Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufteilung des Pflegepauschbetrags nach Anzahl der tatsächlich Pflegenden
Leitsatz (amtlich)
Der Pflegepauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG ist nicht nach der Zahl der Personen aufzuteilen, welche bei ihrer Einkommensteuerveranlagung die Berücksichtigung eines Pflegepauschbetrages begehren, sondern nach der Zahl der Steuerpflichtigen, welche eine hilflose Person in ihrer Wohnung oder in der Wohnung des Pflegebedürftigen tatsächlich persönlich gepflegt haben.
Orientierungssatz
Das Wahlrecht in § 33b Abs.6 Satz 1 EStG ist keine tatbestandliche Voraussetzung der Norm, sondern gehört auf die Rechtsfolgeseite (Ausführungen zu der der Norm zugrundeliegenden typisierenden Betrachtungsweise sowie zu Sinn und Zweck der Norm).
Normenkette
EStG 1990 § 33b Abs. 6 Sätze 1, 3 Fassung 1990-09-07, S. 5 Fassung 1995-10-11
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) pflegte im Streitjahr (1991) seinen pflegebedürftigen Vater gemeinsam mit seiner Mutter in deren Wohnung. Er beansprucht wegen seiner Pflegeleistungen den vollen Pflegepauschbetrag nach § 33b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei der Veranlagung des Klägers jedoch wegen der Pflegeleistungen der Mutter nur den halben Pflegepauschbetrag.
Der dagegen erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 1226 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG verletzt § 33b Abs. 6 EStG.
Nach § 33b Abs. 6 Satz 1 EStG in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 7. September 1990 (EStG 1990) kann wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die einem Steuerpflichtigen durch die Pflege eines anderen erwachsen, der --in einem in der Vorschrift näher beschriebenen Ausmaß-- hilflos ist, anstelle einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG ein Pflegepauschbetrag geltend gemacht werden. Nach § 33b Abs. 6 Satz 2 EStG 1990 ist Voraussetzung, daß der Steuerpflichtige die Pflege im Inland entweder in seiner Wohnung oder in der Wohnung des Pflegebedürftigen persönlich durchführt. Wird ein Pflegebedürftiger in einem Veranlagungszeitraum von mehreren Steuerpflichtigen gepflegt, so schreibt § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG 1990 (jetzt § 33b Abs. 6 Satz 5 EStG n.F.) vor, daß der Pflegepauschbetrag nach der Zahl der Pflegepersonen, bei denen die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 vorliegen, geteilt wird. Diese Vorschrift ist nicht dahin auszulegen, daß der Pflegepauschbetrag nach der Zahl der Personen aufzuteilen ist, welche bei ihrer Einkommensteuerveranlagung die Berücksichtigung eines Pflegepauschbetrages begehren; die Aufteilung hat vielmehr nach der Zahl der Steuerpflichtigen zu erfolgen, die eine hilflose Person in ihrer Wohnung oder in der Wohnung des Pflegebedürftigen tatsächlich persönlich gepflegt haben.
Der Gesetzesbefehl des § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG 1990, den Pauschbetrag nach der Zahl der Pflegepersonen aufzuteilen, bei denen die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 vorliegen, ist allerdings seinem Wortsinne nach nicht in jeder Hinsicht klar. Denn solche Voraussetzungen, welche die Person des Steuerpflichtigen und derjenigen betreffen, die neben ihm die Pflege einer hilflosen Person übernommen haben, finden sich zwar in Satz 2 (persönliche Durchführung der Pflege im Inland entweder in der eigenen Wohnung oder in der des Pflegebedürftigen). Hingegen stellt Satz 1 nicht in erster Linie Voraussetzungen auf, welche von der Pflegeperson erfüllt werden müssen, sondern solche, die den Pflegebedürftigen betreffen (nicht nur vorübergehende Hilflosigkeit). Ferner eröffnet Satz 1 allerdings für die Pflegeperson ein Wahlrecht, zur Abgeltung von Pflegeaufwendungen anstelle einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG den Pauschbetrag in Anspruch zu nehmen. Dieses Wahlrecht ist jedoch keine tatbestandliche Voraussetzung der Norm, sondern gehört auf die Rechtsfolgeseite. Denn das Bestehen eines Wahlrechts ist die rechtliche Folge, wenn sämtliche der vorgenannten Voraussetzungen bei der Pflegeperson und dem Pflegebedürftigen gegeben sind. Allerdings mag es rechtssprachlich nicht völlig ausgeschlossen sein, die Ausübung jenes Wahlrechts als eine "Voraussetzung des Satzes 1" zu bezeichnen (so offenbar Kanzler, Finanz-Rundschau --FR-- 1992, 669, 675). Dafür mag sprechen, daß erst die Ausübung des Wahlrechts zur Folge hat, daß der Pflegepauschbetrag bei der Steuerberechnung tatsächlich berücksichtigt wird. Näher liegt indes die Annahme, daß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG 1990 sprachlich knapp zum Ausdruck bringen soll, eine Aufteilung des Pflegepauschbetrages nach Kopfteilen sei vorzunehmen, wenn mehrere Steuerpflichtige, welche durch die Pflege eines anderen unter den näheren Voraussetzungen des Satzes 2 (vom Gesetz unterstellte) außergewöhnliche Belastungen zu tragen haben, Anspruch auf einen Pauschbetrag nach Satz 1 haben, weil auch dessen tatbestandliche Voraussetzungen (Hilflosigkeit des Pfleglings) gegeben sind.
