Leitsatz (amtlich)
Der nicht getrennte beschädigte Teil eines Gegenstandes kann nicht für sich tarifiert werden. Er ist auch kein besonderer Stoff oder Bestandteil im Sinne der ATV Nr. 3 b. Die Beschädigung kann aber bei der Festsetzung des Zollwerts berücksichtigt werden.
Normenkette
ATV Nr. 3 b; Tarifnr. 47.02 – A - I; Tarifnr. 48.01; ZG § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 35 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin ließ 55 Rollen Halbzellstoff (Flutingpapier) der Tarifnr. 48.01 – E – II – f – 2 zum freien Verkehr abfertigen. Das Zollamt (ZA) erhob die Eingangsabgaben (Zollsatz 14,4 %, Ausgleichsteuersatz 8 %) auf der Grundlage des Rechnungspreises. Auf den Einspruch der Klägerin, die über den Umfang der Beschädigung von fünf Rollen während des Umschlages ein Schadensattest vorlegte, berichtigte das ZA den Steuerbescheid, indem es von der Gesamtmenge Flutingpapier die beschädigte Menge abzog und dem für die unbeschädigte Menge auf der Grundlage des Rechnungspreises festgestellten Zollwert den Wert der beschädigten Ware auf der Grundlage von 12,50 DM je 100 kg hinzusetzte. Dies führte zu einer Erstattung … DM Zoll und Ausgleichsteuer. Die Klägerin begehrte jedoch mit ihrem erneut eingelegten Einspruch die Behandlung der beschädigten Ware als abgabenfreies Altpapier der Tarifnr. 47.02 – A – I.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision wendet sich die Klägerin gegen die zolltarifliche Behandlung des Flutingpapiers nach den jeweiligen Rollen. Das Aufspulen in Rollen stelle lediglich einen Vorgang der Verpackungstechnik dar. Denn die einzelne Rolle enthalte keine bestimmte Menge Flutingpapier, sondern variable Mengen, jeweils den praktischen Bedürfnissen entsprechend. Deshalb werde Flutingpapier auch nicht nach Rollen gehandelt und berechnet, sondern nach Gewicht und Preis je 100 kg. Die vom FG angewendete Allgemeine Tarifierungs-Vorschrift (ATV) Nr. 3 b betreffe die Tarifierung von Gemischen und Waren aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen. Im Streitfall handle es sich um zwei verschiedene Waren, Flutingpapier und Papierabfälle. Durch das Schadensattest sei festgestellt, wie die beiden Waren anteilmäßig auf das Gesamtgewicht aufgeteilt sind. Da diese Mengen konkret feststellbar seien, komme es nicht darauf an, ob das Papier zusammenhänge oder durch Schnitte getrennt sei. Das ZA hätte daher die beschädigten Teile ihrer Beschaffenheit gemäß nach Tarifnr. 47.02 – A – I abfertigen müssen. Dies entspreche auch den mit den Abgabensätzen bezweckten wirtschaftlichen und fiskalischen Zielen, da die wirtschaftliche Bestimmung und Verwendungsmöglichkeit beider Waren grundsätzlich verschieden seien.
Nach Ansicht des HZA handelt es sich nicht um zwei verschiedene Waren, Flutingpapier einerseits und Papierabfälle andererseits. Der beschädigte Teil der Ware, nämlich die äußeren Lagen der Rollen, sei im Zeitpunkt der Abfertigung zum freien Verkehr mit dem unbeschädigten Teil fest verbunden gewesen. Zur Abfertigung seien daher beschädigte Rollen Flutingpapier gestellt worden, also eine einheitliche Ware, die nach ihrer gesamten Beschaffenheit im maßgebenden Zeitpunkt zu tarifieren gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
Bei der Abfertigung einer Ware zum freien Verkehr ist deren Beschaffenheit in dem Zeitpunkt maßgebend, in dem der Zollantrag gestellt worden oder wirksam geworden ist (§ 35 Abs. 1 ZG). Der Gegenstand der Abfertigung ergibt sich aus § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 ZG. Danach sind „Waren” alle beweglichen körperlichen Gegenstände im Sinne des § 90 BGB, die Gegenstand des Warenverkehrs sein können und als solche, d. h. in dem jeweiligen körperlichen Zustand, zur Abfertigung gestellt werden (vgl. Bail-Schädel-Hutter, Zollgesetz § 1 Anm. 1; Schwarz-Wockenfoth, Zollgesetz § 1 Anm. 4). Ob, wie im Streitfall, das Papier bzw. die Pappe lediglich aus verpackungstechnischen Gründen auf eine Rolle aufgespult ist und ob das Papier bzw. die Pappe nicht nach Rollen, sondern nach dem Gewicht gehandelt wird, ist insoweit ohne Bedeutung. Maßgebend ist der zur Abfertigung gestellte körperliche Gegenstand, Sollte daher der beschädigte Teil des Papiers nach seiner Beschaffenheit zollamtlich behandelt werden, so hätte es vor Stellung des Zollantrags im Wege der Umwandlung gemäß § 9 Abs. 3 ZG von der Rolle abgespult und gesondert zur Abfertigung gestellt werden müssen.
