Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur steuerlichen Behandlung von Scheinrenditen aus einem Schneeballsystem; Maßgeblichkeit der Sicht des Kapitalanlegers bei objektiver Betrachtungsweise; Besteuerung des vorgetäuschten Erwerbs von "Treasury-Bond-Optionen"
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Entscheidung, ob einer der in § 20 EStG oder § 23 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, kommt es entscheidend darauf an, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Kapitalanlegers als des Leistungsempfängers bei objektiver Betrachtungsweise darstellt.
2. Beteiligt sich ein Kapitalanleger an einem sog. Schneeballsystem, mit dem ihm vorgetäuscht wird, in seinem Auftrag und für seine Rechnung würden "Treasury-Bond-Optionen" erworben, so ist dieser von ihm angenommene Sachverhalt der Besteuerung zugrunde zu legen.
3. Hätte der Kapitalanleger, der sich an dem Schneeballsystem beteiligt, erkannt, dass der Erwerb von "Treasury-Bond-Optionen" nur vorgetäuscht war, wären die im Rahmen des Schneeballsystems an ihn ausgezahlten Gewinne als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu erfassen.
Normenkette
EStG 1989 § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1b
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Im Jahre 1984 wandte sich eine X-Vermögensanlagen GmbH mit Sitz in D (im Folgenden: X) an den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) mit dem Vorschlag, sich an dem International Monetary Market (I.M.M.) in Chicago in Form eines Dollar-DM-Devisenterminkontrakts zu beteiligen; dabei wurde ausdrücklich der Begriff "Gewinn-Spiel" benutzt. Hinter der X stand der Geschäftsmann A, den das Landgericht (LG) D im November 1996 wegen Anlagebetrugs zu einer Freiheitsstrafe von fast 6 Jahren verurteilte. Dem landgerichtlichen Urteil zufolge hatte A im August 1986 in Y (USA) zusammen mit anderen Geschäftspartnern das Unternehmen Z-Corp. und im Oktober 1986 die Z-GmbH mit Sitz in D (Z) gegründet. A beherrschte die Gesellschaften und war außerdem --jedenfalls faktisch-- deren Geschäftsführer.
Über die genannten Z-Gesellschaften bot A seinen Kunden, den Anlegern, u.a. Treasury-Bond-Terminkontrakte sowie Treasury-Bond-Optionen an. Entgegen den gegenüber den Anlegern geäußerten Verlautbarungen legte A die von diesen zu Anlagezwecken zur Verfügung gestellten Gelder nicht in der versprochenen Weise in Treasury-Bond-Terminkontrakten bzw. Treasury-Bond-Optionen an, sondern benutzte die Kapitalzuflüsse zur Finanzierung eines sog. Schneeballsystems, das Anfang des Jahres 1990 zusammenbrach. Nach den Feststellungen des LG D bot A in sog. "Sondervereinbarungen" die Optionen deshalb mit schon angelaufenen Gewinnen an, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um solide, gegen Risiken abgesicherte Anlagen mit hoher Rendite handele.
Der Kläger hatte bereits ab März 1985 immer wieder Beträge in Terminkontrakten angelegt, die anfangs von der X, später von den Z-Gesellschaften vermittelt wurden. Im April 1987 tauchte in den Abrechnungen der Kontrakte die Bezeichnung "Sondervereinbarung" auf. Ab Oktober 1988 wurden die Aufträge --scheinbar-- über die Z-Gesellschaften abgewickelt. Die von den Z-Gesellschaften erteilten schriftlichen Bestätigungen lauten in etwa wie folgt (z.B. Sondervereinbarungen vom 10. April 1989):
"Sondervereinbarung
Sehr geehrter Herr …,
Sie erhalten Treasury-Bond Optionen, Einschuss 700 000,-- US $. Den bereits angelaufenen Gewinn in Höhe von 307 100 US $ sichern wir durch Stop-Setzung ab und garantieren Ihnen hiermit die Rückzahlung am 30.07.89 in Höhe von mindestens 1 007 100 US $. Die Z erhält eine 10%-ige Gewinnbeteiligung auf den Nettozuwachs Ihrer Einlage."
