Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Festsetzung der Frist, die in § 57 Abs. 1 EStDV 1951 für die Stellung des Antrags auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses bestimmt ist, ist rechtsgültig.
Der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1951 ist als rechtsmittelähnlicher Rechtsbehelf anzusehen. Bei Versäumung der Antragsfrist kann deshalb unter den Voraussetzungen des § 86 AO Nachsicht gewährt werden.
Normenkette
EStG § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 46/2/8, § 51/1/1/c; EStDV § 57 Abs. 1, § 71/2; AO § 86 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Nachsicht wegen Versäumung der Frist des Antrags auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses.
Der Beschwerdeführer (Bf.), der als Angestellter lohnsteuerpflichtig war, hat unter Einreichung einer Steuererklärung mit Schriftsatz vom 17. April 1953, eingegangen beim Finanzamt am 20. April 1953, beantragt, ihn für das Jahr 1951 wegen seines Verlustes von 1.225 DM aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu veranlagen. Der Verlust ergebe sich durch Anwendung des § 7b EStG auf seine im Jahre 1950 hergestellte Eigentumswohnung. Die Verzögerung des Antrags erkläre sich daraus, daß er den Einheitswert der Wohnung nicht gekannt habe. Der Bf. bat um Nachsichtgewährung. Der Schriftsatz war von seinem Sohn, der bei der Finanzverwaltung Betriebsprüfer ist, gezeichnet.
Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Veranlagung als verspätet ab, da er nach § 57 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist hätte gestellt werden müssen. Diese Frist sei bis zum 31. Juli 1952 gelaufen und dann auf Grund mündlicher Anweisung der Oberfinanzdirektion bis 28. Februar 1953 verlängert worden. Gründe für eine Nachsichtgewährung seien bei einer Fristüberschreitung von etwa 7 Wochen nicht gegeben. Dem Bf. und seinem ihn vertretenden Sohn sei die Einhaltung der Frist, die nicht durch das Fehlen des Einheitswerts berührt werde, zuzumuten gewesen.
Auf die Berufung führte das Finanzgericht aus, daß eine Nachsichtgewährung aus rechtlichen Gründen nicht zulässig sei. Fristen, innerhalb deren der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses zu stellen sei, könnten nach § 83 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO) ebenso wie Steuererklärungsfristen (ß 167 Abs. 4 AO) verlängert werden. Es handele sich also nicht, wie bei Rechtsmittelfristen, um eine Ausschlußfrist. Die Versäumung der Frist des § 57 Abs. 1 EStDV habe den Verlust des Rechts auf Veranlagung zur Folge. Gewährung von Nachsicht komme nur bei Rechtsmittelfristen oder bei Fristen rechtsmittelähnlicher Rechtsbehelfe (Lohnsteuerjahresausgleich - Urteil des Bundesfinanzhofs IV 77/51 U vom 11. Juli 1951, Slg. Bd. 55 S. 405, Bundessteuerblatt 1951 III S. 161 -) in Betracht. Damit könne aber der Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses nicht verglichen werden, da es sich nicht um eine nochmalige Nachprüfung der lohnsteuerlichen Verhältnisse handle, sondern durch die Veranlagung gerade die anderen Einkünfte berücksichtigt werden sollten.
Das Finanzgericht ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Rechtsbeschwerde nach § 286 Abs. 1 AO zu.
In dem Rechtsbeschwerdeverfahren wiederholen die Beteiligten im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.
Entscheidungsgründe
die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen wegen unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts und zur Zurückverweisung an das Finanzamt.
Es liegt ein Tatbestand vor, der einen Antrag auf Veranlagung des Bf. wegen berechtigten Interesses rechtfertigt. Dieser Antrag ist jedoch nach § 57 Abs. 1 EStDV etwa 7 Wochen verspätet gestellt worden. Die Festsetzung der Frist, die in § 57 Abs. 1 EStDV 1951 für die Stellung des Antrages auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses bestimmt ist, ist rechtsgültig. Die Fristsetzung stellt keine unzulässige Verschlechterung der Rechtsstellung des Steuerpflichtigen dar; sie wird vielmehr durch die Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Ziff. 1 c EStG 1951 gedeckt.
Der Senat hat in dem Urteil IV 77/51 U vom 11. Juli 1951 den Grundsatz ausgesprochen, daß die Gewährung von Nachsicht in allen Fällen zuzulassen ist, in denen es sich bei fristgebundenen Steuervergünstigungen um Rechtsbehelfe handelt, die ihrem Wesen nach den Rechtsmitteln gleichzustellen sind. Im Gegensatz zu der Auffassung des Finanzgerichts ist in dem Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG ein rechtsmittelähnlicher Behelf zu erblicken. Eine solche Veranlagung dient vor allem dem Zweck, Verluste aus anderen Einkunftsarten, die nur durch Verrechnung mit Lohneinkünften ausgeglichen werden können, steuerlich geltend zu machen. Ebenso wie der Antrag auf Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleichs ist auch der Antrag auf Veranlagung einer der Behelfe, mit dem die lohnsteuerliche Belastung der des Veranlagten gleichgestellt werden soll. Es kann daher bei Versäumung der Antragsfrist des § 57 EStDV unter den Voraussetzungen des § 86 AO Nachsicht gewährt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 408450 |
BStBl III 1956, 157 |
BFHE 1956, 425 |
BFHE 62, 425 |