Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Verlängerung der Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV zur Beantragung der Vorsteuervergütung?
Leitsatz (NV)
- Der BFH läßt dahinstehen, ob die Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 und 1993 a.F. eine Ausschlußfrist ist, die nicht rückwirkend verlängert werden kann, oder eine Frist zur Einreichung einer Steuererklärung, die nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 rückwirkend verlängert werden kann.
- Ist die Frist eine Ausschlußfrist, kommt allenfalls ‐ unter den Voraussetzungen des § 110 AO 1977 ‐ eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.
- Kann die Antragsfrist nach § 109 AO 1977 verlängert werden, kann bei der Gewährung einer Fristverlängerung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens auch darauf abgestellt werden, ob der Betroffene in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig, d.h. vor dem Fristablauf, um Fristverlängerung zu bitten.
Normenkette
AO 1977 §§ 3, 109 Abs. 1 S. 2, § 110; UStG 1991 § 18 Abs. 9; UStG 1993 § 18 Abs. 9; UStDV 1991 § 61 Abs. 1 S. 2; UStDV 1993 § 61 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft ausländischen (EU) Rechts, betreibt von ihrem Sitz im Ausland (EU-Mitgliedstaat) aus ein internationales Transportunternehmen.
Sie behauptet, während der Streitjahre (1992 und 1993) in Deutschland keine steuerpflichtigen Umsätze ausgeführt zu haben, sondern solche lediglich bezogen zu haben.
Infolge der Arbeitsüberlastung ihrer Sachbearbeiterin hat sie es unterlassen, innerhalb der Halbjahresfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1991 und 1993 a.F.) Anträge auf Vergütung von Umsatzsteuer zu stellen. Im Oktober 1994 beantragte sie unter Berufung auf § 109 der Abgabenordnung (AO 1977) und Abschn. 243 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR a.F.), die Frist zur Abgabe der Anträge nachträglich zu verlängern.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundesamt für Finanzen --BfF--) lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 31. Oktober 1994).
Beschwerde und Klage hatten keinen Erfolg. Das Bundesministerium der Finanzen stellte in der Beschwerdeentscheidung entscheidend darauf ab, daß der Fristverlängerungsantrag nicht ohne Verschulden der Klägerin erst nach Ablauf der Frist gestellt worden sei (Beschwerdeentscheidung vom 27. November 1995). Das Finanzgericht (FG) sah in der Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 und 1993 a.F. eine Ausschlußfrist, die nicht rückwirkend verlängerbar sei.
Ende 1994 waren die Vergütungsanträge beim BfF eingegangen. Dieses lehnte die Vergütung mit Bescheiden vom 6. Januar 1995 ab. Über die dagegen eingelegten Einsprüche ist noch nicht entschieden.
Mit der vorliegenden (vom FG zugelassenen) Revision wendet sich die Klägerin gegen die Abweisung ihrer Klage auf Fristverlängerung.
Sie beantragt, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des BfF, der Beschwerdeentscheidung und der Vorentscheidung das BfF zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Fristverlängerung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Das BfF ist der Revision entgegengetreten.
Beide Parteien haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991 und 1993 a.F.) kann der Bundesminister der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates die Vergütung der Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 durch Rechtsverordnung in einem besonderen Verfahren regeln; die Regelung soll zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens dienen. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber in §§ 59 ff. UStDV 1991 und 1993 a.F. Gebrauch gemacht. Nach § 59 Abs. 1 UStDV 1991 und 1993 a.F. ist die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge unter den in dieser Bestimmung näher genannten Voraussetzungen abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 1991 und 1993 a.F. nach den §§ 60 und 61 UStDV 1991 und 1993 a.F. durchzuführen. Der Unternehmer hat die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem BfF oder bei dem nach § 5 Abs. 1 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1991 und 1993 a.F.). Der Antrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 und 1993 a.F.).
Die zuletzt genannte Vorschrift geht auf § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 zurück. Bei der Regelung des Vorsteuervergütungsverfahrens in §§ 59 ff. UStDV 1980 hat sich der Verordnungsgeber von der seinerzeit bereits im Entwurf vorliegenden Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige 79/1072/EWG (Richtlinie 79/1072/EWG) leiten lassen (vgl. Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, § 18 Rz. 235). Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 4 dieser Richtlinie ist der Antrag spätestens sechs Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer fällig geworden ist, zu stellen.