Der Kläger sah sich im Jahre 1989 genötigt, telefonisch und schriftlich, zum Teil in scharfer Form, auf die korrekte Abwicklung der einzelnen Geschäfte hinzuwirken.
Der Kläger erzielte aus den in den Streitjahren 1988 und 1989 vorgetäuschten Anlagen in Treasury-Bond-Optionen im Jahr 1988 einen Überschuss von 17 891 DM und im Jahr 1989 einen Überschuss von 669 475 DM. Der Ende 1989 getätigte Einschuss in Höhe von 325 000 US $ wurde nicht an ihn zurückgezahlt.
Die Kläger hatten die erzielten Überschüsse in ihren Einkommensteuererklärungen für die beiden Streitjahre nicht angegeben. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erfasste die Überschüsse in Änderungsbescheiden, die auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt waren, als Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, die vom Kläger erzielten (Schein-)Erträge aus den von den Z-Gesellschaften (angeblich) vermittelten Geschäfte seien nicht steuerbar. Die Tatbestände des § 20 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, jeweils in der für die Streitjahre gültigen Fassung, seien nicht erfüllt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1695 veröffentlicht.
Das FA rügt mit seiner Revision eine fehlerhafte Auslegung der §§ 8 Abs. 1, 11 Abs. 1, 20 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 7 und 23 Abs. 1 EStG, §§ 116, 366 Abs. 1 und 705 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), §§ 230 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung der Vorinstanz, die ausschließlich aus Sondervereinbarungen über Treasury-Bond-Optionen erzielten Überschüsse der Streitjahre 1988 und 1989 seien nicht steuerbar gewesen, weil sie weder den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 7 noch des § 23 Abs. 1 EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung erfüllt hätten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Für die Entscheidung des Streitfalles kann die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob der Kläger gewusst hat, dass er sein Geld einem nach dem Schneeballsystem vorgehenden Anlagebetrüger anvertraut hat oder ob er tatsächlich von dem Erwerb von Treasury-Bond-Optionen ausgegangen ist und ausgehen konnte, offen bleiben. Denn in beiden Fällen sind die vom Kläger erzielten und in ihrer Höhe nicht umstrittenen Überschüsse aus den Treasury-Bond-Optionen steuerpflichtig.
1. Hätte der Kläger den tatsächlichen Sachverhalt und damit erkannt, dass der Erwerb der Treasury-Bond-Optionen in seinem Auftrag und auf seine Rechnung nur vorgetäuscht gewesen war, wären die an ihn ausgezahlten "Gewinne" den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG zuzuordnen. Nach der erstgenannten Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Zinsen aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, z.B. aus Einlagen und Guthaben bei Kreditinstituten, aus Darlehen und Anleihen. Bei Kenntnis des wahren Sachverhalts hätte der Kläger den Z-Gesellschaften den als "Einschuss" bezeichneten Betrag zur Nutzung überlassen und die Z-Gesellschaften hätten dem Kläger nach Ablauf einer gewissen Zeit diesen Betrag zuzüglich eines Nutzungsentgelts zurückgezahlt. Jedenfalls in Höhe des in der jeweiligen Sondervereinbarung garantierten Gewinns wäre bei Kenntnis des wahren Sachverhalts der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der für die beiden Streitjahre gültigen Fassung erfüllt. Soweit dem Kläger in allen Fällen tatsächlich ein höherer als der garantierte Betrag als Gewinn zurückgezahlt worden ist, lägen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG vor. Danach gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch besondere Entgelte oder Vorteile, die neben den in Abs. 1 bezeichneten Einnahmen oder an deren Stelle gewährt werden. Diese Vorschrift bewirkt, dass alles, was für die Nutzung von Kapital gewährt wird, zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehört; deshalb gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252, m.w.N.). Dies wäre für die an den Kläger ausgezahlten Gewinne der Fall gewesen, wenn der Kläger den wahren Sachverhalt durchschaut hätte.
