Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verlängerung des Zeitraums für den Bezug von Kindergeld nach § 32 Abs. 5 EStG über die tatsächliche Dauer des geleisteten Zivildienstes hinaus
Leitsatz (NV)
Wurde für ein Kind in den Jahren 1992 und 1993 nach den damals geltenden Vorschriften des BKGG 1990 nur deshalb über das 21. Lebensjahr hinaus Kindergeld gewährt, weil dieses zuvor Zivildienst geleistet hatte, so kann für dieses Kind nach der Vollendung des 27. Lebensjahres nur noch die Differenz zur Dauer des inländischen gesetzlichen Zivildienstes als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden.
Normenkette
EStG 1997 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1 Nr. 1, §§ 62, 63 Abs. 1 S. 2, § 78 Abs. 1 S. 1; BKGG 1990 § 2 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 4
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2001, 1221) |
Tatbestand
Streitig ist, wie lange die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für ihren Sohn M über dessen 27. Lebensjahr hinaus Kindergeld erhält.
Der Sohn M der Klägerin wurde am … August 1998 27 Jahre alt. Er absolvierte zu diesem Zeitpunkt ein im Oktober 1993 begonnenes Studium, das er im November 1999 noch nicht beendet hatte. Davor hatte er vom 2. September 1991 bis 30. November 1992 seinen Zivildienst abgeleistet. Vom 1. Dezember 1992 bis 31. März 1993 und vom 1. Mai 1993 bis 30. September 1993 hatte er auf seinen Studienplatz gewartet.
Für die Dauer der Wartezeit ihres Sohnes war der Klägerin 9 Monate lang Kindergeld gewährt worden. Auf Grund von § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Januar 1990 ―BKGG 1990― (BGBl I 1990, 149) war dies für den bereits 21-jährigen M nur möglich, weil er zuvor Zivildienst geleistet hatte. Nach Aufnahme des Studiums wurde Kindergeld zunächst bis April 1999 gezahlt.
Mit Bescheid vom 1. April 1999 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) die Festsetzung ab 1. März 1999 mit der Begründung auf, die Höchstbezugsdauer sei abgelaufen. Diese verlängere sich zwar nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) für die Dauer des geleisteten Zivildienstes über das vollendete 27. Lebensjahr des Sohnes hinaus. Da aber für M während der 9 Monate Wartezeit auf seinen Studienplatz Kindergeld nur habe bezahlt werden können, weil sich der Bezugszeitraum durch den zuvor geleisteten Zivildienst verlängert habe, sei der sich aus § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 ergebende Verlängerungszeitraum um die 9 auf die Wartezeit auf den Studienplatz entfallenden Monate, in denen die Klägerin Kindergeld bezogen habe, zu verkürzen. Da somit noch 6 Monate übrig blieben, bestehe ein Kindergeldanspruch letztmals für Februar 1999.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie die Kindergeldgewährung bis November 1999 beantragte. Der Beklagte half dem Einspruch mit Entscheidung vom 29. Juni 1999 teilweise ab, indem er Kindergeld noch für die Monate März und April 1999 gewährte. Für die Zeit danach lehnte er die Festsetzung von Kindergeld ab. Die Klage, mit der die Klägerin die Bewilligung von Kindergeld für den Zeitraum von Mai bis November 1999 begehrte, hatte keinen Erfolg.
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1221 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die vom FG vorgenommene restriktive Anwendung des § 32 Abs. 5 EStG sei unzulässig. Die Ansicht des FG, der Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 EStG 1997 sei um die Monate zu kürzen, für die nach den vergleichbaren Verlängerungstatbeständen des § 2 Abs. 3 BKGG 1990 Kindergeld gewährt worden sei, entbehre einer Rechtsgrundlage. Nach den ab 1996 maßgeblichen Vorschriften des EStG (i.d.F. des Jahresssteuergesetzes 1996 ―JStG 1996― vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250, BGBl I 1995, 438) über das Kindergeld stehe der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld für den streitigen Zeitraum zu, ohne dass es auf den vom M zuvor geleisteten Zivildienst ankomme. In der Überleitungsvorschrift des § 78 EStG 1996 sei bestimmt, Kindergeld, das bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des BKGG gezahlt worden sei, gelte als nach den Vorschriften dieses Gesetzes festgesetzt. Daraus folge für den Streitfall, dass der Kindergeldanspruch der Klägerin auch für die Zeit bis zum 31. Dezember 1995 allein nach den maßgeblichen Vorschriften des EStG (§ 62 Abs. 1 i.V.m. §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG 1996) zu beurteilen sei.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und Kindergeld für den Sohn M in der gesetzlichen Höhe ab dem 1. Mai 1999 für die Dauer der Ausbildung, längstens bis zum November 1999, festzusetzen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin über den Monat April 1999 hinaus kein Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn M zusteht. Da die Klägerin zum Ausgleich für den von M geleisteten Zivildienst bereits in der Zeit vom 1. Dezember 1992 bis 31. März 1993 und vom 1. Mai 1993 bis 30. September 1993 für insgesamt 9 Monate Kindergeld nach § 2 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BKGG 1990 bezogen hat, kann nach der Vollendung des 27. Lebensjahrs nur noch die Differenz zur Dauer des inländischen gesetzlichen Zivildienstes als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden.
1. Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1997 wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 ausnahmsweise u.a. dann berücksichtigt, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder den Zivildienst geleistet hat. Der Endzeitpunkt für die Gewährung des Kindergeldes wird dann um einen der Dauer des geleisteten Dienstes entsprechenden Zeitraum (hier: 15 Monate) hinausgeschoben. Der bloße Wortlaut dieser Vorschrift würde im Streitfall dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum von Mai bis November 1999 nicht entgegenstehen. Der Sachzusammenhang der einkommensteuerrechtlichen Kindergeldvorschriften, Sinn und Zweck des Verlängerungstatbestandes in § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 und der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erfordern jedoch eine einschränkende Auslegung der Vorschrift.
a) Die in § 32 Abs. 4 EStG 1997 normierte zeitliche Begrenzung für den Bezug von Kindergeld gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis d EStG 1997 genannten Sachverhalte, die zu einer Verlängerung der Bezugsdauer über das 18. Lebensjahr hinaus berechtigen, noch vorliegen. Dauert die Berufsausbildung über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus an, endet die Bezugsberechtigung grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt, ohne dass es auf den Grund der Verzögerung ankommt (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. September 1994 2 K 176/94, EFG 1995, 483; ebenso zu § 2 Abs. 3 Satz 2 BKGG a.F. Urteil des Bundessozialgerichts ―BSG― vom 25. März 1982 10 RKg 1/81, juris). Wird die Berufsausbildung erst nach dem 27. Lebensjahr begonnen, entsteht überhaupt kein Kindergeldanspruch. Mit dem Kindergeld werden mithin nicht alle Belastungen der Eltern ausgeglichen, die mit einer Berufsausbildung des Kindes verbunden sind. Vielmehr geht der Gesetzgeber typisierend davon aus, dass im Regelfall die Berufsausbildung im Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres abgeschlossen ist oder dass ―bei einer zu diesem Zeitpunkt noch fortdauernden Berufsausbildung― das Kind zunehmend selbst zu seinem Lebensunterhalt beitragen wird (BSG-Urteil vom 25. März 1982 10 RKg 1/81, juris).
b) Der Grundsatz, dass für ein in der Berufsausbildung befindliches Kind über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus kein Kindergeld beansprucht werden kann, ist für die in § 32 Abs. 5 EStG 1997 abschließend aufgezählten Fälle (Nrn. 1 bis 3) durchbrochen. Sofern das Kind einen der in § 32 Abs. 5 EStG 1997 genannten Dienste geleistet hat, wird bei einer fortdauernden Berufsausbildung auch über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld gewährt. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass ―abweichend von der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des JStG 1996― Kinder während der Ableistung ihres Wehr- oder Zivildienstes steuerlich nicht berücksichtigt werden (BTDrucks 13/1558, S. 155 f.). Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass das Kind während der Dauer des Wehr- oder Zivildienstes oder der Tätigkeit als Entwicklungshelfer einer Berufsausbildung nicht nachgehen konnte (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Anm. 150; ebenso zu den entsprechenden Verlängerungstatbeständen in § 2 Abs. 3 Satz 2 BKGG a.F.: BSG-Urteile vom 13. Mai 1982 10 RKg 30/81, juris, und vom 25. März 1982 10 RKg 1/81, juris). Der Verlängerungszeitraum des § 32 Abs. 5 EStG 1997 ist begrenzt auf die Dauer des inländischen gesetzlichen Grundwehrdienstes oder Zivildienstes. Innerhalb dieses zeitlichen Rahmens kommt es auf die tatsächliche Dauer des geleisteten Grundwehr- oder Zivildienstes an, denn der Ausnahmetatbestand des § 32 Abs. 5 EStG 1997 kann bei Beachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nur den Zeitraum einbeziehen, um den die Berufsausbildung durch den Wehr- oder Zivildienst tatsächlich unterbrochen wurde (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 31. März 1998 1 K 96/97, EFG 1998, 1068; Greite in Korn, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz. 96; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., § 32 Rz. 46). Würde das Kindergeld im Verlängerungszeitraum ―unabhängig von der tatsächlichen Dauer des geleisteten Wehr- oder Zivildienstes― in jedem Fall für die gesamte Dauer des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes gewährt, würden Steuerpflichtige, deren Kinder Wehr- oder Zivildienst geleistet haben, im Verhältnis zu anderen Steuerpflichtigen, bei denen dieser Verlängerungstatbestand nicht eingreift und deren Kinder ihre Berufsausbildung bei Vollendung des 27. Lebensjahres ebenfalls noch nicht abgeschlossen haben, willkürlich bevorzugt.