2. Der Senat läßt dahinstehen, ob die Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 und 1993 a.F. --wie das FG meint-- eine Ausschlußfrist ist, die nicht rückwirkend verlängerbar ist, oder --wie die Klägerin meint-- eine Frist zur Einreichung einer Steuererklärung, die nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 rückwirkend verlängert werden kann.
Unter einer Ausschlußfrist versteht man eine Handlungsfrist, die für die Wahrnehmung eines Rechts durch die Beteiligten gesetzlich bestimmt ist und an deren Versäumung die Rechtsfolge geknüpft ist, daß der Beteiligte mit seinem Recht ausgeschlossen wird (vgl. Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, § 108 Anm. 1). Ausschlußfristen können nicht verlängert werden (so noch ausdrücklich § 83 Abs. 1 Satz 3 der Reichsabgabenordnung). Jedenfalls ist eine rückwirkende Verlängerung einer Ausschlußfrist nicht möglich, da deren Ablauf den Rechtsverlust zur Folge hat.
a) Ist die Frist --aus den vom FG im einzelnen dargelegten Gründen-- eine Ausschlußfrist, scheidet ihre rückwirkende Verlängerung aus. Insoweit kommt zwar --unter den Voraussetzungen des § 110 AO 1977-- eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht; diese ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Verpflichtungsklage, sondern allenfalls unselbständiger Teil der Entscheidung über den Vergütungsanspruch.
b) Kann die Antragsfrist nach § 109 AO 1977 verlängert werden, läßt die angefochtene Ablehnung ihrer Verlängerung keinen Rechtsfehler erkennen. Bei der Ablehnung handelt es sich dann um eine Ermessensentscheidung, die das Gericht lediglich darauf zu überprüfen hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Einen derartigen Ermessensfehlgebrauch kann der Senat nicht erkennen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin trifft sie ein Verschulden an der Versäumung der Antragsfrist. Wie die Klägerin selbst einräumt und näher ausführt, war das "Versäumnis auf einem auf Arbeitsüberlastung beruhenden Fehlverhalten der ... mit der Bearbeitung und Beantragung der Vorsteuervergütung betrauten Sachbearbeiterin begründet". Insoweit ist der den Schuldvorwurf begründende Sachverhalt unstreitig. Die Klägerin muß sich das Fehlverhalten ihrer Sachbearbeiterin zurechnen lassen.
Es mag zwar sein, daß eine rückwirkende Fristverlängerung nach § 109 Satz 2 AO 1977 nicht generell ausgeschlossen ist, wenn der Antragsteller die Frist schuldhaft versäumt hat (vgl. Schwarz, Abgabenordnung, § 109 Rz. 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 109 AO 1977 Tz. 4). Gleichwohl kann bei der Gewährung einer Fristverlängerung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens auch darauf abgestellt werden, ob der Betroffene in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig, d.h. vor dem Fristablauf, um Fristverlängerung zu bitten (Kühn/Hofmann, Abgabenordnung, 17. Aufl., § 109 Bem. 2).
3. Das Begehren auf rückwirkende Verlängerung der Antragsfrist kann nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützt werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Abgabenrecht gilt, bindet die Verwaltung an ihr eigenes Verhalten. Die Verwaltung darf sich zu ihrem Verhalten, auf das der Steuerpflichtige vertraut hat und vertrauen durfte, nicht in Widerspruch setzen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 19. Februar 1974 VII K 17/70, BFHE 112, 98, und vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 95). Dies hat die Finanzverwaltung schon deshalb nicht getan, weil sie von ihrer früheren Auffassung (Abschn. 243 Abs. 5 UStR a.F.), die Antragsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1991 und 1993 a.F. sei nach § 109 AO 1977 verlängerbar, im Wege der Selbstbindung ausgegangen ist.
Fundstellen
BFH/NV 2000, 98 |
DStZ 2000, 59 |
HFR 2000, 36 |