Leitsatz (amtlich)
Die von der Deutschen Bundespost einem Studenten mit der Verpflichtung gewährten Studienbeihilfen, nach Abschluß des Studiums in ihren Dienst zu treten, sind in der Regel steuerfreie Bezüge aus öffentlichen Mitteln i. S. von § 3 Nr. 11 EStG (§ 6 Nr. 9 LStDV), die als Beihilfen zur Förderung der Ausbildung bewilligt werden. Die Verpflichtung zum späteren Dienstantritt steht der Unmittelbarkeit der Förderung der Ausbildung nicht deshalb entgegen, weil sie zugleich den eigenen Belangen der Deutschen Bundespost dient.
Normenkette
EStG 1965 § 3 Nr. 11
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) studierte an der Technischen Universität Berlin und hat von der Landespostdirektion Berlin eine Studienbeihilfe von insgesamt 3 500 DM erhalten, von der Lohnsteuer einbehalten und abgeführt worden ist. Seine Ehefrau hatte im Streitjahr 1966 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren machte der Steuerpflichtige geltend, daß die zweckgebundene Studienförderung keine Entlohnung sei und deshalb steuerfrei belassen werden müsse. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) teilte diese Auffassung nicht. Sein Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auch seine Klage wurde vom FG durch das in EFG 1969, 528 veröffentlichte Urteil abgewiesen. Das FG führte in seinem Urteil aus, unter den Begriff des Arbeitslohnes könnten auch Bezüge fallen, die einem Steuerpflichtigen mit Rücksicht auf ein künftiges Dienstverhältnis zufließen (so Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Auflage, Anm. 32 zu § 1; ferner Urteil des FG Düsseldorf vom 24. April 1968 II 405/67 L, EFG 1968, 347). Es komme allein darauf an, ob zwischen den Vertragspartnern bereits Beziehungen hergestellt worden seien, die eine Verpflichtung des einen Teils zu künftigen Dienstleistungen und als Gegenleistung die Verpflichtung enthielten, bereits jetzt Zahlungen mit Rücksicht auf das künftige Dienstverhältnis zu erbringen. In einem solchen Fall stünden Leistung und Gegenleistung in einem so engen Verhältnis, daß die Geldzahlung nur mit Rücksicht auf die Arbeitsleistung erbracht werde. Auf den Zeitpunkt des Arbeitsbeginnes könne es dann nicht mehr entscheidend ankommen. Der zwischen dem Steuerpflichtigen und der Landespostdirektion Berlin geschlossene Vertrag könne nicht als Darlehnsvertrag angesehen werden. Die im Vertrag vorgesehene Rückzahlungsklausel sei lediglich für den Fall vereinbart worden, daß das künftige Dienstverhältnis aus in der Person des Steuerpflichtigen liegenden Gründen nicht zustande komme oder vorzeitig beendet werde. Damit sei eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen zum Schadensersatz festgelegt, falls dieser den vertraglichen Pflichten nicht nachkommen würde. Infolge der engen Beziehung der Studienbeihilfen zwischen der im Vertrag festgelegten Verpflichtung zur künftigen Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen seien die Bezüge nicht als sonstige Einkünfte i. S. des § 22 EStG zu behandeln. Die Zuordnung der streitigen Einkünfte zu solchen aus nichtselbständiger Arbeit sei auch im Hinblick auf die Pauschbeträge für Werbungskosten und für Sonderausgaben für den Steuerpflichtigen günstiger. Die Verpflichtung des Steuerpflichtigen schließe es auch aus, die Studienbeihilfe nach § 3 Nr. 11 oder Nr. 44 EStG als steuerfrei zu behandeln. Ziel des Vertrages sei es gewesen, den Steuerpflichtigen als künftige Arbeitskraft für die Bundespost zu gewinnen. Deshalb fehle es an der in § 3 Nr. 11 EStG genannten Voraussetzung, daß die Beihilfe zu dem Zweck bewilligt worden sei, die Erziehung oder Ausbildung, die Wissenschaft oder Kunst "unmittelbar" zu fördern. Die Steuerfreiheit für Stipendien nach § 3 Nr. 44 EStG setze voraus, daß der Empfänger im Zusammenhang mit dem Stipendium nicht zu einer bestimmten wissenschaftlichen oder künstlerischen Gegenleistung