Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Wird eine überschuldung durch einfache Kapitalerhöhung ohne gleichzeitige Kapitalherabsetzung beseitigt, so hindert dies nicht, den ermäßigten Steuersatz nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1955 anzuwenden (Abweichung von dem Urteil des Reichsfinanzhofs II A 432/27 vom 13. Dezember 1927, Slg. Bd. 22 S. 255).
Normenkette
KVStG § 9/2/1/a, § 9 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1955.
Im Zuge der Sanierung der Bgin., einer GmbH, deren Vermögensbilanz zum 1. Januar 1955 eine überschuldung von rund 594.000 DM auswies, wurde deren Stammkapital um 530.000 DM auf 655.000 DM erhöht. Die auf das erhöhte Stammkapital zu leistende Stammeinlage übernahm der alleinige Gesellschafter dadurch, daß er eine Darlehnsforderung von 412.000 DM in die Gesellschaft einbrachte und den Restbetrag von 118.000 DM in bar einzahlte. Dem Antrag der Bgin., diesen Erwerb eines Gesellschaftsrechts mit dem ermäßigten Steuersatz von 1,5 v. H. zur Steuer heranzuziehen, entsprach das Finanzamt nicht. Es forderte vielmehr 3 v. H. Gesellschaftsteuer von 530.000 DM. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzamt vertrat, indem es sich auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs II A 432/27 vom 13. Dezember 1927 (RStBl 1928 S. 33, Slg. Bd. 22 S. 255) bezog, die Ansicht, daß durch eine einfache Kapitalerhöhung die Steuervergünstigung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 a KVStG 1955 nicht ausgelöst werden könne; es müsse vielmehr noch eine mit ihr im Zusammenhang stehende Kapitalherabsetzung hinzukommen, um die Voraussetzungen der Ermäßigungsvorschrift zu erfüllen.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat zur Begründung seiner Auffassung ausgeführt, daß nach der Fassung des Gesetzes zwei verschieden zu beurteilende Tatbestände gesellschaftsteuerlich begünstigt sein sollten, nämlich Rechtserwerbe zur Deckung der überschuldung bei inländischen Kapitalgesellschaften und Rechtserwerbe zur Deckung des Verlustes am Grundkapital einer inländischen AG und KG a. A. sowie am Stammkapital einer inländischen GmbH. Die auf Grund der Fassung des § 13 zu b KVStG 1922 gewonnenen Erkenntnisse könnten nicht auf die derzeitige Bestimmung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG übertragen werden.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts (Bf.) unrichtige Rechtsanwendung und wesentliche Verfahrensmängel. Er führt aus, das Finanzgericht habe die Angaben der Bgin. hinsichtlich der überschuldung ungeprüft hingenommen, es hätte sonst feststellen müssen, daß zur Zeit des Erwerbs der neuen Anteilsrechte die Bgin. nicht überschuldet gewesen sei, sondern über ein Reinvermögen von 90.465 DM verfügt habe. Im übrigen entspreche nur die vom Reichsfinanzhof vertretene Auffassung dem Gesetz; denn allein diese Art der Beseitigung einer überschuldung sei erforderlich. Hätte der Gesetzgeber, dem die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs bekannt gewesen sei, bei der Neufassung des KVStG diese Auffassung nicht geteilt, so hätte er hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Soweit der Bf. sich zur Begründung der Rb. auf neues tatsächliches Vorbringen beruft, kann er damit in dieser Instanz nicht mehr gehört werden. Neben dem Finanzgericht haben auch die Beteiligten die Verantwortung für eine vollkommene Tatbestandsfeststellung und müssen ggf. das Risiko einer unvollkommenen Tatsachenfeststellung tragen. Das Finanzgericht hatte keine Veranlassung, an der Tatsache zu zweifeln, daß die Bgin. in Höhe eines Betrages von mindestens 530.000 DM verschuldet war. Auch das Finanzamt ist hiervon ausgegangen. Es geht nicht an, schon im Steuerfestsetzungs- und Einspruchsverfahren unterlassene notwendige Tatsachenfeststellungen, auf die auch im Verfahren vor dem Finanzgericht kein Wert gelegt worden ist, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachzuholen. Nur wenn Zweifel an dem Sachverhalt, von dem die Beteiligten ausgingen, bestanden oder wenn sich solche Zweifel angeboten hätten und das Finanzgericht dennoch von diesem Sachverhalt ohne Prüfung ausgegangen wäre, hätte es seine Pflicht aus § 243 Abs. 1 AO verletzt. Unter den gegebenen Umständen hatte die Vorinstanz jedoch keine Veranlassung, eine ungünstigere Behandlung der Bgin., als sie vom Finanzamt vorgenommen worden war, in Erwägung zu ziehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 82/56 U vom 14. August 1956, BStBl 1956 III S 321 ff., 322, Slg. Bd. 63 S. 322 ff., 325, 326). Im übrigen scheint der Bf. sein diesbezügliches Vorbringen in dieser Instanz auch nicht mehr aufrechterhalten zu wollen; denn er hat der Darlegung der Bgin., daß er sich in tatsächlicher Hinsicht geirrt und daß eine überschuldung von mindestens 530.000 DM am Stichtag bestanden habe, nicht widersprochen.
