Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs; Gewinn aus Räumungsverkauf nicht Teil eines begünstigten Aufgabegewinns
Leitsatz (NV)
1. Wird eine Revision auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das FG gestützt, so muß dargestellt werden, daß der Beteiligte die prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
2. Der Gewinn aus einem Räumungsverkauf gehört nicht zum begünstigten Aufgabegewinn (Anschluß an BFH-Urteil vom 29. November 1988 VIII R 316/82, BFHE 156, 408, BStBl II 1989, 602).
3. Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens können nicht anläßlich einer Betriebsveräußerung mit der Absicht in das Privatvermögen überführt werden, sie bei sich bietender Gelegenheit zu veräußern (ständige Rechtsprechung).
Normenkette
FGO § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2 S. 2; EStG § 16 Abs. 1, 3, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes S, mit dem sie für das Streitjahr 1980 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurde.
S war Inhaber eines Einzelhandelsgeschäftes. Mit Vertrag vom 20. Januar 1980 verpachtete er das Geschäft ab dem 1. Januar 1980 an seinen Sohn. Vom 1. November bis zum 31. Dezember 1980 übernahm er wieder das Geschäft zum Zwecke des Totalausverkaufs und der Geschäftsaufgabe.
Mit ,,Vertrag zur Geschäftsübergabe" vom 10. Dezember 1980 veräußerte S seine Firma an Herrn . . ., auf den das Geschäft am 1. Januar 1981 übergehen sollte. Für den Geschäftswert hatte der Erwerber von Januar 1981 bis Januar 1989 an S, im Todesfalle an dessen Erben, eine Umsatzbeteiligung in Höhe von 2 v. H., mindestens aber 6 000 DM pro Jahr zu zahlen. Für das Geschäftsinventar wurde ein Kaufpreis von 19 150 DM vereinbart und gezahlt. Bei einem Räumungsverkauf erzielte S Umsätze in Höhe von insgesamt . . . DM. Der Erlös hieraus und der Erlös aus dem Inventarverkauf abzüglich Buchwert erklärte er als steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn. Den beim Räumungsverkauf nicht veräußerten Restwarenbestand im Einkaufswert von 63 921,90 DM ,,entnahm" er ,,in das Privatvermögen"; er vereinbarte mit dem Erwerber, daß dieser die Waren für ihn in Kommission nehmen sollte. Ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnung zum 31. Dezember 1980 ist diese ,,Entnahme" gewinnerhöhend erfaßt.
Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte, Revisionskläger und Angschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Standpunkt, daß der Gewinn aus dem Räumungsverkauf laufender Gewinn sei. Dementsprechend änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1980. Der Einspruch blieb in diesen Streitpunkten ohne Erfolg. Mit der Klage trug die Klägerin u. a. vor:
Die ins Privatvermögen übernommene Ware sei auf einen niedrigeren Teilwert von 30 000 DM abzuschreiben. Von dem gesamten Bestand im Wert von fast 64 000 DM habe der Nachfolger in der Zeit von 1981 bis 1984 Waren für nur rd. 21 500 DM veräußert; der Rest habe nur noch Schrottwert. Wenn das FA den restlichen Warenbestand per 31. Dezember 1980 auf rd. 100 000 DM schätze, so sei dies unerklärlich. Hinsichtlich dieses Wertansatzes werde Bilanzberichtigung beantragt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Im Jahre 1981 seien noch Geschäftsverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 74 774,42 DM, hauptsächlich Lieferantenschulden, beglichen worden. Darin sei ein Betrag in Höhe von 18 000 DM zur Rückführung eines Kredits für die Anschaffung eines Pkw enthalten. Das Fahrzeug sei im Mai 1980 angeschafft und von S aus gesundheitlichen Gründen für die Abwicklung des Geschäfts benötigt worden. Es sei aber nicht bilanziert worden. Hinsichtlich der nicht bilanzierten Verbindlichkeiten in Höhe von 74 774,42 DM seien sowohl die vom früheren Berater erstellte Bilanz als auch die Prüferbilanz unrichtig.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage insoweit stattgegeben, als es den im Rahmen des Ausverkaufs erzielten Gewinn als steuerbegünstigten Gewinn aus der Betriebsaufgabe/-Veräußerung einbezogen hat. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 404.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Der Gewinn aus dem Räumungsverkauf gehöre nicht zu dem steuerbegünstigten Betriebsaufgabegewinn. Es beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Zugleich rügt sie mit der selbständigen Anschlußrevision Verletzung des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts. Sie trägt u. a. vor:
FA und FG hätten trotz mehrfacher Bitte ihren verstorbenen Ehemann niemals persönlich angehört und damit gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen.
