Leitsatz (amtlich)
Ein unentgeltlicher Nießbrauch an Wertpapieren ändert die Zurechnung der Wertpapiererträge als Einkünfte des Wertpapierinhabers aus Kapitalvermögen nicht. Die Einnahmen sind von dem Wertpapierinhaber mit ihrem Zufluß beim Nießbraucher bezogen.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nrn. 1, 4, §§ 8, 11
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für 1968 und 1969, ob Einkünfte aus Kapitalvermögen dem Kläger als Vermögensinhaber oder seinen Kindern als Nießbrauchern zuzurechnen sind.
Der Kläger teilte 1968 verschiedenen Banken, bei denen er Depotkonten unterhielt, mit, daß er als Inhaber der in dem jeweiligen Depot befindlichen Wertpapiere seiner 1949 geborenen Tochter T und seinem 1954 geborenen Sohn S an den im einzelnen genannten Wertpapieren (Pfandbriefen, Anleihen, Obligationen, Aktien, Investmentanteilen) den Nießbrauch bestelle, und verlangte, diese Wertpapiere auf Gemeinschaftsdepotkonten des Klägers und T und des Klägers und S zu übertragen. Der Nießbrauch zugunsten T war zum 31. Dezember 1973, der Nießbrauch zugunsten S zum 31. Dezember 1978 befristet. Die Nießbrauchsrechte sollten auch an allen künftig in die gemeinschaftlichen Depots gelangenden Wertpapieren entstehen. Der Kläger und seine Ehefrau erklärten als gesetzliche Vertreter von T und S, den Nießbrauch anzunehmen, und gaben die Anweisung, während des Nießbrauchs die Zinsen und Dividenden den Sparkonten von T und S gutzuschreiben. Die Banken befolgten diese Anordnungen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rechnete die Erträge aus den Wertpapieren entgegen dessen Einkommensteuererklärungen dem Kläger zu.
Die Vorinstanz gab der Sprungklage statt und führte im wesentlichen aus: Die Nießbrauchsrechte seien zivilrechtlich entstanden. Die zur Bestellung des Nießbrauchs erforderliche Übergabe der Urkunden habe durch die Einräumung mittelbaren Mitbesitzes zugunsten der Nießbraucher ersetzt werden können. Daß der Kläger sein Angebot auf Bestellung der Nießbrauchsrechte zugleich als gesetzlicher Vertreter (zusammen mit seiner Ehefrau) annahm, sei durch § 181 BGB nicht ausgeschlossen gewesen, weil die Kinder mit den Nießbrauchsrechten lediglich rechtliche Vorteile erlangt hätten. Die Beteiligten hätten aus der Bestellung der Nießbrauchsrechte alle Folgen gezogen. Die Nießbrauchsbestellungen seien im Hinblick auf die Dauer der Nießbrauchsrechte von fünf und zehn Jahren nicht als wirtschaftlich unangemessene Form der Gewährung des gesetzlichen Unterhalts und als Umgehung des § 12 Nr. 2 EStG anzusehen.
Mit seiner Revision gegen dieses in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 488 (EFG 1973, 488) veröffentlichte Urteil rügt das FA die Verletzung des § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG und des § 12 Nr. 2 EStG mit im wesentlichen folgender Begründung: Die Nießbrauchsrechte seien bereits zivilrechtlich nicht entstanden. Im Hinblick auf die sich für die Nießbraucher aus den gesetzlichen Schuldverhältnissen zwischen ihnen und dem Kläger als Vermögensinhaber ergebenden Pflichten hätten die Kinder aus den Nießbrauchsbestellungen nicht ausschließlich rechtliche Vorteile erlangt, so daß ein Ergänzungspfleger hätte zugezogen werden müssen. Die Nießbrauchsbestellungen seien nur darauf gerichtet gewesen, den Kindern die Wertpapiererträge zuzuleiten. Deshalb handele es sich wirtschaftlich lediglich um die Vorausabtretung dieser Erträge. Das gelte vor allem bei dem auf nur fünf Jahre bestellten Nießbrauch zugunsten T. Bei dem auf zehn Jahre bestellten Nießbrauch zugunsten S sei zu berücksichtigen, daß der Kläger ausnahmslos über die Abhebungen vom Sparbuch des S, auf dem die Nießbrauchserträge gesammelt worden seien, bestimmt habe und der Nießbrauch auch in diesem Fall für einen überschaubaren Zeitraum bestellt worden sei. Den Kindern sei keinerlei Möglichkeit geblieben, die einem Nießbraucher gewöhnlich obliegende Verwaltung der belasteten Gegenstände wahrzunehmen. - Die Vorschrift des § 12 Nr. 2 EStG solle einkommensteuerrechtlich Manipulationen zwischen den dort genannten Personen verhindern. Die Beseitigung des früheren § 27 EStG dürfe nicht dazu führen, Steuerpflichtigen, die sich einen Verzicht auf die Nutzung von Teilen ihres Vermögens leisten könnten, gleichsam ein "Familiensplitting" einzuräumen, während Steuerpflichtige mit geringerem Einkommen nur die Kinderfreibeträge oder die Freibeträge nach § 33 a EStG geltend machen könnten. Wie das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24. November 1967 VI R 274/66 (BFHE 91, 39, BStBl II 1968, 260) zeige, lasse sich § 12 Nr. 2 EStG auf den vorliegenden Sachverhalt unmittelbar anwenden. Das Abzugsverbot dieser Bestimmung werde umgangen, wenn der Kläger seine Unterhaltspflicht durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Vermögen erfülle.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Das FA hat die Einkünfte zu Recht dem Kläger zugerechnet.
