Leitsatz (amtlich)

Zum umsatzsteuerlichen Begriff der Sachgesamtheit.

 

Normenkette

UStG 1951 § 16; UStDB 1951 §§ 12, 70 Abs. 2 Ziff. 2

 

Tatbestand

Das Finanzamt hat für die Ausfuhrlieferungen der Steuerpflichtigen in den Vergütungszeiträumen des Jahres 1951 bereits gewährte Ausfuhrhändlervergütungen von 367,25 DM zurückgefordert, weil es nach einer örtlichen Nachprüfung der Vergütungsanträge in der Zusammenfassung der von der Steuerpflichtigen selbst hergestellten Schlösser mit den von anderen Herstellern bezogenen Türdrückern und Türschildern (Beschlägen) eine steuerlich schädliche Bearbeitung erblickt hat (§ 70 Abs. 2 Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz -- UStDB -- 1951).

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg. Die Vorentscheidung ist zu der Auffassung gekommen, daß die Liefergegenstände nicht als Sacheinheit zu behandeln seien und hat der Steuerpflichtigen die beantragte Ausfuhrhändlervergütung unter Einbeziehung eines weiterhin beantragten Vergütungsbetrags von 41,80 DM zugebilligt.

 

Entscheidungsgründe

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Bei den hier streitigen Lieferungen sind von der Steuerpflichtigen selbst hergestellte Türschlösser und von anderen Herstellern bezogene Drücker und Schilder in genau der Zahl der Schlösser entsprechenden Menge auf Grund einheitlicher Bestellungen ins Ausland geliefert worden. Unstreitig sind die Beschläge so ausgewählt worden, daß sie zu den Schlössern paßten. Zwar kann der ausländische Abnehmer nach Geschmack unter verschiedenen angebotenen Beschlägen selbst wählen, doch muß der Stift des Türdrückers oder Drehknopfs in die Schloßnuß wie auch das Drückerloch auf die Schloßnuß passen. Es gibt Drückerstifte in verschiedenen Abmessungen, und nicht jedes Türschild kann zu jeder Schloßart verwendet werden. Deshalb sind nach den unstreitigen Feststellungen des Finanzgerichts, nachdem die Kundenbestellungen bei der Steuerpflichtigen eingegangen sind, von dieser auch stets bei den Bestellungen von den Herstellerfirmen der Türdrücker bestimmte Maße für die Stärke der benötigten Drückerstifte vereinbart worden. Aus dem Schriftwechsel ergibt sich ferner, daß die gelieferten Drücker bei der Steuerpflichtigen stichprobenweise überprüft wurden. In den Bestellungen der ausländischen Abnehmer sind die Liefergegenstände als "Garnituren" bezeichnet.

Bei diesem Sachverhalt, von dem auch die Vorentscheidung ausgeht, legt diese offenbar entscheidenden Wert darauf, daß die Steuerpflichtige nicht selbst die Liefergegenstände garniturenmäßig vereinigt hat, sondern daß die Drücker teilweise in den bereits von deren Herstellerfirmen seemäßig verpackten Kisten versendet worden sind, während sie allerdings in anderen Fällen in Kisten der Steuerpflichtigen gleichzeitig mit den von dieser hergestellten Schlössern verpackt wurden. Mit der Rb. kann man aber der aus Zweckmäßigkeitsgründen teilweise getrennt erfolgenden Versendung keine entscheidende Bedeutung beimessen, wenn anderseits feststeht, daß die Steuerpflichtige durch eigene Maßnahmen auf die Lieferung zusammenpassender Gegenstände hingewirkt hat. Auch muß man mit der Rb. aus der sicherlich nicht zufällig stets übereinstimmenden Zahl der Schlösser und dazu gehöriger Drücker und Beschläge ebenso wie aus den Vereinbarungen, die die Steuerpflichtige mit den Herstellern der Drücker getroffen hat, wie aus der Art der Bestellung, die "Garnituren" zum Gegenstand hat, den Schluß ziehen, daß Liefergegenstand eine aus Schloß, Drücker und Beschlägen bestehende Türschloßgarnitur ist, und daß der beiderseitige Vertragswille hiernach auch nur darauf gerichtet sein kann, die einzelnen Bestandteile der Lieferung auch in ihrer Zusammenfassung als Garnitur, also als Sachgesamtheit, zu verwenden. Diesem Umstand aber kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs wie auch des erkennenden Senats (vgl. z.B. Urteil des Reichsfinanzhofs V 170/40 vom 13. Juni 1941, Reichssteuerblatt - RStBl. - S. 567) gerade entscheidende Bedeutung zu, während es nicht ausschlaggebend sein kann, daß, wie die Vorentscheidung meint, mitunter ein Letztverbraucher ein Schloß, einen Drücker oder Beschläge auch einzeln erwirbt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 185/52 U vom 28. Mai 1953, Slg. Bd. 57 S. 537, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 206).

