Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte
Leitsatz (NV)
Für das Streitjahr 1996 bleibt § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG anwendbar (Ergänzung zu den BFH-Urteilen vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26 und vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG 1996 § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (1996) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Streitjahr einen Gewinn aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 76 076 DM; im Jahr 1997 erwirtschaftete er einen Verlust in Höhe von 37 783 DM, der gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres (EStG) im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 1997 nicht berücksichtigt wurde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer des Streitjahres fest, indem er die Gewinne aus den privaten Veräußerungsgeschäften des Streitjahres, nicht jedoch die Verluste des Jahres 1997 berücksichtigte. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit ihrer Klage machten die Kläger unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) vorrangig die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage geltend. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG sei im Streitjahr wie auch in den Jahren 1997 und 1998 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig. Hilfsweise sei der Gewinn des Streitjahres um die Spekulationsverluste des Jahres 1997 zu mindern.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangszeit umfasse auch das Streitjahr. Wegen der Nichtigerklärung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG für das Jahr 1997 könne der Gewinn des Streitjahres auch nicht durch die im Jahr 1997 erzielten Verluste vermindert werden.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Eine dem Gesetzgeber einzuräumende Übergangszeit umfasse nicht auch das Streitjahr. Wenn man von der Vorlage des Abschlussberichts der vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" (Der Steuerberater 1994, 446, 449 f.) ausgehe, habe die Erhebungsstruktur bereits --was ausreiche-- im Streitjahr korrigiert werden können. Der Verlust des Jahres 1997 sei durch analoge Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG 1999 im Streitjahr zu berücksichtigen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1996 unter Änderung des geänderten Einkommensteuerbescheids vom 20. Oktober 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 1999 insoweit herabzusetzen, wie sie sich ohne Ansatz eines Gewinns aus der Veräußerung privater Wertpapiere und den sonstigen Einkünften ergibt,
hilfsweise,
die Einkommensteuer 1996 unter Berücksichtigung des aus Spekulationsgeschäften im Jahr 1997 erzielten Verlusts in Höhe von 37 783 DM festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG den im Streitjahr erzielten Gewinn aus Spekulationsgeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in vollem Umfang der Besteuerung unterworfen.
1. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen diese Regelung nicht. Unabhängig davon, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG im Streitjahr gleichheitsgemäß vollzogen wurde, ist das Streitjahr in die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, und vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995; BFH-Beschluss vom 29. November 2005 IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719) dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist einzubeziehen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG hängt die Beantwortung der Frage, ab welchem Kalenderjahr ein Verstoß gegen die tatsächliche Belastungsgleichheit dem Steuergesetzgeber zuzurechnen ist mit der Folge, dass die materiell-rechtliche Grundlage für die Steuererhebung selbst verfassungswidrig wird, von Tatsachen ab, die für jeden Einzelfall einer gleichheitswidrig vollzogenen Steuernorm gesondert festzustellen sind. Insoweit entscheidungserhebliche Tatsachen können beispielsweise Zeitpunkt, Art und Ausmaß der in Fachkreisen öffentlich geführten Diskussion, die Entwicklung auf Märkten, auf die die einschlägige Besteuerung abzielt, oder die Ergebnisse von Gutachten anerkannter Institutionen oder verwaltungsinterner Untersuchungen sein (BVerfG-Beschluss vom 18. April 2006 2 BvL 8/05, Wertpapier-Mitteilungen 2006, 1166, BFH/NV 2006, Beilage 3, 364 ff., unter II. 2. a aa).
Nach diesen Maßstäben umfasst die dem Gesetzgeber einzuräumende Übergangszeit auch das Jahr 1996 (gleicher Ansicht FG Hamburg, Urteil vom 25. Mai 2007 6 K 28/07, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1606 --rechtskräftig--; FG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2007 18 K 12/05 E, EFG 2007, 1607 --rechtskräftig--; FG Münster, Urteil vom 14. September 2006 8 K 4710/01 E, EFG 2007, 133 --rechtskräftig--). Zusätzlich zu den bereits in den BFH-Urteilen in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26 und in BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995 hervorgehobenen Umständen ist u.a. auf den im Jahr 1994 vorgelegten Abschlussbericht (a.a.O.) der vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eingesetzten Arbeitsgruppe "Steuerausfälle" abzustellen (so auch BVerfG in BVerfGE 110, 94, 98 f. und 136 f.), der nicht notwendigerweise bereits im Streitjahr in eine gesetzliche Nachbesserung umgesetzt werden konnte. Insoweit ist dem Gesetzgeber zuzugestehen, die regional begrenzt (nämlich in Nordrhein-Westfalen) ermittelten Tatsachen zunächst für das gesamte Bundesgebiet nachzuvollziehen, bevor mit einer entsprechenden Gesetzesinitiative begonnen werden kann. Berücksichtigt man ferner die durchschnittliche Dauer eines (Zustimmungs-)Gesetzes (vgl. dazu zutreffend FG Hamburg in EFG 2007, 1606, m.w.N.), so ist ein möglicherweise gegebenes strukturelles Vollzugsdefizit im Jahr 1996 dem Gesetzgeber noch nicht zurechenbar. Dies gilt umso mehr, als auch die Situation an den Aktienmärkten im Streitjahr offenkundig wesentlich von den Gegebenheiten in den Jahren 1997 und 1998 abwich. Erst im Jahr 1996 hatte ein verstärkter Erwerb von Aktien durch private Haushalte eingesetzt, der im Jahr 1997 durch eine positive Entwicklung des DAX unterstützt worden war (vgl. dazu die Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen in Verfahren vor dem BVerfG 2 BvL 8/05, BVerfG-Beschluss vom 18. April 2006, a.a.O., m.w.N.).
2. Das FG hat zutreffend auch die vom Kläger im Jahr 1997 erwirtschafteten Verluste aus Veräußerungsgeschäften nicht von seinen im Streitjahr erzielten Einkünften abgezogen. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BFH Verluste aus Spekulationsgeschäften in den für die Jahre vor 1999 geltenden Fassungen in den noch offenen Altfällen nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen auszugleichen und abzuziehen (BFH-Urteile in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, und vom 13. Dezember 2006 VIII R 29/01, BFH/NV 2007, 689). Ein Verlustrücktrag gemäß § 10d Abs. 1 EStG von dem Veranlagungszeitraum 1997 in das Streitjahr kommt hier aber schon deshalb nicht in Betracht, weil der im Jahr 1997 erzielte Verlust nicht steuerbar ist. Der Steuertatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist weggefallen, nachdem ihn das BVerfG mit Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, a.a.O., für nichtig erklärt hat. Vertrauensschutz kommt insoweit nicht in Betracht. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf sein Urteil vom 14. Juli 2004 IX R 13/01 (BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125).
Fundstellen
Haufe-Index 1979128 |
DStRE 2008, 1059 |
HFR 2008, 747 |
NWB 2008, 12 |