oder zu einer Arbeitnehmertätigkeit verpflichtet sei. Eine solche sei hier aber ausdrücklich festgelegt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Steuerpflichtige neben angeblichen Verfahrensmängeln erneut die Zurechnung der Studienbezüge zum Arbeitslohn. Es meint, daß ein Darlehnsvertrag anzunehmen sei. Er verweist auf die Entscheidungen des Landgerichts München in NJW 1968, 2016 und des BVerwG in NJW 1968, 2023, die den Darlehnscharakter der Stipendienverträge anerkannt hätten. Das BVerwG habe dabei das Vorliegen jeder Art von Dienstverhältnis abgelehnt. Die Annahme des FG, die Einordnung der Bezüge unter § 22 EStG sei ungünstiger als die Zuordnung zu § 19 EStG, sei nur scheinbar richtig. Es gehe in Wirklichkeit um die Frage, ob die Aufwendungen für das Studium als Werbungskosten absetzbar seien. Nach den Darlegungen von Handrock in DStR 1969, 331 seien die Studienkosten als Werbungskosten bei der Einkunftsart des § 22 EStG anzusehen. Das Hessische FG habe inzwischen sogar entschieden (EFG 1969, 342), daß die Studienkosten auch Werbungskosten bei § 19 EStG seien. Danach wäre die Einordnung unter § 19 EStG günstiger. Das Urteil des FG sei aufzuheben, da es auf die Frage der Werbungskosten trotz Beweisangebots in der Klagebegründung nicht eingegangen sei. Hierin liege ein Verstoß gegen § 76 FGO. Das FG sei auch auf die verfassungsrechtliche Problematik der Verschiedenbehandlung der Stipendien nach Honnefer Modell und dem öffentlichen Dienst nicht eingegangen. Schließlich habe das FG im angefochtenen Urteil auch die von ihm in den Vordergrund gestellte Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 11 und 44 EStG nicht enwandfrei behandelt.
Der Steuerpflichtige meint ferner, es sei zu prüfen, ob im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerwG (NJW 1968, 2023) nicht eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes geboten sei. Nach der Auffassung des BVerwG stünden bei Studienförderungsverträgen nicht die Dienstverpflichtung, sondern das Studium im Mittelpunkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Senat kann es im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob die gerügten Verfahrensmängel vorliegen, da das Urteil des FG in der sachlichen Beurteilung der Besteuerungsgrundlagen materielles Recht verletzt.
Die Besteuerung der an Studenten gezahlten Studienbeihilfen, die mit der Verpflichtung gegeben werden, beim Geber später in ein Dienstverhältnis zu treten, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten. Abweichend von der vorliegenden Entscheidung des FG, die im Einklang mit dem koordinierten Ländererlaß der Finanzverwaltungen (vgl. DB 1966, 129) steht, haben andere Entscheidungen der FG die Studienbeihilfen nicht als Einkünfte aus einem künftigen Arbeitsverhältnis, sondern teils als sonstige Einkünfte i. S. des § 22 EStG, teils als Darlehen beurteilt, bei denen in einem späteren Verzicht auf die Rückzahlungen Einkünfte i. S. des § 19 EStG liegen (vgl. EFG 1969, 448 und 528, EFG 1970, 113, EFG 1972, 169). Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 18. September 1964 VI 244/63 U (BFHE 81, 30, BStBl III 1965, 11) die vom FG getroffene Zurechnung der Studienbeihilfe eines privaten Großunternehmens zu den sonstigen Einkünften des § 22 EStG (EFG 1964, 19) als mögliche Sachwürdigung angesehen. Dabei hat der Senat aber darauf hingewiesen, daß auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 EStG vorgelegen haben könnten, wenn man für die Beurteilung in den Vordergrund stelle, daß die Beihilfen dem Steuerpflichtigen im Hinblick auf ein zukünftig zu begründendes Arbeitsverhältnis mit dem Geber gewährt worden seien. Einer abschließenden Entscheidung bedurfte es damals nicht, da die Streitsache die Rückzahlung von Studienbeihilfen und deren steuerliche Behandlung als negative Einkünfte i. S. des § 22 (oder § 19) EStG betraf.
