Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangslage zur Ablösung einer Versorgungszusage im Zuge der Liquidation
Leitsatz (NV)
Die im Zuge der Liquidation einer GmbH gezahlte Kapitalabfindung zur Abgeltung der Witwenpensionsansprüche ist dann als Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1a EStG ermäßigt zu besteuern, wenn für die Alleingesellschafter-Geschäftsführerin, die die GmbH-Anteile nach dem Tod ihres Ehemannes geerbt hatte, ein Zwang zur Liquidation bestanden hat. Das ist dann der Fall, wenn auch ein gesellschaftsfremder Geschäftsführer keine Alternative zur Betriebseinstellung gehabt hätte.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1a, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Ehemann (E) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war Gesellschafter-Geschäftsführer der A-GmbH, die ihm im Jahr 1987 eine Pensionszusage erteilt hatte. Zur Rückdeckung der Pensionsverpflichtung hatte die A-GmbH gleichzeitig eine Versicherung auf das Leben des E abgeschlossen. Im Falle des Todes des E sollte dessen Ehegatte eine Hinterbliebenenrente von 60 % des Ruhegehalts erhalten. Im Februar 1994 schied E aus der A-GmbH aus und gründete die B-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er wurde. Gegenstand des Unternehmens war die Beratung im Zusammenhang mit der Entwicklung sowie der Vertrieb von Hard- und Software.
Im Februar 1994 schloss die B-GmbH mit der A-GmbH einen Betriebskaufvertrag über den Geschäftsbetrieb der Niederlassung der A-GmbH in X. Im Rahmen dieses Vertrages wurden sowohl die Verpflichtungen aus der unverfallbaren Versorgungszusage als auch die Rechte der A-GmbH aus der Rückdeckungsversicherung auf die B-GmbH übertragen. Die Rechte aus dem Rückdeckungssicherungsvertrag blieben weiterhin sicherungshalber an E verpfändet.
Im Oktober 1994 verstarb E. Die Klägerin erbte die Beteiligung an der B-GmbH, die im Gründungsjahr 1994 bei Umsatzerlösen von 57 000 DM einen Verlust von 254 739 DM erwirtschaftet hatte. Die Klägerin übernahm die Geschäftsführung der B-GmbH und leitete deren Liquidation ein. Im Dezember 1995 erhielt die B-GmbH aus der Rückdeckungsversicherung die Versicherungssumme von 175 320,60 DM abzüglich ausstehender Monatsbeiträge von 3 927 DM. Der Differenzbetrag von 171 393,60 DM wurde der Klägerin im Streitjahr 1995 zur Abgeltung ihrer Witwenpensionsansprüche ausbezahlt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) behandelte diese Zahlung als Versorgungsbezüge gemäß § 19 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und setzte die Einkommensteuer 1995 auf … DM fest. Den Einspruch der Klägerin mit dem Antrag, die kapitalisierten Versorgungsbezüge gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern, lehnte das FA mit der Begründung ab, dass die Klägerin die Aufgabe ihrer Witwenpensionsansprüche freiwillig herbeigeführt habe. Es erhöhte in der Einspruchsentscheidung die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) um 3 927 DM auf 175 320 DM und setzte aus hier nicht streitigen Gründen die Einkommensteuer 1995 auf … DM herab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2002, 831). Die Abfindungszahlung sei als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern. Die Klägerin habe bei der Aufgabe ihrer Pensionsansprüche unter erheblichem wirtschaftlichen Druck gestanden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Das FG habe verkannt, dass die nachvollziehbaren Gründe für die Beendigung der aktiven Geschäftstätigkeit der B-GmbH nicht zwangsläufig auch für die Aufgabe der Pensionsansprüche Geltung hätten. Die Klägerin hätte zur Fortzahlung der ihr zustehenden Ansprüche die B-GmbH als ruhenden Gewerbebetrieb fortführen können. Gegen eine Zwangslage spreche insbesondere, dass die zukünftigen Pensionszahlungen in keiner Weise gefährdet gewesen seien, da eine Rückdeckungsversicherung bestanden habe und die daraus entstandenen Ansprüche an E verpfändet gewesen seien.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1995 vom 16. Januar 2002 die Einkommensteuer auf … € festzusetzen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Entscheidung des FG, dass für die Klägerin im Streitfall ein wirtschaftlicher Zwang zur Liquidation und zur Aufgabe ihrer laufenden Versorgungsansprüche gegen Kapitalabfindung bestanden hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. Urteil des BFH vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtigungen zu übernehmen (BFH in BFH/NV 2002, 638).