Wie die Beschaffenheit des zur Abfertigung gestellten Gegenstandes zolltariflich zu beurteilen ist, ist im Zolltarif (ZT) geregelt. Maßgebend hierfür sind in erster Linie der Wortlaut der Tarifnummern mit ihren Anmerkungen und die Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln, in zweiter Linie die ATV (siehe ATV Nr. 1 Sätze 2 und 3). Danach können unter Umständen die Teile eines zerlegt eingehenden Gegenstandes wie die entsprechend zusammengesetzte Ware, also wie eine Ware tarifiert werden (vgl. Vorschrift 4 zu Abschnitt XVI des ZT und Erläuterungen 3 zu Kap. 90). Für einen Gegenstand können auch mehrere Tarifnummern in Betracht kommen. Er kann aber nur einer dieser Tarifnummern und nicht etwa nach seinen Bestandteilen aufgeteilt mehreren Tarifnummern zugewiesen werden (vgl. ATV Nr. 3). So gehören nach der Vorschrift 3 zu Kapitel 48 Papiere und Pappen, die die Merkmale zweier oder mehrerer der Tarifnummern 48.01 bis 48.07 aufweisen, zu der zuletzt aufgeführten in Betracht kommenden Tarifnummer. Nach der ATV Nr. 3 a geht die Tarifnummer mit der genaueren Warenbezeichnung den Tarifnummern mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Kann danach nicht tarifiert werden, so ist bei Gemischen und Waren aus verschiedenen Stoffen und Bestandteilen die Tarifnummer für den charakterbestimmenden Stoff oder Bestandteil nach der ATV Nr. 3 b maßgebend. Im ZT wird auch nicht unterschieden, ob eine Ware unversehrt oder teilweise beschädigt ist. Deshalb kann ein (nicht getrennter) beschädigter Teil einer Ware nicht anders tarifiert werden als der unbeschädigte Teil. Entweder fällt eine solche Ware unter die Tarifnummer der betreffenden Warenart oder ist sie insgesamt als Abfall oder Schrott zu tarifieren. Ob Letzteres zu geschehen hat, hängt vom Ausmaß und Grad der Beschädigung ab. Voraussetzung ist z. B. bei Bearbeitungsabfällen und Schrott des Abschnitts XV (siehe Vorschrift 6 dazu), daß sie nur noch zum Wiedergewinnen des Metalls oder bei dem Herstellen chemischer Erzeugnisse usw. verwendet werden können. Insbesondere gehören zu Papier- und Pappabfällen der Tarifnr. 47.02 – A – I nur solche Stanz- oder Schnittabfälle, zerrissene Bogen usw., die nach Beschaffenheit und Aufmachung nur, also insgesamt, als Rohstoff zur Halbstoffgewinnung, nicht aber zu anderen Zwecken (z. B. als Einwickelpapier) verwendet werden können (Erl. I [2] zu Tarifnr. 47.02).
