Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkurrenz zwischen § 17 und §§ 22 Nr. 2, 23 EStG
Leitsatz (NV)
§ 17 EStG hat Vorrang vor § 22 Nr. 2, § 23 EStG (Anschluß an das BFH-Urteil vom 4. November 1992 X R 33/90, BFHE 169, 357, BStBl II 1993, 292).
Normenkette
EStG §§ 17, 22 Nr. 2, § 23 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Vertrag vom 12. März 1986 gründete der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) mit Herrn A und Herrn B die C-GmbH (GmbH). Vom Stammkapital der GmbH in Höhe von 90000 DM übernahm Herr A 31500 DM, Herr B 29700 DM und der Kläger 28800 DM. Die Hälfte der übernommenen Stammeinlagen war sofort zu erbringen, der Rest auf Anforderung.
Mit Vertrag vom 10. Juli 1986 verkaufte der Kläger seinen Geschäftsanteil und trat ihn an die Erwerber, seine Mitgesellschafter und deren Ehefrauen, ab. Bereits am 9. Juli 1986 war nach den Angaben des Klägers zwischen ihm und der GmbH folgende Vereinbarung getroffen worden:
Herr D (der Kläger) zahlt einen Schadensersatz und die entstandenen Kosten durch seinen Austritt lt. beigefügter Aufstellung in Höhe von insgesamt 21195 DM. Darauf wird der einbezahlte Geschäftsanteil von 14400 DM angerechnet, so daß noch 6795 DM zu begleichen sind.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1986 machte der Kläger einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 21858,87 DM geltend, der der Höhe nach nicht streitig ist.
Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen: Er habe beabsichtigt, im Jahre 1986 einen Gewerbebetrieb zu gründen. Er habe sich darüber hinaus an der GmbH beteiligt, weil er für sie auf selbständiger Basis Leistungen erbringen wollte. Der neben der GmbH-Beteiligung bestehende Gewerbebetrieb sei aber im gleichen Jahr wieder erloschen, da sich die gesamte Planung zerschlagen habe.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte die Veräußerung des GmbH-Anteils als Spekulationsgeschäft und ließ den geltend gemachten Verlust nicht zum Abzug zu. Nach vergeblichem Einspruch erhob der Kläger Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab. Zur Begründung führt das FG aus:
Der geltend gemachte Verlust stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verkauf der GmbH-Beteiligung. Im Streitfall sei offensichtlich eine tätige Beteiligung des Klägers an der GmbH vorgesehen gewesen. Da sich schon bald nach Gründung der GmbH herausgestellt habe, daß für den Bereich des Klägers nicht genügend Aufträge hereinkamen, habe der Kläger beabsichtigt, einen eigenen Gewerbebetrieb ... zu gründen. Nachdem dieser Antrag keine Aussicht auf Erfolg versprochen habe, habe sich der Kläger offensichtlich dafür entschieden, wie bisher als Arbeitnehmer tätig zu bleiben. Unter diesen Umständen seien die übrigen GmbH-Gesellschafter mit dem Ausscheiden des Klägers aus der GmbH einverstanden gewesen, allerdings unter der Voraussetzung des Ersatzes des durch den Kläger verursachten Schadens bzw. der durch ihn verursachten Aufwendungen.
Der Verlust sei jedoch kein nicht ausgleichsfähiger Spekulationsverlust, sondern ein nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigender Verlust aus Gewerbebetrieb. Das FG folge der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht, wonach § 23 EStG dem § 17 EStG vorgehe.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 und 3 EStG). Das FG sei ferner von den Grundsätzen der BFH-Urteile vom 28. Februar 1974 VIII R 83/69 (BFHE 112, 574, BStBl II 1974, 706) und vom 6. Februar 1970 VI R 186/67 (BFHE 98, 346, BStBl II 1970, 400) abgewichen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten und verweist zunächst auf seine Stellungnahme im Verfahren X R 33/90. Ergänzend dazu führt er aus:
Bei einer von vornherein ins Auge gefaßten kurzfristigen Veräußerung einer mitunternehmerischen Beteiligung sei es äußerst fraglich, ob der betreffende Gesellschafter überhaupt nennenswerte Mitunternehmerinitiative entwickeln könne. Wenn aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Befristung einer mitunternehmerischen Beteiligung der betreffende Gesellschafter nach der BFH-Rechtsprechung nicht Mitunternehmer sei, so erziele er auch keine Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. § 17 EStG fingiere gewerbliche Einkünfte erst für längerfristige Vorgänge und schließe sie während der Spekulationsfrist aus.
Verluste könnten ferner steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht vorliege. Ansonsten handle es sich um steuerlich unbeachtliche Liebhaberei.
Der BMF weist auf das Urteil des I.Senats vom 13. Dezember 1989 I R 25/86 (BFHE 159, 449, BStBl II 1990, 1056) sowie die Äußerungen von Beratern in Steuer und Wirtschaft 1992, 151 hin und ist ferner der Ansicht, daß der X.Senat mit seinem Urteil vom 4. November 1992 X R 33/90 (BFHE 169, 357, BStBl II 1993, 292) auch vom Urteil des IX.Senats vom 12. Juli 1988 IX R 149/83 (BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942) abweiche.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht 21859 DM einkünftemindernd zum Abzug zugelassen.