Entscheidungserheblich bleibt somit allein, ob der Bgin. aus Rechtsgründen der ermäßigte Steuersatz von 1,5 v. H. zu versagen ist oder nicht. Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1955 ermäßigt sich die Steuer auf diesen Prozentsatz unter anderem beim Erwerb von Gesellschaftsrechten, soweit er zur Deckung der überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft erforderlich ist. Der Alleingesellschafter der Bgin. hat neu geschaffene Gesellschaftsrechte in Höhe von 530.000 DM erworben. Damit ist unstreitig der Tatbestand des § 2 Nr. 1 KVStG 1955 erfüllt und die Steuerpflicht dem Grunde nach ausgelöst worden. Von der Erhebung des regelmäßigen Steuersatzes von 3 v. H. kann daher nur abgesehen werden, wenn die Kapitalerhöhung der Deckung der überschuldung gedient hat und wenn der Erwerb von Gesellschaftsrechten aus diesem Grunde erforderlich war. Eine überschuldung liegt dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die Schulden nicht mehr deckt (ß 64 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Auszugehen ist dabei nicht von den Bilanzansätzen der Erfolgsbilanz, sondern von dem Vermögensstand, wie er unter Berücksichtigung der §§ 10 ff. des Bewertungsgesetzes für den Stichtag ermittelt worden ist (vgl. insoweit Urteil des Bundesfinanzhofs II 228/57 U vom 22. April 1959, BStBl 1959 III S. 240, Slg. Bd. 68 S. 630, 631). Das Stammkapital ist bei dieser Berechnung selbstverständlich außer Betracht zu lassen (vgl. insoweit auch den Beschluß des Bundesgerichtshofs VII ZB 23/58 vom 4. Mai 1959, Der Betriebs-Berater 1959 S. 754, und das Urteil des Bundesgerichtshofs II ZR 187/57 vom 14. Dezember 1959, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 31 S. 259, 272). Durch Zuführung neuen haftenden Eigenkapitals wird das Aktivvermögen erhöht und die überschuldung in entsprechender Höhe beseitigt. Das verkennt auch die vom Bf. angeführte Entscheidung des Reichsfinanzhofs II A 432/27 vom 13. Dezember 1927 (Slg. Bd. 22 S. 259) nicht. Sie geht aber davon aus, daß § 13 zu b KVStG 1922 auch in der "überschuldung" einen "Verlust an Grund- oder Stammkapital" erblickt und daß es nicht im Sinne des Gesetzgebers gelegen habe, eine Kapitalerhöhung zu begünstigen, die sich hätte vermeiden lassen. Es kann allerdings nicht verkannt werden, daß eine einfache Kapitalerhöhung nicht nur die Beseitigung der überschuldung, sondern gleichzeitig die Erhöhung des Verlustes am Stammkapital zur Folge hat. Wird dieser Verlust später nicht durch Gewinne, sondern durch Zuführung neuen Eigenkapitals beseitigt, wo würde allerdings diese (spätere) Kapitalzuführung nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1955 ebenfalls begünstigt sein.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der vom Reichsfinanzhof vertretenen Auffassung für die Bestimmung des § 13 zu b KVStG 1922 zu folgen ist. Für das KVStG 1955 steht ihr jedenfalls der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 entgegen, wie das Finanzgericht zu Recht ausgeführt hat. Wie der Senat u. a. im Urteil II 268/58 S vom 22. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 210, Slg. Bd. 72 S. 576) entschieden hat, ist für die Auslegung eines Steuergesetzes aus Gründen der Rechtssicherheit in erster Linie der Wortlaut des Gesetzes maßgebend und eine Abweichung nur dann zulässig, wenn zuverlässige Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der Wortlaut des Gesetzes den Willen des Gesetzgebers nicht deckt, insbesondere weil das aus dem Wortlaut hervorgehende Ergebnis so unsinnig ist, daß es nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen kann. Auf die Gründe dieses Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs wird Bezug genommen. Der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1955 spricht aus, daß der Erwerb von Gesellschaftsrechten
zur Deckung der überschuldung einer inländischen Kapitalgesellschaft,
zur Deckung des Verlustes am Grund- oder Stammkapital bestimmter Kapitalgesellschaften zur Ermäßigung der Steuer führen soll. Bei diesem eindeutigen Wortlaut ist es schlechterdings ausgeschlossen, zu unterstellen, daß der Gesetzgeber nicht beide Tatbestände, und zwar jeden für sich, begünstigen wollte. Die Voraussetzung der "Erforderlichkeit" kann sich, wie aus dem Sinnzusammenhang hervorgeht, nur auf den Umfang des Rechtserwerbs beziehen. Ein Rechtserwerb, der das zur Beseitigung der überschuldung oder zur Deckung des Verlustes am Grund- oder Stammkapital erforderliche Maß überschreitet, ist nicht in voller Höhe begünstigt, sondern nur insoweit, als er seine Sanierungsaufgabe erfüllen kann. Eine weitere Einschränkung der Voraussetzungen der Steuerbegünstigung enthält dieser Begriff nicht. Er verlangt insbesondere nicht, wie der Bf. dies annimmt, weitere Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zwar auch die überschuldung beseitigen, außerdem aber auch zum Teil der Deckung des Verlustes am Stammkapital dienen würden, was die Kapitalgesellschaft aus billigenswerten kaufmännischen Gesichtspunkten oft gar nicht möchte, etwa um die Ausschüttung von Gewinnen zu vermeiden. Die Anwendung der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG führt auch zu keinem unsinnigen Ergebnis, das nicht im Sinne des Gesetzgebers liegen könnte. Ob bei einer etwaigen späteren Zuführung von neuem Eigenkapital zur Deckung eines Verlustes am Grund- oder Stammkapital bestimmter Kapitalgesellschaften nach vorausgegangener Eigenkapitalzuführung zur Deckung einer überschuldung die Steuervergünstigung nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1955 in Höhe der früheren Kapitalzuführung nach dem Sinnzusammenhang der beiden Ermäßigungstatbestände - a) und b) - versagt werden muß, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.
Nach alledem war der Rb. der Erfolg zu versagen.
Fundstellen
Haufe-Index 410649 |
BStBl III 1963, 63 |
BFHE 1963, 175 |
BFHE 76, 175 |