerlei Anhaltspunkt findet. Das Vorbringen der Kläger betrifft die Frage, ob im Falle entsprechender Feststellungen des FG - nämlich der Verneinung stiller Reserven aufgrund des Akteninhalts - das FA im Revisionsverfahren mit neuen Tatsachen gehört werden könnte. Da es im Streitfall an der Feststellung und Würdigung der erheblichen Tatsachen in dem von den Klägern vorgetragenen Sinne gerade fehlt, stellt sich diese Frage aber nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415889

BFH/NV 1989, 368

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