2. Hätte der Kläger gemäß der Überzeugung der Vorinstanz den tatsächlichen Sachverhalt nicht durchschaut, sondern angenommen, die Z-Gesellschaften hätten gemäß der Bestätigung in der jeweiligen "Sondervereinbarung" in seinem Auftrag und für seine Rechnung "Treasury-Bond-Optionen" erworben, müsste dieser Sachverhalt der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Denn bei der Prüfung, ob einer der in § 20 oder § 23 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, ist nicht der innere Wille der Z-Gesellschaften bei Vertragsschluss maßgebend, sondern entscheidend, wie sich das jeweilige Rechtsgeschäft aus der Sicht des Klägers als des Leistungsempfängers bei objektiver Betrachtungsweise darstellen musste. Das bedeutet, dass es auf den nach außen erkennbar gewordenen Willen der Z-Gesellschaften beim Vertragsabschluss ankommt; dabei sind die für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze der §§ 133, 157 BGB entsprechend anwendbar (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 71/71, BFHE 116, 333, BStBl II 1975, 847, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 31. Oktober 1963 VII ZR 285/61, BGHZ 40, 272, 278).
Bei Anwendung dieses Maßstabs lägen Gewinne aus einem steuerpflichtigen Spekulationsgeschäft gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die beiden Streitjahre gültigen Fassung vor. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger bei dem Erwerb der Optionen nicht den späteren Erwerb von Treasury-Bonds beabsichtigt hätte, sondern sein Wille stets nur --wie das FG angenommen hat-- auf die Erlangung eines Differenzgewinns gerichtet gewesen wäre.
a) Inhalt eines Optionsgeschäfts ist der Erwerb eines Rechts (Option) durch den Käufer der Option (Optionsnehmer) vom Verkäufer der Option (Optionsgeber, Stillhalter) gegen Zahlung eines Entgelts (Optionsprämie), innerhalb eines bestimmten Zeitraums (sog. amerikanische Option) oder zu einem vorausbestimmten Zeitpunkt (sog. europäische Option) einen bestimmten Basiswert (Waren, Aktien, Anleihen, Devisen u.a.) zu einem vereinbarten Basispreis kaufen (sog. Call) oder verkaufen (sog. Put) zu können (vgl. BFH-Urteile vom 28. November 1984 I R 290/81, BFHE 143, 38, BStBl II 1985, 264; vom 28. November 1990 I R 197/87, BFHE 163, 175, BStBl II 1991, 300; vom 18. Dezember 2002 I R 17/02, BFHE 201, 234, BStBl II 2004, 126; vom 24. Juni 2003 IX R 2/02, BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752; Harenberg/Irmer, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 3. Aufl., 2003, S. 347, Rn. 1091).
Danach muss der Erwerber einer Option grundsätzlich bei Beginn des Geschäfts eine Optionsprämie zahlen. Im Streitfall war der Kläger aufgrund der jeweiligen Sondervereinbarung nicht zur Zahlung einer Optionsprämie, sondern zur Zahlung eines als "Einschuss" bezeichneten Betrages verpflichtet, der ihm nach der jeweiligen Abrechnung zurückzuzahlen war. Als Einschuss bezeichnet man die Sicherheitsleistung, die bei Terminkontrakten (Futures) sowie beim Verkauf von Optionskontrakten zu erbringen ist (vgl. Zahn, Handlexikon zu Futures, Optionen und innovativen Finanzinstrumenten, 1991, Stichwort: "Einschuss"). Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass der Kläger wegen der Verwendung des Begriffes "Einschuss" und der fehlenden Erwähnung einer Optionsprämie in der Sondervereinbarung vernünftigerweise gar nicht von dem Erwerb von Optionen hätte ausgehen dürfen. Denn bei verschiedenen börsengehandelten Optionen hat sich abweichend von der Regel, dass die Optionsprämie bei Beginn des Geschäfts fällig ist, das sog. Futures-Style-Verfahren etabliert, bei dem die Prämie erst bei Glattstellung, Ausübung oder Verfall der Option fällig wird (vgl. Scharpf/Luz, Risikomanagement, Bilanzierung und Aufsicht von Finanzderivaten, 1996, S. 281; Förschle in Beck'scher Bilanz-Kommentar --Beck Bil-Komm--, 5. Aufl., § 246 Anm. 101 und 111; Beckmann, Termingeschäfte und Jahresabschluss, 1993, S. 43). Deshalb musste die Verwendung des Begriffes "Einschuss" in den Sondervereinbarungen nicht bedeuten, dass der Kläger den wahren Sachverhalt durchschaut und erkannt hat, dass in Wirklichkeit überhaupt keine Optionsgeschäfte in seinem Auftrag und für seine Rechnung getätigt worden sind. Hat der Kläger aber angenommen und bei objektiver Betrachtung auch annehmen können, dass die ihm mitgeteilten Gewinne aus den Treasury-Bond-Optionen stammen, deren Erwerb ihm in der jeweiligen Sondervereinbarung bestätigt worden war, haben unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BFH in dem Urteil in BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752 steuerpflichtige Spekulationsgeschäfte selbst dann vorgelegen, wenn der Kläger von vornherein nur einen Differenzausgleich beabsichtigt hat.
