Leitsatz (amtlich)
Der Nutzungswert der im öffentlichen Wohnungsbau geförderten Wohnung im eigenen Mietwohnhaus kann nach der für Vergleichswohnungen tatsächlich erzielten Miete bemessen werden auch dann, wenn die Mietzinsvereinbarungen gegen gesetzliche Preisvorschriften verstoßen.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2; AO § 217; StAnpG § 1 Abs. 2-3, § 5 Abs. 2; BGB § 134; Erstes Wohnungsbaugesetz vom 25. August 1953 (BGBl I, 1047) § 30; Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts (1. BMietG) vom 27. Juli 1955 (BGBl I. 458) § 26; 3. BMietG vom 24. August 1965 (BGBl I, 969) § 6
Tatbestand
Streitig ist, ob der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Mietwohnhaus für die Veranlagungszeiträume 1964 bis 1966 nach der preisrechtlich zulässigen Miete oder nach der für Vergleichswohnungen im selben Gebäude tatsächlich erzielten höheren Miete zu bemessen ist.
Im Mietwohnhaus des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) befinden sich neun öffentlich geförderte Wohnungen mit einer Wohnfläche von insgesamt 604,12 qm. Eine dieser Wohnungen mit einer Wohnfläche von 97,09 qm bewohnt der Kläger mit seiner Familie. Die zulässige Höchstpreismiete betrug für die Jahre 1964 und 1965 1,75 DM pro qm Wohnfläche monatlich; desgleichen für das Jahr 1966, da der Kläger einen Antrag auf die nach § 6 des Dritten Bundesmietengesetzes - 3. BMietG - (BGBl I 1965, 969) zulässige Mieterhöhung bis zur Kostenmiete nicht gestellt hatte.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) ermittelte im Anschluß an eine Betriebsprüfung den Mietwert der Wohnung des Klägers in Anlehnung an die jährlichen Gesamtmieteinnahmen für die Streitjahre mit 2 741,82 DM, 3 008,81 DM und 3 915,64 DM. Während der Einspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, die ortsüblich zulässige Miete für seine Wohnung betrage nur 1 922,40 DM, erfolglos blieb, gab das FG der Klage mit der in EFG 1971, 26 veröffentlichten Entscheidung vom 9. Oktober 1970 III 30/70 im wesentlichen statt. Das FG hielt im Anschluß an die Urteile des BFH vom 3. Mai 1963 VI 21/63 U (BFHE 77, 45, BStBl III 1963, 334) und vom 10. April 1970 VI R 250/68 (BFHE 99, 359, BStBl II 1970, 680) den Ansatz der preisrechtlich zulässigen Miete für richtig. Hinsichtlich des Jahres 1966 müsse sich der Kläger dabei steuerrechtlich so behandeln lassen, als ob er den Antrag gemäß § 6 des 3. BMietG auf Mieterhöhung gestellt habe.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe den Begriff des Nutzungswerts im Sinne des § 21 Abs. 2 EStG verkannt. Grundlage für die Ermittlung des Nutzungswerts könne im Streitfall nur die für die vermieteten Wohnungen erzielte Miete sein.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.
Der nach § 21 Abs. 2 EStG einkommensteuerpflichtige Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus muß, da die Einnahmen zahlenmäßig nicht feststehen, abgesehen von der Regelung der EinfHausVO gemäß § 217 AO geschätzt werden. Bei der Schätzung sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Handelt es sich um eine Wohnung im eigenen Mietwohngebäude, so ist Schätzungsmaßstab nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich die für die vermieteten Wohnungen erzielte Barmiete (vgl. zuletzt die Entscheidung des erkennenden Senats vom 25. Januar 1972 VIII R 52/68, BFHE 104, 538, BStBl II 1972, 419, im Anschluß an das Urteil VI R 250/68). Denn es ist von der Unterstellung auszugehen, daß die vom Eigentümer genutzte Wohnung ebenfalls vermietet wäre. Der fiktive Mietzins würde dann regelmäßig ebenso hoch zu bemessen sein wie die für die Vergleichswohnungen tatsächlich erzielte Miete. Für die in einem Mehrfamilienhaus befindlichen Wohnungen läßt sich, wie der VI. Senat mehrfach ausgesprochen hat (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1969 VI R 17/67, BFHE 97, 117, BStBl II 1970, 60, mit weiteren Nachweisen), ein "Marktpreis" feststellen.