Diese Auslegung entspricht vor allem dem Sinn und Zweck der Aufteilung des Pauschbetrages auf mehrere Pflegepersonen. § 33b Abs. 6 EStG verfolgt zwei unterschiedliche Ziele. Entsprechend der in Satz 1 einleitend hervorgehobenen systematischen Einordnung der Vorschrift in die Bestimmungen über die steuerliche Berücksichtigung durch außergewöhnliche Belastungen bedingter Minderungen der Leistungsfähigkeit ("Wegen der außergewöhnlichen Belastungen ...") will die Vorschrift zum einen im Interesse der Steuerpflichtigen, aber auch der Finanzverwaltung dafür Sorge tragen, daß solche bei Übernahme der Pflege vielfach entstehenden, aber nur schwer nachweisbaren und überprüfbaren Aufwendungen pauschal steuermindernd berücksichtigt werden. Zum anderen will die Vorschrift ungeachtet des tatsächlichen Entstehens und der Höhe solcher Aufwendungen einen Anreiz dafür schaffen, daß der Steuerpflichtige bei Pflegebedürftigkeit ihm nahe stehender Personen deren Pflege persönlich übernimmt; sie will dadurch darauf hinwirken, daß die sozialen Kosten der Pflege in einem Pflegeheim oder durch mobile Pflegedienste vermindert werden, daß pflegebedürftige Menschen möglichst in einer für sie gewohnten Umgebung verbleiben können und daß dadurch die oftmals vor allem mit einer Unterbringung in einem Pflegeheim verbundene psychische Belastung des Pfleglings vermieden wird (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 29. August 1996 III R 4/95, BFHE 181, 441, BStBl II 1997, 199, und vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BFHE 182, 352, BStBl II 1997, 558).
Übernehmen mehrere Personen die Pflege (nebeneinander oder nacheinander), so ist zu erwarten, daß der Pflegeaufwand des einzelnen geringer ist, als wenn ein einzelner alle Pflegeleistungen allein erbringen muß; soweit § 33b Abs. 6 EStG eine pauschalierende Abgeltung von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Pflege vornimmt, liegt es deshalb nahe, dem einzelnen Steuerpflichtigen nur den nach Maßgabe der Zahl der pflegenden Personen bemessenen Bruchteil des Pflegepauschbetrages zur Abgeltung seiner außergewöhnlichen Belastungen zu gewähren. Denn die Aufwendungen des einzelnen sind bei der Pflege eines Pflegebedürftigen durch mehrere Personen zwar nicht notwendigerweise, aber eben doch typischerweise geringer als bei Pflege durch einen allein. Aber auch was den Anreiz zur Pflege und damit das vorgenannte zweite Ziel des § 33b Abs. 6 EStG angeht, entspräche es nicht dem Sinn des Gesetzes, einer von mehreren Pflegepersonen den vollen Pauschbetrag zuzugestehen, wenn die anderen von § 33b Abs. 6 EStG keinen Gebrauch machen, hingegen nur einen Bruchteil, wenn diese sich für die Ausübung des ihnen von der Vorschrift gegebenen Wahlrechts entscheiden. Sind nämlich bei Übernahme der Pflege durch mehrere Personen die Pflegeaufwendungen des einzelnen typischerweise geringer als wenn er selbst die gesamten Pflegeleistungen erbringen müßte, so bedarf es aus der Sicht einer typisierenden Betrachtung, die § 33b Abs. 6 EStG zugrunde liegt, auch nur eines entsprechend geringeren steuerlichen Ermäßigungsbetrages, damit von der Gewährung eines Pflegepauschbetrages der von der Vorschrift bezweckte Anreiz ausgehen kann, den Steuerpflichtigen zur Übernahme bestimmter Pflegeleistungen zu veranlassen. Im übrigen weist das FA nicht ohne Recht darauf hin, daß die Gewährung des vollen Pflegepauschbetrages an eine von mehreren Pflegepersonen in vielen Fällen nicht einmal eine gegenüber einer anteiligen Gewährung gesteigerte Anreizwirkung zur Folge hätte, da die einzelne Pflegeperson bei Übernahme der Pflege häufig nicht sicher beurteilen kann, ob ihr später der volle Pflegepauschbetrag deshalb zufallen wird, weil die anderen Pflegepersonen ihn nicht in Anspruch nehmen, oder ob sie sich mit einem Teil des Pflegepauschbetrages wird begnügen müssen, weil auch die anderen dessen Gewährung beantragen.