b) Ein Spekulationsgeschäft (§ 22 Nr. 2 EStG) ist gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für die Streitjahre gültigen Fassung die Veräußerung von Wirtschaftsgütern, insbesondere von Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als sechs Monate beträgt. Die Regelung erfasst nur Veräußerungsgeschäfte über Wirtschaftsgüter. Das veräußerte Wirtschaftsgut muss mit dem erworbenen zumindest wirtschaftlich identisch sein. Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der Spekulationsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 25. August 1987 IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248, m.w.N., und vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469).
Zu den Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines Spekulationsgechäfts sein können, zählen auch Optionen (BFH-Urteile vom 24. Juli 1996 X R 139/93, BFH/NV 1997, 105; vom 19. Mai 1982 I R 257/78, BFHE 136, 363, BStBl II 1982, 768; in BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752). Bei einer Option handelt es sich um einen vermögenswerten Vorteil, der selbständig bewertbar und längerfristig nutzbar ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 105). Das Optionsrecht wäre bei einem betrieblich veranlassten Erwerb in der Bilanz der Unternehmen als immaterieller Vermögensgegenstand zu aktivieren (vgl. z.B. Förschle in Beck Bil-Komm, § 246 Anm. 101; Eisele/Knobloch, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1993, 577, 582, m.w.N.) und damit auch ein Wirtschaftsgut i.S. des § 4 Abs. 1 EStG.
Bei den Optionsgeschäften an der amerikanischen Terminbörse, die dem Kläger vorgetäuscht worden sind, handelt es sich unabhängig davon um Spekulationsgeschäfte, auf welche Weise der jeweilige Gewinn zustande gekommen sein soll. Bei Treasury-Bond-Optionen sind Treasury-Bonds die Basiswerte. Treasury-Bonds sind langfristige Wertpapiere des US-Schatzamtes mit einer Laufzeit von zehn Jahren und länger (vgl. Siebers/Weigert, Börsen-Lexikon, 1995, Stichwort: "T-Bonds"). Dem Kläger ist in keinem Fall mitgeteilt worden, dass für ihn Treasury-Bonds erworben und tatsächlich in ein Depot überführt worden seien. Deshalb kann der jeweilige Gewinn nur auf
- einer Ausübung der Option mit einem sofortigen Anschlussgeschäft oder auf
- einem sog. Glattstellungsgeschäft
beruhen. In beiden Fällen läge ein Spekulationsgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG vor.
aa) Wären die an den Kläger ausgezahlten Überschüsse durch eine Ausübung der Option und den anschließenden Weiterverkauf der erworbenen Treasury-Bonds erzielt worden, hätte es sich bei dem jeweils innerhalb von sechs Monaten vollzogenen Verkauf der erworbenen Wertpapiere um ein Spekulationsgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG gehandelt (vgl. Harenberg/ Irmer, a.a.O., S. 354, Rn. 1106). Die Rechtslage wäre auch dann nicht anders, wenn dem Kläger durch die Sondervereinbarung vorgetäuscht worden wäre, die Option zu einem Verkauf von Treasury-Bonds erworben zu haben. Denn in diesem Fall hätten die entsprechenden Treasury-Bonds zuvor erworben und sodann veräußert werden müssen, was ebenfalls zu einem Veräußerungsgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG geführt hätte (vgl. Harenberg/Irmer, a.a.O., S. 355, Rn. 1111).