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es darum, ob die von der Deutschen Bundespost an den Steuerpflichtigen gezahlten Studienbeihilfen zu Recht der Lohnsteuer unterworfen worden sind. Das wäre nicht der Fall, wenn die Beihilfen keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sondern sonstige Einkünfte i. S. des § 22 EStG oder Zahlungen im Rahmen eines Darlehnsverhältnisses wären. Nach Auffassung des Senats bedarf es aber keiner Entscheidung dieser Frage, weil es sich bei den vorliegenden Studienbeihilfen der Bundespost um steuerfreie Bezüge aus öffentlichen Mitteln handelt, die i. S. des § 3 Nr. 11 EStG als Beihilfen zu dem Zweck bewilligt worden sind, die Ausbildung des Empfängers unmittelbar zu fördern.
Das Einkommensteuergesetz hat in § 3 EStG 1965 eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Bezüge von der Einkommensteuer freigestellt, ohne Rücksicht darauf, zu welcher Einkunftsart i. S. des § 2 Abs. 3 EStG diese an sich gehören würden. In dem im Einvernehmen mit dem BdF ergangenen Erlaß der obersten Finanzbehörden der Länder (DB 1966, 129) wird die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 11 EStG für nicht möglich gehalten, weil diese die unmittelbare Förderung der Ausbildung voraussetze. Das sei nur bei einer uneigennützigen Ausbildungsförderung (z. B. Honnefer Modell) erfüllt, nicht aber bei Förderungsmaßnahmen, bei denen die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte im Vordergrund stehe. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 44 EStG wird in dem Erlaß ebenfalls deshalb versagt, weil auch hier die allgemeine und uneigennützige, also eine nicht zweckgebundene Förderung der Ausbildung vorausgesetzt werde.
Der Senat hält diese Auslegung der Verwaltungsbehörden für nicht zutreffend. Aus der erst durch das Einkommensteuergesetz 1965 eingeführten Erweiterung der Steuerbefreiungsvorschriften für Studienbeihilfen in § 3 Nr. 44 EStG ergibt sich als Sinn und Zweck der hier in Betracht kommenden Steuerbefreiungsvorschriften, u. a. Stipendien freizustellen, die den für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nach vom Geber erlassenen Richtlinien gegeben werden. Diese Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 44 EStG betrifft aber nicht nur unmittelbar aus öffentlichen Mitteln gewährte Stipendien, sondern auch solche anderer Einrichtungen, Körperschaften usw. Das macht es verständlich, daß in Nr. 44 höhere Anforderungen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit gestellt werden als in der Vorschrift des § 3 Nr. 11 EStG, die Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung begünstigt.
Die Höhe der dem Steuerpflichtigen im Streitjahr 1966 gewährten Studienbeihilfe mit 3 500 DM liegt monatlich bei etwa 300 DM und weist diese damit als ein Stipendium aus, wie es auch in § 3 Nr. 44 EStG angesprochen ist, und übersteigt offensichtlich nicht den für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erfoderlichen Betrag. Der Höhe nach entspricht die dem Steuerpflichtigen von der Bundespost gewährte Studienbeihilfe für das Streitjahr etwa den im Rahmen des Honnefer Modells gewährten Beträgen. Daß die in diesem Rahmen den Studenten gewährten Leistungen den für einen ordentlichen Studiengang benötigten Mindestbedarf nicht übersteigen, unterliegt keinem Zweifel. Wenn schon Stipendien der in § 3 Nr. 44 EStG umschriebenen Art unter den dort gesetzten Voraussetzungen steuerfrei gestellt worden sind, gebieten es Sinn und Zweck der in § 3 Nr. 11 EStG gewährten Steuerfreiheit, entsprechende Bezüge aus öffentlichen Mitteln, die als Beihilfen zur Förderung der Ausbildung bewilligt wurden, hier einzuordnen. Dabei ist der Senat insbesondere davon ausgegangen, daß die in § 3 Nr. 11 EStG geforderten geringeren Anforderungen gegenüber denen, die sich aus § 3 Nr. 44 EStG ergeben, für die Bejahung der Steuerfreihiet bei Bezügen aus öffentlichen Mitteln ausreichend sind, weil hier die Kontrolle der gesetzlichen Aufsichtsorgane durch die Haushaltsgesetzgebung, Rechnungshöfe und die Dienstaufsicht führenden Ministerien ausreichend gesichert erscheint, um einen Mißbrauch bei der Zuwendung steuerfrei zu belassender Studienbeihilfen sowohl der Höhe wie dem Förderungszweck und dem Grund nach auszuschließen. Dabei geht der Senat davon aus, daß nach seiner Kenntnis die hier zur Beurteilung stehenden Studienbeihilfen von den Oberpostdirektionen nach einheitlichen Musterverträgen vergeben werden, die ihre Grundlage in allgemeinen Verwaltungsanweisungen der Deutschen Bundespost haben.