Überdies hat Kanzler (in FR 1992, 669, 675) mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Gewährung eines vollen Pflegepauschbetrages an einen Steuerpflichtigen, der die Pflege eines anderen zusammen mit einem Dritten übernommen hat, geeignet ist, den Gesetzeszweck einer Einmalgewährung des Pflegepauschbetrages anstelle einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG zu verfehlen. Wäre nämlich der Pauschbetrag nur nach der Zahl der Köpfe derjenigen aufzuteilen, die ihn in Anspruch genommen haben, könnte ein Dritter --hier: die Mutter des Klägers-- seine (einzeln nachgewiesenen) Aufwendungen für die Pflege nach § 33 EStG steuerlich geltend machen und zugleich der Kläger den (vollen) Pauschbetrag erhalten; der Pflegepauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG würde also gerade nicht, wie von der Vorschrift erkennbar gewollt, die gesamten Aufwendungen für die Pflege eines Pflegebedürftigen abgelten bzw. --wenn eine von mehreren Pflegepersonen den Pauschbetrag, eine andere jedoch § 33 EStG in Anspruch nimmt-- nur anteilig durch Ermäßigungsbeträge nach § 33 EStG ergänzt werden.
Der erkennende Senat vermag daher nicht der im Schrifttum (vgl. neben der bereits angeführten Stimme Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 33b EStG Rdnr. 142; Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 33b EStG Rdnr. 50; Schmidt/ Glanegger, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl., 1997, § 33b Rdnr. 22; Fitsch in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 33b Rdnr. 63; Borggreve in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 33b EStG Rdnr. 49; Hartz/ Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, 4. Aufl., "Pflege-Pauschbetrag" Rdnr. 8; a.A. hingegen Schmieszek in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33b Rdnr. 83 unter Bezug auf die Einkommensteuer-Richtlinien R 194 Abs. 5 sowie offenbar Frost in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33b Rdnr. 22 und Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33b Rdnr. E 12) überwiegend vertretenen, jedoch --außer mit dem nicht überzeugenden Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift-- nicht näher begründeten Ansicht beizupflichten, eine Aufteilung des Pflegepauschbetrages nach § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG 1990 (§ 33b Abs. 6 Satz 5 EStG n.F.) sei nur dann zulässig, wenn die Berücksichtigung des Pflegepauschbetrages nach Satz 1 dieser Vorschrift von mehreren Steuerpflichtigen beantragt wird.
Da das FG von einer anderen Auslegung des § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG 1990 ausgegangen ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Denn dem Kläger, der seinen Vater zusammen mit seiner Mutter gepflegt hat, steht nur der vom FA bereits berücksichtigte hälftige Pflegepauschbetrag zu.
Fundstellen
Haufe-Index 66262 |
BFH/NV 1998, 388 |
BFH/NV 1998, 388-389 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 20 |
BFHE 184, 428 |
BFHE 1998, 428 |
BB 1998, 204 |
BB 1998, 204 (Leitsatz) |
DB 1998, 1545 |
DB 1998, 1545 (Leitsatz) |
DStRE 1998, 93 |
DStRE 1998, 93-95 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1998, 295-296 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 288 |