Es ist hierbei zwar nicht ohne Bedeutung, wie das Finanzgericht meint, daß im Streitfalle die Liefergegenstände in übereinstimmender Anzahl vom gleichen Auftrageber bestellt und ob hierüber nur eine einzige Rechnung ausgestellt ist; die Entscheidung konnte freilich hierauf allein nicht abgestellt werden. Der Inrechnungstellung z. B. kommt stets nur die Bedeutung eines Beweisanzeichens unter vielen anderen zu. Entscheidend ist aber, daß nach dem Vertragswillen und der Verkehrsauffassung Liefergegenstände, über die hier ein einheitlicher Vertrag abgeschlossen ist, eine Sachgesamtheit, also ein anderes Verkehrsgut als die teils hergestellten, teils erworbenen Bestandteile der Lieferung bilden. Auch das Finanzgericht muß zugeben, daß in bestimmten Fällen gewisse Einzelteile technisch und wirtschaftlich nur als Einheit verwendet werden können und solchenfalls eine getrennte Behandlung steuerlich nicht denkbar ist. Es will dies aber für den Streitfall nicht wahr haben, weil hier auch eine getrennte Verwendung denkbar ist. Dies kann aber dann nicht richtig sein, wenn, wie hier, nach dem den streitigen Lieferungen zugrunde liegenden Schriftwechsel die Einzelteile dem Willen der Vertragschließenden gemäß eben als eine Sachgesamtheit, als eine Türschloßgarnitur, Verwendung finden sollen. Andernfalls könnte nach der Verkehrsauffassung eine aus verschiedenen Möbelstücken bestehende Zimmereinrichtung niemals eine Sachgesamtheit bilden. Denn auch hier besteht die Möglichkeit, daß ein Letztverbraucher nur ein Einzelstück erwirbt und verwendet. Zu beurteilen sind allein die Lieferungen des Streitfalles, die nach dem Gesagten "Garnituren" zum Gegenstand haben, da an sich selbständige Gegenstände zu einem nach Zahl, Größe und anderen Merkmalen in sich einheitlichen Ganzen vereinigt werden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 381/33 vom 23. Juni 1933, RStBl. S. 1246). Sind hier Garnituren bestellt und von der Steuerpflichtigen durch eigene Maßnahmen dem Wunsch der Abnehmer entsprechend vervollständigt ("komplettiert") worden, so ist damit auch dargetan, daß diese im Wirtschaftsverkehr als Sachgesamtheit behandelt werden, wie auch, worauf die Rb. zutreffend hinweist, daraus hervorgeht, daß das hier in Betracht kommende ausländische Zollrecht Sammelsendungen von Schlössern mit dazugehörigen Drückern und Beschlägen bei der Einfuhr günstiger stellt, als wenn die Gegenstände als Einzelteile bestellt würden. Hiernach wird aber auch im internationalen Wirtschaftsverkehr, dessen Erfordernisen sich das Zollrecht anzupassen pflegt, die hier angenommene Sachgesamtheit anerkannt. Zutreffend hebt das Finanzgericht anderseits hervor, daß sich ein Steuergericht nicht von Fragen des Wettbewerbs leiten lassen darf. Allerdings unterstellt dies das Finanzgericht irrtümlich der von ihr angeführten Entscheidung des erkennenden Senats V 174/52 U vom 30. April 1953 (Slg.Bd. 57 S. 528, BStBl. 1953 III S. 203). Wenn dort auf die Handhabung ausländischer Firmen hingewiesen ist, so geschah dies nur, um auf die Üblichkeit einer bestimmten Verpackungsart im gesamten internationalen Teehandel hinzuweisen. Im übrigen vertritt der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß eine Förderung der Ausfuhr nach dem Willen des Gesetzgebers bereits durch die Befreiung der Ausfuhrlieferungen nach § 4 Ziff. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eintritt, gegebenenfalls auch durch die Gewährung der Ausfuhrvergütung; ob darüber hinaus den Steuerpflichtigen Ausfuhr händlervergütung zusteht, hängt von den weiteren Voraussetzungen ab, die der Verordnungsgeber auf Grund der Ermächtigung im § 18 Ziff. 1 UStG im § 70 UStDB aufgestellt hat. Solange a. a. O. im Abs. 2 Ziff. 2 das gleiche Bearbeitungs- und Verarbeitungsverbot, das auch für den Binnengroßhandel maßgebend ist, aufgestellt ist, kann die Rechtsprechung auch auf dem Gebiet der Ausfuhr in der Regel nicht andere Grundsätze für den Begriff der Sachgesamtheit aufstellen, als sie solche für den Binnengroßhandel entwickelt hat.

Nach alledem hat die Steuerpflichtige dem § 70 Abs. 2 Ziff. 2 UStDB nicht entsprochen. Sie hat nicht den gleichen Gegenstand geliefert, den sie erworben hat. Der Rb. war deshalb mit der Kostenfolge des § 307 der Reichsbahnabgabenordnung stattzugeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407957

BFHE 1955, 97

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