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob S und T mit den Nießbrauchsrechten trotz der für sie mit dem Erwerb dieser Rechte entstehenden gesetzlichen Sorgfaltspflichten ausschließlich einen rechtlichen Vorteil erlangten und ob für die Bestellung der Nießbrauchsrechte die Mitwirkung von Ergänzungspflegern erforderlich war (§§ 1795 Abs. 2, 181, 107 BGB; vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. September 1972 IV ZR 225/69, BGHZ 59, 236).
Die Bestellung der Nießbrauchsrechte änderte an der Zurechnung der Einkünfte nichts. Sie führte lediglich zur Veräußerung der künftigen Erträgnisansprüche des Klägers an seine Kinder (vgl. Westermann, Sachenrecht, 5. Aufl., 1966, S. 681; Baur, Lehrbuch des Sachenrechts, 8. Aufl., 1975, S. 606; derselbe in Soergel/Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, § 1068 Anm. 3; Spreng in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1068 Anm. 2; Ronke in Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1068 Anm. 3).
Der BFH hat in dem Urteil vom 13. Mai 1976 IV R 83/75 (BFHE 119, 63, BStBl II 1976, 592) entschieden, daß der Nießbrauch am Gewinnstammrecht eines Anteils an einer Personengesellschaft seinem zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Gehalt nach einer Vorausabtretung der künftigen Gewinnansprüche so nahekomme, daß er einkommensteuerrechtlich als eine solche Vorausabtretung zu werten sei. Für diese einkommensteuerrechtliche Beurteilung sei ausschlaggebend, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen, der einem anderen schenkweise den Nießbrauch an einem Gewinnstammrecht eingeräumt habe, nicht weitergehend gemindert sei, als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen, der einem anderen schenkweise künftige Gewinnansprüche abgetreten habe. Deshalb sei anzunehmen, daß bei der Bestellung eines Nießbrauchs am Gewinnstammrecht die Einkunftsquelle beim Nießbrauchsbesteller ebenso verbleibe wie bei Abtretung künftiger Gewinnansprüche.
Diesen Grundsätzen tritt der Senat bei. Er hält sie auch im vorliegenden Fall für anwendbar mit der Folge, daß einkommensteuerrechtlich die Einräumung der Nießbrauchsrechte als Vorausabtretung der künftigen Erträgnisansprüche zu werten ist. In seinen Urteilen vom 6. Juli 1966 VI 111/65 (BFHE 86, 674) und vom 24. November 1967 VI R 274/66 (BFHE 91, 39, BStBl II 1968, 260) ist der BFH allerdings davon ausgegangen, daß der Nießbraucher von Aktien und verzinslichen Darlehensforderungen die aufgrund des Nießbrauchs vereinnahmten Erträge als eigene Einkünfte erziele. Dieser Rechtsprechung folgt der Senat nicht. Einer Anrufung des Großen Senats nach § 11 Abs. 3 FGO bedarf es nicht, weil die sachliche Zuständigkeit für Fälle aus dem Bereich der Einkommensteuer, soweit es sich um Einkünfte aus Kapitalvermögen handelt, auf den erkennenden Senat übergegangen ist. Der Senat gibt auch den in seinem Urteil vom 1. Februar 1972 VIII R 118/71 (BFHE 104, 172, BStBl II 1972, 347) vertretenen Grundsatz auf, daß vom Nießbraucher einer Grundschuld vereinnahmte Zinsen schon deshalb als eigene Einkünfte des Nießbrauchers aus Kapitalvermögen anzusehen seien, weil die Zinsen Nutzungen des mit dem Nießbrauch belasteten Rechts sind, die der Nießbraucher kraft des Nießbrauchs selbst zu ziehen berechtigt ist. Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt nur, wer selbst Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt (vgl. BFH-Urteile vom 10. Juni 1975 VIII R 71/71, BFHE 116, 333, BStBl II 1975, 847; vom 14. Februar 1973 I R 77/71, BFHE 108, 536, BStBl II 1973, 452, und vom 12. Dezember 1969 VI R 301/67, BFHE 97, 546, BStBl II 1970, 212; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 20 EStG Anm. 3 - 4 und 5 - 9; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 20 EStG Anm. 54 und 54 a). Kapitalvermögen zur Nutzung gegen Entgelt überläßt in Fällen der vorliegenden Art nur der Inhaber der in den Wertpapieren verbrieften Rechte, nicht der Nießbraucher dieser Rechte. Daß der Nießbraucher zur Sicherung seines Nutzungsrechts neben dem Eigentümer der Wertpapiere zu deren gemeinschaftlichem Besitz und im Rahmen seines Verwaltungsrechts gegebenenfalls zur Wahrnehmung der sich aus dem verbrieften Recht ergebenden gesellschaftsrechtlichen Befugnisse (über deren Umfang im zivilrechtlichen Schrifttum keine Einigkeit herrscht, vgl. Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 36. Aufl., 1977, § 1068 Anm. 4 a) berechtigt ist, macht ihn nicht zum Inhaber des mit dem Nießbrauch belasteten Rechts. Er tritt mithin in die Rolle des Überlassers von Kapitalvermögen zur Nutzung gegen Entgelt nicht ein, sondern realisiert lediglich den kraft des Nießbrauchs erworbenen Erträgnisanspruch. Damit bleibt der Nießbraucher im Bereich der Vermögenssphäre und erfüllt die Tatbestände des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 EStG nicht. Ob das auch dann gilt, wenn jemand schenkweise Kapitalvermögensgegenstände unter gleichzeitiger Zurückbehaltung des Nießbrauchs veräußert (vgl. Urteil des Senats VIII R 118/71), braucht nicht entschieden zu werden.
Daß der Nießbraucher an einem vermieteten Grundstück grundsätzlich an Stelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Nießbrauchs aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Verpflichtungen eintritt und damit zum Vermieter wird, beruht auf den besonderen Vorschriften der §§ 577, 571 BGB, die nicht verallgemeinert werden können. Einkünfte aus Kapitalvermögen bezieht der Nießbraucher von Wertpapieren allenfalls, wenn er als wirtschaftlicher Inhaber der verbrieften Rechte anzusehen ist oder selbst Kapital zur Nutzung gegen Entgelt etwa in der Weise überläßt, daß er die Erträgnisansprüche gegen Entgelt stundet. Die Kinder des Klägers waren nicht wirtschaftliche Inhaber der belasteten Wertpapiere. Ihr dingliches Nutzungsrecht war befristet; deshalb war der Kläger nicht auf Dauer von einer seiner Rechtsstellung als Wertpapierinhaber entsprechenden Einwirkung auf die verbrieften Rechte ausgeschlossen (vgl. Seeliger, Der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums im Steuerrecht, Stuttgart 1962, S. 43 ff., und § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung 1977, BGBl I 1976, 613). Daß die Nießbraucher die Erträgnisansprüche gestundet hätten, ist nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen nicht anzunehmen.
Die von den Nießbrauchern vereinnahmten Erträge sind dem Kläger im Sinne der §§ 8 und 11 EStG in Höhe und im Zeitpunkt der Zahlungen an die Kinder zugeflossen.
Bleiben die Nießbrauchsrechte einkommensteuerrechtlich außer Betracht, dann gilt das gleiche für die mit ihnen bewirkte Abtretung der Erträgnisansprüche an die Nießbraucher, so daß die Erträge mit der von ihm gebilligten Zahlung an die Nießbraucher dem Kläger zugeflossen sind.
Die Vorinstanz ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, so daß die Vorentscheidung aufgehoben werden muß. Die Sache ist spruchreif, so daß der Senat abschließend entscheiden und die Klage als unbegründet abweisen kann.
Die BFH-Urteile vom 7. Februar 1973 I R 215/72 (BFHE 108, 353, BStBl II 1973, 493), vom 13. März 1974 I R 180/72 (BFHE 112, 146, BStBl II 1974, 423) und vom 28. November 1974 I R 232/72 (BFHE 114, 418, BStBl II 1975, 498) stehen dieser Entscheidung nicht entgegen.
Fundstellen
BStBl II 1977, 115 |
BFHE 1977, 53 |
NJW 1977, 1215 |