Ob dieser Wohnraum einer gesetzlichen Mietpreisbindung unterliegt, ist nur von Bedeutung, wenn den Preisvorschriften bei der Mietzinsbemessung tatsächlich Rechnung getragen wird. Nach der steuerrechtlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt es grundsätzlich auf die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse an. Deshalb ist gemäß § 5 Abs. 2 StAnpG für die Zurechnung der aus den Vergleichswohnungen erzielten Einkünfte nach § 21 Abs. 1 EStG unerheblich, ob und inwieweit die Mietzinsvereinbarungen bürgerlichrechtlich (§ 26 Abs. 2 des 1. BMietG) unwirksam sind, solange die vereinbarten Mieten geleistet werden. Ebenso ist für den gemäß § 21 Abs. 2 EStG zu versteuernden Nutzungswert der eigenen Wohnung der mutmaßlich wirklich erzielbare Mietzins zugrunde zu legen. Übersteigt - wie im Streitfall - die für acht ebenfalls öffentlich geförderte Wohnungen im Hause des Klägers vereinbarte Miete den gesetzlich zulässigen Betrag, so spricht alles dafür, daß auch die vom Eigentümer genutzte Wohnung zu diesem höheren Mietzins hätte vermietet werden können und auch vermietet worden wäre. Durch die Vereinbarung über die Mietpreisvorschriften hinausgehender Mieten ist dargetan, daß der tatsächliche Mietwert das gesetzlich zulässige Maß übersteigt. Diesen von ihm selbst gewählten Bewertungsmaßstab muß der Kläger auch für die eigengenutzte Wohnung gegen sich gelten lassen.
Einer Anrufung des Großen Senats des BFH gemäß § 11 Abs. 3 FGO wegen Abweichung von der Rechtsprechung des VI. Senats bedarf es nicht. Der Entscheidung VI 21/63 U kommt mangels Veröffentlichung nach § 64 AO a. F. keine Bindungswirkung zu (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO). Außerdem war der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich anders gelagert als im Streitfall. Da der Mieter der einzigen Vergleichswohnung dort zugleich gewerblich tätig war, schied der die gewerbliche Nutzung berücksichtigende Mietzins als Schätzungsmaßstab für die eigene Wohnung aus. Der Ansatz der Kostenmiete bot sich auch nach Ansicht des erkennenden Senats als nächstliegende Schätzungsgrundlage an. Soweit dem Urteil zu entnehmen ist, der Wohnungseigentümer könne sich stets auf die Kostenmiete berufen, vermag ihm der erkennende Senat allerdings aus den angeführten Gründen nicht beizutreten. Im Falle des Urteils VI R 250/68 ging der Streit um den Ansatz eines niedrigeren Mietwerts als der anhand der Kostenmiete zu ermittelnde Wert. Diese Entscheidung enthält keine Stellungnahme zur hier streitigen Bemessung des Nutzungswerts, wenn alle Vergleichsmieten unter Verstoß gegen Preisvorschriften so gebildet werden, daß die Kostenmiete erheblich überschritten wird.
Mithin kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Schätzung des FA ist entgegen der Ansicht des FG aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Nutzungswert durfte anhand der für die übrigen acht öffentlich geförderten Wohnungen erzielten Miete bemessen werden; die Vergleichswohnungen stimmen unstreitig in Art, Lage und Ausstattung mit der Wohnung des Klägers überein. Die Klage wird, da die Sache spruchreif ist, abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 70587 |
BStBl II 1973, 814 |
BFHE 1974, 182 |