Der Senat vermag auch der in Abschnitt 6 Nr. 15b Abs. 2 EStR 1965/1969 und in den gemeinsamen Ländererlassen (DB 1966, 129) vertretenen Auffassung nicht zu folgen, daß Studienbeihilfen der hier streitigen Art die Ausbildung des Empfängers deshalb nicht "unmittelbar" fördern, wie es § 3 Nr. 11 EStG fordert, weil Förderungsmaßnahmen, die der Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte dienen, nicht uneigennützig gewährt würden; denn eine "eigennützige" Förderung schließt es nicht aus, daß die Stipendien die Ausbildung des Empfängers tatsächlich unmittelbar fördern. Der Annahme einer unmittelbaren Förderung des Steuerpflichtigen für den Beruf des Ingenieurs steht die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, später für eine Mindestzeit in den Dienst bei der Bundespost zu treten, nicht im Wege. Er erreicht mit der Vollendung des vorgesehenen Studienganges den Status eines Diplomingenieurs. Dieser Status einer wissenschaftlichen Berufsausbildung ist durch die von der Bundespost gewährten Stipendien unabhängig davon gefördert worden, ob der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung, die er als Stipendiat übernommen hat, nachkommt oder nicht. Der Senat ist der Auffassung, daß die vertraglich vom Steuerpflichtigen übernommene Verpflichtung zur Zurückzahlung der empfangenen Stipendien auf einer auflösenden Bedingung beruht, nämlich den Studiengang ordnungsmäßig zu betreiben und abzuschließen und sodann für die vorgesehene Mindestzeit in ein Dienstverhältnis bei der Bundespost einzutreten. Erfüllt der Stipendiat diese vertraglich vereinbarten Bedingungen nicht, so führt dies zur Auflösung des Vertrages über die Gewährung der Ausbildungsbeihilfen und damit zur Verpflichtung des Empfängers zur Zurückzahlung der Beihilfen, deren Rechtsgrundlage damit entfallen ist. Für die rechtliche Beurteilung der Ausbildungsbeihilfen hinsichtlich ihrer Steuerfreiheit i. S. des § 3 Nr. 11 EStG ist die mit den Ausbildungsbeihilfen erstrebte Sicherstellung des Bedarfs an Nachwuchskräften lediglich ein Motiv dafür, die Beihilfen unter der Bedingung der Aufnahme eines späteren Arbeitsverhältnisses zu gewähren, weil es nicht Aufgabe gewisser öffentlicher Verwaltungen sein kann, allgemein Stipendien zur Förderung der Berufsausbildung zu geben, wenn damit nicht auch Belange dieser Verwaltung gefördert werden.
Das Urteil des FG steht mit diesen Rechtsgrundsätzen nicht im Einklang. Mit der Versagung der begehrten Steuerfreiheit für die dem Steuerpflichtigen gewährten Studienbeihilfen verletzt das Urteil des FG § 3 Nr. 11 EStG 1965; es war deshalb nach §§ 118 Abs. 1, 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben. Im Rahmen der mit der Klage begehrten Änderung des angefochtenen Steuerbescheides vom 31. Juli 1967 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 16. November 1967 muß das FG nunmehr den gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleich erneut prüfen und die zu erstattende Lohnsteuer festsetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 70545 |
BStBl II 1973, 734 |
BFHE 1973, 522 |