Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff der wirtschaftlichen Einheit des Grundvermögens.
Normenkette
BewG § 50 Abs. 1, § 68; BewG § 70/; BewG § 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.), ein Arzt, hat im Jahre 1950 auf seinem Grundstück in N. einen Neubau errichtet, der zwei Gebäudeteile aufweist: einen Wohnungsbau und ein Gebäude für seine ärztliche Praxis. Der Wohnungsbau enthält Erdgeschoß, Obergeschoß und Dachgeschoß und ist unterkellert. Der Praxisbau ist einstöckig und nicht unterkellert. Der Wohnungsbau selbst ist an ein anderes Wohngebäude, das der Bruder des Bf. auf einem angrenzenden Grundstück gleichzeitig errichtet hat, angebaut, jedoch durch eine Brandmauer getrennt. Beide Wohnungsbauten (der Wohnungsbau des Bf. und das Wohngebäude seines Bruders) liegen parallel zur Straße und sind etwa 7 m von der Straße zurückgesetzt. Im rechten Winkel zum Wohnungsbau des Bf. ist der Praxisbau angebaut. Dieser reicht bis zur Straße und hat von dort her einen Eingang. Auch der von der Straße zurückstehende Wohnungsbau des Bf. hat von der Straße her einen Eingang. Außerdem sind Wohnungsbau und Praxisbau von innen her (obwohl sich auch zwischen ihnen eine Brandmauer befindet) miteinander verbunden, so daß ungehinderter Zutritt vom Wohnungsbau zum Praxisbau und umgekehrt möglich ist. Der Wohnungsbau hat rund 165 qm Wohnfläche, der Praxisbau rund 100 qm Nutzfläche.
Der Wohnungsbau ist mit Warmwasserheizung versehen; die Heizungsanlage befindet sich im Keller dieses Gebäudeteils. Der Praxisbau ist an diese Heizungsanlage angeschlossen, ist aber für alle Fälle mit einer besonderen, z. Zt. nicht benutzten Kaminanlage ausgestattet. öfen für diese Heizung sind nicht aufgestellt. Wasserleitung und elektrische Stromanlage sind für beide Gebäudeteile gemeinsam; die Zähleruhr für Wasserverbrauch befindet sich im Keller des Wohnungsbaus, der Zähler für elektrischen Strom im Praxisgebäude.
Bei der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1951 sah das Finanzamt die beiden Gebäudeteile als eine wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens an und stellte den Einheitswert für das Grundstück (gemischtgenutztes Grundstück) auf 30.500 DM fest. Demgegenüber vertrat der Bf. die Auffassung, daß es sich um zwei wirtschaftliche Einheiten handle, für die getrennte Einheitswerte festzustellen seien. Außerdem beanstandete der Bf. auch die Höhe der Bewertung.
Der Einspruch hatte keinen, die Berufung nur zum Teil Erfolg. Auch das Finanzgericht nahm an, daß nur eine einzige wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens vorliege, setzte jedoch den Einheitswert selbst auf 25.600 DM herab.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) stützt der Bf. darauf, daß das Verfahren wegen fehlenden rechtlichen Gehörs an wesentlichen Mängeln leide und daß die Vorentscheidung hinsichtlich des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit das bestehende Recht unrichtig anwende; außerdem wird auch noch weitere Herabsetzung des Einheitswerts beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung.
I. -
II. -
Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß für die zu prüfende Frage, nämlich ob im Streitfall nur eine wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens oder zwei Bewertungseinheiten (eine wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens und eine wirtschaftliche Untereinheit des Betriebsvermögens) vorliegen, die Auslegung des § 32 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) entscheidend sei. Das ist rechtsirrig. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens ist nicht nach § 32 BewDV, sondern nach § 50 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu beurteilen. In § 32 BewDV werden lediglich die bebauten Grundstücke des Grundvermögens in fünf Grundstückshauptgruppen eingeteilt und die Merkmale angegeben, nach denen die bebauten Grundstücke in ihre maßgebende Hauptgruppe einzureihen sind. Bevor diese Einreihung erfolgt, muß der Bewertungsgegenstand abgegrenzt, d. h. die Bewertungseinheit bestimmt sein; denn zur Bewertung (und zwar an ihren Anfang) gehört die Abgrenzung des Bewertungsgegenstands. Nach § 50 Abs. 1 Satz 3 BewG bildet jede wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens ein selbständiges Grundstück im Sinne des BewG, für das ein Einheitswert festgestellt wird. Der Begriff "wirtschaftliche Einheit" bestimmt sich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. In § 2 Abs. 1 BewG sind einige Auslegungsregeln gegeben. Danach ist in erster Linie nach den Anschauungen des Verkehrs zu entscheiden, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat. Zu berücksichtigen sind jedoch die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter. Hieraus ergibt sich, daß neben rein objektiven Merkmalen auch subjektive Merkmale maßgebend sind. Zu den subjektiven Merkmalen gehört vor allem die Zweckbestimmung, die vom Willen des Eigentümers abhängt. Dabei kommt es nicht auf die innere Willensbildung des Eigentümers, sondern darauf an, wie er seinen Willen in die Tat umsetzt. Nur dann, wenn der Wille des Eigentümers mit der Verkehrsauffassung nicht vereinbar ist, ist die Verkehrsauffassung als objektiver Maßstab ausschlaggebend.