bb) Ein steuerpflichtiges Spekulationsgeschäft läge aber auch dann vor, wenn der an den Kläger ausgezahlte Überschuss auf einem sog. Glattstellungsgeschäft beruht hätte.
aaa) Treasury-Bond-Optionen werden an amerikanischen Börsen, und zwar u.a. auch an der "Chicago Board of Options Exchange" (CBOE) gehandelt (vgl. Zahn, a.a.O., Stichwort: "T-Bond Option"). An der CBOE werden ausschließlich Optionen gehandelt, deren einer Vertragspartner die "Options Clearing Corporation" (OCC) ist (vgl. Hartung, Das Wertpapieroptionsgeschäft in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 25). Beim Optionshandel an der CBOE ist die OCC Vertragspartner sowohl des Stillhalters als auch des Käufers der Wertpapieroptionen. Dadurch wird erreicht, dass sich Stillhalter und Käufer völlig unabhängig voneinander jeweils durch Gegengeschäfte mit der OCC von dem Optionsgeschäft lösen können, ohne vertragliche Rechte des anderen Teils zu beeinträchtigen (vgl. zum Vorstehenden Hartung, a.a.O., S. 26 ff.).
An diesem sog. CBOE-Modell hat sich auch der Optionshandel an der Deutschen Terminbörse --DTB-- (jetzt: EUREX) orientiert (vgl. Hartung, a.a.O., S. 25; Walter, Die Rechtsnatur des Börsenoptionsgeschäfts, S. 90 und 93; vgl. auch Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., S. 1862 bis 1864, Rn. 14.129 bis 14.136). Die dort gehandelten Optionen können ebenfalls nicht an Dritte veräußert, sondern nur durch Gegengeschäfte "glattgestellt" werden (vgl. dazu Fleischmann, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1996, 289 ff.; ders., Inf 2003, 225, 226). Der Optionsberechtigte verkauft der DTB eine Option der gleichen Serie, aus der er zuvor gekauft hat, und kennzeichnet das Geschäft als Glattstellungs- oder Closinggeschäft (vgl. zur Funktionsweise Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 10. November 1994 IV B 3 -S 2256- 34/94, BStBl I 1994, 816, Tz. 2; Fleischmann, Inf 1996, 289 ff.; ders., Inf 2003, 225, 226).
bbb) Der IX. Senat des BFH hat in dem Urteil in BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752 die bis dahin offene Frage entschieden, ob bei an der DTB gehandelten Optionen das Glattstellungsgeschäft ein privates Veräußerungsgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG oder ein nicht steuerbares Differenzgeschäft ist (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248). Er hat ein Veräußerungsgeschäft angenommen und dies damit begründet, dass das Eröffnungsgeschäft und das Glattstellungsgeschäft keine Einheit bildeten, die sich lediglich auf den --nicht steuerbaren-- Differenzausgleich richten würde. Vielmehr spreche gegen eine einheitliche Betrachtung von Eröffnungs- und Glattstellungsgeschäft, dass das Eröffnungsgeschäft nicht zwingend zu einer Glattstellung durch ein Gegengeschäft führen müsse, weil der Optionsnehmer stattdessen auch von seinem Recht Gebrauch machen könne, Wertpapiere zu dem zuvor vereinbarten Basispreis zu erwerben. Das Gegengeschäft, mit dem der Optionsberechtigte seine Position glattstelle, führe zu einer "Veräußerung" der Option als eines Wirtschaftsguts. Weil die Option nach den Handelsbedingungen an der DTB nicht an Dritte veräußert werden könne, bilde die Glattstellungstransaktion den einzigen Weg, sich von der eingegangenen Position zu trennen und dabei ihren wirtschaftlichen Wert zu verwirklichen. Das Gegengeschäft führe zur Aufhebung des Optionsrechts; Kauf- und Verkaufsposition einer Serie würden gegeneinander glattgestellt. Unabhängig davon, ob dies durch Aufrechnung mittels eines Aufrechnungsvertrages geschehe, sei das Rechtsgeschäft darauf gerichtet, das Recht aus der Option durch Verrechnung mit der Verpflichtung aus der Option zum Erlöschen zu bringen. Da bereits in der Aufhebung des Optionsrechts eine Verfügung über dieses Recht und damit eine Veräußerung liege, komme es nicht darauf an, dass diese Verfügung sich nicht als Rückveräußerung der erworbenen Option darstelle. § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG fordere nicht, dass die erworbene Position zurückübertragen werden und damit als solche fortbestehen müsse. Diese Veräußerung habe auch nicht lediglich zu einem Rückgängigmachen des Eröffnungsgeschäfts, sondern zu seiner wirtschaftlichen Erfüllung geführt. Denn mit der sog. Glattstellung würden die Werterhöhungen des Wirtschaftsgutes "Option" realisiert. Der Optionsberechtigte erhalte für das Gegengeschäft eine Prämie, die von der Kursentwicklung der den Gegenstand des Optionsgeschäfts bildenden Wertpapiere oder Rechte abhänge und damit den Wert der Option selbst repräsentiere.