c) Der Zweck des § 32 Abs. 5 EStG 1997 und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebieten auch dann eine zeitliche Begrenzung des nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 verlängerten Bezugszeitraums, wenn ein Teil des Verlängerungstatbestandes bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres berücksichtigt wurde (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997; § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 BKGG 1990). Nach Vollendung des 27. Lebensjahres kann dann nur noch die Differenz zum gesetzlichen Grundwehr- oder Zivildienst als Verlängerungstatbestand berücksichtigt werden (Greite in Korn, a.a.O., § 32 Rz. 96; Jechnerer in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 32 Anm. 112; Berlebach, Familienleistungsausgleich, Fach A, § 32 EStG Rz. 122; Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG―, 63.5 Abs. 2, BStBl I 2000, 639, 687). Anderenfalls käme es ―entgegen dem Zweck des § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997― im Ergebnis zu einer Verlängerung des Bezugs von Kindergeld über die Dauer des (tatsächlich geleisteten) gesetzlichen Zivildienstes hinaus, also zu einer doppelten Berücksichtigung der bereits nach Vollendung des 21. Lebensjahres "verbrauchten" Monate des Verlängerungstatbestandes. Für eine solche mehrfache Berücksichtigung des Verlängerungstatbestandes ist kein sachlicher Grund ersichtlich; sie würde vielmehr ―gemessen an dem grundsätzlichen Endzeitpunkt für den Bezug von Kindergeld in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG 1997― zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung anderer Anspruchsberechtigter führen. Willkürlich benachteiligt wären insbesondere Steuerpflichtige, deren Kinder unmittelbar nach der Vollendung des 18. Lebensjahres den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet und anschließend eine Berufsausbildung begonnen haben, die bei Vollendung des 27. Lebensjahres noch andauert.
2. Entgegen der Ansicht der Klägerin rechtfertigt § 78 EStG 1996 keine andere Entscheidung.
Nach der ―zwischenzeitlich durch Art. 1 Nr. 60 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) aufgehobenen― Überleitungsregelung in § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG 1996 gilt Kindergeld, das bis zum 31. Dezember 1995 nach den Vorschriften des BKGG gewährt wurde, als nach den Vorschriften dieses Gesetzes festgesetzt. Dieser Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass die sachliche Berechtigung für den Bezug von Kindergeld sich rückwirkend nach den Vorschriften des EStG 1996 bestimmen soll. § 78 Abs. 1 EStG 1996 nimmt keine Zuweisung zur (rückwirkenden) Anwendung materiellen Rechts vor. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift lediglich sicherstellen, dass das bis zum In-Kraft-Treten des JStG 1996 gewährte Kindergeld ab Januar 1996 nahtlos und ohne Antragstellung weitergezahlt werden konnte (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 162). Es handelt sich insoweit lediglich um eine gesetzliche Fiktion zur verwaltungstechnischen Erleichterung der Abwicklung laufender Kindergeldzahlungen (vgl. BSG-Urteil vom 15. Juli 1997 14 RS 1/97, juris, sowie SozR 3-1500 § 51 SGG Nr. 21; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 78 EStG Anm. 3, 10). Daraus folgt, dass auf Bezugsräume vor dem 1. Januar 1996 stets das bis zum 31. Dezember 1995 geltende Recht anzuwenden ist.
Für die Beurteilung des Streitfalls ist es deshalb ohne Bedeutung, dass die Klägerin nach geltendem Recht (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG 1997) für die Dauer der Wartezeit ihres Sohnes auf einen Studienplatz auch ohne das Vorliegen eines Verlängerungstatbestandes i.S. von § 32 Abs. 5 EStG 1997 Anspruch auf Kindergeld gehabt hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 887198 |
BFH/NV 2003, 460 |
DStRE 2003, 146 |