Ein Grundstück, das mit einem Teil Wohnzwecken und zum anderen Teil freiberuflichen Zwecken des Eigentümers dient, müßte an sich teilweise zum Grundvermögen und teilweise zum Betriebsvermögen gerechnet werden. Damit wäre eine Zusammenfassung der beiden Grundstücksteile zu einer wirtschaftlichen Einheit unmöglich; denn eine wirtschaftliche Einheit kann sich immer nur auf eine einzige Vermögensart erstrecken. Von diesem Grundsatz gibt es keine Ausnahme. Das BewG 1934 hat jedoch gegenüber dem BewG 1931 hinsichtlich der Zurechnung von Grundstücksteilen zum Grundvermögen einerseits und zum Betriebsvermögen andererseits eine änderung gebracht (ß 57 Abs. 2 BewG). Nach dieser Vorschrift findet eine Zurechnung eines Grundstücks mit einem Teil zum Grundvermögen und mit dem anderen Teil zum Betriebsvermögen nicht mehr statt. Ein Grundstück gehört entweder ganz zum Grundvermögen oder ganz zum Betriebsvermögen. Diese Regelung ermöglicht es, auch eine Arztwohnung und die Praxisräume, wenn sie zusammen in einem Hause untergebracht sind, zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen. Eine solche Zusammenfassung wird vor allem Platz greifen müssen, wenn Praxisräume und Wohnung in vertikaler Bauweise (z. B. die Praxisräume im Erdgeschoß und die Wohnräume im Obergeschoß des Hauses) untergebracht sind. Aber auch bei horizontaler Bauweise (z. B. die Praxisräume schließen unmittelbar in einem Anbau an die Wohnräume des Hauses an) wird eine Zusammenfassung zu einer Bewertungseinheit geboten sein. Der Streitfall liegt aber anders. Hier sind Wohnung und Praxisräume je in einem besonderen Gebäude untergebracht. Die Größenverhältnisse der beiden Gebäude sind so, daß nicht das eine Gebäude nur als Nebengebäude des anderen angesehen werden kann. Die Vorschrift des § 57 Abs. 2 BewG nötigt keinesfalls dazu, zwei Gebäude, die verschiedenen Zwecken dienen, zu einer wirtschaftlichen Einheit (Untereinheit) zusammenzufassen. Daß die Verkehrsauffassung zu einer solchen Zusammenfassung zwingt, haben die Vorinstanzen nicht schlüssig begründet. Das Finanzgericht gibt zu, daß eine getrennte Bewertung für die Zukunft erfolgen könnte, wenn infolge der vorliegenden Bauweise einmal eine Abtrennung und ein Verkauf des Praxisteils stattfinden sollte. Daß in einem solchen Fall die beiden Gebäude als eine wirtschaftliche Einheit zusammengefaßt werden könnten, verbietet sich schon von selbst nach § 2 Abs. 2 BewG. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob es nach den vorliegenden Verhältnissen jederzeit möglich ist, die beiden Gebäude, die verschiedenen Zwecken dienen, ohne größere bauliche änderungen voneinander zu trennen und das eine ohne das andere zu verkaufen. Das trifft bei der Bauweise, die der Bf. gewählt hat, ohne Zweifel zu. Die für beide Gebäude bestehenden gemeinschaftlichen Einrichtungen (Wasser- und Stromleitungen) lassen sich leicht trennen. Ein Blick auf das bei den Akten befindliche Katasterblatt zeigt auch, daß nach dem Schnitt der Parzelle, auf der die beiden Gebäude stehen, eine Aufteilung der ganzen Grundfläche in zwei, zu den beiden Gebäuden gehörigen Teile ohne weiteres möglich ist. Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz zu Unrecht darauf bestanden, die beiden Gebäude entgegen dem Willen des Bf. zu einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammenzufassen.
Rechtsirrig ist auch die Auffassung des Finanzamts, die Vorschrift des § 2 Abs. 2 BewG stehe der Anerkennung von zwei Bewertungseinheiten entgegen, weil nach dieser Vorschrift mehrere Wirtschaftsgüter, wenn sie demselben Eigentümer gehören würden, als eine einzige wirtschaftliche Einheit angesehen werden müßten. Das steht nicht in § 2 Abs. 2 BewG. Vielmehr heißt es dort, daß mehrere Wirtschaftsgüter als wirtschaftliche Einheit nur insoweit in Betracht kommen, als sie demselben Eigentümer gehören. Das bedeutet etwas ganz anderes. Rechtsirrig ist demgemäß auch die vom Finanzamt geäußerte Auffassung, die aneinander gebauten, durch eine Brandmauer getrennten Wohngebäude des Bf. und seines Bruders müßten zu einer Einheit zusammengefaßt werden, wenn sie nur einem Eigentümer gehören würden. Bei Doppelhäusern und Reihenhäusern ist in der Regel jedes einzelne Haus (wie es ja auch unabhängig von den Nachbarhäusern veräußert werden kann) als eine selbständige wirtschaftliche Einheit zu behandeln. Das wird nur dann nicht gelten können, wenn die Doppel- oder Reihenhäuser so angelegt oder in der Weise mit gemeinschaftlichen Einrichtungen (Kaminen usw.) versehen sind, daß eine Trennung und ein Verkauf der Einzelhäuser ohne vorherige wesentliche bauliche änderung nicht möglich ist.
III. - Demgemäß sind aus den vom Bf. vorgetragenen Gründen die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen, und zwar zweckmäßig an das Finanzamt, das eine getrennte Bewertung der beiden Gebäude durchzuführen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 408049 |
BStBl III 1955, 2 |
BFHE 1955, 1 |
BFHE 60, 1 |