ccc) Diese Grundsätze, die für ein Glattstellungsgeschäft einer an der DTB gehandelten Option aufgestellt worden sind, sind auch auf Glattstellungsgeschäfte bei Optionen anwendbar, die an der CBOE oder anderen amerikanischen Terminbörsen gehandelt werden. Denn wie bereits oben dargelegt, läuft der Handel nach vergleichbaren Regeln ab. Der Kläger musste aufgrund des ihm vorgetäuschten Sachverhaltes von Geschäften an einer Terminbörse ausgehen. Wie die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 3. September 2004 selbst vorgetragen haben, war die Einschaltung eines Brokers vorgespiegelt worden. Da dem Kläger der Gewinn aus der jeweiligen Sondervereinbarung auch stets innerhalb von weniger als sechs Monaten mitgeteilt worden ist, hätte ein Glattstellungsgeschäft auch jeweils den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG erfüllt.
cc) Auch der Verkauf eines Optionsrechtes vor seinem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach seinem Erwerb würde zu einem steuerpflichtigen Spekulationsgewinn führen (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 105). Bei den an der CBOE gehandelten Treasury-Bond-Optionen, deren Vertragspartner die OCC ist, ist ein Weiterverkauf an Dritte jedoch nicht möglich.
dd) Der Annahme eines Spekulationsgeschäftes stehen auch nicht der Hinweis der Kläger auf das Schreiben des BMF vom 10. November 1994 in BStBl I 1994, 816, Rz. 1 und 17, und die Möglichkeit des Barausgleichs entgegen. Wie die Kläger selbst ausführen, wäre Voraussetzung dafür, dass die effektive Lieferung des Basiswertes aufgrund der Natur der Sache oder aufgrund von Handelsbedingungen ausgeschlossen wäre. Treasury Bonds sind aber lieferbare Wertpapiere und die Lieferung war bei den an den Terminbörsen gehandelten Treasury-Bond-Optionen auch nicht ausgeschlossen. Dementsprechend war ein Barausgleich der in dem BMF-Schreiben genannten Art nicht vorgesehen; insoweit kam nur ein Glattstellungsgeschäft in Betracht (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 202, 351, BStBl II 2003, 752, betreffend die an der DTB gehandelten Optionen). Allein der Umstand, dass der Wille des Klägers von vornherein nicht auf den Erwerb von Treasury Bonds, sondern nur auf die Auszahlung eines Gewinns gerichtet war, bedeutet nicht, dass es sich um ein nicht steuerbares Differenzgeschäft handelt.