1. Der erkennende Senat teilt die Ansicht des Klägers, daß der geltend gemachte Betrag gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 und § 4 Abs. 1 EStG im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen ist, wenn die Beteiligung des Klägers an der GmbH zu seinem Betriebsvermögen gehörte.
Die Feststellungen des FG reichen aber nicht aus, davon auszugehen. Danach war der Entschluß des Klägers, als ... selbständig gewerblich tätig zu werden, noch nicht endgültig gefaßt (zu dieser Voraussetzung BFH-Urteil vom 15. April 1992 III R 96/88, BFHE 168, 133, BStBl II 1992, 819), und sein Genehmigungsantrag möglicherweise nur als unverbindlicher Versuch zu werten.
Damit steht allerdings sein Vortrag im Widerspruch, wonach der Einzelgewerbebetrieb zugleich mit der Gründung der GmbH (und dem Erwerb des GmbH-Anteils) geplant und bereits in die Wege geleitet war. Zur Klärung des Widerspruchs ist es jedoch nicht erforderlich, die Sache an das FG zurückzuverweisen, denn jedenfalls im Ergebnis ist die Einkommensteuer auch dann zutreffend festgesetzt worden, wenn man nicht davon ausgehen kann, daß sich die GmbH-Beteiligung im Betriebsvermögen, sondern vielmehr im Privatvermögen des Klägers befunden hat.
2. In diesem Fall führen die Zahlungen des Klägers als Veräußerungskosten zu einem Verlust gemäß § 17 Abs. 2 EStG.
Der Kläger war an der GmbH wesentlich beteiligt. Die streitigen Aufwendungen standen in unmittelbarer sachlicher Beziehung zur Veräußerung seines Geschäftsanteils (zu den Voraussetzungen der Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320). Davon sind im Streitfall das FA und FG ausgegangen. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Der BFH hat Veräußerungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG bei einer Zahlung bejaht (aufgrund einer Verpflichtung, die Hälfte des Veräußerungserlöses an einen Dritten zu zahlen), die durch den Verkauf bedingt war (Urteil vom 5. Oktober 1976 VIII R 38/72, BFHE 120, 471, BStBl II 1977, 198). Dies trifft auch auf die hier streitigen Zahlungen zu, denn nach dem Vortrag des Klägers und den insoweit übereinstimmenden Feststellungen des FG war die Zahlung Voraussetzung für sein Ausscheiden aus der GmbH.
Wie der BFH in seinem Urteil vom 4. November 1992 X R 33/90 (BFHE 169, 357, BStBl II 1993, 292) entschieden hat, hindert der Umstand, daß die GmbH-Beteiligung innerhalb der Frist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG veräußert worden ist, die Berücksichtigung der streitigen Aufwendungen nicht, denn § 17 EStG hat Vorrang vor § 22 Nr. 2, § 23 EStG. Die neuerlichen Einwände des beteiligten BMF geben dem erkennenden Senat keinen Anlaß, seine Ansicht - er hat der Entscheidung des X.Senats auf Anfrage zugestimmt - zu revidieren. So spricht im Streitfall nichts dafür, daß von vornherein nur eine kurzfristige Beteiligung ins Auge gefaßt worden war. Im übrigen kommt es auf die Dauer der Beteiligung nicht an (BFH-Urteile vom 7. Juli 1992 VIII R 54/88, BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, und VIII R 56/88, BFH/NV 1993, 25). Schließlich sind auch keine Anzeichen dafür erkennbar, daß zur Erzielung von steuerlichen Vorteilen eine mißbräuchliche rechtliche Gestaltung gegeben ist (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Ebensowenig gibt es Anzeichen dafür, daß der Kläger keine Absicht hatte, durch die Beteiligung an der GmbH Einkünfte zu erzielen. Sein Vortrag und die Feststellungen des FG sprechen für das Gegenteil. Wenn es dazu dennoch nicht gekommen ist, schließt dies allein die Geltendmachung ihrem Charakter nach vergeblicher Aufwendungen nicht aus.
Die Entscheidung des X.Senats weicht nicht vom Urteil des I.Senats in BFHE 159, 449, BStBl II 1990, 1056 ab. Mit dieser Frage hat sich bereits der X.Senat in seiner Entscheidung auseinandergesetzt (zu 4. b).
Die Entscheidung des X.Senats weicht auch nicht vom Urteil des IX.Senats in BFHE 154, 93, BStBl II 1988, 942 ab. Der IX.Senat stellt zwar fest, daß nach Entscheidungen des VI. und VIII.Senats § 23 EStG dem § 17 EStG vorgeht. Das ist aber keine die Entscheidung tragende Aussage (zu dieser Voraussetzung vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 11 Rdnr. 2). Im Urteil des IX.Senats ging es allein um die Anwendung von § 23 EStG i.V.m. § 42 AO 1977 auf die Veräußerung eines Grundstücks nach dessen unentgeltlichem Erwerb und in diesem Zusammenhang lediglich um die entsprechende Anwendung eines zum Rechtsmißbrauch bei § 17 EStG ergangenen BFH-Urteils; die Vorrangigkeit der Vorschriften war dafür ohne Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 64562 |
BFH/NV 1994, 615 |