Ist der körperliche Gegenstand, im Streitfalle die Papierrolle, in teilweise beschädigtem Zustand zur Abfertigung gestellt worden, so bleibt diese Rolle dennoch ein einheitlicher körperlicher Gegenstand im Sinne von § 90 BGB, auch wenn zolltariflich der beschädigte Teil für sich betrachtet – wenn er also vor der Abfertigung von dem unbeschädigten Teil der Rolle abgetrennt und als besonderer Gegenstand zur Abfertigung gestellt worden wäre – als eine Ware von anderer Beschaffenheit, nämlich als Papierabfall, zu behandeln gewesen wäre. Der Umstand, daß der beschädigte Teil nicht mehr für den vorgesehenen Zweck verwendet werden kann und daher einem anderen wirtschaftlichen Zweck als der unbeschädigte Teil zugeführt wird; kann nicht zu einer gesonderten Tarifierung des beschädigten Teiles führen. Zwar kann in diesem Falle der mit dem Zollsatz bezweckte Zollschutz für die unbeschädigte Ware höher zu veranschlagen sein als für die beschädigte Ware, die auch bei einer gesonderten zolltariflichen Behandlung in den Genuß der Abgabenfreiheit käme. Zollrechtlich kann dies jedoch nur dadurch erreicht werden, daß der beschädigte Teil vor der Abfertigung abgespult wird, ggf. zu Altpapier unter Zollaufsicht gemäß § 9 Abs. 3 ZG umgewandelt und in dieser Beschaffenheit gesondert zur Abfertigung gestellt wird. Ferner kann die durch die Beschädigung eingetretene Wertminderung durch Herabsetzung des Zollwerts berücksichtigt werden, was im Streitfall auch geschehen ist.
Im Streitfall war der beschädigte Teil, nämlich die äußeren Lagen der Rollen, mit dem unbeschädigten Teil fest verbunden. Auch bestand die beschädigte Rolle jeweils nur aus einem Stoff, nämlich aus Halbzellstoff. Demnach kann es sich bei der einzelnen beschädigten Papierrolle in keinem Falle um zwei verschiedene Waren, nämlich Flutingpapier einerseits und um Papierabfälle andererseits, handeln. Die Ware wurde daher vom ZA entsprechend der Zollanmeldung zutreffend der Tarifnr. 48.01 – E – II – f – 2 zugewiesen. Ob sich der vom ZA der Wertminderung zugrunde gelegte, im Schadensattest angegebene Restwert des beschädigten Teils auf die Verwendungsmöglichkeit als Papierabfall, nicht aber als Flutingpapier – wie die Klägerin meint – bezog, ist aus dem Schadensattest nicht zu ersehen. Dies kann auch dahingestellt bleiben. Denn auch bei Annahme des Abfallwertes würde es sich um eine Bewertung der jeweils zur Abfertigung gestellten Papierrolle im ganzen handeln. Die Wertminderung kann dabei auf verschiedene Weise – im Streitfall ist es durch Schätzung des Restwertes der beschädigten Teile geschehen – festgestellt werden.
Allerdings hat die Vorinstanz dieses Ergebnis damit gerechtfertigt, daß sie in Anwendung der ATV Nr. 3 b den unbeschädigten Teil der Rolle als den charakterbestimmenden Bestandteil ansah. Dem kann nicht gefolgt werden. Denn die ATV lassen sich nur dann anwenden, wenn in den Tarifnummern nichts anderes bestimmt ist (ATV Nr. 1 Satz 3). Wie oben ausgeführt, läßt sich aber ein einheitlicher körperlicher Gegenstand auch tariflich nicht in der Weise aufteilen, daß der unbeschädigte Teil anders als der beschädigte Teil tarifiert wird. Da somit für eine Ware allein wegen ihrer teilweisen Beschädigung mehrere Tarifnummern nicht in Betracht kommen, kann die ATV Nr. 3 nicht angewendet werden. Daraus folgt wiederum, daß der beschädigte und der unbeschädigte Teil einer Ware nicht verschiedene Stoffe oder Bestandteile im Sinne der ATV Nr. 3 b sein können. Im Streitfall ist die Beschaffenheit des unbeschädigten Teils schon deshalb allein maßgebend, weil dieser seiner Beschaffenheit und Aufmachung nach nicht nur als Rohstoff zur Halbstoffgewinnung, sondern auch zu anderen Zwecken, insbesondere zur Herstellung von Wellpappen verwendet und daher jeweils die ganze Rolle nicht als Papierabfall im Sinne der Tarifnr. 47.02 – A – angesehen werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 514720 |
BFHE 1970, 269 |