c) Die für die Streitjahre 1988 und 1989 ermittelten Spekulationsgewinne sind auch nicht wegen des Einschusses zu mindern, den der Kläger aufgrund der Sondervereinbarung vom 7. Dezember 1989 gezahlt hat. Abgesehen davon, dass ein Spekulationsgewinn oder -verlust aufgrund dieser Sondervereinbarung ohnehin erst im Jahr 1990 zu erfassen gewesen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1991 X R 6/91, BFHE 165, 85, BStBl II 1991, 916), ist dem Kläger für dieses Geschäft eine Vollendung des Tatbestands des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht vorgetäuscht worden. Denn für dieses Geschäft ist ihm keine Abrechnung erteilt und weder eine Glattstellung noch sonst vorgespiegelt worden, dass der geleistete Einschuss mit Kosten verrechnet worden sei, die aus der Durchführung des Geschäftes entstanden seien. Vielmehr ist ihm dieser Betrag allein deshalb nicht mehr zurückgezahlt worden, weil das Schneeballsystem zusammengebrochen war. Insoweit handelt es sich um einen nicht steuerbaren Verlust auf der Vermögensebene.
d) Die Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist entgegen der Auffassung der Kläger für die Streitjahre 1988 und 1989 auch nicht wegen eines verfassungswidrigen Vollzugsdefizits ausgeschlossen. Wie der IX. Senat des BFH bereits durch Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01 (BFHE 206, 273, 867, DStR 2004, 1166, mit Anmerkung BT, DStR 2004, 1171) entschieden hat, ist diese Vorschrift für Jahre bis einschließlich 1993 anwendbar, auch wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sie, soweit sie Veräußerungsgeschäfte aus Wertpapieren betrifft, durch Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BFHReport 2004, 295, 308, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2004, 396) in der für 1997 und 1998 geltenden Fassung für mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- unvereinbar und nichtig erklärt hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 118, BStBl II 2004, 995). Denn die Rechtslage, dass ein Verstoß gegen die Belastungsgleichheit auf die materiell-rechtliche Grundlage für die Steuererhebung zurückwirkt, war bis zu dem Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) nicht erkannt worden. Das BVerfG hat in Fällen gewandelter Verfassungsauslegung unter Hinweis auf das rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot die Notwendigkeit von Übergangsregelungen anerkannt. Es hat dem Gesetzgeber für die Vorschriften der §§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (a.F.) aufgegeben, spätestens mit Wirkung vom 1. Januar 1993 eine Besteuerungsgleichheit herzustellen (BVerfG in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, unter C.II.5.b der Entscheidungsgründe). Es gibt keinen einleuchtenden Grund, die Frist für die Beseitigung eines eventuellen Vollzugsdefizits bei den Einkünften aus Spekulationsgeschäften kürzer zu bemessen als für die Einkünfte aus Kapitalvermögen. Auch das BVerfG geht für Spekulationsgeschäfte nicht von einer kürzeren Übergangsfrist aus, wenn es in seinem oben zitierten Urteil vom 9. März 2004 (BFHReport 2004, 295, DStRE 2004, 396, unter D.I. der Gründe) ausführt, dass die in dem Urteil in BVerfGE 84, 239 angeführten Gründe für die Einräumung einer Übergangsfrist für gesetzgeberische Nachbesserungen zwischenzeitlich nicht mehr vorlägen.
e) Die Steuerpflicht der Gewinne aus den vom Kläger getätigten Spekulationsgeschäften scheidet auch nicht aufgrund des Vorbringens der Kläger aus, die Finanzverwaltungen außerhalb Baden-Württembergs hätten bei gleichem Sachverhalt zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Denn selbst wenn --was keineswegs feststeht-- die Sachverhalte tatsächlich vergleichbar wären, begründet die fehlerhafte begünstigende steuerliche Behandlung eines Sachverhalts durch eine Finanzbehörde keinen Rechtsanspruch auf eine Gleichbehandlung durch eine andere Behörde.
3.Die Vorentscheidung ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen und deshalb aufzuheben. Da über die Höhe der erzielten Überschüsse aus den Sondervereinbarungen über den Erwerb der Treasury-Bond-Optionen zwischen den Beteiligten kein Streit besteht und die Zahlung aufgrund der Sondervereinbarung vom 7. Dezember 1989 nicht zu berücksichtigen ist, ist die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1396116 |
BFH/NV 2005, 1676 |
BStBl II 2005, 746 |
BFHE 209, 438 |