2. Die Liquidation eines Unternehmens führt im Regelfall dazu, dass auf Veranlassung oder Druck des Unternehmens bestehende Arbeitsverhältnisse aufgelöst und Versorgungszusagen abgelöst werden (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1980 VI R 86/77, BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393). Ist der entlassene Arbeitnehmer bzw. der aus einer Versorgungszusage Berechtigte allerdings zugleich Gesellschafter der Arbeitgeber-Gesellschaft, so hat er möglicherweise die Ursachenkette für die Ablösung seiner Versorgungszusage freiwillig in Gang gesetzt. Es ist deshalb zu prüfen, ob aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft ein Zwang zu deren Liquidation bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu würdigen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177).
3. Das FG hat die Umstände des Streitfalls eingehend gewürdigt. Es hat dazu im Einzelnen festgestellt, dass der wirtschaftliche Erfolg oder Misserfolg der B-GmbH allein von den Kenntnissen und der Tätigkeit des verstorbenen Gesellschafter-Geschäftsführers E abhängig gewesen sei und die Klägerin aufgrund ihrer Unerfahrenheit in geschäftlichen Dingen die Gesellschaft nicht habe fortführen können. Ein Verkauf der Gesellschaftsanteile sei nicht möglich gewesen, weil vorhandene Programme weder dokumentiert noch beschrieben gewesen seien und es mangels weiterer Mitarbeiter niemanden gegeben habe, der mit den Programmen vertraut gewesen sei. Wegen dieser Besonderheiten sei auch die theoretisch gegebene Möglichkeit der Einstellung eines Geschäftsführers und weiterer Mitarbeiter nicht in Betracht gekommen. Aufgrund dieser Feststellungen ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass auch ein gesellschaftsfremder Geschäftsführer "keine Alternative zur Betriebseinstellung und Kapitalabfindung" gehabt hätte. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Die Klägerin hat somit den Verzicht auf ihre Witwenpension und die Kapitalisierung ihrer Versorgungsansprüche nicht freiwillig herbeigeführt.
4. Wie der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177 bereits dargelegt hat, wird der wirtschaftliche Druck und damit der Zwang zur Liquidation nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass die B-GmbH zur Abwicklung der Versorgungsansprüche mit ruhendem Gewerbebetrieb hätte fortgeführt werden können.
Entgegen der Auffassung des FA kann auch die Tatsache, dass die künftigen Versorgungsansprüche wegen der bestehenden Rückdeckungsversicherung nicht gefährdet waren, die bestehende Zwangslage nicht beseitigen. Die Abwendung eines drohenden Verlustes der laufenden Versorgungsleistungen kann nach der Rechtsprechung des BFH zwar ein Grund sein, der dazu führt, dass die Vereinbarung einer Abfindungszahlung nicht freiwillig, sondern unter Druck abgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 1993 XI R 62/92, BFH/NV 1993, 721; BFH-Beschluss vom 11. März 1996 IV B 55/95, BFH/NV 1996, 737). Sie ist jedoch nicht der einzig mögliche Grund und damit auch nicht Voraussetzung für die Annahme einer Zwangssituation beim Verzicht auf eine Versorgungszusage gegen Kapitalabfindung.
Fundstellen
Haufe-Index 1126277 |
BFH/NV 2004, 624 |
DStRE 2004, 505 |
EStB 2004, 196 |
GmbHR 2004, 515 |