Der Erwerber habe aus dem in Kommission gegebenen Warenbestand insgesamt nur 24 500 DM erlöst; der nicht veräußerte Rest habe nur Schrottwert gehabt. Auch wenn man die Bankverbindlichkeit für die Anschaffung des Pkw außer Betracht lasse, blieben immer noch Betriebsschulden in Höhe von 56 774,42 DM. Bei der Übernahme des Betriebs nach Beendigung des Pachtvertrages habe S ,,vereinbarungsgemäß" Verpflichtungen seines Sohnes gegen Lieferanten übernehmen müssen, da diese ohne Schuldübernahme nicht weiter geliefert hätten. Die Rechtspflicht zur Zahlung ergebe sich aus §§ 415, 419 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Zu berücksichtigen seien jedenfalls noch betriebliche Verbindlichkeiten in Höhe von 36 363,89 DM. Insoweit hätte das FG notfalls Auskünfte der wenigen Lieferanten einholen müssen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der mit der Anschlußrevision vorgebrachten Gründe neu festzusetzen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Anschlußrevision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochteten Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) an das FG.
1. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs kann schon deswegen keinen Erfolg haben, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, daß sie und ihr verstorbener Ehemann die prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, um sich in dem von ihnen für geboten erachteten Umfang rechtliches Gehör zu verschaffen (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. März 1988 VII R 34/85, BFH/NV 1988, 792). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs muß nach Möglichkeit bereits vor dem FG gerügt werden. Hatte der Beteiligte von einem Mangel Kenntnis, mußte er ihn in der (nächsten) mündlichen Verhandlung rügen; anderenfalls kann er ihn nicht als absoluten Revisionsgrund geltend machen (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 247/78, BFHE 129, 524, BStBl II 1980, 299). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß sie die Unterlassung der persönlichen Anhörung spätestens in der mündlichen Verhandlung gerügt hatte.
Wird mit der Revision die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, ist weiterhin erforderlich, daß der Beteiligte im einzelnen darlegt, wozu er sich infolge dieser Verletzung nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Auch in dieser Hinsicht hat die Klägerin einen solchen Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß gerügt.
2. Zu Unrecht hat das FG den Erlös aus dem Räumungsverkauf als steuerbegünstigten Aufgabegewinn behandelt. Es kann offenbleiben, ob S überhaupt seinen Betrieb zum 31. Dezember 1980 i. S. des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG aufgegeben hat (unten 3.). Der VIII. Senat des BFH hat mit Urteil vom 29. November 1988 VIII R 316/82 (BFHE 156, 408, BStBl II 1989, 602) entschieden, daß die Veräußerung von Waren nicht zum begünstigten Aufgabegewinn gehöre, wenn die Waren wie im bisherigen laufenden Betrieb an den bisherigen Kundenkreis veräußert und insoweit die bisherige geschäftliche Tätigkeit fortgesetzt werde; nicht zum begünstigten Aufgabegewinn gehöre der Gewinn aus einem Räumungsverkauf im Rahmen einer Betriebsaufgabe. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Dieser Rechtssatz gilt auch für den hier vorliegenden Fall, daß ein Steuerpflichtiger den Räumungsverkauf vor Veräußerung des Betriebes durchführt.
3. Nach der Gewinn- und Verlustrechnung zum 31. Dezember 1980 wurde der Restwarenbestand zum Buchwert von 63 921,90 DM entnommen. Die Auffassung des FG, in dieser Höhe habe sich - wie von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann zunächst erklärt - der laufende Gewinn erhöht, ist nicht frei von Rechtsirrtum.
Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 12. März 1964 IV 107/63 U, BFHE 79, 476, BStBl III 1964, 406; vom 25. Juni 1970 IV 350/64, BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719; vom 3. März 1988 IV R 212/85, BFH/NV 1988, 558) können Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens anläßlich einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe nicht mit der Absicht in das Privatvermögen überführt werden, sie bei sich bietender Gelegenheit zu veräußern. Durch Verkaufsgeschäfte dieser Art wird vielmehr die bisherige gewerbliche Tätigkeit fortgeführt. Hiernach ist entscheidungserheblich, ob das Restwarenlager zum 31. Dezember 1980 mit dem niedrigeren Teilwert anzusetzen war (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG).
Die Ausführungen des FG zum Wert dieses Warenbestandes halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Die Annahme des FG, S habe in seiner Inventur zum 31. Dezember 1980 keine Preisherabsetzungen, sondern Preiserhöhungen aufgezeichnet, hätte im Hinblick auf die Außergewöhnlichkeit und rechtliche Unzulässigkeit einer solchen Handhabung einer näheren Darlegung bedurft. Das FG hätte sich mit dem Vorbringen der Klägerin befassen müssen, S habe mit der ,,Bewertung" über dem Buchwert (Einkaufswert) lediglich ,,Verkaufswerte ohne Abschlag" notiert. Dieses Vorbringen hatte deswegen besonderes Gewicht, weil die Inventarlisten mit dem . . . bestand jeweils drei Wertangaben, die übrigen Listen zwei Wertangaben enthalten. Die jeweils höchsten Werte sind zwar in der Spalte ,,Inventurwerte" aufgelistet, geben aber dennoch möglicherweise kalkulierte Verkaufswerte wieder. Die Klägerin hat dies in der Klagebegründung dahin erläutert, daß diese Liste enthalten: die ursprünglichen Verkaufspreise, die dem Kommissionär . . . für den Fall des Verkaufs in Rechnung gestellten Beträge und vorgeschlagene Verkaufspreise. Trifft das Vorbringen der Klägerin zu, daß das Restwarenlager nur zu einem geringen Teil veräußert wurde, könnte dies als Beweisanzeichen dafür gewertet werden, daß die Ware praktisch nicht veräußerbar war und deswegen eine Abschreibung auf einen niedrigeren Teilwert in Betracht kommt. Unter dieser Voraussetzung hätte das FA die geltend gemachte Bilanzkorrektur prüfen müssen.
4. Es kann dahingestellt bleiben, ob das FA den steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn, was die Klägerin beanstandet, rechtsfehlerhaft dem Streitjahr 1980 zugeordnet hat. Da der Veräußerungsgewinn den Freibetrag von 60 000 DM nicht übersteigt und vom FA steuerfrei belassen wurde, ist diese Frage nicht entscheidungserheblich.
5. Die Sache ist nicht spruchreif. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG prüfen, ob eine Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert zulässig ist. Die Klägerin hat im Revisionsverfahren neu vorgetragen, ihr verstorbener Ehemann habe Lieferantenschulden seines Sohnes aus Rechtsgründen begleichen müssen. Dieses Vorbringen, das offenbar auf eine Haftung aus Geschäftsübernahme abhebt, ist grundsätzlich rechtserheblich. Sollte es - unter Berücksichtigung der vom FG dargelegten Rechtsfehler zugunsten der Klägerin - hierauf ankommen, wird das FG auch prüfen können, ob der Pachtvertrag zwischen S und seinem Sohn - einschließlich der darlehensweisen Überlassung des Warenlagers und der Rückübertragung ,,mit dem Schätzwert zum Zeitpunkt der Begründung des Pachtvertrages" (Erläuterung zur Bilanz zum 31. Oktober 1980) - wie zwischen fremden Dritten vereinbart und durchgeführt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 417448 |
BFH/NV 1991, 373 |